Eisenkonstruktionen

Pariser (Kirchen-)Bauten im 19. Jahrhundert

Andreas Mertin

Der Eiffelturm, aus nächster Nähe von unten besehen, ist ein grausiges Monstrum, squat, sagte man englisch, breit auf vier kurzen, ungeheuerlichen, krummen Beinen, gierig wartend, ob es nicht doch noch die Stadt verschlingen kann, über die so viele Bilder des Unheils dahinzogen, daß sie verschont blieb. Aus der Ferne aber ist der Eiffelturm das schlanke, dunstige Zeichen, welches das unverwüstliche Babylon in den Himmel der Moderne streckt. [Theodor W. Adorno, Im Jeu de Paume gekritzelt, FAZ 20.12.1958]

1889, im Jahr der Einweihung, aber noch vor der Fertigstellung des Eiffelturms, malt George Seurat in seiner geradezu unnachahmlichen Weise den Stahlkoloss, der bei ihm nun gerade nicht als grausiges Monstrum, sondern eher als schlankes, dunstiges und zugleich lichtes Zeichen erscheint. Das 19. Jahrhundert ringt um die Möglichkeiten und Konsequenzen, die in dem Architektur-Medium Eisen liegen. Was heute das Lieblingsziel der Paris-Touristen ist, war vor seiner Fertigstellung ziemlich umstritten. 1871, lange vor den Planungen des Eiffelturmes, erschien die Schrift eines Architekten, der maßgeblich am Streit um das neue Medium beteiligt war. Die Schrift trägt den Titel „Eisen, das wichtigste Konstruktionselement der neuen Architektur. Theoretische und praktische Schlussfolgerungen zum Abschluss der 1855 eröffneten Debatte über die Anwendung von Metall (Eisen und Gusseisen) beim Bau öffentlicher Gebäude“ und stammt von Louis-Auguste Boileau (1812-1896). Nun abgeschlossen war die Debatte „um die Anwendung von Metall beim Bau öffentlicher Gebäude“ im Jahr 1871 nur insofern, als dass ihr Einsatz von niemandem mehr aufgehalten werden konnte. Aber der Streit war natürlich noch nicht beendet, er sollte gerade im Kontext des Eiffelturms noch einmal einen Höhepunkt erleben.


St-Eugène-Ste-Cécile (Paris)

Aber eröffnet hatte die Debatte nicht zuletzt ein Bauwerk von Louis-Auguste Boileau selbst, das dieser 1855 für die Mitte von Paris entworfen hatte: die Kirche Saint-Eugène-Sainte-Cécile. Sie war die erste Eisenkonstruktion eines Kirchenbaus in Frankreich. 1856 erscheint eine kleine Schrift von Louis Auguste Boileau, die über die Genese und die Herausforderungen dieser Kirche Auskunft gibt: L'eglise Saint-Eugène à Paris. Vues et description accompagnées d'un abrégé de la vie de Saint Eugène, patron de la nouvelle église. Nicht ohne Stolz verweist Boileau gleich einleitend darauf, welche Debatte sein Bau hervorgerufen hat:

Das große Interesse, das der Bau der St.-Eugen-Kirche sowohl aus religiöser als auch aus künstlerischer Sicht weckte, lieferte Material für die Presse. So eröffneten spezielle Magazine ihre Kolumnen für interessante und lehrreiche Debatten über den Einsatz der neuen Industrieressourcen, die hier zum ersten Mal Verwendung fanden … Darüber hinaus haben fast alle Pariser Zeitungen, Tageszeitungen und Zeitschriften über die Ergebnisse des Baus dieses Gebäudes berichtet, wobei die Begeisterung ihrer Verfasser den lobenswerten Wunsch zum Ausdruck bringt, Fortschritte in welcher Form auch immer zu fördern. Wir hielten es daher für notwendig, kurz die Gründe für die Errichtung der Kirche St. Eugène in Erinnerung zu rufen, ihre Hauptabmessungen anzugeben und die neuen Materialien und Konstruktionsmethoden anzugeben, die der Architekt angewendet hat und die Ergebnisse, die er mit Hilfe dieser neuen Materialien erzielt hat, die bis dahin von den mit dem Bau neuer Kirchen beauftragten Architekten zurückgewiesen worden waren.

