Mit Blick auf Rom

Fotografie und Druckgrafik im medialen Wettstreit

Gerd Steinmüller

Anders als bis dahin üblich, beruht die hier abgebildete Rom-Ansicht auf keiner gezeichneten, sondern fotografierten Vorlage, genauer: auf einer Daguerreotypie. Das Blatt – eine Radierung und Aquatinta auf China-Papier mit den Bildmaßen 149 x 200 mm auf einer 229 x 285 mm großen Platte – entstammt dem zweiten Band der Excursions daguerriennes. Vues et monuments les plus remarquables du globe, die Lerebours zwischen 1840 und 1844 in Paris herausgab. Noël Paymal Lerebours (1807-1873) war Optiker, der das von Louis Jacques Mandé Daguerre entwickelte und nach ihm benannte Unikat-Verfahren sogleich optimierte, nachdem es im Sommer 1839 vor der Französischen Akademie der Wissenschaften bekannt gegeben worden war.

Schon ab Herbst 1839 produzierte Lerebours eigene Kameras, mit denen er speziell geschulte Fotografen, darunter auch den Historienmaler Horace Vernet, ausstattete, um für ihn die „bemerkenswertesten Ansichten und Monumente der Welt“ aufzunehmen. Die so entstandenen Daguerreotypien wurden dann in Lerebours‘ Pariser Werkstatt von professionellen Stechern und Lithografen druckgrafisch übersetzt und auf diese Weise multipliziert.

Das alte Medium Druckgrafik kompensierte somit das Manko der Nichtreproduzierbarkeit, das dem neuen fotografischen Medium anfangs noch anhaftete; es erlaubte zudem die Korrektur der für die Daguerreotypie spezifischen seitenverkehrten Abbildung. So auch in der vorliegenden Rom-Ansicht, die im Vordergrund den östlichen Teil des Forum Romanum um 1840 – damals nach seiner Hauptfunktion noch Campo Vaccino (Kuhweide) genannt – seitenrichtig wiedergibt. Rechts sieht man den Tempel des Antoninus Pius und der Faustina (San Lorenzo in Miranda), woran links die damalige Wohnbebauung und eine Allee anschließen, die im Zuge der Ausgrabungskampagnen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr bald verschwinden sollten.

Jedoch waren es nicht nur die genannten Defizite des neuen Mediums, die der rechts unterhalb des Bildrandes als Stecher bezeichnete, nicht näher bekannte A. Appert auszugleichen hatte. Er musste darüber hinaus die Vorzüge der Daguerreotypie gegenüber dem alten Medium Druckgrafik druckgrafisch zur Geltung bringen. Dazu gehörte vor allem, die von den Zeitgenossen bewunderte höchste Präzision in der fotografischen Wiedergabe von Beleuchtungseffekten, Halbtönen, Materialien, Oberflächen und architektonischen Details nunmehr auch im Druck zu erreichen, wozu Radierung und Aquatinta eine bis dahin unbekannte technische Perfektion erlangen mussten. Zudem galt es, jegliche künstlerische „Handschrift“ und damit subjektive Auffassung des Motivs zu vermeiden, um dem mechanischen, langen Belichtungszeiten geschuldeten „Look“ der Daguerreotypie möglichst nahezukommen. Der recht ungewöhnliche Blick auf den antiken, zur Kirche umfunktionierten Tempel aus südlicher Richtung – überliefert sind zumeist Ansichten vom Kapitol aus – wird daher auch durch keine nachträglich hinzugefügte figürliche Staffage abgelenkt, wie es in anderen Blättern der Excursions daguerriennes häufig geschieht. Die ewige Stadt erscheint jetzt wie ausgestorben, von allem Ephemeren gereinigt und auf das Wesentlichste reduziert: Licht und Architektur.

Gleichwohl fehlte nach wie vor die Farbe. Zwar hatte Hippolyte Fizeau schon 1840 eine Goldtonung entwickelt, um Daguerreotypien natürlicher erscheinen zu lassen, doch war man hinsichtlich des neuen Mediums noch länger gezwungen, auf ein schon bei Druckgrafiken bewährtes Verfahren zurückzugreifen, nämlich die Handkolorierung. Mit der Chromolithografie, 1837 von Godefroy Engelmann patentiert und nach Erfindung der Steindruck-Schnellpresse um 1871 zunehmend verbreitet, änderte sich gewissermaßen der Spielstand: Das Medium Druckgrafik trat für kurze Zeit aus dem Schatten der Fotografie und sollte eine neue Runde des medialen Wettstreits einläuten, der eigentlich schon längst entschieden schien.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/113/gest02.htm
© Gerd Steinmüller, 2018