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Magazin für Theologie und Ästhetik


Zeitgenössische Afrikanische Kunst

Eine Perspektive

Christian Hanussek

Bevor ich einige Positionen zeitgenössischer afrikanischer Künstler vorstelle, möchte ich kurz auf die Rezeptionsgeschichte afrikanischer Kunst in Europa im 20. Jahrhundert eingehen.

Afrikanische Artefakte wurden in den ethnologischen Sammlungen von Künstlern als Kunst "entdeckt". In Deutschland haben sich die Expressionisten und in Frankreich vor allem Picasso von diesen Objekten inspirieren lassen. Noch heute kann man die Faszination durch die Möglichkeiten an Abstraktion und Expression, die sie auf die europäischen Künstler ausgeübt haben, nachvollziehen.

In dieser Aneignung wurden sie aber auch idealisiert und Phantasien von Vitalität, Magie, natürlicher Körperlichkeit und Erotik, die in der "eigenen" Tradition vermisst wurden, auf sie projiziert. Diese "andere" Kultur wurde zur Fiktion des Ursprünglichen, einem komplementären Gegenüber zur Fiktion der voranschreitenden Avantgarde: Hier eine Künstlerpersönlichkeit, die in historischem Bewußtsein sich selbst reflektiert, dort eine geschichtslose "Stammeskunst", die kollektiv und ohne bewusste ästhetische Kriterien produziert wird. Während die Moderne in die Zukunft drängte, wurde Afrika in eine mythische Zeit versetzt und zum symbolischen Ort für das Vergangene stilisiert. In privaten Sammlungen sehen wir oft hoch-moderne und alt-afrikanische Kunst so nebeneinander als sei beides quasi als gegenseitige ideologische Bestätigung zu verstehen. Ein letzter Höhepunkt dieser Auffassung war 1984 die Ausstellung "Primitivism' in 20th Century Art" im Museum of Modern Art, New York, die im Titel eine "Affinity of the tribal and the modern" behauptete, in der Darstellung jedoch deutliche Grenzen zog. Als afrikanische Kunst wurden ausschließlich alte Objekte gezeigt, die aus ihren Funktions- und Bedeutungszusammenhängen herausgelöst waren. Es drängte sich hier wie in vielen anderen Ausstellungen afrikanischer Kunst der Eindruck auf, eine gegenwärtige afrikanische Kultur könne gar nicht für möglich gehalten werden.

Die im Titel behauptete Affinität wird im Katalog als ein abgehobener Kunstbegriff entwickelt, eine Gemeinsamkeit im Geiste aller Kunst, die in der Lage sei Kultur, Politik und Geschichte zu überwinden. Mit dieser Position sind wir in einer Gegenwart, die sich am Exotischen ästhetisch ergötzt und sich für Bedeutungen weniger interessiert.

Der in meiner Interpretation der Festlegung Afrikas auf einen symbolischen Ort für die Vergangenheit gegenüberliegende, im westlichen Kunstbegriff beinhaltete Fortschrittsglaube sieht die Folge der Werke als sich linear entwickelnd und leitet ihren Wert auch wesentlich aus ihrer Position auf dieser Linie ab.

Im 20. Jahrhundert wurde der Kunstbegriff durch die künstlerische Praxis immer wieder in Frage gestellt und erweitert, so dass heute eine Abgrenzung nicht mehr möglich erscheint, der Begriff sich in seinen Randbereichen mit anderen verbindet. Dabei wurde sowohl die Vorstellung einer linearen Entwicklung der Kunst in Frage gestellt als auch die Möglichkeit einer absoluten Perspektive, von der aus Kunst erkannt und bewertet werden kann.

Diese Überlegungen waren während meines Studiums in den 70er Jahren Ausgangspunkte für die Entwicklung meiner künstlerischen Arbeit. Diskreditierte Formen künstlerischer Praxis wie die figurative Malerei aufzugreifen, galt damals als Tabubruch ebenso wie der als obsolet angesehener Bezug auf die Bildtraditionen der Antike.

