Feste, Feiern, Partys

Verstreute Bemerkungen zu einer essentiellen Sozialform im Blick der Filmgeschichte

Hans J. Wulff

für Jörg Herrmann und Andreas Mertin

§ 1 -- Feste und Feiern

Fest, Feier, spätestens seit dem Krieg Party, neuerdings auch Fete oder Event – das Deutsche kennt ein ganzes Feld verwandter Bezeichnungen, die die Abschattungen der Feier und des Festes erfassen. Was braucht es, um ein Fest zu feiern? Menschen natürlich, die zusammengehören (als Freunde, Nachbarn, Verwandte, Interessensgenossen, Firmenangehörige, Gemeindemitglieder u.a.m.). Für ein Fest oder eine Feier braucht es eine Liturgie, zumindest in Teilen der Zusammenkunft eine Ordnung, die das Geschehen regelt; für eine Party braucht‘s das nicht (oder nur in rudimentärem Zustand). Einen besonderen Zeitpunkt, einen Anlass – es mögen Jahrestage sein (wie ein Firmenjubiläum), wiederkehrende Daten (wie Weihnachten, Jahreswechsel und Sonnenwenden), rituelle Übergänge (wie Hochzeiten, Taufen oder Firmungen), einmalige Ereignisse (wie das Ende des Krieges) oder aber auch ganz persönliche Gründe (wie Geburtstagsfeiern oder der Schulabschluss); und vielleicht tragen sogar zufällige Zusammenkünfte die Insignien der Feier, weil sie sich dazu entwickeln (wie das gemeinsame Aufessen eines Wildschweins, weil unklar ist, ob der dörfliche Schützen- oder der Feuerwehrverein es geschossen hat wie in dem Film Slavnosti snezenek [Das Wildschwein ist los, CSSR 1983] von Jiřì Menzel).[1]

Eine unübersichtliche und kaum abzählbare Vielfalt von Formen? Vielleicht. Aber wenn es nicht gelingt, eine Liste aller Varietäten von Fest und Feier zusammenzustellen, muss man nach Funktionen fragen, die sie erfüllen. Soziale Funktionen ebenso wie Funktionen für den einzelnen, der vielleicht in einem Festakt zu einem anderen wird, eine Übergangs-Passage erlebt, wie die Ethnologie sagen würde. Derartig rituelle Verankerung mag religiös fundiert sein (wie bei der Taufe), politisch (wie bei der Jugendweihe oder der Vereidigung von Soldaten) oder auch nur zu den Konventionen der Gesellschaft gehören (wie die Einführung der Eleven beim Opernball). Immer geht es um das Verhältnis des einzelnen zu den anderen. Vergemeinschaftung kann nirgends so selbstverständlich geschehen wie auf dem Fest. Selbst Feindschaften sollen auf dem Fest nicht ausbrechen, die Kontrahenten sind durch das stillschweigende Friedensgebot geschützt, das die Feste als kleine Eigenwelten aus dem Alltag heraushebt.

Aber es gibt einen Unterschied zwischen Festen und Feiern. Feste sind exzesshaft, Feiern kontemplativ. Erstere kennen keine Hierarchien und keine Machtverhältnisse, nur Rollen, die das soziale Mikrosystem des Festes ausmachen (Rollen wie den Gastgeber oder den Geehrten oder beides zusammen); Feiern dagegen haben klar gefügte Zuständigkeiten und Rechte. Zum Fest gehört der Rausch, zur Feier die Besinnung. Auch im Fest wird durch den Rausch hindurch auf eine tiefere Besinnung auf Werte und Bedeutungen hingewiesen – auf die Gemeinschaft der Feiernden. Man könnte die Feste in allen Filmen Jiřì Menzels als Strategien ansehen, der dörflichen Welt, in der die Filme fast immer angesiedelt sind, Interessenkonflikte auszutreiben, indem sie die Lebensgemeinschaft des Dorfes als höheren Wert erfahrbar macht. Im Fest erweist sich immerhin die Sozialität des Menschen. Feste sind soziale Tatsachen.

Ich will hier nicht in die detaillierte Suche nach Bestimmungselementen von Fest und Feier eindringen, verweise aber auf Überblicksartikel, wie sie in Enzyklopädien vorliegen,[2] aber auch auf die grundlegenden Werke zur Theorie und Geschichte der Festkultur. Grundlegend für die hier vorgetragenen Überlegungen ist die Annahme, dass es mit der Industrialisierung zu einer Neufundierung der religiösen Grundlagen der Volksfeste gekommen ist, die in säkularisierte Formen von Veranstaltungs-, Unterhaltungs- und Vergnügungsformen übergegangen sind, die alle der Erlebnissphäre der Freizeit zugehören. Deshalb auch geraten die Festformen nicht erst nach dem zweiten Weltkrieg zunehmend in die Nähe anderer Vergnügungsveranstaltungen wie Urlaub, Ausflug, Fernreise usw. In der Regel unterliegen alle diese Formen kommerziellen Interessen, transformieren die Feste in den Warenverkehr und brechen sie so aus älteren Begründungen und Motivationen des Festes heraus.[3]

Nochmals zurück auf Anfang: Niemand käme darauf, dass es sinnvoll wäre, ein Fest allein zu begehen. Wenn jemand allein feiert, fehlen die anderen. Die Alleinfeier trägt die Abwesenheit an sich, sie ist Kennzeichen des Verlusts. Alleinfeiern sind Trauerfeiern. Derjenige, der sich weigert, am Fest teilzunehmen, zeigt auf eine Krise hin, die an Grundlegendes rührt – weil er die dem Fest erforderliche Freude der Zuwendung zu anderen und am Selbsterlebnis in der Begegnung mit ihnen nicht mehr realisieren mag. Unfähigkeit zum Fest deutet auf Austritt aus der Gemeinschaft, vielleicht sogar auf Nähe zum Tod.[4] Kurz & bündig: Der Feiernde ist in der Welt, weil er mit den anderen ist. Verweigert er die anderen, verweigert er ein Stückchen Welt- und Sozialitätserfahrung.

