Für das Klee-Archiv

Suchaufruf nach einem verschollenen Kunstwerk von Paul Klee

Karin Wendt

In der Zeitschrift für internationale Klee-Studien fand ich vor einigen Jahren einen Suchaufruf, der nach wie vor aktuell ist. Ihn hier im Magazin zu teilen sei Anlass, zum einen die „stille“ kontinuierliche und sorgfältige Arbeit von Kunstarchiven zu vergegenwärtigen und zum anderen auch die Zeitschrift mit dem schönen Namen Zwitscher-Maschine kurz vorzustellen.

Das Berner Journal gibt es seit 2015 im Netz. In halbjährlich erscheinenden Ausgaben werden kunsthistorische und kunsttechnologische Studien, Buchvorstellungen sowie literarische oder philosophische Texte zu Leben und Werk von Paul Klee (1879-1940) der internationalen Klee-Forschergemeinschaft und interessierten Leser*innen kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Zeitschrift wird herausgegeben von Osamu Okuda und Walther Fuchs und ist angesiedelt am Zentrum Paul Klee in Bern. Das Redaktionsteam besteht aus den beiden genannten und Fabienne Eggelhöfer, Leiterin der Abteilung Sammlung/Ausstellung/Forschung. Den Titel haben die Editoren dem Werk „Die Zwitscher-Maschine“ (1922) von Paul Klee entlehnt, das sich heute im Museum of Modern Art in New York befindet.

Im Herbst 2017 veröffentlichte die Zwitscher-Maschine in ihrer vierten Ausgabe die Abbildung eines Werks mit dem Titel „Ball und Puppe" aus dem Jahr 1934, das bis heute als verschollen gilt, verbunden mit der Bitte um Hinweise zu seinem Verbleib.[1]

Nachdem eine zwischenzeitliche Werkedition von 2004 die Arbeit versehentlich gar nicht verzeichnet hatte, war man im Rahmen der Digitalisierung des Werkverzeichnisses durch einen Katalog aus dem Jahr 1948 wieder darauf aufmerksam geworden.

Dieser dokumentiert eine Ausstellung im Modern Institute of Art in Beverly Hills, die das Oeuvre von Klee in eine 2000 Jahre lange transkulturelle Formengeschichte einbettet: „Klee. 30 Years of Paintings, Water Colors, Drawings and Lithographs – and in a Klee-like-mood 2000 Years of Coptic, Persian, Chinese, European and Peruvian Textiles“. Dort wird das Bild „Doll With Balloon“ undatiert als Exponat mit der Nummer 69 aufgeführt, als Leihgabe der amerikanischen Kunstsammlerin Ruth McClymonds Maitland, die seinerzeit neben dem Blatt noch zwölf weitere Arbeiten von Klee besaß.

Die im Katalog aufgeführte Provenienz des Bildes ist ein Spiegel für die dramatischen Wege der Künstler und ihrer Kunst kurz vor Beginn des Kriegs, für die internationalen Verflechtungen und Verwerfungen des modernen Kunsthandels und für die kosmopolitischen Persönlichkeiten, die sich für die zeitgenössische Kunst engagierten: der zuerst aufgeführte Besitzer war der deutsch-französische Kunsthistoriker Daniel-Henry Kahnweiler, in dessen Pariser Galerie Simon neben Klee Künstler wie Pablo Picasso, André Derain, Fernand Léger, George Braque und Juan Gris unter Vertrag waren; die Galerie wurde bei Ausbruch des Krieges aufgrund von Kahnweilers deutscher Staatsbürgerschaft geschlossen und die Kunstwerke konfisziert. Mit Kahnweiler, den er seit 1912 kannte, hatte Klee im Oktober 1933 einen Exklusivvertrag über alle Verkäufe außerhalb der Schweiz abgeschlossen, kurz nachdem er nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten von der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er seit 1931 gelehrt hatte, als „politisch unzuverlässig" und als „entarteter Künstler" entlassen worden war. Noch im selben Jahr emigrierte Paul Klee und ging zurück in den Kanton Bern.

Von Kahnweiler, Paris, gelangte das Bild „Ball und Puppe" in den Besitz der 1925 in der Londoner Sackville Street gegründeten Mayor Gallery, die Klee erstmals in England ausstellte. Dort kauften dann die Kölner Galeristen Karl und Josef Nierendorf das Blatt und nahmen es 1938 mit nach New York, wo sie ihre zuletzt in Berlin ansässige und nun auch dort gekündigte Galerie weiterführten. Josef Nierendorf wurde 1939 zur Wehrmacht eingezogen und sein Bruder übernahm den Handel. Nach dessen Tod kaufte das Guggenheim Museum den gesamten Galerienachlass, darunter mehr als 150 Werke von Paul Klee.