In den 80ern adaptierte ich verschiedene Konzeptionen des Bildraums aus der Kunstgeschichte und integrierte sie in meine Malerei. Das antike Relief lieferte ein Modell für einen nicht illusionistischen Bildraum und die Deckenmalerei der Renaissance das Modell einer parallelen Ebene der Malerei zu der der Betrachter.

Alte Bildtypen befragte ich auch nach Darstellungsformen z.B. die sogenannten "Ersatzköpfe", alt-ägyptische Portraitskulpturen, deren ursprüngliche Bedeutung die Archäologen kaum erklären können.

Die Beschäftigung mit außereuropäischer Kunst führte mich schließlich zu dem Projekt, das ich im Folgenden darstellen werde.

Anfang des Jahres realisierte ich einen Workshop im Goethe Institut in Yaoundé, Kamerun. Ich wollte versuchen, einen Einblick in die künstlerische Praxis und in die Konzeptionen der dortigen Künstler zu bekommen, diese Kunst quasi von innen heraus zu verstehen. Ca. 20 Teilnehmer haben ihre Arbeit vorgestellt und diskutiert. Dabei wurde der Begriff der cuisine artistique geprägt, der jeweilige Gebrauch bestimmter Ingredienzien und deren Verarbeitungsmethoden. In Anschluss an den Workshop habe ich noch viele Ateliers in Yaoundé und Douala besucht und mich an Diskussionen beteiligt, die in der kamerunischen Szene mit für mich überraschend harten Konfrontationen geführt werden.

Einige allgemeine Vorbemerkungen zu Kamerun und seiner Kunstszene: Kamerun liegt in Zentralafrika, hat sehr unterschiedliche Klima und Vegetationszonen und über 200 verschiedene Ethnien mit entsprechend vielen Sprachen. Die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung ist seit Mitte der 80er Jahre rückläufig. Öffentliche Dienste wie Postzustellung oder Nahverkehr gibt es nicht. Polizisten, Lehrer und Beamte erhalten sehr unregelmäßig - wenn überhaupt - Gehälter. Stattdessen ist Korruption sehr verbreitet, die wiederum die Entwicklung des Mittelstandes verhindert. Die zum Teil exzentrischen modernen Gebäude der 60er Jahre - etwa das Universitätsgelände von Yaoundé - erinnern an den Optimismus der ersten Jahre der Unabhängigkeit und sind in ihrem heutigen Verfallszustand Symbol für eine völlige Perspektivlosigkeit. Eine Möglichkeit des Aufholens, wie wir sie uns für "unterentwickelte" Länder vorstellen, scheint ausgeschlossen. Dieses Szenario gibt dem Land eine gedrückte Gesamtstimmung.

Die wenigen Ausländer, die in Kamerun leben, sind zumeist im diplomatischen Dienst oder für internationale, nicht kommerzielle Organisationen tätig. Sie bewegen sich weitgehend auf einer von der sozialen Realität abgehobenen Ebene, ähnlich wie die herrschende Schicht, die es durch rigorose Ausbeutung der Ressourcen zu großem Reichtum bringt.

Es gibt kein öffentliches Museum und keine Kunstakademie. In Mbalmayo, einer Kleinstadt, gibt es im Rahmen einer großen Missionsstation eine Kunstschule, die jedoch nicht das Niveau einer Hochschule hat. In der Universität Yaoundé gibt es eine Kunstabteilung mit eher sporadischen Veranstaltungen.

Die Künstler, die ich vorstellen möchte, sind um die 30 Jahre alt und Autodidakten. Einen gewissen Einfluss hatte Pascal Kenfack, ein älterer Künstler, dessen riesiges Atelier am Stadtrand von Yaoundé stets offen und Treffpunkt junger Kunstinteressierter ist.