§ 2 -- Partys oder Die Zelebrierung von Lifestyle und Status

Als die Beastie Boys die Parole „You have the right to fight for your party“ 1986 auf ihrem Debütalbum Licensed to Ill veröffentlichten, gaben sie einer Devise Ausdruck, die sich schon in den 1960ern in einer ganzen Reihe von Filmen fand – einer jugendlichen Wunschphantasie, die Freizeit als genuine Zeit nicht enden wollender Unterhaltung zu vereinnahmen und in jugendkulturellen Enklaven zu kultivieren suchte. Die Sozialgeschichte der Party beginnt aber viel früher, in ihren modernen Ausprägungen in der urbanen Kultur der 1920er. Mit dem Sozialtypus des city girls gab es schon in den 1920ern eine erste Ausprägung des hedonistischen Lifestyle-Trends. Die Party wurde zu einer fast täglich wiederholten Feier – aber sie war exklusiv, den Städtern und den Reichen vorbehalten. Der Typus des city girls[5] bezeichnet einen Typus unterhaltungsdominierter Lebensform ebenso wie einer Professionalisierung – die jungen Frauen werden ausgehalten (wenn sie nicht von Hause aus zu den Reichen gehören), erleben sich selbst in einem nicht enden wollenden Rausch (zu dem Alkohol und Musik gehören) und schmücken im Gegengeschäft das Fest mit ihrer Anwesenheit, ihrer Schönheit und möglicherweise ihrer Promiskuität.[6]

In Sonderheit die Screwball-Komödien der 1930er, die meist im Milieu der reichen und neureichen Städter angesiedelt sind, zeigen Partys in großer Vielzahl und Vielfalt, in Nachtclubs und in Privatwohnungen. Ein Beispiel findet sich in My Man Godfrey (Mein Mann Godfrey, USA 1936, Gregory La Cava) – ein Fest, auf dem neben anderen Reichen der gleichen Schicht skurrile Typen und junge Frauen versammelt sind, um dem Geschehen seine spezifisch karnevaleske Färbung zu verleihen.

Zwar ändern sich die Formen, doch bleibt die Sozialform der Party bis in die 1960er erhalten. Filme wie Breakfast at Tiffany's (Frühstück bei Tiffany, USA 1961, Blake Edwards) oder – in ganz anderer Akzentuierung – La dolce vita (Das süße Leben, Italien 1959, Federico Fellini) neues Gesicht gaben. In allen historischen Facetten ist die Party als Ort sexueller Werbung oder sogar entfesselter sexueller Gewalt gekennzeichnet. Frühstück bei Tiffany (1961) etwa hatte die Party explizit als Ort promisker Sexualität, ja sogar der Kommerzialisierung des sexuellen Verkehrs angedeutet.[7]

Der Zusammenhang von Party-Girl und Prostitution spielte schon in den 1920ern und 1930ern eine Rolle und wurde auch im Film thematisiert.[8] Ein nachgerade skurriles Beispiel ist der Zwanzigminüter Whispering Whoopee (USA 1930, James W. Horne) mit dem programmatischen deutschen Titel Zum Nachtisch flotte Damen: Drei junge Frauen werden angeheuert, um drei reiche Investoren zum Kauf eines Hauses zu bewegen. Nicht nur zeigt der Film eine Sieben-Personen-Party (drei + drei + ein Kellner) und deren Verlauf hin zu betrunkenem Exzess der älteren Männer, sondern vor allem ein selbstbewusstes Auftreten der drei jungen Frauen, die deutlich an die Stilistiken der Flapper erinnern, einem zweiten urbanen Sozialtypus junger Frauen, der in den 1910ern und in der Prohibitionszeit der 1920er in den USA entstand. Die Flapper markiert einen Übergang in der Geschichte weiblicher Rollenstereotype, der sich durch den Besuch von Jazzclubs, provokativen Tanz (als Filmschauspielerinnen blieben vor allem Clara Bow, Louise Brooks, Joan Crawford im Gedächtnis), öffentliches Rauchen und Trinken von Alkohol, sexuelle Initiativität und ähnliches öffentlich darstellte.[9]

Die Party also als Ort sozialer Versammlung und als Bühne zugleich, auf der sich soziale Typen, Rollenmodelle und ähnliches präsentieren, die Selbstdarstellungsstile womöglich erst entwickeln. Bereits jetzt schälen sich erste Bestimmungselemente dieser Spielart der Party heraus:

  • die Konzentration auf das Unterhalten (oder Unterhalten-werden),
  • die Funktion der Ausstellung von Reichtum,
  • die soziale Exklusivität der Eingeladenen,
  • die Nicht-Öffentlichkeit der Feier,
  • allerdings auch ihre Differenzierung in „Kerngäste“ und „Beiwerksgäste“,
  • die Inszenierung selbstwahrgenommenen sozialen Rangs.

Manches bleibt implizit:

  • die Einladung als Anlass,
  • die Organisation des Festes einschließlich der Versorgung der Gäste,
  • die professionellen Mitarbeiter (von Köchen, Kellnern bis zu Musikern und sogar Raumgestaltern).

Manches ist nur optional –

  • Objekte, die Anlässe symbolisieren (wie Geburtstagstorten),
  • zentral kontrollierte Tätigkeiten (wie gemeinsames Singen),
  • Elemente, die einer Liturgie des Feierns zugehören (wie Eröffnungstänze),
  • Party- und Tanzspiele

und ähnliches mehr.[10] Manches kann erst die detaillierte Besichtigung der Szenen herausarbeiten –

  • die Stile des Miteinander-Umgehens,
  • die verschiedenen Stile der Selbstdarstellung,
  • die Konventionalität von Kleidung und Auftreten,
  • die Dynamik der Entwicklung von „kontrolliertem“ zu „exzessivem Verhalten“,
  • die Präsenz von Drogen aller Art, die die Stimmungs- und Verhaltensmoderation ermöglichen.

Die Frage drängt sich auf: Sind diese Formen des urbanen Feierns noch in die Formenwelten und Phänomenologien des Festes einzugliedern, so wie sie in Anthropologie, Theologie, Philosophie und Soziologie ausgelotet worden sind? Vieles der Elemente des Festes bleiben auch in der Variation der Party erhalten –

  • die Sozialität des Festes,
  • seine zeitliche Begrenztheit,
  • seine Herausstellung aus dem Fluss des Alltagslebens,
  • der Apparat von Verhaltensregeln (vor allem das Friedensgebot),
  • das Modalitätsgebot der Fröhlichkeit des Beisammenseins (auch wenn es ernste Feste gibt),
  • aber auch die Präsenz eines sozialen Mikrosystems (insbesondere von Veranstalter und Gästen).

Anderes muss befragt werden –

  • ob die Funktion der Stabilisierung sozialer Beziehungen im Fest erhalten bleibt oder ob es zum durchgängerischen Ort wird (wie in kommerzialisierten Formen),
  • ob es Liturgien gibt und welche, gleichgültig, ob sie im Ritus oder Kultus begründet sind oder nicht oder ob sie zu einer eigenen Festdramaturgie als Ausprägung einer konsumistisch fundierten Unterhaltungskultur gehören,
  • ob der Anlass des Festes (gleichgültig, ob er in einer religiösen oder politischen Gemeinde definiert ist oder in privaten Kontexten) heute noch eine wichtige Rolle spielt oder ob das Fest zum allgemeinen Unterhaltungs- und Freizeitangebot gehört (oder eine selbstgewählte Form des Freizeitverhaltens ist),
  • ob und wie der Exzess und der Rausch wesenhaft zum Fest dazugehören, ob also auch das Heraustreten aus den Erlebens- und Aneignungsweisen des Alltags erforderlich ist, um das Fest als Erfahrung einer ästhetischen Eigenwelt zu konstituieren.
§ 3 -- Kultische Ursprünge?

