Die schwarzen Kanäle – Folge 1

Andreas Mertin


Die Schwarzen Kanäle löst als Reihe die bisherige Kolumne "Was ich noch zu sagen hätte - Ein Bloggsurrogatextrakt" nach 27 Folgen ab. Ich fokussiere mich in der neuen Kolumne, eine Anregung der Evangelischen Akademie Berlin aufgreifend und eigene Kommentierungen in der alten Kolumne fortführend, auf Meldungen und Leserkommentare der Plattformen idea und kath.net. Netzteufel - das Projekt der Akademie in Berlin - ist mir jedoch zu summarisch. Zwar unterstütze ich das Anliegen, Hatespeech zu benennen, meine aber, man müsse schon dezidiert, sozusagen Wort für Wort zeigen, was bei einzelnen Argumentationsstrategien der religiösen Rechten schief läuft. Dazu greife ich Meldungen und Leserkommentare aus den beiden Plattformen auf. Anders als Netzteufel beschränke ich mich auf auf die beiden Plattformen Idea und kath.net, weil ich mir die Kommentare bei der AfD nicht antun will.

Aber weiterhin bleibt diese Kolumne eine ironische und satirische Kolumne. Auch wenn ich die Kritisierten beim Wort nehme, kann ich sie dennoch nicht ernst nehmen. Sie sind und bleiben ein Element der Kategorie Realsatire.



Zeichensetzung

Heute, am 2. Juni 2018, präsentiert IDEA zwei Meldungen, die ähnlicher und unterschiedlicher zugleich nicht sein könnten. Zunächst geht es um die Gendersprache und da weiß man, dass IDEA dagegen ist. Alles, was irgendwie mit ‚Gender‘ zu tun hat, ist irgendwie auch böse. In diesem Falle geht es um den Wunsch der sozialdemokratischen Justizministerin Katarina Barley, die Redaktion des Duden möge doch auf ihrer anstehenden Konferenz bedenken, ob sie das so genannte Gender-Sternchen mit ins Regelwerk aufnehme. Wie jeder weiß, ist der Duden kein normatives Werk, sondern ein verhalten deskriptives. Niemand – außer Schüler*nnen und Studierenden – ist gezwungen, sich an das Regelwerk zu halten. In der Praxis orientiert sich der Duden an der Wirklichkeit der deutschen Sprache: Gibt es genügend Texte, die das Gender-Sternchen verwenden, ist der Duden quasi herausgefordert, in seiner aktuellen Ausgabe darauf einzugehen. Katarina Barley meint nun, dieser Zeitpunkt sei schon gekommen. Die Duden-Redaktion wird dies sicher bedenken und zu einer Schlussfolgerung kommen – wenn nicht jetzt, dann später. Die entsprechende Meldung bei IDEA sieht nun so aus:

Das ist eine durch und durch ideologische Formulierung der Redaktion. Erkennbar meldet IDEA nicht den Wunsch der Justizministerin, sondern fokussiert sich auf die Reaktionen darauf. Unbestritten gibt es Sprachwissenschaftler, die Probleme mit dem Gender-Sternchen haben. So wie es Sprachwissenschaftler gab, die Probleme mit der Neuen Deutschen Rechtschreibung hatten. Trotzdem verwendet IDEA heute ganz selbstverständlich die aktualisierte Form der deutschen Sprache, wie aus dem weiteren Text der Meldung unschwer hervorgeht. Vermutlich wird also auch IDEA irgendwann das Gender-Sternchen verwenden. Im Augenblick aber ist „Gender“ für die religiöse Rechte das Böse und jede sprachliche Anpassung muss bekämpft werden. Man darf also nicht „Heilige und Heiliginnen“ sagen – auch wenn das schon seit Jahrhunderten in Deutschland belegt ist. Man darf nicht Professor*innen sagen, obwohl das heilsame Erkenntnisprozesse in Gang setzt. Überhaupt stören IDEA solche Zeichen im Text. Und IDEA zitiert dazu den Berliner Linguisten Peter Eisenberg:

Weil das Gender-Sternchen ohne sprachliche Bedeutung sei, handele es sich bei Barleys Anregung zudem um die „Anerkennungsgeste“ einer Ideologie: „Und ich sage: Das ist eine Unterwerfungsgeste.“

Der renommierte Forscher Peter Eisenberg war aber auch schon gegen die Neue Deutsche Rechtschreibung, sein Protest hat also Tradition. Nun kann man zum Gender-Sternchen stehen, wie man will [dieses Magazin verwendet es noch nicht, denkt aber darüber nach], aber eine Katastrophe sind solche Zeichen im Text nicht. Wer regelmäßig historische Texte liest, wird immer wieder auf derartige Zeichen im fortlaufenden Text stoßen. Man kann das als störend empfinden und dagegen protestieren, man kann es als hilfreich empfinden und sich dafür einsetzen. Soweit so gut.

Was meines Erachtens aber nicht geht, ist, sich einerseits entschieden gegen symbolische Zeichensetzungen im Text zu wenden und andererseits sich für solche Zeichen einzusetzen, falls diese die eigene Ideologie stützen. Das ist schizophren.

Was fällt den Leserinnen und Lesern am folgenden Bild auf, das direkt neben der gerade vorgestellten IDEA-Meldung stand:

Ja, der beworbene Konferenztitel lautet #lebe #authentisch. Und unter diesem Hashtag als Zeitgeistzeichen versammeln sich dann alle unsere prominenten Frommen in unserem Lande. Wir lernen daraus: Was dem evangelikalen Jupiter erlaubt ist, darf der Gender-Ochse noch lange nicht (quod licet iovi non licet bovi). Wenn es dem Herrn der Evangelikalen dient, dann dürfen sie so viele Zeichen einsetzen, wie sie wollen. Wenn es aber um Geschlechter-Gerechtigkeit geht, ist es problematisch und verboten. Ich warte also auf den IDEA-Artikel, in dem die Redaktion entschieden gegen die Verhunzung der deutschen Sprache durch Hashtags (#) protestiert. Er wird nicht kommen.


Dumm und Dümmer

Und wie immer sind es dann die Kommentare unter der IDEA-Meldung, die für vergnügliche Abendstunden sorgen. Was soll man vom Geisteszustand folgenden Kommentators halten?

Gut, die Logik des Satzes ist in sich wenig begründet, da muss jemand zu viel Eierlikör zu sich genommen haben. Wenn man Gottes Wort nicht mehr achtet, vergreift man sich am Duden und damit wiederum am Wort Gottes? Da sind ein paar Gehirnwindungen heiß gelaufen. Und nein, Gott schuf den Menschen nicht als Mann und Frau – darf man nicht wenigstens von Evangelikalen erwarten, dass sie korrekt und umfassend in der Bibel lesen?

Zumindest in „Gen 1,27 und 5,2 umfasst »Adam« d. h. Mensch, beide Geschlechter. In Gen 2 wird aus dem ersten, offenbar androgynen Menschen (Adam) durch Entnahme einer »Seite« … das Gegenüber von Mann und Frau.“[1] Die platte Rede, Gott habe den Menschen unmittelbar als Mann und Frau erschaffen, kollidiert zumindest mit einer unserer biblischen Überlieferungen der menschlichen Urgeschichte. Nur in Genesis 1 sieht es so aus, als ob Gott mit der Erschaffung des Menschen zugleich Mann und Frau erschafft. Das dann aber in Genesis 2, Vers 23 folgende hebräische Wortspiel erinnert doch sehr an gendertheoretische Überlegungen.

Martin Luther greift dies auf, wenn er übersetzt: man wird sie Männin nennen, weil sie vom Mann genommen ist. Es scheint, Gendertheoretiker achten Gottes Wort mehr als Evangelikale. Das Spiel mit den unterschiedlichen kulturellen Konnotationen ist der hebräischen Bibel von Anfang an eingeschrieben.

Schauen wir weiter auf die Kommentare:

Das mit dem „ist allen Kulturen und Weltanschauungen bekannt“ ist erkennbar Quatsch, es gibt genügend Kulturen mit mehr als zwei Geschlechtern. Platon kennt den Kugelmythos, der zumindest drei unterschiedliche geschlechtliche Orientierungen zulässt: Mann – Mann, Frau – Frau, Mann – Frau. Andere Kulturen kennen temporäre Geschlechter. Da ist die Kultur viel reichhaltiger als es ein Westeuropäer sich träumen lässt.