Die wichtigsten Ausstellungsorte in Yaoundé sind das Centre Culturel Français und das Goethe Institut, das sich unter der Leitung von Peter Anders (1994-99) durch ein besonderes Engagement für bildende Kunst in Workshops und Ausstellungen mit deutschen und kamerunischen Künstlern profilierte.

In Douala, der wirtschaftlichen Hauptstadt Kameruns, wurde 1991 Doual'art gegründet als eine Art Kunstverein und wird von Marilyn Douala- Bell und Didier Schaub geleitet. Es wurden Kunstprojekte im öffentlichen Raum organisiert und seit 1995 gibt es auch eine große zentral gelegene Ausstellungshalle, die nicht nur als Galerie dient, sondern auch als Diskussionsforum und Treffpunkt für die Künstler. In einem Land ohne Postzustellung und kaum Telefonanschlüssen übernimmt Doual'art für die Künstler auch solche praktischen Funktionen wie Briefkasten, Telefon und e-mail.

La Récupération

wurde für mich zum Schlüsselbegriff für die jüngere kamerunische Kunst. Dieser Begriff, der von den Künstlern oft verwendet wurde, bezeichnet zum einen die Arbeit mit Assemblagen aus Objets trouvés, lässt sich aber auch verwenden für den Umgang mit Bildern, Bildtraditionen, Symbolen und der Arbeit der Künstler an deren Neubestimmungen.

Afrika wird von ausrangierten Konsumgütern Europas überschwemmt und hat zum Teil überraschende Fähigkeiten entwickelt sich diese anzueignen. Von Medien wie Film und TV über Textilien, Elektrogeräte bis zu Autos erscheinen viele Produkte in einem in den Ursprungsländern als hoffnungslos verbraucht angesehenen Zustand. Das Recycling oder la Récupération ist eine zentrale afrikanische Kulturarbeit; dieser Verdauungsprozess von fremden Abfällen muß als identitätsprägend angesehen werden.

Das Aufgreifen dieses Themas durch die jüngere Künstlergeneration führt jedenfalls in viel pragmatischere kulturelle Selbstbestimmungen als das ältere, noch aus dem Geist der "Négritude" stammende, eher idealistische Konzept einer Renaissance alt-afrikanischer Traditionen, das sich noch in den Arbeiten der älteren Künstler wie Pascal Kenfack und Joseph Soumégné finden lässt. (Die beide auch gefundene Materialien verwenden.) Marilyn Douala-Bell erzählte, dass vor ca. 5 Jahren dieser Bruch mit der Tradition als Verrat an Afrika angesehen wurde, und in meinem Workshop wurde dieser Konflikt noch mal lebendig in der Diskussion um die Arbeit von Joseph Soumégné, der sich als Afrikanischer Künstler versteht und Verbindungen von seiner Arbeit zur Kultur seines Dorfes zu knüpfen versucht. Ein Ansatz, der bei den jüngeren Künstlern eher auf Skepsis stößt.

Die Innenstadt von Yaoundé, in der auch das Goethe Institut liegt, war in den sechziger Jahren mit moderner Architektur erneuert worden für ein urbanes Leben à la Champs-Élyseés mit teuren Geschäften und Cafés. Nach dem wirtschaftlichen Niedergang in den 80er Jahren funktioniert nichts mehr davon: Die Gebäude sind heruntergekommen und informeller Kleinhandel hat die Straße überschwemmt. In diesem chaotischen Treiben gibt es auch erstaunlich gestaltete Objekte zu sehen: gebastelte Materialassemblagen, die als Verkaufsstand oder auf andere Arten funktionieren, aber auch Bilder sind und Bedeutungen tragen, z.B. erinnere ich einen einfachen Handkarren an dessen Griff eine ganz kleine Puppe montiert ist.

