Da hilft auch kein Beten

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Andreas Mertin

Kesha – Praying – 2017

Ehrlich gesagt bin ich kein Fan der Musikvideos, die Jonas Åkerlund produziert – mit Ausnahme des frühen Videos „Smack my bitch up“ der Gruppe „The Prodigy“. Aber die Stars der Pop-Musik lieben und beauftragen Åkerlund und so stößt man immer wieder auf Musikvideos aus seiner Hand. So auch in diesem Fall, dem Video zu dem jüngst erschienenen Stück „Praying“ von Kesha, vormals Ke$ha. Berühmt geworden ist sie nicht nur als Background-Sängerin von Paris Hilton oder Britney Spears, sondern auch mit einem Party-Hit mit dem Titel „Tik Tok“. Dann geisterte sie durch die Yellow-Press mit diversen Anschuldigungen gegen ihren Produzenten Dr. Luke, bei denen man bis heute nicht weiß, ob sie substantiell waren oder nur den Versuch darstellten, aus einem Knebel-Vertrag herauszukommen. Zumindest das Body-Shaming, das sie ihm vorwarf, scheint nachweisbar zu sein. Dennoch endete der Prozess im letzten Jahr mit der Abweisung der Klage.

Ihr nun im August 2017 erscheinendes Album „Rainbow“ wird trotz allem bei einem Label von Dr. Luke und Sony verlegt. Ich schreibe das alles, weil es zum Verstehen des Stückes von Kesha wichtig ist. Denn nachdem sie mit dem Prozess nicht weitergekommen ist, versucht sie es mit ihren Musikstücken. Der Liedtext ist ziemlich durchsichtig auf Dr. Luke gemünzt und wiederholt in Anspielungen alle Vorwürfe, die vor Gericht nicht belegt und durchgesetzt werden konnten. Sie selbst sagt dazu nur, "’Praying’ is about hoping everyone, even someone who hurt you, can heal".

Well, you almost had me fooled
Told me that I was nothing without you
Oh, but after everything you've done
I can thank you for how strong I have become …
And we both know all the truth I could tell
I'll just say this is I wish you farewell

Letztlich scheint es mir im Liedtext darum zu gehen, doch noch in allem Recht zu behalten, wenn schon nicht vor Gericht, dann doch vor der Welt.


Die Umsetzung ins Video durch den Regisseur Jonas Åkerlund arbeitet nun mit all dem unerträglichen religiösen Kitsch, den die amerikanische Seele so hergibt und den man schon bei Lady Gagas Judas beobachten konnte. Es ist die religiöse Selbstverklärung schlechthin und es ist Synkretismus pur. Das Video ist – gerade auch in der Verbindung mit dem Liedtext und seinem Anlass -  ein Paradebeispiel dafür, was Karl Barth als Religion bezeichnet hat.

Das Video eröffnet damit, dass die Sängerin geschminkt in einem Sarg liegt und zwei sabbernde Schweine-Männer über ihr stehen. Und die Sängerin fragt sich im Off:

"Am I dead? Or is this one of those dreams? Those horrible dreams that seem like they last forever?”

Nun, wenn man im Sarg liegt, kann man sich solche Fragen schon stellen.

Dann erfolgt eine Überblendung und die Sängerin liegt nun auf einer Planke mit Rettungsring auf einem relativ ruhigen See, die Szene ist nun in Schwarz-Weiß und wieder lauschen wir der Off-Stimme der Sängerin:

If I am alive, why? If there is a God or whatever, something, somewhere, why have I been abandoned by everyone and everything I've ever known? I've ever loved? Stranded. What is the lesson? What is the point? God, give me a sign, or I have to give up. I can't do this anymore. Please just let me die. Being alive hurts too much."

Das sind so die großen Fragen, die sich Party-Girls stellen, wenn es ihnen mal schlecht geht und sie sich mies fühlen. Wie sich die Gottesfrage für die Saturierten vor allem stellt, wenn es mal nicht so richtig läuft (außer den Millionen $ auf dem Konto natürlich).

Als nächstes fährt die Kamera in das dramatisch geöffnete Auge der Sängerin und dem Betrachter wird klar: das Intro ist vorbei und das eigentliche Musikstück beginnt. Eine Minute dauerte das etwas zu melodramatisch geratene Einleitungsstück, schlechtes(tes) Theater würde ich sagen und man hofft, es würde nun besser werden. Wird es aber nicht.

Jetzt sitzt die Sängerin in einer überladenen Holzbude für fortgeschrittene Musiker und klimpert auf einem Klavier. Sie trägt Plateauschuhe, eine Dornenkrone auf dem Haupt und Engelsflügel auf ihrem Rücken. Um sie herum reihen sich zahlreiche Souvenirs, Kitschgegenstände und Accessoires. Und man kann sich fragen, wie diese ikonografische Konstellation von Engel und Dornenkrone zustande kommt.