Dass das Studienzentrum der EKD für Genderfragen von 400 verschiedenen Geschlechtern ausgeht, glaube ich dagegen nicht, das halte ich für eine ausgesprochene Lüge. Auf der Seite des Studienzentrums steht unter dem Stichwort „Geschlechtsvielfalt“ explizit, dass derartige Quantifizierungen von Geschlechtern Unsinn seien. Ich weiß nicht, aus welcher dubiosen Quelle unser Kommentator seine Informationen hat, er sollte sie besser überprüfen.

Sein dann benannter medizinischer Gesprächspartner muss zumindest ein außerordentlich fragwürdiger Genetiker sein, wenn ihm elementare Tatbestände wie etwa die Intersexualität nicht bekannt sind (immerhin 0,1% der Bevölkerung). „Wenn also per Gesetz verlangt wird, dass eine Person männlich oder weiblich ist, sollte das Geschlecht dann anhand der Anatomie, der Hormone, der Zellen oder der Chromosomen bestimmt werden? Und was ist zu tun, wenn die verschiedenen Methoden zu widersprüchlichen Ergebnissen führen?“[2] In der Sache handelt es sich zudem um einen klassischen naturalistischen Fehlschluss vom Sein aufs Sollen.

Dass manche Naturwissenschaftler Probleme mit kulturellen Zuschreibungen haben und diese mit natur­wissenschaftlichen Aussagen verwechseln, wundert mich dagegen nicht, sie haben schlicht keine Ahnung von Kultur- und Sprachwissenschaft. Ein Naturwissenschaftler würde vermutlich darauf hinweisen, dass sich auch bei der Eucharistie oder bei der Sündenvergabe naturwissenschaftlich betrachtet an der Materie nichts ändert – aber gibt es deshalb die Wandlung oder die Sündenvergabe nicht? Wie kann man als religiöser Mensch nur so an dem Stuhl sägen, auf dem man selbst sitzt? Wenn man über kulturelle Tatbestände spricht, ist das Argument Mein Arzt hat mir aber gesagt nicht vernünftig. Daher sollte man Naturwissenschaftler über Grundelemente der Kulturwissenschaften aufklären.

Kommen wir zum nächsten Protagonisten aus dem Tal der nicht nur religiös Ahnungslosen:

Das ist von vorne bis hinten Unsinn, Bullshit. Zunächst geht es gar nicht ums Durchsetzen, die Justizministerin äußert als Frau und Politikerin einen Wunsch, das Gremium des privatwirtschaftlichen Dudens ist unabhängig. Und ja, die 0,031% Pegida-Anhänger (unter allen Deutschen), die in Spitzenzeiten in Dresden „Wir sind das Volk“ blökten, werden diese quantifizierende Bestimmung von „Volksparteien“ ganz sicher mit Interesse zur Kenntnis nehmen. Nur um es einmal empirisch zu benennen: Die Evangelische Allianz in Deutschland beansprucht, für 1,3 Millionen Menschen zu sprechen. Wenn wir dagegen von aktuell 18% SPD-Wählern ausgehen, sprechen wir von mehr als 11 Millionen Wählern! Was sagt uns das zur Legitimität der Evangelischen Allianz? Und was zur demokratischen Legitimation der Pegida-Krakeeler? Soweit zur Zahl. Nun bezieht sich der Begriff der Volkspartei überhaupt nicht auf Zahlen, sondern auf gruppenübergreifende Merkmale: eine Partei wird zur Volkspartei, wenn sie nicht nur Klientel-Politik betreibt. Lange Zeit war die SPD nicht Volkspartei, sondern die Partei der Arbeiter. Erst mit dem Godesberger Programm wurde sie zur Volkspartei. Und das wird man nun gerade der heutigen SPD nicht absprechen können. Sie bleibt Volkspartei, auch wenn sie nur 10% Wähler hätte.

Und dann die Lüge mit den Genderprofessuren. Es ist und bleibt: gelogen, gelogen, gelogen. Wahr ist, es gibt zahlreiche Professuren, die im Rahmen ihrer Forschungsinteressen und Arbeitsschwerpunkten auch(!) Genderaspekte erforschen. Wenn man das Genderprofessuren nennt, bedeutet die Abschaffung dieser Professuren eben auch das Ende der allgemeinen Forschung. Genderprofessuren im unterstellten Sinn gibt es dagegen extrem wenige. Wenn also eine Professorin die altorientalische Umwelt erforscht und dabei auch den Aspekt der Stellung der Frau mitberücksichtigt, wird sie in dieser Statistik als Genderforscherin geführt. Das mag verwirrend erscheinen, aber es ist die universitäre Realität. Als wirkliche Genderprofessuren können nur die bezeichnet werden, die sich voll und ganz der Genderfrage widmen. Und das sind sehr wenige.

Und hochbezahlt sind sie schon gar nicht. Die Zeiten, in denen Professor*innen hochbezahlt waren, sind lange vorbei, die gesellschaftliche Entwicklung ist hier völlig anders verlaufen. Professoren sind die Spitzenleute eines Wissensbereiches, aber sie verdienen nicht dementsprechend. Man kann ja mal nachschlagen, was in unserer Gesellschaft ein Geschäftsführer mit etwas Berufs-Erfahrung durchschnittlich verdient (aktuell 147.330 - 284.970 € brutto). Davon können Professoren nur träumen.

Bleiben noch jene drei ominösen Toiletten im Landeskirchenamt von Hannover, die auf Wunsch einer Gruppe von Frauen eingerichtet worden sein sollen. Zunächst einmal: Tatsächlich gibt es – Gott sei Dank – in dieser Landeskirche eine Gleichstellungsbeauftragte. Dagegen konnte ich eine genderspezifische Einrichtung der hannoverschen Landeskirche auf die Schnelle nicht entdecken. Ich hoffe, der Kommentator verwechselt die hannoversche Landeskirche nicht mit der Evangelischen Kirche in Deutschland mit Sitz in Hannover, die selbstverständlich über ein entsprechendes Studienzentrum verfügt. Aber der Kommentator bezieht sich ja direkt auf Bischof Meister. Eine entsprechende Meldung über die Einrichtung verschiedener Toiletten für diverse Geschlechter im Landeskirchenamt habe ich bei bestem Bemühen nicht finden können. Könnte es vielleicht sein, dass unser flott kommentierender Meister im Missverstehen die Meldung von einer Unisex-Toilette (von der ich auch nicht glaube, dass das LKA Hannover über eine verfügt) mit der Einrichtung von drei Toiletten verwechselt hat? Denn das nebenstehende Schild bedeutet nicht drei, sondern nur eine Toilette (ähnlich wie in jedem Zug der Deutschen Bahn). Tatsächlich, so lässt sich bei einer angeblichen Expertin für Gender-Gaga nachlesen, bezieht sich das Ganze vermutlich auf eine Unisex-Toilette im Gender-Studienzentrum der EKD, also nicht im Landeskirchenamt der Hannoverschen Landeskirche. Was diese Toilette nun mit Bischof Meister zu tun hat und warum er sich ausgerechnet um Toiletten kümmern sollte, erschließt sich mir nicht, es sei denn, der Kommentator will bewusst Rufmord begehen – vielleicht ist er aber auch nur wirr im Kopf. Es sind diese Leute, die in jedem Zug der Bundesbahn ganz selbstverständlich die dort seit 100 Jahren befindlichen Unisex-Toiletten aufsuchen, sich aber aufregen, wenn außerhalb des Zuges eine solche aufzufinden ist. Also kann das Problem nicht in den Unisex-Toiletten liegen, sondern ausschließlich in der Zumutung, über Geschlechterverhältnisse nachdenken zu müssen. Damit haben manche Menschen Probleme.

Ja, bei all dem geht es um den Kampf um Geschlechtergerechtigkeit. Es gibt weiterhin eine gar nicht so kleine Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft, die ein unmittelbares Interesse an dem Fortbestand patriarchalischer Verhältnisse hat und deshalb alles ablehnt, was Frauen und Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten mehr Rechte einräumt. Menschenwürde und Menschenrechte sind ihnen egal, Hauptsache ihre binäre Ideologie stimmt. Die damit einhergehende Verletzung der Menschenwürde anderer halten sie für ein Menschenrecht.


