Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Videoclips IV

Besprechungen ausgewählter Videoclips zum Thema "Stilbildung"

Andreas Mertin

H.I.M.: Gone with the sin

Gothicstil. Routiniert melodisch morbid kommen H.I.M. (His Infernal Majesty) in ihrem Song "Gone with the sin" daher. Alles klingt ein wenig diabolisch verrucht und verwegen, Tod und Liebe werden auf vertraute Art und Weise vermischt, ein Hauch von Gothic wabert über den Bildschirm. Im Clip schlendert der Sänger zwischen Kreuzen und Engeln über einen mit Pflanzen überwucherten Friedhof, rote Blumen in der Hand, welche er am Ende auf einem offenen Feld niederlegt. Dazwischen Bilder von Körperflächen sich begehrender Menschen, melancholisch, verträumt, verschmelzend. "Die einzige und höchste Wollust der Liebe liegt in der Gewissheit, das Böse zu tun. Mann und Frau wissen beide von Geburt an, dass sich alle Wollust im Bösen findet" (Charles Baudelaire). Damit ist das generelle Thema von HIM angestimmt. Im Liedtext heißt das so: "I love your skin oh so white / I love your touch cold as ice / And I love every single tear you cry / I just love the way you're losing your life". Und dennoch: eine Lektüre von Gedichten aus der Zeit der schwarzen Romantik wäre immer noch aufregender als das, was der Clip samt Text und Musik bietet. Aber die Fans stört es nicht: "Da für mich His Infernal Majesty eine der besten Bands des Universums ist, habe ich ihnen diese Site gewidmet und hoffe, auch euch damit eine Freude zu machen. Für alle, die HIM noch nicht kennen: Sie kommen aus Finnland/Helsinki und liefern uns Fans eine geballte Ladung Rock, Metal und Gothic mit Popeffekten. Die Songtexte handeln überwiegend von Tod und Liebe, das heißt aber noch lange nicht, dass sie suizidgefährdet sind :-) Ich hoffe der skandinavische 5er wird noch ganz Europa erobern und uns weiterhin mit ihren Songs beglücken." schreibt Julia auf ihrer Homepage im Internet. Die Fans von HIM lieben die Koketterie mit dem Diabolischen und dem allerdings nur scheinbar noch Provozierenden (ein Nickname mit hinzugefügtem 666 gehört zur Selbstverständlichkeit im Chatroom der Gruppe). Auch Gothic ist inzwischen nur noch konventionell.


Madonna: Don't tell me

Westernstil. Vor kurzem im ICE: Durch den Gang läuft eine Jugendliche mit einem edlen schwarzen Cowboyhut auf dem Kopf. Kurze Irritation, dann die erinnernde Erkenntnis: Madonna hat wieder einmal vorbildlich gewirkt. Schon 1990 schrieb die TIME zur stilbildenden Kraft Madonnas: "Madonna wechselt ihr Erscheinungsbild wie eine Schlangenhaut: Einmal ist sie das schlimme Mädchen, Spielzeug für große Jungs, dann die unausstehliche Feministin, dann wieder die lüsterne Sexbombe, dann erscheint sie als Marilyn Monroe, wiedergeboren als Geist aus einer Wasserstoff-Flasche, die sich an Dick Tracy anschmiegt. Sie ist verschlagener und begabter als jeder andere, der in diesen Tagen auf der Bühne steht. Alle ihre Identitäten haben nur eins gemeinsam: Sie sind offensichtlich verführerisch künstlich. Sie dringen darauf, dass sie sorgfältig kalkuliert erscheinen. Darin schwelgen sie - und stiften das Publikum an, dasselbe zu tun". [TIME No. 31, 30. Juli 1990] Und nun also das Cowgirl - und wie man sieht, mit durchschlagenden Erfolg. Madonna, die Königin des unauthentisch Authentischen, wie eine Kritikerin schrieb, hat sich einen weiteren Stil assimiliert. Der Videoclip ist gleichzeitig auch einer über Stile, Stilbildung und mediale Inszenierungen. Wir sehen Madonna während sie ihr Lied singt scheinbar eine Landstraße entlang laufen. Die gesamte Inszenierung erinnert an Werbetafeln für Zigaretten und auch der eingeblendete Reiter könnte unmittelbar der Malboro-Reklame entsprungen sein. Gebrochen wird alles dadurch, dass Madonnas Auftritt immer wieder als bewusste Bühneninszenierung vor einer im Hintergrund ablaufenden Projektionsfläche erkennbar wird. Der gesamte Clip besteht aus Anspielungen auf klischeehafte männliche Haltungen, Gesten und Bewegungen. Lesbar ist der Clip ebenso als ironische Demontage des Malboro-Man (welcher am Schluss des Clips konsequent vom Pferd stürzt) wie auch als dessen ironische Adaption im Sinne einer weiteren möglichen weiblichen Inszenierungsform.


Christian: Es ist geil ein Arschloch zu sein

Trashstil. "Schon vor seinem Auszug war er Kult. Jetzt wird er es wahrscheinlich noch mehr werden. Die Rede ist von Christian, dem Nominator aus dem Big-Brother-Haus. Kaum ist er aus dem Container raus ging er nahezu direkt in's Studio, um seine erste Single aufzunehmen. Damit tut er es dem Großteil der Bewohner der ersten Staffel gleich: Zlatko, Jürgen, Alex, Andrea, John, Sabrina und Verena haben alle eine Single produziert und stehen jetzt im Showbusiness." Was sich so routiniert ankündigt, ist eine weitere Episode der offensichtlich unendlichen Big-Brother-Belagerung der Geschmacksnerven. In der Hitlist-Germany hielt sich das Lied längere Zeit auf Platz 1. Faktisch handelt es sich textlich um einen Wiederaufguss des Hits "Schwein sein" von den Prinzen, diesmal allerdings in einer Art Falco-Inszenierung. Schon bei den Prinzen hieß es: Die Welt ist ein Gerichtssaal und die Bösen kriegen recht! Du musst ein Schwein sein in dieser Welt, Du musst gemein sein in dieser Welt. Denn willst du ehrlich durchs Leben gehn, kriegst 'nen Arschtritt als Dankeschön. Gebrochen wurde dies seinerzeit jedoch im Videoclip, in dem man die Gruppe beim Fressgelage sah, sich überbietend in gesellschaftlichem Fehlverhalten und dreisten Unverschämtheiten. Sie trieben es immer bunter, verletzten und demütigten bedenkenlos ihre Mitmenschen, aber sie verwandelten die gesamte Szenerie am Ende auch in einen Schweinestall, der schließlich fast nur noch aus Mist bestand, welcher die ganze Gruppe einmüllte. Und auch bei Falco war jederzeit die ironisierende Inszenierung erkennbar. In der Neuauflage beim Big-Brother-Nominator Christian ist allerdings jeder Anklang an Reflektion oder ironische Brechungen verschwunden. Er kann seine Botschaft nur herausbrüllen: "Wenn du ein Schwein bist gehört dir alles allein ... Ich bin wie alle anderen auch nur in mich verliebt." Na fein. Das ist die Apologie der Ellenbogengesellschaft in Mundart und Perspektive der Neureichen aus dem Prolomilieu. "Und die Moral? Egal, wen interessiert das schon?" Auf weitere Einsichten aus der Welt des Trash darf man gespannt sein.


© Andreas Mertin 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 9/2001
https://www.theomag.de/09/am21.htm

Der  Buch-per-Klick-Bestell-Service
Andreas Mertin. Videoclips im Religionsunterricht, Göttingen 1999