Manche Bestimmungen des Festes ähneln denen des Spieles. In Huizingas Homo Ludens (1939) heißt es:

Das ‚gewöhnliche Leben‘ ist stillgelegt. Mahlzeiten, Gelage und allerlei Ausgelassenheit begleiten das Fest in seiner ganzen Dauer.[11]

Auch das „Zusammengehen von strenger Bestimmtheit und echter Freiheit“ kennzeichnet beide. Das Fest hat einen „Charakter primärer Selbständigkeit“ wie auch das Spiel, heißt es an gleicher Stelle. Und mit Bezug auf den ungarischen Religionswissenschaftler Karl Kerényi[12] wird der ‚seelischen Realität‘ des Festes eine Qualität als „ein Ding für sich, das mit nichts anderem in der Welt zu verwechseln ist“, zugeschrieben. Allerdings: Kerényi (Huizinga schließt sich dem an) schreibt den Ursprung der Kulturtechnik des Festes dem Kultischen zu, nimmt es als eine der Ausdrucksformen eines im Kultus begründeten Zusammengehörigkeitserlebnis der Feiernden. Hier geht es nicht um die Individualisierung und Privatisierung der Festanlässe, sondern um ihre Herleitung aus tiefen kollektiven Identitätskonstrukten sowie aus einer existentiellen Verwo­ben­heit des einzelnen in die magische Zugehörigkeit zu den Seinen und seine Anwesenheit in der Welt.

Das Fest ist auch im Ansatz des Religionsphilosophen und Theologen Josef Pieper Gegen-Alltag und von jenem nicht zu lösen. Entfremdung und Abhängigkeit, emotionale und materielle Armut, Leid und die Prozesse der Triebunterdrückung und -sublimierung sind für eine kurze und begrenzte Zeit ausgesetzt. Den Deprivationen des Alltagslebens ist ein Gegenalltag entgegengesetzt, an dem – und hier wird das Besondere des Pieperschen Vorgehens sichtbar – eine ursprüngliche Freude und Liebe zum Leben artikuliert und für den Zeitraum des Hinaustretens aus dem Alltäglichen kollektiv verwirklicht, erlebt und ausgedrückt werden kann. Das Fest ist eine Form, die Gutheißung der Welt in besonderem Rahmen zu begehen, heißt es in Josef Piepers Zustimmung zur Welt: Eine Theorie des Festes (1963).[13] Die Feiernden verlassen den Rahmen der alltäglichen Routinen, der automatisierten Vorgänge, und treten ein in eine Enklave der Alltagswelt. Sie feiern und zeigen darin, dass sie in der Welt sind und dass sie gern dort sind. Feste sind Strategien der Selbstversicherung. Der Exzess des Festes steht gegen den Alltag, er „hilft, den Alltag zu bewältigen, indem sie ihn bewusst macht“.[14] Man müsste ergänzen: „...im Idealfall bewusst macht“, weil natürlich der Rausch die Reflexion überlagern kann oder – noch extremer – das Fest selbst zu alltäglichem Vollzug wird, der Sinnhorizont es Festes vielleicht schlicht vergessen wird. Oder dass das Feiern zu einem Element alltaggewordener Unterwerfung wird, das Fest die äußeren Charakter-Elemente des Festes zur Zelebrierung der Machtverhältnisse nutzt – Piepers Theorie war eine scharfe Polemik gegen obrigkeitlich verordnete Pseudofeste (wie sie z.B. im Kommunismus und Nationalsozialismus begangen wurden, die es aber – Pieper zufolge – zu allen Zeiten gegeben hat). In seiner Hinsicht ist das Ideal des Festes die Bejahung des Daseins im Wissen um den schöpferischen Ursprung des Menschen und um das zukünftige, in Gott begründete Glück. Eine Transzendenzerfahrung, die in jenen anderen Pseudo-Festen aufgelöst und zu Zwecken der Stabilisierung von Herrschaft ausgebeutet wird.

Natürlich kennt auch die Filmgeschichte das kultische oder kultisch begründete Fest in seinen vielen Erscheinungsformen. Allerdings kommt schnell die Frage auf, ob die erwähnte ebenso ekstatische wie entzückte Erlebensform des Feierns, auf die Pieper hindeutet, auch zur Beschreibung der filmisch repräsentierten Feste taugt. Selbst kirchliche Feste sind als verweltlichte Rituale inszeniert, als ritualisierte Aufführungen des Festes, selten als jene existentielle Ausdrucks- und Erfahrungsgeste, von der Pieper spricht. Sei es, dass das Weihnachtsfest für die Kinder neuen Glanz bekommt, weil ein Spielzeughersteller sich im ersten Weltkrieg gegen die Regierung stellt, die versucht hatte, die Bevölkerung dazu zu bewegen, Weihnachten nicht zu feiern, um auf diese Weise Ressourcen für den Krieg bereitzustellen (in The Man Who Saved Christmas [Der Mann der Weihnachten rettete], USA 2002, Sturla Gunnarsson), sei es, dass das Fest eine Pflichtübung zwischen Kirchenbesuch und Familientreffen ist (wie in Alle Jahre wieder, BRD 1967, Ulrich Schamoni). Viele der Filme zeigen das Fest in sentimentalisierter Form. Ein bis heute bekanntes Beispiel ist Frank Capras melancholische Tragikomödie It’s a Wonderful Life (Ist das Leben nicht schön?, USA 1946) über einen Mann, der just an Weihnachten Selbstmord begehen will und von einem Engel gerettet und mit neuem Lebensmut ausgestattet wird.

Dramaturgien überlagern die Strukturen des Festes. Sie sind der Rahmen für die Werbung von Männern um Frauen, sie dienen der Selbstdarstellung der Veranstalter, sie sind Bühnen für Selbstdarstellungen aller Art. Festformen sind oft Indikatoren der historischen Handlungszeit, in der die Geschichten angesiedelt sind – zum Mittelalterfilm gehören die Auftritte von Minnesängern und Tänze in einem gespreizten Mittelalter-Stil, zum Barockfilm opulent-gravitätische, zeremoniell durchgearbeitete, Herrschaft symbolisierende, manchmal mehrtägige Festlichkeiten, zum k&k-Film der Walzerball (so, wie im Film der 1950er der ‚Jazzkeller‘ mit seinen eigenen Musiken als Residuum der Jugendkultur gesetzt wird – im Kontrast zu den dörflichen, trachtengeschmückten Dorffesten des gleichzeitigen Heimatfilms).[15] Jede Zeit, jedes Milieu: alle haben eigene Festformen.