Spiel über Bande

Das umstrittene, sich katholisch nennende, reaktionäre österreichische Portal kath.net entwickelt sich immer mehr zu einer Plattform für Pius-Brüder und Lefebvre-Anhänger. Der Hass, den manche Kommentatoren, aber auch Beiträger gegenüber dem gegenwärtigen Papst äußern, sollte einen schon nachdenklich stimmen. Es gibt ähnliche Pawlowsche Reflexe bei anderen schwarzen Kanälen gegenüber der EKD (nicht zufällig sind diese gut untereinander vernetzt), aber die Herabsetzung ist hier noch einmal deutlicher. Nun kann sich kath.net nicht einfach zu den Pius-Brüdern bekennen, deshalb spielt man ein Spiel über die Bande. Das sieht dann so aus.

Zunächst macht kath.net mit einer Meldung auf, die scheinbar plattformgemäß von der Warnung eines afrikanischen Bischofs vor der Emigration von Afrikanern nach Deutschland warnt.[3] Im Teaser kommt aber schon ein Trigger vor, der den Leserinnen und Lesern deutlich machen soll, dass hier die rechtsextreme Ideologie bedient werden soll: „Afrikas Bischöfe wollen vom Westen Hilfe vor Ort, aber nicht eine Bevölkerungsverschiebung.“ Ob Turkson wirklich das AfD-Wort „Bevölkerungsverschiebung“ gebraucht hat? Ich mag es kaum glauben.

Im zweiten Absatz macht kath.net dann klar, dass die Meldung gar nicht von einer originalen Quelle stammt, sondern dass man sie von der Achse des Guten übernommen hat und verlinkt auf diese. Es ist ein Artikel von Volker Seitz, der den gleichen Titel trägt, wie die Meldung auf kath.net.

Auch bei Volker Seitz findet sich der Satz „Afrikas Bischöfe fordern vom Westen, wenn schon, Hilfe vor Ort, aber nicht Bevölkerungsverschiebungen.“[4] Und auch er bezieht sich keinesfalls auf einen originalen Text von Bischof Tukson, sondern zitiert wiederum eine andere sekundäre Fundstelle, die den Pius-Brüdern nahestehende Plattform „katholisches.info“.

Und erst hier wird deutlich, dass der Trigger von der dortigen Redaktion und nicht vom Bischof stammt: „Afrikas Bischöfe fordern vom Westen, wenn schon, Hilfe vor Ort, aber nicht Bevölkerungsverschiebungen.“ Hier wird mit dem Trigger angeblich das von Tukson Gesagte zusammengefasst und in eine Sprachform gegossen, die nicht mehr neutral ist.[5]

Nun lässt sich das, was Kardinal Turkson in Albenga gesagt hat, leicht in italienischen Quellen recherchieren. Und es stellt sich doch etwas anders dar, als es katholisches.info, Die Achse des Guten und schließlich kath.net skizzieren. Eigentlich muss man sagen: er sagt fast das genaue Gegenteil: "Non limitiamoci solo all'accoglienza - ha detto - ma promuoviamo anche interventi nei paesi di origine" – „Beschränken wir uns nicht nur auf den Empfang - sagte er -, sondern fördern wir auch Interventionen in den Herkunftsländern.“ Turkson Mahnung bedeutet also: nicht nur Willkommenskultur, sondern auch Hilfe vor Ort. Er meint nicht, keine Willkommenskultur und stattdessen Hilfe vor Ort. Sondern Empfang und Hilfe vor Ort.

Die italienische Zeitschrift, die von seinen Äußerungen berichtet, wiederholt später noch einmal: „Vangelo sì, quindi, come vorrebbe il cardinal Ravasi quando cita il passo "Ero straniero e non mi avete accolto", ma anche azioni nei paesi di provenienza capaci di tamponare il fenomeno migratorio.“ - "Evangelium, ja, wie Kardinal Ravasi möchte, wenn er die Passage zitiert:" Ich war ein Fremder und du hast mich nicht akzeptiert ", dann aber auch Aktionen in den Herkunftsländern, die das Phänomen der Migration stoppen können."

Willkommenskultur und Hilfestellungen vor Ort – das ist es, was gefordert wurde. Die Willkommenskultur ist biblisch begründet, daran lässt der Text keinen Zweifel. Bei katholisches.info / Achse des Guten / kath.net klingt das aber, durch sprachliche Akzentverschiebungen, ganz anders. Statt von dem Phänomen der Migration, sprechen sie von „Bevölkerungsverschiebungen“. Das ist heute reine AfD-Sprache. Vor allem aber ist für kath.net leicht nachvollziehbar, woher die Akzentverschiebung kommt: von katholisches.info. Solange es aber den reaktionären Zwecken dient, ist ihnen das egal. Dann könnte man aber besser gleich bei den Pius-Brüdern nachschlagen.

In der Sache stammt das Wort von den „Bevölkerungsverschiebungen“ ("spostamenti di popolazione") aber aus Ausführungen früherer Päpste, die auf etwas ganz anderes zielten, und daher sachbezogen waren: „Citando sia San Giovanni Paolo II sia Benedetto XVI; Francesco nota che dopo le tragedie del secolo scorso, il XXI “non ha finora registrato una vera svolta”: conflitti armati e altre forme di violenza “organizzata”continuano a provocare spostamenti di popolazione all’interno dei confini nazionali e oltre. Ma si migra, aggiunge il Papa, anche per ricongiungersi alla propria famiglia, per trovare opportunità di lavoro o di istruzione, per sfuggire al degrado ambientale: “chi non può godere di questi diritti - sottolinea - non vive in pace”.“ Franziskus erläutert mit diesem Satz, dass Gewalt und Kriege Bevölkerungsbewegungen erzwingen, weil deren Opfer eben nicht in Frieden leben. Auch das Recht auf Bildung und Arbeit wird hier von Franziskus unter Bezug auf Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hervorgehoben. Nur wer mit all dem nichts anfangen kann, weil er weder dem Evangelium gemäß noch human leben will, der macht daraus das schiere Gegenteil.

Das wird übrigens noch an einem anderen Detail deutlich. Bei kath.net kann man im Artikel folgendes lesen:

Er warnte in dem Zusammenhang auch vor dem Versuch, die christliche Botschaft politischen Richtungen dienstbar zu machen.

Und bei der ursprünglichen Quelle katholisches.info steht aber:

Kardinal Turkson sagte es nicht explizit, trat aber Versuchen entgegen, die christliche Botschaft bestimmten politischen Richtungen dienstbar zu machen.

Da fragt man sich doch, wie aus dem „nicht explizi“ bei katholisches.info das Gegenteil bei kath.net wurde. Jeder schreibt sich offenbar seine eigene Wirklichkeit.


Schiffskunde

Ich bewundere ja seit langem bei manchen katholischen Kollegen ihre homiletische Kompetenz, ihren unbedingten Willen, aus jeder sich bietenden Metapher noch das Letzte herauszuholen, auch wenn es gar nicht drinsteckt. Metaphorisch eine creatio ex nihilo zu vollziehen – das sollte man immer wertschätzen. Blicken wir also auf einen Altmeister dieser Metaphorologie, den emeritierten Professor für Pastoraltheologie der theologischen Fakultät der Universität Freiburg, Hubert Windisch. Er ist einschlägig als konservativer Denker und reaktionärer Polemiker bekannt, deshalb sind seine Verlautbarungen immer auch ein Lackmustest dafür, wie der rechte Rand des Katholizismus so tickt. Aktuell sorgt Windisch sich um das „Schifflein Petri“.[6] Protestanten braucht das eigentlich nicht zu kümmern, denn wir haben ja „Das Schiff, das sich Gemeinde nennt“.[7] Aber darauf komme ich später noch einmal zurück.

Windisch eröffnet mit einer These: Das ‚Schifflein Petri‘ sei seit geraumer Zeit in Seenot, diese sei aber anders als es in Markus 4, 35-41 berichtet werde. Mir war neu, dass Markus 4, 35-41 überhaupt vom Schiff des Petrus handelt. Meines Wissens wird dieser namentlich nicht erwähnt. Zur Erinnerung, der Text lautet in der katholischen Einheitsübersetzung (und ich füge zum besseren Verständnis die Verse 1 und 2 hinzu):

1 Und wieder begann er, am Ufer des Sees zu lehren, und sehr viele Menschen versammelten sich um ihn. Er stieg deshalb in ein Boot auf dem See und setzte sich; die Leute aber standen am Ufer. 2 Und er sprach lange zu ihnen und lehrte sie in Gleichnissen. …
35 Am Abend dieses Tages sagte er zu ihnen: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren. 36 Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; und andere Boote begleiteten ihn. 37 Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm und die Wellen schlugen in das Boot, sodass es sich mit Wasser zu füllen begann. 38 Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? 39 Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein. 40 Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? 41 Da ergriff sie große Furcht und sie sagten zueinander: Wer ist denn dieser, dass ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen?