Meine Vermutung lautet, dass Jonas Åkerlund hier ein Motiv des früh verstorbenen Jean-Michel Basquiat aufgreift, der 1981 einen gefallenen Engel mit Dornenkrone gemalt hatte. Dafür spricht, dass ansonsten die Kombination von Dornenkrone und Engelsflügel eher ungewöhnlich ist und Basquiat sich erkennbar mit der Figur identifiziert, so wie Kesha mit ihrer. Und vor allem ist Basquiats Motiv in Amerika derart populär, dass es mehrfach gecovert wurde. Wenn das zuträfe, dann müsste man auch in Betracht ziehen, dass Kesha sich als gefallener Engel sieht.

Kesha schreitet in der nächsten Szene eine Ikonostase plakativer Feststellungen ab, die auf Monitore gemalt sind (und auf die sie später einschlagen wird):

Dont‘ be yourself –
Be like TV –
You’re to thin –
Democrats are evil
usw.

Hier greift sie auf eine Installation aus der ‚wilden‘ kalifornischen Campingstadt Slab City („The last free Place in America“) zurück.

Auch die eben gesehene Holzhütte mit dem Klavier ist ein Bestandteil dieser Fluchtorts für Zivilisations-Nomaden, sie gehört offensichtlich zum dortigen ‚Künstler‘-Projekt East Jesus.

Slab City ist der einzige Ort, wo du willkommen bist, wenn keiner dich mehr haben will“ sagt einer seiner Bewohner.

Kesha betritt nun weitere Bereiche von Slab City, bunt gekleidet wie ein Hippie aus den 70er-Jahren. Dann läuft sie in einem regenbogenfarbigen Kleid mit einer karierten Fahne einen Strand entlang, den man als den in der Nähe von Slab City gelegenen Saltonsee identifizieren kann, ein Salzsee, 66 Meter unter dem Meeresspiegel. Von ihm weiß die Wikipedia unter anderem Folgendes zu berichten:

Der Verfall der Gebäude und Anlagen um den See erscheint in Folge 6 der 2. Staffel der Dokufiktion-Serie Zukunft ohne Menschen („Horrortrip“, USA 2010) als Beispiel dafür, was mit den Freizeitanlagen der Menschen nach einem fiktiven Verschwinden der Menschheit geschehen wird.

Der See dürfte auch jener sein, auf dem Kesha am Anfang des Musikvideos auf der Planke treibend gefilmt wurde, ein Motiv, das in der Mitte des Musikvideos wieder aufgegriffen wird. Kesha kommt auf ihrer Planke nach und nach zu Bewusstsein (sie erwacht aus ihrer Totenstaare) und wir sehen sie dann sich nach und nach aus ihren Verstrickungen lösend (aber immer noch von den Männer-Schweinen verfolgt).

Als neue dominante Location folgt nun nahezu unausweichlich der Salvation Mountain, der in der Nähe von Slab City gelegen ist. Dieser Salvation Mountain ist eine seit 1984 aus Tonnen von Lehm, Stroh und Farbe hergestellte so genannte „Kunst-Installation“ von jemandem namens Leonard Knight, der damit seine universale Botschaft „Gott liebt alle“ bzw. „Gott ist die Liebe“ mitteilen wollte. So etwas mit „Outsider-Kunst“ zu bezeichnen wäre wohl zu viel des Guten. Es ist eher ein anästhetischer Ort des Grauens, überfließender Erguss einer Selfmade-Hippie-Religion. Nicht einmal Salvador Dali käme darauf, so etwas zu etablieren.

Drei Minuten des fünfminütigen Videos sind nun vorbei und man hofft inständig, der Rest gehe möglichst schneller vorbei, aber es wird nur noch schlimmer. Kesha wandelt sich in einen schuppenbehafteten Phönix und rennt durch den Heilsberg und erklimmt das Gipfelkreuz. Und – whoops – ein bunter Bienenfresser taucht in der Schwarz-Weiß-Szenerie der dahintreibenden Kesha auf und symbolisiert eine hoffnungsvolle Zukunft. Kesha hat die Männer abgeschüttelt, ist unter dem Kreuz auf dem Gipfel des Salvation Mountain angekommen, fällt am Ufer des Saltonsee auf die Knie, erhebt sich von ihrer Planke – und mir wird endgültig übel.

Wer denkt, das ließe sich nicht noch steigern, irrt. Es geht immer noch schlimmer.

Nun fließen noch dunkle Tränenbäche aus ihren Augen, im kalifornischen Salzsee taucht ein Wal auf und schwingt seine Flosse, nachdem Kesha sanft über seine Haut gestreichelt hat.

(Madonnas Video „Cherish“ unter der Regie von Herb Ritts lässt grüßen).