Manchmal wird das ursprüngliche Fest umgemünzt und zum Raum, in dem Wünsche und Sehnsüchte artikuliert werden können, die sonst verschwiegen werden müssten. Ein berühmtes Beispiel ist die Prozessions-Szene aus Padre Padrone (Mein Vater, mein Herr, Italien 1977, Paolo u. Vittorio Taviani): Draußen hebt getragener sardischer Gesang an; drinnen, das ist unter dem Gestell der Jesus-Figur, ein eigener Raum: die jungen Männer, die die Skulptur tragen, sprechen über „die Liste“, auf der sich einträgt, wer ins Arbeitsexil nach Deutschland gehen will. „Trink, trink, Brüderlein, trink“ untersetzt und kontrapunktiert den sardischen Gesang, und die Zerrissenheit der Musik ist ein Widerhall dessen, was geschieht: die Flucht der jungen Männer aus Armut, Unterdrückung und Knechtschaft.[16] Die ältere Liturgie des Festes ermöglicht eine verborgene Innenwelt, die von einer Intimität ist, die der Beichte ähnelt – und die als „Zelle des Wünschens“ einer Sehnsucht Raum gibt, die sich hier (und vielleicht: nur hier) fast wie in einer Anrufung artikulieren kann.

§ 4 -- Dokumentarisches zum Fest, in Sonderheit zum Schützenfest

Ein eigenes Thema sind Feste im dokumentarischen und vor allem ethnographischen Film. Allerdings bleiben die Filme der Erlebnisdimension des Feierns meist äußerlich. Selbst aus älterem Kultur entstammende Feste wie die „Tölzer Leonhardifahrt“ im oberbayerischen Bad Tölz, eine Wallfahrt zu Ehren des Viehpatrons, dem Heiligen Leonhard, die seit 1772 durchgeführt wird, wird in dem RWU-Film Der Leonhardiritt in Tölz (Deutschland 1937) als touristisches Event dargestellt und konsequenterweise aus der Perspektive der Zuschauer gefilmt.[17]

Es sei innegehalten angesichts der „Schützenfestfilme“, weil sie deutlich dokumentieren, wie der dokumentarische Blick zwischen Selbstdarstellung und Spott schwankt, den Blick in die innere Sinn- und Funktionswelt derartiger Feste aber kaum wagt. Der Filmer bleibt ein Fremder, dem die inneren Sinnhorizonte und -funktionen verborgen bleiben und der dem Geschehen als staunender (und oft genug kopfschüttelnder) Beobachter gegenübersteht. Es gibt Ausnahmen. Der lange Dokumentarfilm Schützenfest - So sind halt wir Dorfkinder (BRD 2015, Nicolas Hecker) etwa dringt zwar auch nicht in die innere Erlebniswelt des Schützenvereins und des Schützenfestes von Metelen ein, nimmt aber auch nicht den Blick des durchreisenden Fremden an, sondern stellt seinen Gegenstand als elementare Institutionalisierung dörflicher Infrastruktur vor. Die soziale Funktion des zyklisch wiederkehrenden Festes, seine Leistung als Teil des lokalen kollektiven Gedächtnisses und seine Bedeutungen in der biographischen Arbeit der Teilnehmenden stehen im Zentrum der Darstellung; ob das Geschehen allerdings mit der „Gutheißung der Welt“ in der Pieper‘schen Ansicht in Zusammenhang steht oder ob die Teilnahme eine (meist lustvoll angenommene) soziale Pflicht ist – dazu kann der Film nichts sagen.

Ein gerade solches Interesse verfolgt Melanie Liebheits Dokumentarfilm Wiedergeboren in Westfalen (BRD 2008) über die Gleichzeitigkeit der Vorbereitungen zum jährlichen Tempelfest des größte tamilischen Hindu-Tempels Europas in Hamm-Uentrop und des Schützenfests der Einheimischen – der Film stellt die so unterschiedlichen Traditionen und Funktionen der beiden Feste mit einer Mischung aus Respekt und Witz gegeneinander.

In eine bewusste Außenposition zum Fest stellt sich der 30-minütige TV-Film Schützenfest in Bahnhofsnähe - Beobachtungen auf dem Dorfe (BRD 1961, Dieter Ertel, Georg Friedel), der im niedersächsischen Kreiensen spielt, der gänzlich von realsatirischem Spott getragen ist. Im Spiegel (46, 12.11.1990) hieß es zu dem Film: „Die Schießbrüder paradieren, die Kamera holt, optischer Wink mit dem Zaunpfahl, watschelnde Gänse ins Bild, und der Kommentar mokiert sich über die martialische Inschrift einer örtlichen Waffenfabrik. Doch sosehr Bild und Ton spotten, durchschlagend entlarvt sich das Schützenunwesen durch den O-Ton, wenn der angetrunkene Vorsitzende in die Kamera stiert und etwas vom ‚Heiligtum der Schützengesellschaft‘ schnarrt.“ Von tieferen sozialen, biographischen oder gar kultischen Grundlagen des Festes kann keine Rede mehr sein; aber der Film lokalisiert das Fest im Jetzt der Wirklichkeit des Dorfes, liest das Fest als Rest der Inszenierungen der militaristischen und nazistischen Vergangenheit – und reißt so eine dem analytischen Blick zugängliche Unstimmigkeit und Ungleichzeitigkeit zwischen Festgeschehens und Realität auf.

Es mag am Geruch der Kleinbürgerlichkeit und Dörflichkeit liegen, dass das Schützenfest weder im Dokumentar- noch im Spielfilm so wenig ernsthafte ethnographische Aufmerksamkeit gefunden hat – weil Filmer aller Professionen dem Geschehen fast immer fremd gegenüberstehen und keinen eigenen Zugang zum Fest haben, ja: in ihrer eigenen Lebenswelt auf der Abgrenzung zum Kleinbürgerlichen, Dörflich-Beschränkten, zur Vereinsmeierei und leeren Ritualen bestehen. Stimmt diese Annahme, dann sind die Schützenfestfilme Teil der Selbstvergewisserung der Filmenden und des Publikums, für das diese Filme gemacht sind; sie dienen der Verschärfung von Differenz und nicht dem Eindringen in eine eigene Sozialwelt. Von wohlwollendem Spott bis zur beißenden Besichtigung der Feiernden als Objekte einer unsichtbaren Freakshow ist es aber nur ein kleiner Schritt, das innergesellschaftlich Fremde ihn einer selbstgewissen Geste einfach nur zu diffamieren, dabei blind zu bleiben für das eigentliche Geschehen: Es ist ein billiges Verfahren, vor allem dann, wenn der Film den Status des Dokumentarischen für sich reklamiert.