Also ist in Markus 4 von Petri Boot keine Rede und auch von keinem „Schifflein“. Kern der Geschichte ist die Lehre, dass man sich nicht Sorgen machen soll, wenn das Boot (πλοίῳ) mit Christus an Bord einmal in Gefahr gerät, denn der Herr ist ja bei uns. Schlagseite hat das Boot auch in der biblischen Erzählung, freilich ohne Eingriff der Jünger, deshalb reagieren sie so panisch. Windisch (ach, was für ein lustiges Wortspiel legte sich da nahe) erzählt also eigentlich eine ganz andere Geschichte, als sie in Markus 4 überliefert wird. Das Verbindende ist nur der Begriff der Seenot, es ist eine rein assoziative Verknüpfung. Die diese Seenot auslösende Ursache ist jeweils eine ganz andere: in der Bibel geht es um Naturgefahren, bei Windisch um durch die Besatzung verursachte Gefahren. Die Besatzung des „Schiffleins Petri“ führt angeblich jene Wasserschäden herbei, die in der Erzählung des Markus naturbedingt sind.

Nun steigert Windisch die Dramatik und behauptet, Teile der Besatzung würden nicht nur Löcher in das Boot schlagen (und so natürlich auch, warum auch immer, den eigenen Untergang bewirken), sondern zudem irgendwelchen muslimischen Piraten Enterhaken zuwerfen. Das ist schon ein überaus krudes Bild. Muslimische Kaper-Boote auf dem See Genezareth – darauf muss man erst mal kommen. Das Wort ‚Enterhaken‘ setzt voraus, dass sich zwei Boote auf Stabslänge nahegekommen sind, sonst würde es sich um ‚Enterdreggen‘ handeln. Piraten, das wäre der nächste gedankliche Schritt, plündern und/oder kapern das feindliche Schiff. Gilt das auch für das Schifflein Petri? Piraterie im engeren Sinne gibt es zudem nur auf hoher See, auf Gebieten, die keiner staatlichen Gewalt unterliegen, auch das macht das Bild, wenn man es denn auf Rom (oder den See Genezareth) beziehen will, merkwürdig schief.

Nun präzisiert Windisch den metaphorischen Gebrauch des Enterhakens und schreibt, es handele sich um „dogmatische, pastorale und liturgische“ Enterhaken. Dafür bewundere ich ihn, denn noch niemand auf Erden ist auf die Idee gekommen, es gäbe „liturgische Enterhaken“. Ehrlich gesagt, ich kann mir darunter auch nichts Rechtes (nicht mal etwas Rechtes) vorstellen. Noch weniger unter „dogmatischen Enterhaken“. Dogmatische Fallstricke sind mir seit dem ersten Semester Theologie vertraut, aber Enterhaken? „Pastorale Enterhaken“ – ja das geht irgendwie, würde aber das Gegenteil dessen bedeuten, worauf Windisch hinauswill. (Und das überaus peinliche Nachtreten gegen Papst Franziskus sei ihm nicht verziehen.) Warum freilich die muslimischen Piraten das Schifflein Petri überhaupt mit ‚dogmatischen Enterhaken‘ heranziehen und kapern sollten, wenn es zuvor von den heutigen Repräsentanten Christi kurz und klein geschlagen wurde, erschließt sich mir ganz und gar nicht. Haben die Muslime keine eigenen Enterhaken? Wie gelang ihnen dann die Ausbreitung zur zweitgrößten Religion auf dieser Erde? Immer nur mit katholischen Enterhaken aus Rom? Ich verstehe, was Windisch sagen will (dass es einige in Rom ihren muslimischen Widersachern durch dogmatische, pastorale und liturgische Nachlässigkeiten leicht machen, sich gegenüber dem katholischen Glauben durchzusetzen), aber er sagt es nicht. Er „berauscht“ sich an einem Sprachbild, das leider nicht das spiegelt, was es soll. Es ist schlicht das falsche Bild. Man sollte nie Metaphern aus Metaphern bilden.

Das sogenannte „Schifflein Petri“ kommt natürlich andeutungsweise im Neuen Testament vor. Wir beziehen es in der Regel auf den wunderbaren Fischfang nach Lukas 5, 1-11 bzw. Johannes 21, 3-6. Da ist tatsächlich vom Boot des Simon die Rede. Und hier würde Windischs nette Metaphorologie bedeuten, dass die Nachfolger des Petrus den konkurrierenden (Menschen-)Fischern die Fänge des eigenen Bootes zugänglich machen, was natürlich nicht im Sinn der Erzählung ist. Aber – wie sich im Verlauf des Artikels von Windisch herausstellt – er denkt sich das Schiff Petri mehrgeschossig, und das passt irgendwie nicht zum wunderbaren Fischfang. Man mag sich die Situation dann doch eher so vorstellen, wie Raffael sie mal für den Vatikan entworfen hat.

Da implodiert das angeblich so Schrecken erregende Bild vom Schifflein Petri in Seenot doch ein wenig. Selbst die Vögel am Rand geben als konkurrierende Fischfänger nur schlechte Sinnbilder für Muslime ab.

Windisch räsoniert nun anhand eines eigentlich auf die evangelische Kirche zielenden Buches über den Zustand der katholischen Kirche. Der sei analog schrecklich. Überzeugend finde ich das nicht, wissenschaftlich sind derartige Übertragungen immer eine Katastrophe. Ich glaube auch nicht, dass der evangelische Autor über das „Schifflein Petri“ schreibt.

Dann aber folgt ein Satz, den ich von einem christlichen Theologen nicht erwartet hätte (im Text wird nicht ganz klar, ob er von Windisch oder einem evangelischen Kollegen stammt):

Man darf sich nicht wundern, daß es Gläubige gibt, die deshalb nicht mehr in die Kirche gehen, weil sie das bevormundende Wort „Flüchtling“ aus Pfarrers Mund von der Kanzel herab nicht mehr hören können.

Nun, in diesem konkreten Fall tut Pfarrers Mund freilich Wahrheit kund und es ist ungeheuerlich, wie hier die Bibel umgedeutet wird. Das bevormundende Wort Flüchtling? Vielleicht sollte man einmal in den Heiligen Schriften nachschlagen, wie oft dort von Flüchtlingen die Rede ist. Flüchtlinge sind die Israeliten, als sie nach Ägypten kommen, Flüchtlinge sind sie, als sie aus Ägypten entkommen: „Ich werde die ägyptische Führung derart starrköpfig machen, dass sie den Flüchtlingen nachsetzt.“ (Ex. 12) Und Gott ist mit den Flüchtlingen solidarisch. Wie wäre es mit dem ewigen Tierfrieden: „Dann wird der Wolf beim Lamm als Flüchtling unterkommen, und der Leopard wird beim Böckchen lagern“ (Jes 11)? Ein Flüchtling(!) berichtet Abram, dass sein Bruder Lot gefangengenommen wurde. Ohne diesen Flüchtling hätte Abram nicht intervenieren können und das Böse hätte triumphiert. Und Jesaja 16 mahnt eindringlich:

„Schafft Rat, trefft eine Entscheidung! Mache deinen Schatten am hohen Mittag wie die Nacht, verbirg die Vertriebenen, verrate den Flüchtling nicht! Meine Vertriebenen, die von Moab, sollen bei dir Schutz finden. Sei ihnen ein Versteck vor dem Verwüster!“

Und Jeremia 49 hält fest:

Das Geschrei der Flüchtlinge und Entronnenen dringt aus dem Land Babel bis Zion, um die Rache Gottes, unserer Gottheit, die Rache für Gottes Tempel zu melden.