Und Gipfelpunkt allen Kitsches: am Ende – wie kann es auch anders sein – geht die eben noch an Gott verzweifelnde Kesha jesusgleich über das Wasser:

I hope you're somewhere prayin', prayin'
I hope your soul is changin', changin'
I hope you find your peace
Falling on your knees, prayin'

Das ist wirklich die ultimative Anleitung zum ungläubig werden. Im Video freilich erscheint die apokalyptische Drohung, dies sei doch tatsächlich erst der Anfang vom Ende.

 

Man könnte nun meinen, Jonas Åkerlund würde das alles halbwegs aufklärerisch unter „bitterböse Ironie“ abheften. Aber es spricht wenig für diese optimistische Deutung. Es ordnet sich vielmehr in einen Retrokult ein, der die gesamte Popszene erfasst hat. Dass er nun noch fundamentalistisch religiös unterfüttert wird, mag einen befremden, überrascht aber nicht wirklich mehr.

Aber dass das Ganze in der amerikanischen Pop-Kritik als gelungener Feminismus gedeutet wird, macht einen nur noch fassungslos. Dan Weiss von Billboard nannte es “by some distance the most serious and emotionally overpowering work [Kesha] has ever released." Und Maria Shermann schreibt über die Location, die den Hintergrund des Videos bildet: "It’s the perfect backdrop for the song, [with its] bright, colorful bible verses painted on neon adobe in the Colorado Desert in California. It’s an unexpected place to find hope, mirroring Kesha’s move from desolation to empowerment." Es bedarf offenkundig nicht erst eines Donald Trump, um am amerikanischen Urteilsvermögen große Zweifel zu bekommen.

Kid Rock – Po-Dunk – 2017

Womit wir auch gleich beim zweiten vorzustellenden Video wären. Man fragt sich ja, ob es neben der einschlägig bekannten Alkoholikerin Lindsay Lohan noch andere „Künstler“ in Amerika gibt, die Trump unterstützen. Aber natürlich. Am 20. April besuchten Sarah Palin (nein, das ist keine Künstlerin), Ted Nugent und Kid Rock den 45. US-Präsidenten im Oval Office. Und Mitte Juli 2017 gab Kid Rock dann bekannt, dass er 2018 als republikanischer Senator für Michigan kandidieren wolle. Und passend dazu veröffentlichte er ein Musikvideo seines neuesten Stücks „Po-Dunk“, in dem er nicht nur zeigt, was er vertreten möchte, sondern auch, auf wen er sich dabei verlässt. Na, darauf freuen wir uns jetzt schon.

Das Video von Kid Rock ist deshalb interessant, weil es zum einen natürlich jene Leute zeigt, die zur bevorzugten Klientel des Präsidentendarstellers Donald Trump gehören, Menschen ohne Bildung und ohne jegliche Perspektive – aber mit religiöser Bindung.

Menschen, die im Elend leben, dies aber gar nicht wahrnehmen, sondern für gelingendes Leben halten.

Auf der anderen Seite ist der ostentativ gepflegte Hedonismus aber auch widerständig gegenüber mancher Spießigkeit des American Bible Belt. Der Musiker Kid Rock jedenfalls war nur so lange im Wahlkampf Unterstützer von Donald Trump bis ihm klar wurde, dass dessen Goutierung der amerikanischen evangelikalen wie katholischen Fundamentalisten seinen eigenen Interessen widersprach. Denn Abtreibung, so meinte Kid Rock, finde er gut, sonst hätte er bestimmt schon zehn Kinder.

Und in der Rassenfrage habe er auch andere Einstellungen, denn einige seiner Musiker sind Farbige. Mit Donald Trump einig dürfte er sich wiederum in der Waffenfrage sein, hier macht er ungeniert Werbung für die Waffenindustrie. Aber auch das bleibt – zumindest im Video – ambivalent.

Wie man überhaupt an keiner Stelle des Videos wirklich weiß, ob Kid Rock hier den ungezügelten Hedonismus bloß gutheißt oder ihn nicht doch (und sei es unfreiwillig) karikiert – etwa wenn die hochschwangere Frau (Momma looking good in some jeans all ripped / Got a baby in her belly and a baby on her hip) Zigarette raucht. Warum auch nicht. Noch mehr schaden kann’s ja nicht.

Die Groteske erreicht ihren Höhepunkt wenn die White-Power-Frauen Schießübungen machen und bei jedem Schuss zusammenzucken (oder sich die Ohren  zuhalten). Das muss doch Ironie sein.

Bible by the bed and a bottle sitting pretty
Pigskin on the TV, bacon in a skillet
An old mutt in the yard licking on an itch
Bunch of fake flamingos flocking by the ditch
(Can I get a witness?)

Ja, letzteres sage ich mir auch immer. Wollte man ein Propaganda-Video für ein ganz und gar verblödetes Amerika machen – hier wäre es. Vorhang auf: Die Ballermännerinnen  aus North-Michigan. 

Love us if you can, sorry if you can't
Holla if you is, shut up if you ain't

Da kann man nur sagen: Amen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/108/am601.htm
© Andreas Mertin, 2017