Über die Motive zur Konstruktion dieser Kirche schreibt Boileau:

L'aspect peu digne de ces églises provisoires décida M. l'abbé Coquaud à faire construire une église définitive, en employant les nouveaux procédés de construction où la fonte et le fer remplacent les piliers et les arcs en pierre des églises monumentales : il espérait ainsi diminuer les dépenses considérables que coûtent les églises construites en pierre, et réduire le temps employé à leur construction.

Mit anderen Worten, der Bauherr hoffte, „die erheblichen Kosten für den Bau von Steinkirchen zu senken und die Bauzeit zu verkürzen.“ Fortschritt und Effizienz – darum ging es. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Mir gefällt am besten eine 360°-Ansicht, die sich bei Google-Views finden lässt. Das ist überaus beeindruckend, licht und leicht. Es erscheint daher mehr als ein bloßer Zufall, dass ausgerechnet in dieser Kirche 1857 die Hochzeit des Science-Fiction-Schriftstellers Jules Verne mit Honorine de Viane stattfand.

Ausgeschrieben war das Kirchbau-Projekt seinerzeit so: „Errichten Sie eine Kirche im Stil des späten 13. Jahrhunderts, wobei Sie jedoch Gusseisen und Eisen verwenden, um die Säulen und Steinrippen zu ersetzen.“


www.saint-eugene.net

Die Wikipedia beschreibt das Innere so:

„Das Gebäude ist 50 Meter lang und 25 Meter breit. Die Höhe des Mittelschiffes beträgt 23 Meter, die Seitenschiffe haben eine Höhe von 15 Metern. Das dreischiffige Langhaus erstreckt sich über vier Joche. Spitzbogenarkaden auf schlanken, in die Höhe strebenden Säulen aus Gusseisen trennen das Hauptschiff von den Seitenschiffen. … Das Hauptschiff ist mit einem Domikalgewölbe eingewölbt, die Seitenschiffe besitzen Kreuzrippengewölbe. Aufgrund der Eisenkonstruktion ist das Gewicht der Gewölbe und die Stärke der Wände reduziert, so dass auf die in der gotischen Architektur notwendigen Strebebögen verzichtet werden kann. Der Schub der Gewölbe wird von den schmalen Kapellen aufgefangen, die sich an die Seitenschiffe anschließen und über denen eine Empore aus Gusseisen verläuft. Ein Querhaus gibt es nicht. Mauern, Säulen und Gewölbe sind vollständig bemalt.“

Das Ergebnis war ein Kirchenbau, der bis heute überzeugt, da er auf begrenztem Raum „vielfältige Perspektiven“ eröffnet und „den Eindruck von Weite“ (Musée d’Orsay) erweckt.


Église Saint-Augustin de Paris

Von Jean Pascal Hamida - CC BY-SA 3.0

Die fünf Jahre später begonnene und 1871 fertiggestellte Pfarrkirche St-Augustin gilt ebenfalls als frühe Kirche mit einer Eisenkonstruktion. Sie ist deshalb etwas Besonderes, weil sie unmittelbar auf die Moderne reagiert und sich zugleich an den Bedürfnissen und Sehnsüchten der Menschen orientiert. Ihr Architekt Victor Baltard (1805-1874) zeichnete auch für die früheren Markthallen von Paris verantwortlich [siehe dazu den Nachdruck aus dem Magazin „Die Gartenlaube“ von 1858 in dieser Ausgabe]. Und damit ordnet die Kirche sich ein in die Umgestaltung von Paris, die mit dem Namen Georges Eugene Haussmann verbunden ist – also der so genannten Haussmannisierung. Baltard, wie Haussmann ein Protestant, kannte diesen von Kindesbeinen an und war einer der von Haussmann mit der Umgestaltung von Paris beauftragten Architekten. Man kann heute Paris nicht verstehen, wenn man sich nicht einmal mit dieser städtebaulichen Modernisierung beschäftigt hat. Auf der folgenden Karte sind alle von Haussmann vorgenommenen Änderungen lila eingefärbt. Gut erkennbar sind die in dieser Zeit entstandenen Bahnhöfe, die Paris mit dem Rest des Landes verbinden. Ebenso gut bis heute wahrnehmbar ist die Sichtachse, in der die Kirche St-Augustin steht, wenn man sich ihr vom Place de la Madeleine über den Boulevard Malesherbes nähert. (Google-View)

Die Kirche St. Augustin ist erkennbar ein Werk des Eklektizismus, ein Stilmix, der zugleich Elemente der Romanik, der französischen Gotik, der Renaissance, aber auch der byzantinischen Architektur enthält. Das ist weniger Ausdruck gestalterischer Verlegenheit, sondern der Anspruch, in Paris das Beste der Geschichte zu versammeln.