Vom Volk Israel ist hier die Rede. Und mit welcher Sprachgewalt spricht der Prophet Amos:

Und steh nicht auf der Wegkreuzung, um seine Flüchtlinge auszurotten und liefere seine Entkommenen nicht aus in der Zeit der Not!« Tatsächlich, nahe ist der Tag des Ewigen über allen Völkern: So wie du gehandelt hast, so wird an dir gehandelt werden. Dein Tun wird dir auf den Kopf fallen. (Amos 9)

Man muss nun im Gegenzug überlegen, was die Rede vom „bevormundenden Wort ‚Flüchtling‘“ bedeuten soll. Das ist ungeheuerlich, menschenverachtend durch und durch. Wenn ich den Flüchtling aus Syrien (weiterhin stammen auch 2018 ein Viertel aller Asylbegehrenden von dort) als Flüchtling bezeichne, dann bevormunde ich die Gemeinde? Aber wenn ich ihn in CSU-Terminologie einen ‚Asyltouristen‘ nennen, wäre das vermutlich in Ordnung? Die Sprache, die so gepflegt wird, ist die des Saulus, nicht des Paulus. Da kann man nur mit Amos sagen: „So wie du gehandelt hast, so wird an dir gehandelt werden. Dein Tun wird dir auf den Kopf fallen.“

Wie inkompetent Windisch pastoraltheologisch ist, zeigt sich, wenn er das Wort „Ambivalenzkompetenz“ als „Gefasel“ abwertet. Er hat schlicht keine Ahnung, was das ist, Ambivalenzkompetenz, und was es bedeutet. Er setzt es einfach nur herab, weil es für die imaginierten Leserinnen und Leser auf kath.net ein unverständliches Fremdwort ist. Aber fachwissenschaftlich ist es das nicht. Es war Reinhold Boschki, der 2016 diesen Begriff in die Theologie einführt und begründet. Boschki ist nun von einer ganz anderen Qualität als Windisch, er ist ein ausgewiesener Fachmann der Religionspädagogik. In den einschlägigen pädagogischen und psychologischen Fachwissenschaften ist der Begriff aber schon länger etabliert (in den pädagogischen Wissenschaften etwa schon in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts). Ich selbst habe Mitte der 80er-Jahre empirische Studien zur Ambiguitäts- und Ambivalenztoleranz bei Theologen durchgeführt. Aber das kann Windisch ja nicht wissen. Wie sollte er, wissenschaftliche Argumente interessieren ihn nicht.

Windisch kommt schließlich noch einmal auf seine misslungene Metapher vom „Schifflein“ Petri in Seenot zurück:

Das Schifflein Petri in Seenot – aus dem Mannschaftsraum heraus!

So richtig klein kann das Schifflein also nicht sein. Mit dem biblischen Boot des Simon scheint es wenig gemein zu haben. Sinn macht das nur, wenn man es gut protestantisch erweitert auf das große Schiff, das man Gemeinde nennt. Ja, dieses Schiff hat einen Mannschaftsraum, auch dieses Schiff steht in bestimmten Gefahren, aber die entstehen, wenn man sich nicht der Gefahr der Seenot aussetzt, sondern aus Furcht im sicheren Hafen bleibt. Und deshalb, weil es so durchdacht und gelungen und auch so gut protestantisch ist, sei hier das schöne Lied von Martin Gotthard Schneider wenigstens in Auszügen zitiert (wenn Sie wollen, singen Sie es beim Lesen einfach mit):

Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit. Das Ziel, das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit. Das Schiff, es fährt von Sturm bedroht durch Angst, Not und Gefahr, Verzweiflung, Hoffnung, Kampf und Sieg, so fährt es Jahr um Jahr … Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, liegt oft im Hafen fest, weil sich’s in Sicherheit und Ruh bequemer leben lässt. Man sonnt sich gern im alten Glanz vergangner Herrlichkeit, und ist doch heute für den Ruf zur Ausfahrt nicht bereit. Doch wer Gefahr und Leiden scheut, erlebt von Gott nicht viel. Nur wer das Wagnis auf sich nimmt, erreicht das große Ziel! Im Schiff, das sich Gemeinde nennt, muss eine Mannschaft sein, sonst ist man auf der weiten Fahrt verloren und allein. Ein jeder stehe, wo er steht, und tue seine Pflicht; wenn er sein Teil nicht treu erfüllt, gelingt das Ganze nicht. Und was die Mannschaft auf dem Schiff ganz fest zusammenschweißt in Glaube, Hoffnung, Zuversicht, ist Gottes guter Geist. Im Schiff, das sich Gemeinde nennt, fragt man sich hin und her: Wie finden wir den rechten Kurs zur Fahrt im weiten Meer? Der rät wohl dies, der andre das, man redet lang und viel und kommt … nur weiter weg vom Ziel. Doch da, wo man das Laute flieht und lieber horcht und schweigt, bekommt von Gott man ganz gewiss den rechten Weg gezeigt!

Das nenne ich einen rechten Gebrauch der deutschen Sprache, kein Gefasel, keine unangebrachte, abwertende Kritik, sondern Vertrauen auf Gott, den Heiligen Geist und das Schiff, das sich Gemeinde nennt. Alles andere ist: Defätismus.


Wir leben in finsteren Zeiten

Das ist das Denken, dem man heute entgegentreten muss. Sie beherrschen die deutsche Rechtschreibung und Grammatik nicht, sie verstehen nichts von Geschichte, aber es gelingt ihnen, Martin Luther, Immanuel Kant, Friedrich Nietzsche, Ludwig Feuerbach, Karl Marx, die Illuminaten und den österreichischen Katholiken Adolf Hitler in einem verbindenden Satz zu nennen. So lange man von solchem Denken nur in den Romanen von Umberto Eco liest, glaubt man es ja kaum. Aber es gibt weiterhin Geisteskranke, die derartigen Schwachsinn verbreiten. Und es gibt pseudo-katholische Plattformen, die dem Raum bieten. Wäre ich Redakteur bei kath.net, würde ich schon vor lauter Scham über solchen Unsinn den Kommentar löschen. Für Nicht-Katholiken: „Der Rhein fließt in den Tiber“ ist ein Denunziationswerk traditionalistischer katholischer Kreise, die deutschen Bischöfen (der Rhein) einen unseligen Einfluss (fließt) auf das II. Vatikanische Konzil (in den Tiber) unterstellen. Wenn man einmal beginnt, verschwörungstheoretisch zu denken, bleibt man darin gefangen. Da werden dann selbst die niederländischen Altkatholiken zu Deutschen. Denn die altkatholische Sukzession begründet sich doch historisch, wenn ich es recht sehe, von der Utrech­ter Kirche, die lange vor der deutschen, österreichischen oder Schweizer altkatholischen Kirche bestand.

In sich finde ich die Gedankenkette, wenn man so etwas überhaupt so nennen will, ein wenig widersprüchlich. Ist sie nicht im Kern Ausdruck eines genuin anti-deutschen Denkens, also radikal links? War es denn nicht Karl Marx, der schrieb: „Krieg den deutschen Zuständen!“ Und müsste man nicht mit Nietzsche fragen: Was ist eigentlich deutsch? „Kurz, waren die deutschen Philosophen wirklich – philosophische Deutsche?“ Ist das, was unser Verschwörungstheoretiker da von sich gibt, nicht reine nietzscheanische Lehre? „Aber was das Wunderlichste ist: die, welche sich am meisten darum bemüht haben, das Christentum zu halten, zu erhalten, sind gerade seine besten Zerstörer geworden – die Deutschen. Es scheint, die Deutschen verstehen das Wesen einer Kirche nicht.“ (So Nietzsche in: Die fröhliche Wissenschaft) Hat unser kath.net-Kommentator nicht gerade genau das gesagt? Im Folgenden polemisiert Nietzsche dann gegen Luther („Die Luthersche Reformation war in ihrer ganzen Breite die Entrüstung der Einfalt gegen etwas »Vielfältiges«“). Also, ich glaube allmählich, unser Kommentator ist ein Krypto-Nietzscheaner, er weiß es nur nicht. Aber damit ist er nach seiner eigenen Logik selbst nur ein Element der großen Übel dieser Welt.


Fake News über eine teure Untersuchung

Heute vermeldet kath.net, dass die britische Regierung erwägt, so genannte reparative Therapien an Homosexuellen zu verbieten.[8] Die Meldung wird garniert mit dem Hinweis, der dazu erstellte Report habe 4,5 Millionen Pfund (gut 5 Millionen Euro) gekostet.

Berufen kann sich kath.net im Blick auf eine Meldung ihrer ideologischen ‚Partnerseite‘ LifeSite­News.[9]

Nun könnte man als Journalist zwei Dinge tun: einfach mal nach dem Report googlen, denn die Summe von 5 Millionen Euro für eine Befragung von 100.000 Menschen erscheint doch exorbitant hoch. Oder man könnte wenigsten die zitierte Quelle NBC News aufrufen.[10] Dort würde man erfahren, dass die genannte Summe für den gesamten künftigen LGPT-Plan ist. Und wenn man das Original aufgerufen hätte, hätte man erfahren, dass die Summe eine Ankündigung ist, demnächst 4,5 Millionen Pfund für ein Programm zur Verfügung zu stellen, der Bericht also nichts damit zu tun hat. So leicht produziert man Fake News mit LifeSiteNews. Die widerlichen Kommentare darunter lasse ich dieses Mal aus.