Die 4 -5 Jahre alten Assemblagen von Pascale Marthine Tayou sind ästhetisch in diese Realität und in eine Kultur eingebunden, die er als reich ansieht. Sie sind auch exemplarisch für die Arbeit vieler afrikanischer Künstler, die zum Teil aus solchen auf der Straße gefundenen Objekten ganze Installationen bauen. Pascale ist der erfolgreichste dieser Künstler und war bereits weltweit an wichtigen Ausstellungen beteiligt. Er hat auch vorübergehend Wohnsitze in Paris und Brüssel angenommen, den Kontakt zur sozialen Realität und zur Kunstszene in Kamerun aber nicht verloren und nimmt eine Art Mittlerrolle ein. In seinem letzten Projekt schickt er ein Auto zurück nach Europa zur Biennale de Lyon. Diese Bewegung eines einzigen Autos gegen einen ganzen Strom von Gebrauchtwagen nach Afrika wirkt zunächst paradox. Dieses Auto ist jedoch in der Lage seine Inbesitznahme durch Afrika zu dokumentieren. Es ist zwar für den europäischen Standard hoffnungslos kaputt und zeigt deutliche Spuren davon, wie sehr es geschunden wurde. In Afrika fährt es jedoch selbstverständlich und diese Aneignung hat sich in das Objekt eingeschrieben. Es wird zum Symbol für die überraschenden Potentiale afrikanischer Récupération. Dieses Projekt hat zwar einerseits den heute in der aktuellen Szene angesagten Konzeptcharakter, gleichzeitig aber auch eine expressive Qualität.

Jules Wokam sagt, er unternimmt eine Reise durch die Materialien, durch die Ideen und durch die Objekte. Er hat Architektur studiert und sich mit Design beschäftigt. Im März eröffnete er seine erste Einzelausstellung unter dem Titel "Le Nomadisme" Eine Arbeit, die sich die postmoderne Freiheit herausnimmt, alle Bedeutungsebenen voneinander zu lösen und neu zu mischen. Banale Klischees, Pseudofunktionalität und der satirische Kommentar zur Arbeit seiner Kollegen werden in immer neuen Konstellationen getestet und deren Bedeutungswandel beobachtet. Das ist einerseits spielerisch und oft ironisch, andererseits aber auch so konzentriert, dass die zentrale Frage klar ist: welche Grenzen kann man oder muß man überschreiten, um in den Bereich der Kunst zu kommen?

Goddy Leye stellt seinem Video "The Red Jew" die Frage nach der Identität oder besser nach den verschiedenen Perspektiven seiner Identität und auf seine Identität. Als er im April zu einer Ausstellungsbeteiligung nach Bern fahren wollte, wurde ihm das Visum verweigert mit der Begründung, die Stempel in seinem Pass seien nicht echt. Auch das eine Illustration, wie nah hier Themen an der alltäglichen Erfahrung sind, die sich für uns eher abstrakt stellen. Emigrieren möchte er, aber nicht nach Europa sondern vielleicht nach Cotonou, die sich dynamisch entwickelnde Hauptstadt Benins, von der aus man auch so schnell in Lagos, Lomé und Accra ist.

Bei vielen Malern fällt eine besonders starke Beziehung oder auch Adaption von Kunstrichtungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, École de Paris, Art Brut, bis zum Abstrakten Expressionismus auf, die in dieser Form im internationalen Kontext nicht vorkommt. Der Zugang zu Informationen über Kunst ist in Kamerun beschränkt. Zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist er vorhanden, und diese Erfahrung hat sowohl die Künstler als auch das Publikum geprägt. Die zweite Jahrhunderthälfte mit ihren Bewegungen wie Pop Art, Fluxus, Minimal und Konzept Kunst wurde in Kamerun kaum oder gar nicht rezipiert. An dieser Stelle wird eine Differenz zwischen der internationalen und der kamerunischen Szene deutlich: Die internationale Szene arbeitet wesentlich in konzeptionellen Modellen mit Metaebenen von Bedeutungen und Selbstreferentialität. Expression, wie sie von kamerunischen Künstlern als Hervorbringung einer inneren Befindlichkeit verstanden wird, lehnt sie ab.

