Die ‚christlichen‘ Totengräber der Demokratie

Eine Wutrede

Andreas Mertin

Es gibt Möchtegern-Totengräber dieser deutschen Republik, denen kann es nicht schnell genug gehen mit dem Untergang der Demokratie, und die deshalb jeden normalen demokratischen Akt in ein Todessignal umdeuten. Wie der Bestattungsunternehmer in den Comics mit Lucky Luke nehmen sie schon Maß am höchst lebendigen Subjekt und hoffen auf einen möglichst schnellen Vollzug. Und wo sie können, leisten sie der Unterminierung der Glaubwürdigkeit dieser Republik Vorschub, indem sie Unsinniges verbreiten.

Zu diesen Totengräbern der deutschen Demokratie gehört Peter Winnemöller, der unter dem angemaßten Etikett „katholisch“ reaktionäre Ansichten verbreitet. Jüngst schreibt er auf der umstrittenen Plattform kath.net, die keinesfalls für den deutschsprachigen Katholizismus steht, sondern für ewiggestriges Denken:

Erstmals übernimmt in der Bundesrepublik Deutschland eine abgewählte Regierung beinahe nahtlos erneut die Regierungsgeschäfte. Bei der vergangenen Bundestagswahl stürzten die ehemaligen Volksparteien in ungeahnter Weise ab. Der Sinkflug in den Umfrage geht ungebremst weiter. Mit 30 % CDU und 17% SPD hätte die sogenannte „Große Koalition“ keine eigene Mehrheit mehr. Diese mehrheitslose Regierung schickt sich nun an, die Macht weiter in ihren Händen zu halten.

Das ist bar jeden vernünftigen Sinns – Fake-News im besten Stil von Donald Trump. Keinesfalls wurde die große Koalition in Deutschland abgewählt. Es sei denn man entleert das Wort „abgewählt“ jeglicher Denotation. Als „abgewählt“ bezeichnet man eine Regierung dann, wenn es ihr nach der Wahl rein zahlenmäßig nicht mehr möglich ist, eine neue Regierung zu bilden. So wurde die rot-grüne Koalition in Niedersachsen abgewählt.

Für die Bundesrepublik Deutschland kann von ‚abgewählt‘ keine Rede sein. Im Bundestag in Berlin verfügt die große Koalition über eine satte Mehrheit von 399 Sitzen gegenüber 310 Sitzen der Oppositionsparteien. Diese Mehrheit mag geringer sein als fünf Jahre zuvor, aber abgewählt ist man nicht, wenn man 89 Sitze mehr als die Opposition hat. Alles andere ist Demagogie. Man mag argumentieren, der Denkzettel des Verlustes an Zustimmung müsse bedacht werden, aber im Parlament geht es um die Politik des Machbaren.

Und machbar sind in diesem Parlament drei unterschiedliche Koalitionen, von denen eine aller Voraussicht nach die stabilste ist: die Große Koalition. Bedenkt man, dass sich die Opposition selbst noch einmal in zwei völlig konträre Lager aufteilt, dann ist das Argument, die Regierung sei „abgewählt“ schlicht Quatsch. Im Gegenzug mit Umfragewerten zu argumentieren, heißt nun wirklich, den Gedanken einer repräsentativen Demokratie auf den Kopf zu stellen. Schlimm genug, dass Umfragen immer stärker bei Politikern Berücksichtigung finden, aber nur, weil man einer Umfrage entnimmt, die Regierung verfüge über weniger als 50% an Zustimmung (das wären aber immer noch die Mehrheit der Sitze), von einer „mehrheitslosen“ Regierung zu schwafeln, ist schlicht nur dumm. Zeitgleich gibt es drei andere Umfragen, die der Regierung 54%, 55% oder exakt 50% zuweisen. Aber Umfragen sind keine Abstimmungen, sie sind überhaupt kein Ersatz für den Souverän, der im September abgestimmt hat. Und er hat der Großen Koalition eine ausreichende Mehrheit fürs Regieren beschert.

Unser Totenträger fährt fort:

Klare Rechtsbrüche bei der Eurorettung und in der Einwanderungsregelung waren nur die Spitze des Eisberges. Netzwerkdurchsetzungsgesetz und „Ehe für alle“ wurden im Handstreich durchs Parlament gepeitscht. Ein Gesetz, das in Deutschland den Weg für den assistierten Suizid öffnete, war ein weiter ethischer Tiefpunkt der vergangenen Legislaturperiode.

Keiner dieser Behauptungen ist seriös. Für jeden potentiellen Rechtsbruch der Regierung steht den Parteien der Rechtsweg offen. Und das Spektrum im Bundestag ist so breit, dass es im Bedarfsfall Kläger gäbe. Aber weder für die Eurorettung noch für die Einwanderungsregelung hat das Bundesverfassungsgericht von klaren Rechtsbrüchen gesprochen. Nur weil man meint, es sei ein solcher, ist das noch nicht wahr. Alle weiteren benannten Gesetze und Beschlüsse sind normale Beschlüsse unseres Parlaments, zum Teil auf der Grundlage intensiver und jahrelanger Erörterungen. Ich weiß nicht, wie viele Jahrzehnte ein Gesetzesprozess dauern soll, damit er Gnade bei Peter Winnemöller findet, aber die Ehe für alle ist seit 10 Jahren (!) auf der Agenda des Bundestages, der erste Gesetzesentwurf, den ich auf die Schnelle finde, stammt von 2009. Wer dagegen hetzt, weil alles so schnell gegangen sei, belügt seine Leserinnen und Leser. Von Handstreich (welches Wort!) keine Rede. Oh, welche Überraschung: ein Gesetzesvorschlag von 2009 kommt 2017 zur Abstimmung! Wer konnte damit rechnen?