Unglaublich! Irre! Es gibt Menschenrechte?

Eine der wichtigen Lehren, die die bundesrepublikanische Gesellschaft, aber auch die Europäische Union aus dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus gezogen haben, war die strikte Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte, die dem einzelnen Subjekt und nicht nur dem Bürger eines bestimmten Staates unveräußerlich sind. Zu diesen Menschenrechten gehört u.a.: Menschenwürde / Geltung der Rechte für alle Menschen in allen Ländern und Gebieten, unabhängig von ihrer internationalen Stellung / Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit / Verbot der Folter oder grausamer, unmenschlicher Behandlung / Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson / Gleichheit vor dem Gesetz / Anspruch auf Rechtsschutz / Verbot der willkürlichen Verhaftung oder Ausweisung / Anspruch auf öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen Rechtsverfahren / Rechtsstaatliche Garantien: Unschuldsvermutung, keine Strafe ohne Gesetz. Und diese Punkte gelten unabhängig davon, ob ein Mensch seinerseits Recht verletzt hat oder nicht. Das ist die Nahtstelle aller aufgeklärten Zivilisation. Wer das in Frage stellt, kratzt an der Humanität und unterminiert das Gemeinschaftsleben aller Menschen.

Das kümmert die wenig, die Menschen einfach nur abgeschoben wissen wollen, völlig unabhängig davon, ob es rechtsstaatliche Verfahren und einen Schutz der Menschenwürde der Betroffenen gibt. Am 13. Juli 2018 meldet der schwarze Kanal kath.net: „Irre! Ex-bin-Laden-Leibwächter darf nach Deutschland zurück.“ Später wird aus dem „Irre!“ ein „Unglaublich“.

Nun, daran ist so ziemlich alles falsch. Nein es handelt sich nicht um den Ex-Leibwächter von Bin Laden, er wird dessen nur bezichtigt, bestreitet es aber, das diesbezügliche Verfahren wurde eingestellt. Er darf nicht nach Deutschland zurück, vielmehr ordnete ein Gericht seine Rückführung an, weil er durch grobe Verstöße gegen die Rechtsordnung von deutschen Behörden nach Tunesien verschleppt wurde. Wenn er zurückgebracht wird, wird er wieder in Haft genommen, wie auch schon vor seiner rechtswidrigen Abschiebung. Wenn wir Menschen, von denen wir glauben, sie hätten ein Verbrechen begangen, nicht die elementarsten Menschenrechte (s.o.) zukommen lassen, machen wir uns Verbrechern gleich. Unsere gesamte Zivilisation hängt am Recht und an rechtsstaatlichen Verfahren. Nur weil es einem Innenminister so gefällt, kann nicht einfach ein „Gefährder“ abgeschoben werden. Hier haben Richter und Gerichte das letzte Wort. Es mag sein, dass sich katholisch nennende Plattformen aus dem Verlauf der abendländischen Geschichte den Schluss gezogen haben, dass man sich um Menschenrechte nicht zu kümmern brauche. Nicht umsonst ist der Vatikan diesen Rechtsordnungen nie beigetreten. Aber sie gelten dennoch, weil die Kirchen in all diesen Fragen dem Recht unterworfen und untergeordnet sind. Nicht die Religion, sondern das Recht ist die zivilisatorische Klammer, die alles zusammenhält. Deshalb ist es auch so riskant, wenn sie an bestimmten markanten Punkten durchbrochen wird. Ich bin sicher, in Österreich gelten dieselben Menschenrechte wie in Deutschland. Deshalb sollte auch eine österreichische Plattform hier die Standards der Zivilgesellschaft einhalten.


Rechts von der AfD

Kath.net und die anderen schwarzen Kanäle dienen der Thymossteuerung der rechten Bevölkerungssegmente. Das wird nun in den Kommentaren zu dem gerade genannten Artikel deutlich. Was sich hier artikuliert, ist deutlich rechts von der AfD, eher dem NSU als anderem zugeordnet. Ich dokumentiere nur einmal vier Kommentare aus den ersten 10 Meldungen nach dem Erscheinen der Meldung. Der erste Kommentator meint, wenn die Gesetze es nicht zulassen, dass man die Menschrechte verletzt, muss das eben juristisch möglich gemacht werden. So denkt der braune Bürger – weil er nichts von den nach 1945 eingeführten Ewigkeitswerten des Grundgesetzes weiß. Alle Politiker zusammen könnten die Grundrechte nicht abschaffen. Das ist die Lehre aus dem Nationalsozialismus. Der vierte Kommentator meint, die Richter von Gelsenkirchen, die die Menschrechte einforderten, stünden in den Fußstapfen von Freisler und Hilde Benjamin. Weil ja vermutlich auch Freisler die Menschenrechte gegen den Willen der Bürger durchgesetzt hat, oder warum? Ja, so etwas steht 24 Stunden lang auf den Seiten einer angeblich katholischen Plattform. Man muss sie deshalb damit benennen, was sie sind: faschistoide Hetzer. Das gilt auch für den, der glaubt, jemanden, der nicht(!) verurteilt ist, sondern nur als Gefährder eingeschätzt wird, als Verbrecher bezeichnen zu können und eine Gesetzgebung, die nicht Verurteilte vor Willkür schützt, als „irre“ zu charakterisieren. Die Aufforderung, die Richter, die die Menschenrechte schützen, müssten selbst in den Knast, nimmt sich vermutlich auch Vorbilder aus der Rechtsgeschichte der Nationalsozialisten. Nur wenige Kommentare später das: weil wir rechtsstaatlich handeln, leben wir in einer Diktatur. Darauf muss man erst einmal kommen. Das alles ist so braun, dass man doch erschrocken ist, dass man es nicht auf den Seiten irgendwelcher NSU-Sympathisanten gefunden hat, sondern auf einer, die sich angeblich mit dem katholischen Glauben beschäftigt. Würde man das für normal halten, müsste man daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass Menschenrechte und katholischer Glaube sich ausschließen. In Wirklichkeit schließen sich aber kath.net und katholischer Glaube aus. Wie Islamisten den Islam nutzen, um ihre reaktionäre Politik durchzusetzen, so nutzen Rechte den katholischen Glauben, um ihr Süppchen zu kochen. Kreuz.net lässt grüßen.


D-A-CH-Schaden

Neues aus Braunau – so könnte man das wohl nennen. Ein Weiser aus dem Land der ewigen Gestrigen, der schon nach wenigen Buchstaben durch Rechtschreibfehler in der Muttersprache auffällt, polemisiert gegen den deutschen Rechtsstaat. Ihn stört, dass in Deutschland nach Gesetzen und nicht nach Geld bzw. Kosten-Nutzen-Analysen Urteile gesprochen werden. Er nennt jemanden „Verbrecher“, der nicht ein einziges Mal rechtskräftig verurteilt wurde, ja dessen Verfahren eingestellt wurden, weil kein hinreichender Tatverdacht bestand. Das nennt der Weise: Irrenhaus. Ich nenne es: Rechtsstaat. Und jeden, der dagegen hetzt, nenne ich einen Hetzer gegen die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Darf man daran erinnern: Schon einmal ist jemand aus Linz aufgebrochen, die deutsche Rechtsordnung zu stürzen. Wehret den Anfängen.

Ein Schweizer Staatsbürger eilt dem Linzer zur Seite. Er meint, was soll die „sture Paragraphenreiterei“ in Deutschland? Man müsse gegenüber dem Beschuldigten „etwas mehr gesunden Menschenverstand“ zur Geltung bringen. Der „gesunde Menschenverstand“ braucht sich um „elementare Menschenrechte“ nicht zu kümmern. Brauchte er noch nie. Bei den Hugenotten nicht, bei den Juden nicht, bei den Muslimen nicht. Mir wird immer deutlicher, welchen Schaden der Vatikan dadurch anrichtet, dass er der Menschenrechtscharta der UNO nicht beitritt. Er suggeriert, diese sei etwas Relatives. Aber die Charta soll uns vor jenen schützen, die mal schnell den „gesunden Menschenverstand“ einsetzen, um Menschen der Folter auszuliefern. Wie sagte schon ein Kreuzfahrer vor Béziers: „Tötet sie! Der Herr kennt die Seinen!“ Dieses scheinbare Gottvertrauen teile ich nicht. Ich sehe, wenn ich die Kommentare bei kath.net lese, wozu Menschen fähig sind. Und davor schützt uns nur das Recht – und leider (auch das wissen wir seit 1933) nicht Gott.