Bei Nierendorf, New York, hat die in Braunschweig geborene deutsch-amerikanische Malerin und Kunstsammlerin Galka Scheyer das Bild erworben. Scheyer hatte Klee in den 20er Jahren am Bauhaus in Weimar kennengelernt und die Ausstellungsgemeinschaft Die Blaue Vier ins Leben gerufen, um in den darauffolgenden Jahren mit Arbeiten von Klee, Alexej Jawlensky, Lyonel Feininger und Wassily Kandinsky durch die USA und später auch Asien zu reisen und die Künstler dort bekannt zu machen. 1933 reiste Scheyer das letzte Mal nach Europa und eröffnete im selben Jahr ein Galerie-Haus in Hollywood. Ihre noch in Deutschland lebende Familie wurde 1938 zwangsenteignet; nachdem ihr Bruder Paul im selben Jahr nach Buchenwald deportiert worden war, konnten er und der andere Bruder 1939 noch in die USA bzw. nach Großbritannien ausreisen. Ihre Mutter nahm sich 1942 das Leben.

Von Scheyer ging das Bild in die Hände des amerikanischen Kunsthändlers Earl L. Stendahl, Los Angeles. Hier erwarb es dann schließlich Ruth McClymonds Maitland. Die letzte gesicherte Provenienz ist also Los Angeles, 1948, von da an verliert sich die Spur des Bildes „Ball mit Puppe". Derzeit wird das Werk daher vom Klee-Zentrum unter der Nr. 6683 im Catalogue raisonné mit „Verbleib unbekannt" verzeichnet.

Blicken wir auf die Abbildung der kleinen Zeichnung aus Aquarell- und Ölfarben: Sie zeigt eine horizontal schwebende kindliche Figur, die sich mit durchgestreckten Armen abzustützen versucht; der kugelige Kopf, der dreieckige Rumpf aus Kleid und Überwurf und die linearen Gliedmaßen sind fast plan gezeichnet und nur lose an- und ineinandergefügt. Wie von unsichtbarer Hand bewegt und angehoben, wendet die Puppe ihren Kopf und richtet die schwarzen Knopfaugen erstaunt, vielleicht auch ängstlich, auf den eigenen, unvermutet belebten Körper und auf den rechts zum Bildrand wegdriftenden Ball. Die träumerische Haltung wird intensiviert durch die nächtlich anmutende Szenerie, die das kleine Wesen wie eine neblige Schattennatur umgibt und mit dem Körper stellenweise flächig verschmilzt. So wirkt der Ball auch wie ein blass schimmernder Planet, und die zarten schwarzen Beine der Puppe könnten kleine Zweige sein, die sich im Mondschein abzeichnen. Es ist ein Blatt voller Zauber und Vor-Ahnung, das vielleicht erzählt, wie Spielzeug nachts lebendig wird, wie im Traum oder im halbwachen Zustand alles fremd erscheint, weil Nähe und Ferne nicht mehr messbar sind. Die Puppe verkörpert in Klees Spätwerk, wie die Figur des Engels, ein Zwischenwesen, das erst durch die spielerische Einbildungskraft lebendig wird und so unser Verhältnis zur Welt, unsere Sehnsüchte und Ängste, erfahrbar macht. Der für Klees Arbeiten charakteristische Schwebezustand wird wesentlich erzielt durch das Changieren zwischen geometrischer Konkretion und anthropomorpher Erzählung. Dieses Spiel der Formen ist das Leben der Kunst. Um dieses Spiel – oder auch um diesen Traum – geht es dem Künstler Klee.

Die vorgeschlagenen Assoziationen, vor allem meine Deutung der Sfumati als Inszenierung von Nacht, ausgehend von der Abbildung in Schwarzweiß, gälte es wie vieles Weitere am farbigen Original zu überprüfen. An dieser Stelle daher die mit den MitarbeiterInnen des Zentrum Paul Klee geteilte Bitte:

„Wir wären sehr interessiert mehr über den Verbleib des Werkes Ball und Puppe 1934, 145 (R 5) zu erfahren.“ (Okuda/Fuchs)

Anmerkungen

[1]    Osamu Okuda/Walther Fuchs: Paul Klee ‚Ball und Puppe‘ 1934, 145 (R 5) - Ein verschollenes Werk, in: Zwitscher-Maschine : Journal on Paul Klee = Zeitschrift für internationale Klee-Studien, 26. Oktober 2017

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/128/kw90.htm
© Karin Wendt, 2020