Anecdotal Luxury Design Impact

Kunst – Design – Mode

Karin Wendt

Unter dem in Hannover ansässigen Taschenlabel PB0010 lässt Philipp Bree, Sohn des Familienunternehmens BREE, seit 2013 eigene Ledertaschen fertigen, die für Eleganz, Nachhaltigkeit und faire Herstellungsbedingungen stehen wollen.[1] Auf der diesjährigen Berlin Fashion Week hat er zusammen mit dem Schauspieler Lars Eidinger eine Ledertasche vorgestellt, die in Form und Muster indirekt auf die Gestaltung der Aldi-Nord-Tüte verweist. Die Tasche wird mit einer Kampagne des Fotografen Benjakon promotet, die Eidinger an verschiedenen urbanen Orten zeigt, teils in Haltungen und Situationen, die Assoziationen an das Leben in Obdachlosigkeit nahelegen. Darüber wird im Netz kontrovers diskutiert.[2]

Zum Hintergrund: Günter Fruhtrunk

Das Motiv der Tasche ist in zweifacher Hinsicht ein kultureller Verweis. Es verwendet einen Ausschnitt des Gemäldes Progression, Etude I aus dem Jahr 1964 von Günter Fruhtrunk, und verweist damit auf den Künstler, der in den 70er Jahren auch das Design der Aldi-Tüte entworfen hat. Fruhtrunk selbst soll mit seiner Auftragsarbeit im Nachhinein gehadert haben, das berichteten Studierende aus Gesprächen mit ihrem Dozenten. Jedenfalls hat er diese Öffnung seiner Malerei für den angewandten Bereich, anders als seine zahlreichen Arbeiten im Bereich Kunst am Bau, in seinen öffentlichen Vorträgen nicht zur Sprache gebracht oder bekannt gemacht. Er hat sie also konzeptionell nicht an seine Kunst zurückgebunden oder gar künstlerisch reflektiert. Dennoch bin ich unsicher, wie seine immer wieder kolportierte Aussage vom „Sündenfall“ zu deuten ist. In jedem Fall war sie auch ironisch. Was ihm vermutlich Bauchschmerzen bereitete, war, dass ihm klar gewesen sein musste, dass das Verfahren, das er zur Dynamisierung der Bildfläche entwickelt hatte, auf der Tüte optisch arretiert und so zu einem Musterverfahren – einem Logo – wurde. So wie ihm die Abgrenzung seiner Malerei von der Op Art wichtig war, weil er nicht auf eine spielerische Überforderung des Sehorgans, sondern auf subjektiv erfahrbare Sehanstrengung zielte, hat er sich auch wiederholt gegen den Vorwurf der Tapetenmalerei gewehrt, dem sich die abstrakte Kunst nach dem Krieg insgesamt von reaktionärer Seite aus gegenüber sah. Fruhtrunk war jedoch kein Konzeptkünstler, und so blieb diese Kontextverschiebung seiner eigenen Kunst äußerlich.

So blieb lange auch weitgehend unbekannt, dass das Motiv der Aldi-Tüte von einem Künstler designt wurde, der in den 70er Jahren zu den bekannten Protagonisten westdeutscher Gegenwartskunst gehörte, dessen Arbeiten in fast jedem bundesdeutschen Ministerium zu finden sind und in kaum einem Museum fehlen.[3] Das Aldi-Design wurde erfolgreich ohne künstlerische Nobilitierung – oder vielleicht gerade deswegen. Erst mit dem Ende der Plastiktüte wurde aus diesem Hintergrund ein interessantes Surplus, das die Geschichte der Aldi-Tüte noch einmal anreicherte und mit Bedeutung auflud.[4]

Auch das Werk von Fruhtrunk wird erst seit ein paar Jahren wieder vom Kunstbetrieb entdeckt. Unter Künstlern war beides jedoch immer präsent. Eine der ersten und bis heute überzeugende Arbeit, die Fruhtrunk und das Aldi-Design künstlerisch reflektiert hat, ist meines Wissens der Aldi-Vorhang von Andreas Exner aus dem Jahr 1999, zuletzt wieder ausgestellt im Kunsthaus Dresden.[5] Als Maler interessierte Exner die Verwandlung von Malerei, die sich mit dem Tütenmaterial ergab, aber natürlich auch das Labeln, die marktbeschleunigende Entkopplung von Gegenstand und Oberfläche, wie sie Beat Wyss in seinem legendären Buch „Die Welt als T-Shirt"[6] beschreibt. Was die Aldi-Tüte aus heutiger Sicht neu, wenn man so will revolutionär machte, war nicht, ein künstlerisches Motiv in den Bereich des Designs zu übertragen, dafür gibt es in der Geschichte der Kunst unzählige Beispiele, sondern einen Gebrauchsartikel zu wählen, den wirklich jeder in die Hand bekam. Darin liegt die Idee einer Guerilla-Taktik, in der sich die Macht demokratischer Prozesse jenseits einzelner Individuen zeigt. Wegweisend war von daher in erster Linie die Idee der Aldigründer oder ihrer Werbeabteilung.

Mode und Engagement

Die Idee von Eidinger/Bree, die Aldi-Tüte zu covern, folgt zunächst der mimetischen Logik von Mode(n). Den Look einer Tüte im Fashionbereich aufzugreifen, nachdem die Plastiktüte vom Markt genommen wurde, ist naheliegend. Die erfolgversprechende Botschaft ist so eine zweifache: man erweist einem „ikonisch gewordenen"[7] Alltagsgegenstand seine nicht unironische Referenz und man reinszeniert ihn zeitgemäß als Ethical Fashion. Nur zum jetzigen Zeitpunkt kann ein solcher Entwurf im Bereich High Fashion ankommen, weil er einen aktuellen gesellschaftlichen Diskurs aufgreift bzw. aufruft. Genau so schnell kann ein It-Piece aber auch wieder out sein.