Aber nicht nur rekonstruieren und präsentieren wollte man, sondern es ging auch darum, selbst etwas Neues einzubringen.

In der 1957 bis 1965 erschienenen dritten Ausgabe des Lexikons Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG 3) findet sich eine Formulierung, die den dabei wirkenden Impuls ganz gut zusammenfasst:


Von Saffron Blaze - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Die technische Welt hatte das Leben zutiefst durchdrungen. Die Urgewalt technischer Bauten … hatte tiefste sittliche Kräfte gerade bei schöpferisch verpflichteten Menschen geweckt.


Und so gehört St. Augustin zu den frühen Kirchenbauten, die in großem Maße aus Metall gefertigte Strukturelemente verwenden. Das ermöglichte es, ganz auf Seitenstreben zu verzichten und vor allem auch das vorhandene tortenstückartige Baugrundstück am Boulevard Malesherbes optimal auszunutzen – auch wenn dazu auf die Ostung der Kirche verzichtet werden musste.


Von Guilhem Vellut from Paris, France - Eglise Saint-Augustin @ Paris, CC BY 2.0

Als Verantwortlicher für Aufsicht über die Pariser Kirchenausschmückungen in dieser Zeit und als neuer Star der Architekturszene seitdem er für die Markthallen verantwortlich war, bekam Baltard den Auftrag für die am aufstrebenden Boulevard Malesherbes gelegene Kirche. Und auch hier waren es wieder pragmatische Gründe. Man vermied auf der engen Baustelle größere Abstützungen, die bei einer Steinkirche notwendig geworden wären, und reduzierte zugleich Baukosten und Bauzeit. Im Gegensatz zu den Markhallen wurde hier aber darauf verzichtet, die Eisenkonstruktion auch nach außen hin sichtbar zu machen. Das wäre wohl zu gewagt gewesen, deshalb wurde die Konstruktion in Stein gehüllt.

Im Gegensatz zum Äußeren verbirgt das Interieur die Eisenkonstruktion nicht. Das Kirchenschiff besteht aus einer Reihe von Gusseisenbögen, die flache Quer­gewölbe tragen. Die feingusseisernen Stützen sind lackiert und vergoldet und bilden damit ein zentrales dekoratives Element im Kircheneindruck. Die Boulevardisierung der Kirche wird von den aufgestellten, straßenlaternenartigen Beleuchtungen noch extrem verstärkt. Und so kombiniert sich wie gewünscht der Eindruck von etwas vertraut Altem mit dem des unerhört Neuen.


Notre-Dame-du-Travail


Von Peter Potrowl (talk) - Eigenes Werk, CC BY 3.0

Auf dem oben abgebildeten Plan von der Haussmannisierung von Paris ist gut erkennbar, dass das 14. Arrondissement, in dem die nun zu betrachtende Kirche liegt, gerade erst im Entstehen begriffen ist.

Ab 1830 kommt es in dieser Gegend zu einer Verstädterung, die durch die neue eingerichtete Eisenbahnlinie Versailles-Paris verstärkt wurde. Es handelt sich um eine unstrukturierte Urbanisierung.

Der West-Bahnhof wird 1848-1852 erweitert. Ikonisch berühmt wird der Bahnhof übrigens 1895, als eine Lokomotive im Bahnhof nicht zum Stehen kommt und durch die Gebäudemauer stürzt.

Der neu eingerichtete West-Bahnhof diente seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend auch Wanderarbeitern aus der Bretagne, die bei den Weltausstellungen ab 1855 Arbeit finden wollten, als Anlaufstelle. Und diejenigen, die dann Arbeit fanden, siedelten sich hier an.