Pinocchio

Pinocchio ist eindeutig der Lieblingsheilige der religiösen Rechten. Lügen wie gedruckt – das machen sie gerne.

Aktuell regt sich Peter Winnemöller über die verzerrte Darstellung bundesrepublikanischer Wirklichkeit durch linke Journalisten auf. Valide Untersuchungen würden zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Publizisten sich links verorten würde. Dazu verweist er auf eine Untersuchung des FOCUS von 2013 (seit wann ist dieser valide?) und Angaben von Statista, die sich freilich auf eine Online-Befragung von politischen Journalisten im Jahr 2010(!) beziehen. Seriös scheint mir das für das Jahr 2018 nicht. Inzwischen hat sich die gesamtpolitische Lage doch sehr geändert. Nachprüfbarer sind aber andere Thesen die Winnemöller aufstellt. So äußert er sich zu den politisch motivierten Straftaten in unserer Gesellschaft. Da gibt es nämlich Schlimmes zu berichten:

Zahlenmäßig und nach Anzahl der begangenen Straften, so behauptet Winnemöller, überwiegen die der Linken bei weitem. Das zumindest kann man nachprüfen, gibt doch die Bundesregierung Jahr für Jahr die PMK (die Statistik über Politisch Motivierte Kriminalität) heraus. Schlagen wir also die Ausgabe 2017 auf. Winnemöller hat Recht: Die Rechten sind mit läppischen 20.000 Straftaten verzeichnet, die bösen Linken dagegen mit ungeheuerlichen 10.000. Mit Abstand führen – die Rechten!

Doppelt so viele Straftaten rechts wie Straftaten links. Hatte Winnemöller nicht das Gegenteil behauptet? Aber, aber, Pinocchio! Seit zehn Jahren, darauf verweist das CDU-geführte Bundesministerium des Inneren, liegt die Zahl der rechten Straftaten am Gesamtstrafenaufkommen doppelt so hoch wie die linken.

Was Winnemöller meint, aber nicht schreibt, sind in Wirklichkeit die politisch motivierten Gewalttaten. Während diese 2016 tatsächlich bei beiden extremen Lagern gleich häufig waren, sind sie 2017 – bedingt durch den Hamburger G20-Gipfel wie die Regierung hervorhebt – sehr ungleich. Winnemöller meint nun, der Bürger fühle sich durch die Entwicklung bedroht. Das ist deshalb interessant, weil das Innenministerium darauf verweist, dass die Bedrohung insgesamt zurückgegangen sei.

Und welches Risiko besteht nun für den Bürger? Der Anteil der Körperverletzungen ist jedenfalls um 30,5% gesunken. Das statistische Risiko eines Bundesbürgers, Opfer einer politisch motivierten Körperverletzung zu werden, liegt bei sagenhaften 0,000025825% - im Jahr! Das ist natürlich reinste Anarchie. Wer es noch einmal in den Worten des Innenministers hören möchte:

Die Zahl der durch politisch motivierte Gewaltkriminalität körperlich verletzten Personen ist um 28,5 % (2017: 1.870; 2016: 2.616) gesunken. 714 der Opfer wurden durch linksmotivierte, 821 durch rechtsmotivierte Gewalt, 105 durch Gewalt im Bereich der PMK -ausländische Ideologie - und 83 im Bereich der PMK - religiöse Ideologie -, verletzt.

Wie schrieb schon Winnemöller: „Zahlenmäßig und nach Anzahl der begangenen Straftaten überwiegen die Linken bei weitem.“ Man muss einfach nur die Worte „überwiegen“ und „bei weitem“ neu definieren, dann kommt es irgendwie hin. Darf man darauf hinweisen? 2017 starben im Durchschnitt fast 9 Menschen pro Tag im Straßenverkehr, mehr als 1000 wurden täglich verletzt. Aber das macht uns keine Angst, wir lieben ja den Straßenverkehr.


Wo hat Gandalf Theologie studiert?

Heute empört sich kath.net über einen Bischof aus Malta, der einen nicht aufgebbaren Zusammenhang von Eucharistie und Flüchtlingsfragen sieht. Die Eucharistie verliere "ihre gesamte Bedeutung und Wirkung, wenn die Armen ignoriert und gedemütigt werden" schrieb er an seine Gemeinden. Das findet Gandalf, der große Weise aus dem Tal der religiös Ahnungslosen, empörend und er fragt sich, wo dieser Mann eigentlich studiert hat. Das lässt sich leicht beantworten: der Mann hat an der päpstlichen Lateranuniversität in Rom kanonisches Recht studiert, an der Päpstlichen Universität Heiliger Thomas von Aquin wurde er in Kirchenrecht promoviert. 2005 wurde er von Papst Benedikt XVI. zum Bischof von Gozo ernannt. So weit, so gut. Nun fragt man sich, wo hat eigentlich dieser 'Gandalf' Theologie studiert, dass er sich ein Urteil über den Bischof von Gozo und „das ideologisch aufgeblasene Thema Flüchtlinge“ erlauben kann? Gandalf ist ja eigentlich ein Zwerg der altnordischen Sage und bekommt nur durch Hollywood die mythische Bedeutung, die er bei manchen heute hat. Die ist aber wirklich nur mythisch und eingebildet. Von der Figur hinter Gandalf sagt man, dass es ein Theologe sei, wodurch und mit was er sich qualifiziert hat, wo er studiert hat, wo abgeschlossen, welche akademischen und kirchlichen Weihen er hat – das erfährt man nicht.


Dreisatzrechnung

Im Rahmen der Diskussion um den gerade erwähnten maltesischen Bischof wird dann auch schon mal gerechnet. Gar nicht mehr kalkulierbar, meint ein Kommentator, sei die Flüchtlingsbewegung. Nun, zumindest er kann nicht kalkulieren = rechnen, wie er sofort beweist. „Mit einem Schlag“ sei die männliche Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 30 Jahren um 20-25% erhöht worden, vorrangig durch Muslime. Das kommt einem dann doch etwas zu viel vor. Soll es ja auch.

Rechnen wir also nach: 2016 gibt es in Deutschland 15.272.859 Menschen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren. Gehen wir grob vereinfachend davon aus, dass die Hälfte davon männlich ist: 7.636.429 männliche Deutsche. Wenn nun „mit einem Schlag“, also sagen wir großzügig in einem Jahr, diese Zahl um 20-25% erhöht wird, dann müssten 1.527285 (bei 20%) bzw. 1.909107 (bei 25%) männliche Flüchtlinge im Alter von 15 bis 30 nach Deutschland gekommen sein. Tatsächlich kamen 2015 überhaupt nur 890.000 Flüchtlinge nach Deutschland und es wurden 2015 auch nur 476.649 Asylanträge gestellt. 31% der Flüchtlinge sind weiblich, bleiben 614.100 Flüchtlinge. Von diesen sind etwa 45% zwischen 15 und 30 Jahren alt. Bleiben 276.345 (= 0,28 Millionen) männliche Flüchtlinge/Migranten, die angeblich 20-25% der 7,6 Millionen darstellen. In Wirklichkeit sind es aber nur 3,6%. Faktisch argumentiert der Kommentator mit einigen, wenigen Stadtvierteln. Aber selbst, wenn alle männlichen Flüchtlinge des Jahres 2015, die damals zwischen 15 und 30 Jahre alt waren, ins Ruhrgebiet geschickt worden wären, ergäbe sich kaum der genannte statistische Effekt. Und das Ruhrgebiet umfasst nur gut 6% der deutschen Bevölkerung.


Gegenbewegungen

Es ist ganz interessant. Bei kath.net sind jetzt sozusagen einige ‚Gegendemonstranten‘ aufgetaucht. Sie wollen dem Mob mit rationalen Argumenten entgegentreten. „Phil2“, „Rozaniec“ und „Nachgedacht“ versuchen, unter Verweis auf die geltende Rechtslage, Ordnung in den Diskurs zu bringen. Das machen sie hermeneutisch sehr einfühlsam. Aber das macht natürlich nur unter zwei Aspekten Sinn: a) die am Diskurs Beteiligten lassen sich auf rationale Argumente ein; b) es soll wenigstens die Stimme der Vernunft erklingen, auch wenn nicht auf sie gehört wird. Ersteres sehe ich nicht, letzteres leuchtet mir unmittelbar ein. Wie wenig Ersteres funktioniert sieht man daran, dass viele an der Diskussion Beteiligten ernsthaft meinen, man könne alle Rechte gegenüber dem Staat verwirken. Das ist definitiv falsch. Es gibt grundsätzliche Rechte, die der Staat nicht aufheben kann. Wie wenig Interesse an Aufklärung besteht, sieht man spätestens, wenn Gandalf einen nicht Vorbestraften einfach als Verbrecher bezeichnen kann. Bleibt der Wunsch, im schwarzen Sumpf wenigstens einige Blumen der Humanität und der Rechtsstaatlichkeit zu setzen. Das ist den Beteiligten gelungen und das muss man positiv hervorheben.