Was nun aber vor allem Kritik ausgelöst hat, ist das Framing, mit dem diese Tasche beworben wird. Es geht um die Fotos, mit denen das Tragen der Tasche in einen größeren Kontext eingebettet wird. Und da setzen Eidinger/Bree tatsächlich hoch an. Im Interview mit dem Tagesspiegel sagt Eidinger, es ginge dabei um das Signal von Authentizität bzw. Aufrichtigkeit: „Wenn ich ehrlich bin zu mir selbst, nehme ich eine Tüte!".[8] Das kann man einmal verstehen als Glauben an das Versprechen von Aldi, Qualität für alle zu ermöglichen. Und man kann es als Versuch deuten, sich mit Menschen, die unter prekären Bedingungen leben, zu solidarisieren – die Tasche als Glaubensbekenntnis und die Tasche als Zeugnis. Das Problem ist jedoch, dass sich beides meines Erachtens nicht über die Fotos vermittelt. Im Gegenteil. Die Posen, die Eidinger als scheinbar Obdachloser einnimmt, entfalten weder street credibility, noch erzeugen sie jene selbstironische Distanz zum Modebetrieb, die gute Mode auszeichnet. Keine der porträtartig inszenierten Situationen reflektiert den Widerstreit von Mode und Ethik, sie provozieren nicht, weder in die eine, noch in die andere Richtung, sie wirken vielmehr geckenhaft und eitel. Sie bleiben hohl, weil man Eidinger die Erfahrung, die er mimt, nicht abnimmt. Es ist in gewisser Weise ähnlich gelagert wie das Problem der Statement Mode, das Carl Jakob Haupt im Modeblog Dandy Diary so erklärte:

„Die Statements auf den Moden sind, egal wie politisch sie sich geben oder eben auch nicht, egal. Sie sind hohl. Sie bedeuten nichts, weil Bedeutung einen Wissenszusammenhang voraussetzt. Nur so konnte es kommen, dass Melania Trump, die First Lady der Vereinigten Staaten von Amerika, auf ihrer überraschenden Reisen in eines der Lager, in denen die US-amerikanische Regierung geflüchtete mexikanische Kinder von ihren abgeschobenen Eltern getrennt einsperrt, eine Jacke trug mit dem Statement „I REALLY DON'T CARE, DO U?“ – und nichts dabei fand.“[9]

Bei vielen Modeinteressierten kommt die Tasche selbst dennoch gut an.[10] Ich denke, sie ist ein Beispiel dafür, wie es Mode vermag Hybride zu erzeugen, so dass aus etwas Banalem ein Luxusartikel wird. Die Tasche von Eidinger/Bree funktioniert, weil sie hochwertiges Leder mit der Anmutung von Plastik verbindet und weil sie im demokratischen Design die künstlerische Vorlage noch einmal explizit „verarbeitet". So entsteht Anecdotal Luxury[11], anekdotischer Luxus, mehr aber auch nicht.

Anmerkungen

[1]    Judith Brachem: Lars Eidinger als Designer. Nicht wegwerfen!, Monopol. Magazin für Kunst und Leben, 18.01.2020, https://www.monopol-magazin.de/lars-eidinger-aldi; Maria Wiesner: Tasche in Aldi-Design. Viel Lärm um eine Luxustüte, FAZ Online, 19.01.2020, https://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/lars-eidinger-hat-eine-luxustasche-im-aldi-design-entworfen-16590173.html

[3]    Vgl. grundsätzlich Wendt, Karin (2001): Günter Fruhtrunk. Monographie und Werkverzeichnis: Möglichkeiten und Grenzen des konkreten Bildes. Frankfurt a.M., Bern etc.: P. Lang (Schriften zur bildenden Kunst, Bd. 10).

[4]    Kito Nedo: Das bekannteste unbekannte Kunstwerk Deutschlands verschwindet, Süddeutsche Zeitung Online, 26.08.2018, https://www.sueddeutsche.de/kultur/aldi-tuete-das-bekannteste-unbekannte-kunstwerk-deutschlands-verschwindet-1.4103416.

[5]    Das Ereignis eines Fadens. Globale Erzählungen im Textilen, Kunsthaus Dresden. Städtische Galerie für Gegenwartskunst, 1. September 2017 bis 28. Januar 2018, http://kunsthausdresden.de/veranstaltungen/das-ereignis-eines-fadens/

[6]    Beat Wyss: Die Welt als T-Shirt. Zur Ästhetik und Geschichte der Medien, Ostfildern: Dumont 1997.

[7]    Grit Thönnissen: Lars Eidinger im Interview „Wenn ich ehrlich bin zu mir selbst, nehme ich eine Tüte!", Der Tagesspiegel Online, 14.01.2020, https://m.tagesspiegel.de/mode/lars-eidinger-im-interview-wenn-ich-ehrlich-bin-zu-mir-selbst-nehme-ich-eine-tuete/25428478.html?utm_referrer=android-app%3A%2F%2Fcom.google.android.gm

[8]    Johannes Schneider: Lars Eidinger. Aldi schöne Armut!, Zeit Online, 19.01.2020, https://www.zeit.de/kultur/kunst/2020-01/lars-eidinger-aldi-tuete-guenter-fruhtrunk-armut-modedesign

[9]    Carl Jakob Haupt: Melania Trump und das überfällige Ende der Statement Mode, Dandy Diary, http://dandydiary.de/melania-trump-und-das-ueberfaellige-ende-der-statement-mode/

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/123/kw086.htm
© Karin Wendt, 2020