Das hier angedeutete Problem der ‚Erzählhaltung‘ findet sich auch im Spielfilm. Ein frühes Beispiel für wohlwollende Ironie, die die dörfliche Kleinheit des sozialen Rahmens ebenso ernst nimmt wie die Großheit des Anliegens der Feiernden, ist der Verwechslungsschwank Schützenfest in Schilda (Deutschland 1931, Adolf Trotz), der im brandenburgischen Friesack spielt und in einer zwischen Spiel- und Dokumentarfilm schwebenden Haltung unter Mitarbeit von Friesacker Schützenverein, Feuerwehr und Gesangverein entstand. Die Handlung: Um das Städtchen international bekannt zu machen, soll der orientalische Fürst Nego von Neptropien einen Tag in der Stadt verweilen und am Schützenfest teilnehmen; allerdings bleibt der Fürst in Hamburg, um seine Seekrankheit zu kurieren; an seiner Stelle wird ein für einen Afrika-Film kostümierter Schauspieler, der in der Nähe zu Dreharbeiten weilt, für den Fürsten gehalten (dass die Peinlichkeit dennoch während des finalen Festes zum Happy-End kommt, sei nur am Rande vermerkt).[18]

§ 5 -- Festordnungen, Subtexte und hintergründige Bedeutungen oder Die Frage der Subjektivität

Manche Filme dokumentieren Feste, weil sie zum Vergehen der Zeit ihrer Figuren und ihrer Geschichte dazugehören. Aber sie gehen oft über das reine Festhalten des Geschehens hinaus. Da werden Figuren noch einmal zusammengeführt, die miteinander im Streit liegen (und einander unter dem Schutz des Friedensgebotes begegnen, oft genug, um den weiter bestehenden dramatischen Konflikt festzuhalten). Da markieren die Feste Übergänge der Figurenkonstellation (z.B., weil zwei einander heiraten). Da signalisieren Feste vielleicht auch, dass Konflikte beigelegt wurden.

Andere Filme gehen darüber hinaus. Ihre Feste haben einen Subtext, eine auf den ersten Blick verborgene Tiefenbedeutung. Diese Feste deuten auf Wertstellungen hin, die den Alltag regieren und die im Fest ausgesetzt und gerade darum thematisch werden, in der Handlung des Films gegeneinander zu wirken beginnen. Filme wie Babettes gæstebud (Babettes Fest, Dänemark 1987, Gabriel Axel) oder Chocolat (Chocolat... ein kleiner Biss genügt, Großbritannien/USA 2000, Lasse Hallström) treiben die vom Kollektiv so zentral gesetzte Askese gegen die dennoch allen zugängliche Sinneslust. Sie treiben Lebenshaltungen gegeneinander, zeigen vielleicht, zu welchem Preis diejenigen sich verpflichtet haben, ihren Alltag dem Prinzip der Enthaltsamkeit zu unterwerfen. Beide oben genannten Beispiel zeigen: Askese als Abwendung von der Welt steht dem Fest als Zuwendung zu derselben entgegen. Einen ganz anderen rhetorischen und politischen Zweck verfolgt die höhnische Satire Prasdnik Swjatowo jorgena (Das Fest des heiligen Jürgen, UdSSR 1930, Jakow Protasanow): Zwei Gauner versuchen, während des Patronatsfests in Jürgenstadt in die Kirche einzusteigen und die darin liegenden Schätze zu rauben; unglücklicherweise wird der eine eingeschlossen, als sie erwischt werden; er verkleidet sich als Heiliger und tritt als Erscheinung des Heiligen Jürgen am nächsten Tag vor die Festgemeinde, vollbringt Wunder (mit Hilfe seines Komplizen, der einen geheilten Lahmen spielt). Der Subtext: Das alles ist ein Spektakel für‘s Volk; eigentlich geht es um Geld, auch wenn vordergründig „Tränen des heiligen Jürgen“ verkauft werden.

Feiern als mehr oder weniger explizite Demonstrationen von symbolischen und politischen Machtverhältnissen: Je größer die Veranstaltung ist, desto rigider ist der Machtanspruch des Festes auf den einzelnen. Diese Feste bedienen sich einer Inszenierung, die dem einzelnen die Unterwerfung unter die Ordnung des Festes abverlangt. Jede dieser Veranstaltungen schafft ein eigenes System des Sehens und des Gesehenwerdens. Sei es, dass die Macht sich den anderen gegenüber darstellt (wie in den höfischen Zeremoniellen der Barockzeit), sei es, dass sie sich in diesen Veranstaltungen selbst feiert. Vielleicht geht es vor allem in neueren Macht-Inszenierungen darum, den einzelnen aufzusaugen, ihn zum Glied einer umfassenden Festordnung zu machen, die ihn ebenso entmündigt und als Subjekt ausschaltet, wie sie es ihm auch erlaubt, sich als Teil einer Masse der Feiernden zu erleben, die sich der alles umgreifenden Macht kollektiv unterwerfen. Die Reichsparteitage der NSDAP inszenierten ein ästhetisches Gesamtbild, in dem der einzelne verschwindet, in dem zugleich Raum für die Insignien vorgesehen war, die den symbolischen Zusammenhalt anzeigten – der Raum der Führerfiguren, die Fahnen, die Erscheinung der Ordnung der Masse selbst. Das Ich tritt in die Inszenierung ein und wird transformiert, es wird „ein Anderer“, betritt eine Anderswelt, den Ritualen ähnlich.

Exklusivität, Inszenierung, ausgearbeitetes Zeremoniell: Selbst (oder gerade) eine Veranstaltung wie der Wiener Opernball folgt einer strikten Liturgie, beginnend mit dem Einzug des Bundespräsidenten in seine über den Einzug der Jungdamen- und Herren-Tanzpaare, künstlerische Einlagen bis zur Eröffnung des eigentlichen Balls. Auch die mehreren tausend Gäste inszenieren sich auf einer imaginären Bühne, stellen sich den anderen dar, wissend, dass sie zur Kaste der Herrschenden und Prominenten zählen. Die TV-Übertragung unterstreicht das Spiel im Spiel, den Ball mit Zuschauern. Es ist eben kein Fest im engeren Sinne, weil dieses keines Publikums bedarf – dort sind die Feiernden sich selbst Publikum, agieren und nehmen einander wahr zugleich; hier dagegen agiert die Kamera als „zusätzlicher Zuschauer“, als einer, der sich in den Ball eingeschlichen hat. Dennoch: Man sollte auch darüber nachdenken, ob Kamera und TV-Publikum das Geschehen nicht erst komplettieren, weil der „abwesende (und nur durch technische Repräsentation erreichbare) Zuschauer“ vom Spiel der Beteiligten am Ort des Balles als weitere Rolle impliziert ist.[19]

Feste wie der Opernball inszenieren eine Raumordnung, die komplexe reziproke Blicke ermöglicht – sie erweist sich schnell als tragfähige Binnenstruktur der Gemeinschaft der Feiernden, die andere im Ballsaal sehen und wissen, dass sie selbst gesehen werden und sich so verhalten, wie sie von anderen gesehen werden wollen, zugleich aber auch wissen, dass diejenigen, die sie sehen, sich auch so verhalten.