Die Reaktionäre werden sich (leider) nicht einsichtig zeigen – sie wissen ja nicht einmal, wo der sprichwörtliche Pfeffer wächst. Ganz sicher nicht in Tunesien. Und ja, wenn ich mir diese Stimme des Volkes so anhöre, dann denke ich auch, unsere Gesetze sind unglaublich. Gott sei Dank, dass wir sie haben.


Von deutschen Eichen, Giftzwergen und Global Rankings

Der frühere Papst Benedikt XVI. hat in einer Zeitschrift Notizen zum Verhältnis des katholischen Christentums zum Judentum publiziert. Das ist bemerkenswert für einen Papst, der angekündigt hatte, nach seiner Abdankung sich nicht mehr ins kirchliche Tagesgeschäft einzumischen. Auch ohne die Publikation des Textes wäre schon der Umstand notabel, dass der frühere Papst Anmerkungen zur aktuellen Theologie herumschickt. Aber das ist eine binnenkirchlich katholische Frage. Nun sind seine Anmerkungen nicht ohne Widerspruch geblieben. Mehrere katholische Theologen haben in den Notizen Benedikts einen Rückschritt im Dialog mit dem Judentum sehen wollen. Und auch die Mehrzahl der jüdischen Theologen, die sich dazu geäußert haben, sahen den Vorgang kritisch. An Schärfsten hat sich nun der Dogmatiker Michael Böhnke geäußert, der nicht nur einen Rückschritt im theologischen Gespräch erkannte, sondern auch einen Rückfall hinter die Theologie nach Auschwitz und dadurch auch die Lebensleistung Josef Ratzingers tangiert sah: Man könne ihn nun nicht mehr als großen Theologen ansehen. Hier spricht natürlich deutlich die Enttäuschung eines Theologen, der am christlich-jüdischen Gespräch beteiligt ist und dieses nun gefährdet sieht. Aber auch das gehört in die Kategorie „Innerkatholische Auseinandersetzungen“.

Heute meldet nun die Werbeplattform kath.net: „Ein ‚No-Name-Dogmatiker‘ attackiert Benedikt XVI.“ In unglaublicher Weise habe der Dogmatiker den emeritierten Papst angegriffen. Diese Meldung dient natürlich nur der Empörungssteuerung der reaktionären Klientel, welche kath.net bedient. Und der Mob schlägt wie bei einem Pawlowschen Reflex zu. Voraussetzung der nun folgenden Invektiven gegen den Dogmatiker ist, dass bei kath.net unisono Benedikt XVI. als der größte deutsche Theologe wahrgenommen wird. Das wird thetisch gesetzt. Wenn nun ein anderer Theologe sich kritisch zu ihm äußert, ist er qua Definition niederrangig.

Lustig ist noch ein Kommentator, der Folgendes von sich gibt: Michael Böhnke sei wissenschaftlich gesehen zwei-dimensional, Benedikt aber drei- oder sogar mehrdimensional. Das ist deshalb lustig, weil man ja immer einen Standort braucht, um derartige Urteile von sich zu geben, „Quirinusdecem“ das also nur beurteilen könnte, wenn er selbst über die entsprechende mehrdimensionale Wahrnehmungsweise verfügte, mithin Benedikt nahezu gleichwertig wäre. Ist das nicht etwas zu viel der Hybris? Einen anderen herabzusetzen, indem man sich selbst erhebt?

Gandalf, der Weise bei den Zwergen aus dem Auenland, benennt Michael Böhnke dann auch direkt als Giftzwerg. Er muss es wissen, er bewegt sich ja in diesen Welten. Nun ist dieses Wort in unseren Zeiten nicht unproblematisch. Es besagt ja nichts anderes, als dass jemand eine körperliche Behinderung durch erhöhte Aggressivität zu kompensieren sucht. Ich persönlich finde, es kommt Gandalf als selbst ernanntem Christenführer nicht zu, derartige verunglimpfende Vokabeln zu verwenden. So etwas fällt auf ihn selbst zurück. Schließlich ist Gandalf von Zwergen umgeben.

Interessant fand ich, dass die Kommentatoren bei kath.net tatsächlich geneigt sind, das „Ranking“ als Kriterium von Theologie zu akzeptieren. Ich vermute, Jesus wäre im Ranking der zeitgenössischen Theologen der Hillel-Schule und der Schammai-Schule auch nicht weit vorne gewesen. Aber sei’s drum. Also gesetzt den Fall, Ranking habe tatsächlich bei theologischen Fachfragen eine Bedeutung – was ich bestreiten würde -, dann gibt es natürlich wissenschaftliche Kriterien dazu. Das wäre etwa der H-Index als „Kennzahl für das weltweite Ansehen eines Wissenschaftlers in Fachkreisen“. Der lässt sich für Benedikt XVI. schnell feststellen. Und dann merkt man: man hat im Studium bei mehreren Theologen studiert, die einen deutlich höheren H-Index haben. Die also bedeutendere Fachwissenschaftler sind bzw. waren als Benedikt resp. Ratzinger. Das Kriterium „großer Theologe“ – wenn es nicht rein feuilletonistisch sein soll – kann aber nur nach wissenschaftsinternen Formeln und nicht nach Geschmackskriterien bestimmt werden. Im H-Ranking ist Benedikt gerade mal durchschnittlich – so weh das manchem seiner Jünger auch tun mag. Wir können zum Vergleich Karl Barth daneben stellen oder auch Paul Tillich oder Karl Rahner – da sind Welten dazwischen. Ich will jetzt keinem konservativen Katholiken zu nahetreten, aber selbst im Blick auf Eberhard Jüngel liegen noch Welten dazwischen. Und das liegt nicht an der Menge der publizierten Texte, sondern an ihrer Qualität.

Nun geht es ja darum, dass den kath.net-Kommentatoren übel aufstößt, dass jemand mit geringerer wissenschaftlicher Bedeutung als Benedikt sagt, dieser sei kein großer Theologe. Die Frage aber ist, würden sie es denn schlucken, wenn es jemand sagte, der ein vielfach höheres Ranking als Benedikt hätte? Jemand, der zu den bedeutendsten Wissenschaftlern der Welt gehörte und bei dem sich das im H-Index auch ausweist? Der über Thomas von Aquin promoviert hat und in mehreren Wissenschaftsdisziplinen reüssierte? Und dessen Urteil über Benedikt schlicht so lautet: Ich glaube nicht, dass Ratzinger ein großer Philosoph und Theologe ist – auch wenn das im Allgemeinen oft so dargestellt wird. Ratzinger sei eigentlich ein grober Polemiker, der sich oft nicht über das intellektuelle Niveau eines Grundschullehrers erhebe. Seine philosophische Ausbildung sei schwach. Insofern sei er bloß ein guter Kollege. Die wissenschaftliche Bewertung zwischen diesen beiden Wissenschaftlern bewegt sich übrigens im Verhältnis 1:10. Also befindet sich Michael Böhnke durchaus in guter Gesellschaft mit seinem kritischen Urteil. Benedikt ist nicht der Stephen Hawkings der Theologie.

Faszinierend ist schließlich auch noch der Tatbestand, dass die Mehrzahl der Kommentatoren auf kath.net freimütig einräumt, sie hätten überhaupt nicht verstanden (oder gar nicht erst gelesen), was Michael Böhnke geschrieben hat. Aber was immer er auch schreibe, gefalle ihnen nicht, selbst wenn sie es nicht verstünden. Da kann man nur sagen: Sancta Simplicitas!

[Als sich Jan Huss dem Scheiterhaufen näherte, erblickte er einige arme Gestalten, die mühsam Reisig herbeischleppten in dem Glauben, sich das Himmelreich zu verdienen, wenn sie zur Verbrennung eines Ketzers beitrügen. Da brach Huss in die Worte aus: „Sancta Simplicitas!“ (Heilige Einfalt)]

Anmerkungen

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/114/am635.htm
© Andreas Mertin, 2018