Zwischen 1899 und 1902 wurde die heutige Kirche nach Plänen des Architekten Jules Astruc (1862–1955) errichtet, der sich dabei an den Kirchen der Romanik und den Bauten von Victor Baltard und Gustave Eiffel orientierte.

Die Kirche wurde, als Würdigung der Arbeit und der Arbeiter, Notre-Dame-du-Travail (Unsere Liebe Frau der Arbeit) geweiht und wandte sich an die Arbeiter, die bei den Bauten der Weltausstellungen tätig waren. Das kann man sehr gut an einem Plakat erkennen, das um Spenden für die geplante Kirche bittet, und den industriellen Kontext bewusst hervorhebt:


Dazu heißt es im Kirchenführer von Notre Dame du Travail:

1897 wurde ein Aufruf gestartet: Den Katholiken von Frankreich wurde eine Broschüre zur Errichtung eines der Muttergottes der Arbeit gewidmeten Heiligtums zugesandt.

"Für wen ist die Kirche? Um die Arbeiter aller Klassen auf dem Gebiet der Religion zu vereinen ...

Warum im Bezirk Plaisance? Weil es ein Vorort ist, der nur aus Arbeitern besteht und der noch keine Kirche für seine 35.000 Einwohner hat …"

Die örtlichen Händler und Industriellen schlugen vor, für jeden Industrie- und Handelsberuf eine Säule zu reservieren, ebenso für die alten Korporationen. Zugleich sagten sie die Finanzierung einer Madonnenstatue aus weißem Kalkstein zu, die dann tatsächlich realisiert wurde und heute noch die Kirche mit Symbolen des Handels und des Handwerks ziert.

Das Ergebnis der Bemühungen fasst die Wikipedia in ihrem Artikel zur Kirche so zusammen:

„Die Kirche hat eine Länge von 47 Metern und eine Breite von 28 Metern. Der Innenraum ist durch Eisenträger und filigrane Rundbogenarkaden, die ebenfalls aus Eisen bestehen, in zwei schmale Seitenschiffe und ein wesentlich breiteres Mittelschiff gegliedert. Über diesem liegt, wie über den beiden Seitenschiffen, ein offener Dachstuhl, der von einer Metallkonstruktion getragen wird. Hierbei wurde die Decke des Palais de l'Industrie (Palast der Industrie), eines für die Weltausstellung von 1900 errichteten Pavillons wiederverwendet.

Die Hochwände des Mittelschiffs sind von Drillingsfenstern durchbrochen. An den Wänden der Seitenschiffe, an die sich zehn Kapellen anschließen, verläuft eine schmale Empore. Die Kapellen sind mit Blumenmotiven im Jugendstil und mit Lünetten verziert, auf denen Heilige und Schutzpatrone verschiedener Handwerkszünfte dargestellt sind wie die hl. Genoveva, die Schutzpatronin von Paris, der hl. Vinzenz von Paul, der hl. Franziskus, der hl. Eligius (Schutzpatron der Goldschmiede), der hl. Joseph (Schutzpatron der Zimmerleute) und der hl. Lukas (Schutzpatron der Künstler).

Im Gegensatz zur ‚Kälte‘ vieler späterer Stahlbeton- und Betonkirchen wirkt die Kirche Notre Dame du Travail auch 120 Jahr später immer noch berührend und einladend. Sicher, der Stil der Lünetten in der Kirche und vor allem die Raphael-Engel in einer der Kapellen haben sich überlebt und sind nur noch ein Dokument der Zeitgeschichte, aber die architektonische Gestalt im Inneren ist weiterhin beeindruckend.

Es ist wie eine selbstverständliche Verbindung von Religion, Arbeit, Leben und Geschichte, die hier vor Ort erfahrbar und auch lebbar wird. Ich fühlte mich beim Besuch ein wenig an die 1888 eingeweihte Saint-Gery-Markthalle im Zentrum von Brüssel erinnert.


Par Mbzt — Travail personnel, CC BY 3.0


St. Jean de Montmartre

In seinem Artikel zum Thema Kirchenbau in der RGG3 kommt der Verfasser angesichts des französischen Kirchenbaus im ausgehenden 19. Jahrhundert zu folgendem nüchternem Fazit: 

Im traditionalistischen kath. Bereich mussten vereinzelte Versuche, wie die erste Eisenbetongestaltung einer Kirche (St. Jean de Montmartre, Paris, 1894 von A. de Baudot), aufs Formale beschränkt bleiben.