Das Ich des Feiernden also in einem Ordnungsraum, dessen formale Struktur ihn bindet, leitet und kontrolliert. Nur auf den ersten Blick ist der Feiernde „frei“, genießt die Erdhaftigkeit des Seins wie auch die lebensbejahende Energie des Sich-Freuens (so würde jedenfalls eine euphorische Theorie des Festes behaupten); auf den zweiten ist er Akteur auf einer Bühne, die die Depravationen der Alltagswelt, die er scheinbar verlassen hat, nur umso schärfer hervortreten lässt. Die Dynamik, mit der der einzelne (oder beteiligte Kleinkollektive) in den Sog der Festordnung eingesogen werden (und auch: eingesogen werden wollen), betrifft nicht nur politische Versammlungen, sondern ist in vielen anderen Festordnungen der Populärkultur auch nachweisbar. Ein neues und extremes Beispiel: Wenn nicht nur in Fußballstadien, sondern sogar auf Rockkonzerten die „La-Ola-Welle“ abgefordert wird und das Publikum den Impuls kollektiv aufnimmt, ist zumindest die Frage nach der Beziehung zwischen Bühnenakteuren und Publikum und die nach der Subjektivität des Zuschauers zu stellen, der sich ja als Teilnehmer der „Welle“ und als „Einer-unter-vielen“ ausstellt und wahrnimmt. Werden hier formelhafte Erlebensformate abgefordert und erlebt sich der Zuschauer als einer, der diese Formate beherrscht und sich so der Gemeinschaft der Feiernden eingliedert? Tritt er also gar nicht aus der Alltagswelt heraus, wie viele Festtheorien behaupten, sondern vielmehr mitten in sie hinein, in eines der Zentren der Herstellung sozialer Identität, indem und weil er zu „Einem-der vielen“ wird?[20]

§ 6 -- Das misslingende Fest

Das misslingende Fest bildet vielleicht die satirische Folie, um im Missverhalten der Feiernden einen Blick auf die Werte zu werfen, die im Fest eigentlich zum Ausdruck gebracht werden sollen. Ein bis heute berückendes Beispiel ist Milos Formans Horí, má panenko (Der Feuerwehrball, CSSR 1967)[21]: Die Feuerwehrleute wollen zu ihrem Jubiläum einen Ball ausrichten, so perfekt, wie man ihn aus den Illustrierten, dem Kino und dem Fernsehen kennt. Doch der Versuch, das Fest nach Maßgabe solch äußerer Vorbilder zu gestalten, misslingt auf ganzer Strecke: Der feierliche Augenblick, an dem man dem Altersvorsitzenden sein Ehrenbeil überreichen kann, will sich nicht einstellen; die Mädchen, die für die Schönheitskonkurrenz ausgewählt werden, entsprechen in keiner Weise den Bildern einer Miss-Wahl im westdeutschen Stern, die von den Mitgliedern des Ausschusses mit gierigen Augen gemustert werden; und selbst die Gewinne der Tombola, die am Höhepunkt des Festes verlost werden sollten, verschwinden wie von selbst. Alle äußere Ordnung des Handelns löst sich auf. Doch während die so künstliche aufgepfropfte formale Ordnung des Festes zusammenbricht, versinken die Feiernden in ganz und gar gegenwärtigem Spiel, sie übernehmen selbst die Kontrolle über den Ablauf, wissend, welche Liturgie der Feier sie außer Kraft gesetzt haben – wenn am Ende eine füllige Mittvierzigerin zur Schönheitskönigin gekürt wird, karikiert noch die Wahl die entfremdete Dramaturgie des Balls. Eine Revolution im Kleinen und im Symbolischen hat stattgefunden. Das Fest ist aus dem Ruder gelaufen, hat gerade darum Züge des Ekstatischen und im Moment erlebter Lust gewonnen. Das Finale kehrt in die Alltagswelt zurück: Die Feuerwehrleute wirken erleichtert, als endlich ein Haus brennt und sie in ihren alltäglichen Beruf zurücktreten können – allerdings ziehen die Feiernden (einschließlich des Wirtes) mit zur Brandstelle, als könne das Fest nicht so einfach enden.

Anmerkungen


[1]    Vgl. Wulff, Hans J.: „Filme mit Blasmusik: Das Fest in den Filmen Jiřì Menzels“ (in: Montage / AV 10,2, 2001, S. 29-35).

[2]    Ich denke etwa an den instruktiven Artikel „Fest/Feier“ von Bernhard Teuber (in: Ästhetische Grundbegriffe. 2. Hrsg. v. Karlheinz Barck [...]. Stuttgart/Weimar: Metzler 2001, S. 367-380).

[3]    Vgl. dazu neuerdings den höchst lesenswerten Band Events - Soziologie des Außergewöhnlichen (Hrsg. v. Winfried Gebhardt, Ronald Hitzler u. Michaela Pfadenhauer. Opladen, Leske + Budrich 2000 [Erlebniswelten. 2.], v.a. 17ff, 401ff).

[4]    Darum auch mag man den „Bierkampf“, den der Protagonist in Herbert Achternbuschs gleichnamigen Film aufnimmt (Bierkampf, BRD 1977), in dem er sich betrinkt und in einem Bierzelt Besucher des Oktoberfestes belästigt, ihnen Brezeln stiehlt und aus ihren Maßkrügen trinkt, als ein radikales Austreten aus den stillschweigend gesetzten Regeln des Festes gelesen werden. Dass er sich am Ende erschießt, ist nur die Vollendung dieser Desozialisierung, die in der Weigerung, in die imaginäre Gemeinschaft der Feiernden einzutreten, ihren Ausgang hat. Eine Gemeinschaft, die sich als aus lauter skurrilen und zudem schwerberauschten Individuen besteht, die gerade nicht ein Zusammen, sondern als Verlorene und Einsame als reines Nebeneinander in der umgreifenden Präsenz des Festes erscheinen. Vgl. zum Film Klaus Kreimeiers Rezension (in: Filmdienst, 19, 2011, URL: http://www.filmzentrale.com/rezis2/bierkampfkk.htm).

[5]    Die Bezeichnung kam in den 1930ern auf, wurde in den 1940ern und 1950ern als party girl Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs – als Nomination junger Frauen, die vor allem durch ihre Beteiligung an den Festen, Empfängen u.ä. Freizeitveranstaltungen der Reichen und Berühmten bekannt waren.