Was das Gesetz zum assistierten Suizid betrifft, so überrascht es nicht, dass der so an Umfragen orientierte Peter Winnemöller dieses Mal auf dieses Argument verzichtet. In dieser Frage wäre eine satte Bevölkerungsmehrheit für viel weitergehende Lösungen gewesen. Man kann mit guten Gründen mit diesem Gesetz nicht einverstanden sein, aber ganz gewiss nicht in die Richtung, in die Winnemöller denkt. Bundesrichter Thomas Fischer hat seinerzeit in seiner Kolumne auf Zeit Online verschiedene Argumente zusammengetragen. Zusammengefasst: „Die paternalistische Verwaltung des Sterbens und die gnadenlose strafrechtliche Verdrängung des Suizids in den Bereich der Illegalität, der Depression und der erschreckenden Gewalt bewirken nicht einen Schutz des Lebens, sondern dessen Verhöhnung.“ Winnemöller insinuiert aber, der Bundestag habe mit seiner Entscheidung einen Tabubruch begangen. Wer so redet, delegitimiert die Verfassungsorgane. Er hat schlicht anders entschieden, als Winnemöller es wollte.

... dieses Land ist mit dieser Koalition auf dem Niveau einer Bananenrepublik angekommen, die nicht einmal selber Bananen anbauen kann.

Wer die rechtsstaatlich organisierte Bundesrepublik Deutschland, die ein demokratisches System besitzt, um das uns viele Ländern auf der Welt beneiden, die Minderheiten Rechte einräumt, die man in der Mehrzahl der Ländern dieser Erde nicht bekommt, wer diese Republik als Bananenrepublik bezeichnet, will, dass sie wie einst Weimar untergeht. Zur Erinnerung, was mit Bananenrepublik gemeint und unterstellt ist:  

Bananenrepublik ist die abwertende Bezeichnung für Staaten, in denen Korruption und Bestechlichkeit vorherrschen, deren Rechtssystem nicht funktioniert, wirtschaftliche oder politisch-moralische Verhältnisse von Ineffizienz und Instabilität geprägt sind oder in denen staatliche Willkür herrscht oder denen diese Eigenschaften zugeschrieben werden.

Die reaktionären Kommentatoren, die von der Bananenrepublik Deutschland schwafeln, tun dies, weil sie sich aus dem Zerfall einer freien demokratischen Kultur irgendwelche Vorteile erhoffen. So wie der Bestattungsunternehmer bei Lucky Luke, der möglichst viele Särge verkaufen will. Als Demokraten sollten wir den hoffnungsvollen Totengräbern der Demokratie das Handwerk erschweren. Im eigenen Interesse, denn die Geier warten schon.


P.S.

Ich schrieb schon einmal in diesem Magazin, die gesellschaftspolitische Funktion von religiös-reaktionären Plattformen wie kath.net oder idea ist es gar nicht, wertekonservative Argumente unter das Volk zu bringen. Das behaupten sie nur. In Wirklichkeit dienen sie nur der Thymossteuerung der Bevölkerung – wie es der Chefideologe der AfD einmal nannte. Wie bei breitbart.com ermöglichen sie den Kommentatoren unter den Artikeln, sich in Wallung zu versetzen und gegen die Gesellschaft, gegen Andersdenkende oder Minoritäten zu hetzen. Das gilt insbesondere für die umstrittene Plattform kath.net, bei deren Kommentaren Hetze gegen Homosexuelle normal ist. Zum Artikel von Peter Winnemöller gibt es mehrere bedenkenswerte Kommentare. Bedenkenswert ist daran vor allem, dass sie erst von der Redaktion freigeschaltet werden, bevor man sie lesen kann. Das heißt, die Redaktion hält so etwas für unbedenklich:

Ich halte dieses Geschreibsel für antisemitisch, rassistisch und verleumderisch. Der Stürmer hat auch nicht anders geredet, wenn er gegen das Weltjudentum hetzte, gegen Rothschild und die Umvolkung Deutschlands. Die Bezeichnung der gewählten Regierung als Volkszerstörer ist dabei vielleicht noch das geringste Übel, denn diese Beschränkten wissen gar nicht, was sie reden. Statistik und Empirie sind für sie nur Fremdwörter und Geschichtskenntnisse überflüssig. Die Polemik gegen George Soros ist nun in ihren antisemitischen Zügen nur noch bizarr, ja diese Juden sind seit Judas Zeiten satanisch. Man sollte kath.net, gerade weil sie solchen rechtsradikalen und antihumanistischen Müll immer wieder freischaltet, konsequent als das bezeichnen, wozu sie damit wird: eine AfD-Plattform.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/112/am624.htm
© Andreas Mertin, 2018