Das ist angesichts des gerade Beschriebenen ungerecht. Aber der Verfasser zielt ja auf das neue Medium „Eisenbeton“. Und im Gegensatz zu den gerade besprochenen Eisenkonstruktionen des 19. Jahrhunderts sollte dem Beton und insbesondere dem Stahlbeton ja tatsächlich die Zukunft gehören. Wenden wir uns also abschließend der in der RGG erwähnten Kirche zu.

Von Peter Haas, CC BY-SA 3.0

Von Peter Haas, CC BY-SA 3.0

Die zwischen 1894 und 1904 errichtete Pfarrkirche Saint-Jean de Montmartre gilt als der erste französische Sakralbau in Stahlbetonbauweise. Ursprünglich sollte die Kirche als reiner Betonbau realisiert werden, aber dann wählte man aus Kostengründen die neue Stahlbetonbauweise:

„Dabei wurden Hohlblocksteine aus Ziegel verwendet, durch die Eisenstangen gezogen und anschließend mit Zement vergossen wurden. Nach außen war nur der Ziegel zu sehen, tatsächlich aber trug der Eisenbeton das Gebäude. Diese Methode erlaubte sehr dünne tragende Wände und Pfeiler.“

Wie ungewohnt das war, belegt der Umstand, dass die Bauarbeiten unterbrochen werden mussten, weil Bedenken aufkamen, ob diese Bauweise wirklich sicher sein würde. So konnte die Kirche erst 1904 eingeweiht werden. Man sieht, die Gemeinden taten sich von Anfang an schwer mit dem Kirchenbau in Stahlbeton. Aber zugleich wird an dieser Kirche auch deutlich, warum die Architekten von den neuen Möglichkeiten des Bauens und der Gestaltung so begeistert waren. Nahezu alles wurde machbar.

Auch von dieser Kirche gibt es bei Google-View eine Rundumsicht, die es ermöglicht, sich aus der Ferne einen ungefähren Raumeindruck zu verschaffen: 360°-Ansicht.


Fazit

Wenn man den englischsprachigen Wikipedia-Artikel „Architecture of Paris“ durchscrollt, zu dem es leider kein deutschsprachiges Pendant gibt, dann wird einem deutlich, wie sehr seit Beginn des 19. Jahrhunderts diese Stadt von Eisenkonstruktionen geprägt wurde. Nicht erst durch Gustav Eiffel, sondern schon am Anfang des Jahrhunderts finden wir mit der 1804 fertiggestellten Pont des Art eine erste Gusseisen-Brücke. 1811 folgt die eiserne Kuppel der Börse, nach 1818 dann die Kultur der Galerien mit ihren Eisen-Glas-Dächern. 1844 folgt als weiteres frühes Beispiel des Gusseisenbaus die Bibliothek Sainte-Geneviève, dessen Architekt, Henri Labrouste, auf die Sichtbarkeit des Eisens wert legt. Vom gleichen Architekten stammt die zwischen 1854 und 1875 erbaute Bibliothèque Nationale de France, ebenfalls mit Eisen- und Glaskonstruktionen, die an Kathedralkonstruktionen erinnern sollten. Und dann kommen auch schon die ersten in diesem Artikel vorgestellten Kirchenbauten: St. Augustin von 1860-1871.

Mit der „Belle Époque“ und den großen Weltausstellungen kommt es dann zur geradezu explosionsartigen Vertreibung von Eisenkonstruktionen. Die Haussmannisierung hat zahlreiche Eisen-Glas-Kuppeln hervorgerufen und schließlich hat Gustav Eiffels kühner Eisenturm das Material geradezu zu einem Sinnbild von Paris gemacht. Die vorgestellten Kirchen zeigen, dass im 19. Jahrhundert der Kirchenbau sich gut in diese Entwicklung eingefügt hat. Zwar ist er dem Historismus nicht entkommen, hat aber durchaus vorwärtsweisende Akzente gesetzt.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/120/am674.htm
© Andreas Mertin, 2019