[6]    Auf eine längere Liste der Beispiele werde ich hier verzichten; genannt sei nur The Wild Party (USA 1929, Dorothy Arzner) mit Clara Bow, die seinerzeit als idealtypische Vertreterin des City-Girl-Typs galt, über die Schülerinnen eines Mädchencolleges, die einzig an Parties, nicht aber an Unterricht interessiert sind. Verwiesen sei auch auf die Heldin der finalen Nummer „Lullaby of Broadway“ des Revuefilms Gold Diggers of 1935 (Die Goldgräber von 1935, USA 1935, Busby Berkeley), die in aller Kürze ein Bild eines City-Girls zeichnet. Zur Geschichte des City-Girls vgl. Conor, Liz: City girl: Appearing in the modern scene (in: Lilith: A Feminist History Journal 11, 2002, S. 53-72). Einen neueren, fast skurril wirkenden Einblick in das Leben eines zum kalifornischen Jet-Sets gehörenden Party-Girls gewährt Pat Montandons – selbst Party-Girl – „Handreichung“ How to be a party girl (New York, McGraw-Hill [1968]).

[7]    Vgl. Robinson, Janet: „Cha ching! Getting Paid in Breakfast at Tiffany's and Showtime's Gigolos“ (in: Selling Sex on Screen. From Weimar Cinema to Zombie Porn. Ed. by Karen A. Ritzenhoff & Catriona McAvoy. Lanham, Maryl. [...]: Rowman & Littlefield 2015, S. 131-152, hier S. 133ff); Wulff, Hans J.: Coffee-to-Go und frische Croissants vor dem Schaufenster: BREAKFAST AT TIFFANY‘S (1961) (in: Kulinaristik des Frühstücks. Ach‘impap [...]. Analysen - Theorien - Perspektiven. Hrsg. v. Alois Wierlacher. München: Iudicium 2018, S. 409-418, hier bes. S. 411f).

[8]    Mehrere Filme führen ‚Party Girl‘ im Titel, verweisen aber schon durch die Slang-Bedeutungen der Bezeichnung auf die Käuflichkeit der Sexualität, aber auch auf das Reichenmilieu, in dem sich die Frauen bewegen (weshalb heute manchmal „Edelprostituierte“ als deutsche Übersetzung angeboten wird). Vgl. Party Girl (USA 1930, Victor Halperin) über einen Escort-Service sowie Party Girl (Das Mädchen aus der Unterwelt, USA 1958, Nicholas Ray) über eine Revuetänzerin im Gangstermilieu. Der Dokumentarfilm Party Girl (Schweiz 2014, Marie Amachoukeli, Claire Burger, Samuel Theis) nimmt nur indirekt Bezug auf den so viel älteren Sozialtypus und erzählt die Hochzeit einer 60-jährigen Prostituierten. Die Bezeichnung spielte auch in der Prominentenpresse der 1930er eine Rolle; vgl. etwa die Überlegungen in Jenkins, Henry: „‚You Don‘t Say That in English‘. The Scandal of Lupe Velez“ (in seinem The wow climax. Tracing the emotional impact of popular culture. New York [...]: New York University Press 2007, S. 125-154, bes. 126ff) zu der mexikanischen Schauspielerin Lupe Velez, die als Prototyp eines zeitgenössischen Party-Girls galt.

[9]    Vgl. zur Filmgeschichte der Flapper Landay, Lori: „The flapper film. Comedy, dance, and jazz age kinaesthetics“ (in: A feminist reader in early cinema. Ed. by Jennifer M. Bean and Diane Negra. Durham: Duke University Press 2002, S. 221-248), Ross, Sarah: „‚Good Little Bad Girls‘. Controversy and the Flapper Comedienne“ (in: Film History 13,4, 2001, S. 409-423) sowie Zeitz, Joshua: Flapper. A madcap story of sex, style, celebrity, and the women who made America modern (New York: Crown Publishers 2006). Als filmisches Beispiel sei Our Modern Maidens (Moderne Mädchen, USA 1929, Jack Conway) mit Joan Crawford genannt. Zum allgemeineren Phänomen der „New Woman“, zu der auch die flâneuse gehört, vgl. den Überblicksartikel von Sharot, Stehen: „The ‘New Woman’, star personas, and cross-class romance films in 1920s America“ (in: Journal of Gender Studies 19,1, March 2010, S. 73-86); er interpretiert die Veränderungen vor dem intensivierten Konsumismus der 1920er.

[10]   Vgl. URL: http://www.party-spezial.de/ratgeber/geschichte, einer Homepage der Storebird GmbH, die auch das Party-Magazin herausgibt; dort werden Ingredienzien gelungener Parties aufgelistet (und z.T. auch zur Realisierung angeboten).

[11]   Zuerst dt. als: Homo ludens. Versuch einer Bestimmung des Spielelementes der Kultur. (Amsterdam: Pantheon 1939; hier zit. nach der Ausgabe Hamburg: Rowohlt 1956 [Rowohlts deutsche Enzyklopädie. 21.], S. 28).

[12]   Auf seinen Artikel „Vom Wesen des Festes“ (in: Mitteilungen zur Kulturkunde 1,2, Dez. 1938, S. 59-74, hier S. 63). Nimmt man die Annahme des Kultischen (und des Festes) als fundamentaler Selbstvergewisserungsform sozialen Zusammenlebens, sind einer „satirisch-imaginären Ethnologie“ Tür und Tor geöffnet. Ein Beispiel ist die Pseudo-TV-Dokumentation Das Fest des Huhnes (Österreich 1992, Walter Wippersberg), die von einer Reise eines afrikanischen Ethnologen-Teams nach Oberösterreich berichtet und die dort lebenden Österreicher zu erforschen sucht. Sie beobachten, dass die Kirchen leer sind, die Menschen sich jedoch immer wieder in Zelten zusammenfinden, literweise Bier trinken, dazu hauptsächlich Hühner essen und anschließend dann kollektiv den Vogerltanz aufführen – nach Aussage des Films (bzw. der afrikanischen Ethnologen) ein klarer Hinweis darauf, dass die Festkultur der Österreicher auf einer kultischen Verehrung des Huhns beruhe.

[13]   Vgl. Pieper, Josef: Zustimmung zur Welt: Eine Theorie des Festes. München: Kösel 1963, bes. 46ff. Vgl. die ähnlichen Formulierungen in Piepers Über das Phänomen des Festes (Köln: Westdeutscher Verlag 1963 [Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen: Geisteswissenschaften. 113.], bes. S. 12ff, passim).

[14]   Gebhardt, Winfried: Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung. Frankfurt [...]: Lang 1987, S. 53.

[15]   Ein Beispiel ist das von Kurt Reimann auf einem Dorffest vorgetragene „Riesengebirgslied“ in dem Film Grün ist die Heide (BRD 1951, Hans Deppe). Auch in Der Adler vom Velsatal (aka: Der Wilderer vom Velsatal, BRD 1957, Richard Häußler) bildet das dörfliche Schützenfest nur den Rahmen für einen erbitterten Zweikampf zweier Männer um eine Frau; es sollte aber festgehalten werden, dass es zu den Regeln dieses Festes gehört, dass nur der Schützenkönig eine Tanzpartnerin abklatschen kann; alle anderen sind auf die Zustimmung der Tänzerin angewiesen. In allen diesen Beispielen sind die Schützenfeste wie auch Dorf- und Kirchenfeste, Prozessionen usw. eine Einzelepisode in einer Nummerndramaturgie; vgl zu der Beobachtung von Moltke, Johannes: No place like home. Locations of Heimat in German cinema (Berkeley: University of California Press 2005 [Weimar and Now. 36.], hier S. 88) sowie Höfig, Willi: Der deutsche Heimatfilm, 1947-1960 (Stuttgart: Enke 1973, bes. 295ff). Die Präsenz der Volksfeste geht übrigens schon in den 1950ern zurück; in Die Landärztin vom Tegernsee (aka: Die Landärztin, BRD 1958, Paul May) findet sich nur noch ein noch ein Umzug als Inszenierung dörflichen Alltagslebens für die Urlauber aus der Stadt, die das Dorf als Urlaubsziel gewählt haben – und die das Dorf als eine Art „binnenexotischen Lebensraum“ genießen (wie Hermann Bausinger sagen würde; vgl. dazu Brückner, Wolfgang: „Trachtenfolklorismus“ [in: Volkskultur in der Moderne. Probleme u. Perspektiven empirischen Kulturforschung. Hrsg. v. Utz Jeggle (...). Reinbek: Rowohlt 1986 [Rowohlts Enzyklopädie. 431.], S. 351- 382, hier S. 375]).

[16]   Erinnert sei an eine deutlich an Padre Padrone erinnernde Prozessionsszene in Palermo oder Wolfsburg (BRD 1979, Werner Schroeter), die deutlich als Symbol für Italien und das Leben selbst gesetzt ist im Kontrast zur dunklen Arbeitswelt Wolfsburgs.

[17]   Eine detaillierte Analyse des kleinen Films findet sich in Wulff, Hans J.: „Rezeption ethnographischer Filme: Bemerkungen zu einer Terra Incognita“ (in: Der ethnographische Film. Einführung in Methoden und Praxis. Hrsg. v. Edmund Ballhaus u. Beate Engelbrecht. Berlin: Reimers 1995 [Ethnologische Paperbacks.], S. 269-288). Der Film entstand ausgerechnet 1937, als die nationalsozialistische Kulturverwaltung vorhatte, die Leonhardifahrt in „eine weltliche Feier, eine Bauernkundgebung“ umzuwandeln. Doch schon die angestammte Durchführung der Fahrt war (auch) als touristische Veranstaltung durchgestaltet.

[18]   Vgl. zum Film Kircher, Günter: „Friesack als Filmstadt. Wie die Friesacker zu ‚Schildbürgern‘ wurden“ (in: Friesacker Quitzow-Kurier, 15, März 2005, S. 1-2). Vermerkt werden sollte auch, dass – ähnlich wie Formans Horí, má panenko (CSSR 1967) – zahlreiche Rollen des Spiels von Bewohnern Friesacks gespielt worden, was den Film mindest in die Nähe des Halbdokumentarischen rückt, was man wiederum mit der wohlwollenden Ironie in Zusammenhang denken kann, in der beide Filme vom Feiern erzählen.

[19]   Ob es sich um eine Spiel-im-Spiel-Konstellation handelt, will ich hier nicht diskutieren. Angemerkt sei aber, dass das Spiel, das im Spiel auf der Bühne gespielt wird, meist klar zwischen Spiel und Spiel-im-Spiel unterscheidet. Das ist in der Ball-Konstellation möglicherweise anders, weil die Akteure immer beides gleichzeitig sind – Figuren und Zuschauer im gleichen Moment. In eine ähnliche Richtung deuten einige Inszenierungen des späten Buñuel; wenn etwa in Le charme discrète de la bourgeoisie (Der diskrete Charme der Bourgeoisie, Frankreich 1972) sich hinter der festlichen Tafel der Feiernden ein Vorhang öffnet, hinter dem das Publikum sichtbar wird – dann wird das Essen zum zu spielenden Akt, die großbürgerlichen Figuren des Spiels zu Theaterschauspielern, die plötzlich ihren Text vergessen haben und zu schwitzen beginnen. Surreale Eingabe oder analytischer Akt, der auf das Rollenspiel der Figuren in ihrer sozialen Fassaden-Welt aufmerksam macht?

[20]   Vgl. zu diesem schwierigen Thema Richard, Birgit: „‚Love is war for miles‘. Zur Ästhetik der Techno- und House-Szene“ (in: Techno-Soziologie. Erkundungen einer Jugendkultur. Hrsg. v. Ronald Hitzler u. Michaela Pfadenhauer. Opladen: Leske+ Budrich 2001 [Erlebniswelten. 1.], S. 291-308), die Verwandtschaften von Schützenfesten und der Berliner Love-Parade herauszustellen sucht, sowie Dumke, Oliver: „Techno als säkulare Liturgie. Anmerkungen zu Form und Funktion von Gottesdienst und Technoevents“ (in: ebd., S. 69-84).

[21]   Vgl. zu diesem Beispiel Wulff, Hans J.: Das skeptische Lachen: Überlegungen zur Dramaturgie der Lachanlässe in Milos Formans Der Feuerwehrball. (In: Nach dem Film, 12, 2010: „Lachen im Kino und auf der Leinwand“, URL: http://www.nachdemfilm.de/content/das-skeptische-la¬chen). Vgl. dazu auch Ernst Blochs Überlegung, dass das Fest der Sinnleere des Feierabends der Arbeitenden das „Volksfest in ausgelassener Folklore“ entgegengesetzt sei. „Es blüht noch mehr oder minder in bäurischen Gegenden, auch in Städten, wo sich, eingekapselt oder eingewandert, überlieferte Bräuche forterhalten haben. Umzug, Karneval, Kirchenfeste füllen dann keinen leeren Raum von Sonn- und Feiertagen aus, sondern machen diese wirklich zu solchen“ (Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. 2. Frankfurt: Suhrkamp 1970, S. 1066). Das Ausgelassensein ist in seiner Hinsicht ein Ausbruch aus den Zwängen industrialisierter Lebenswelten, ein vorbewusst ausgelebter Widerstandsakt, der allerdings der Gefahr zunehmender Unterwerfung unter das politisch-symbolische Machtsystem sowie der Kommerzialisierung ausgesetzt sei (zu Blochs Zeiten im Programm des faschistischen dopo-lavoro- und des darauf aufruhenden nazistischen „Kraft-durch-Freude“-Programms). Ob mit der schon bei Bloch angemeldeten Skepsis gegen die Ursprünglichkeit des Festes Piepers Annahme, es sei Ausdruck einer fundamentalen „Zustimmung zum Gutsein der Welt“ ausgesetzt ist: Das muss weiterer Diskussion überlassen bleiben.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/114/hjwxx.htm
© Hans J. Wulff, 2018