Vergleichbar der Vorliebe für die klassisch moderne Malerei ist die für Jazzstandards. Bei meinen Besuchen in Musikclubs in Kamerun stach ein Ohrwurm, der überall in den verschiedensten Versionen gespielt wurde, besonders hervor: Dave Brubecks Jazzklassiker "Take Five". Auf meine Frage an einen (europäischen) Musiker nach einer Erklärung dieser Vorliebe wurde ich auf den ungeraden Rhythmus (5/8 Takt) hingewiesen, der in der traditionellen afrikanischen Musik eine große Rolle spielt. Wie der klassische Jazz hat auch die klassische Avantgarde afrikanische Wurzeln (wenn auch auf ganz anderen Wegen) und diese scheinen Ziele der Wiederaneignung zu sein.

Der im Westen verworfene Mythos der Klassischen Avantgarde, des schöpferischen Künstlertums, bietet für Afrika die Möglichkeit einer Aneignung, die zum Teil auch als Wiederaneignung gesehen werden kann: Ein Glauben und ein Vertrauen in die eigene schöpferische Kraft.

Malerische Konzepte der klassischen Moderne werden nicht distanziert als Bildmaterial zitiert, sondern in ihnen wird ein direkter Ausdruck gesucht. Dabei wird eine spezielle lokale Symbolik entwickelt, von den Resten traditioneller Fetische: Nägel, Seil, Ladungen; Erde als Materie oder Farbe als allgemeines Symbol von Afrika; abstrakte Symbole wie die Öffnung oder das Raster; Schuhe oder Fußabdrücke als konkrete Symbole für den Menschen; Zahlen und Wörter als Symbole für Codes und Hinweise bis zur Symbolwelt der Stadt mit Autos etc.

Hervé Youmbis Portraits sind zum Teil realistisch gemalte Abbilder - meistens seiner Künstlerfreunde. In einem längerfristigen Prozeß wird durch das Hinzufügen von Gegenständen das Bild zur Assemblage und dabei auch das Gemälde zum Objekt. Er fragt die Porträtierten, ihm dazu persönliche Gegenstände zu überlassen, was bisweilen abgelehnt wird, da diese Portraits etwas beschwörendes haben: Es wird suggeriert, der Künstler könne wie beim Voodoo- Zauber über persönliche Gegenstände Einfluss auf die Person nehmen. Hervé erzählt, dass bei einer Busreise ein Gepäckverstauer in Dschang es abgelehnt hat, seine Objekte überhaupt anzufassen. Er selbst glaubt nicht an eine Zauberkraft seiner Bilder, will aber grundsätzlich die Existenz von Magie nicht ausschließen. Jedenfalls spielt er mit der Idee des Künstlers als Magier und nutzt dabei die Präsenz magischer Traditionen in seiner Kultur.

Emile Youmbi (Mit Hervé nicht verwandt, aber gut befreundet) begann seine künstlerische Arbeit mit Bildern, die er Foto-Alben nennt: In ein auf eine Leinwand gemaltes Raster wurden Passfotos geklebt. Eine darauffolgende Serie zeigt diese Passfotos und auch andere Fotos in Tusche auf Papier gezeichnet und dann in großer Zahl auf Bastmatten geklebt. In einem weiteren Schritt verschwinden dann die Abbildungen und es bleiben rechteckige Flächen, deren Leere die Abwesenheit der Bilder beschwört, die für Emile gleichwohl weiterhin Träger von Emotionen bleiben. 1999 greift er sein Hobby aus der Kindheit - Autos aus Bambus zu basteln - wieder auf. Er nimmt nun Trennschleifer und Schweißgerät und setzt Autowrackteile neu zusammen. Autos sind für ihn auch geladen mit Erinnerungen und Geschichte. Insofern ist diese Re-Konstruktion ein Spiel mit Emotionen ähnlich der Arbeit an einem Fotoalbum.

Salifou Lindous Arbeit reicht von Skulpturen über Assemblagen bis zur Malerei, in den Bildmotiven von geometrisierender Abstraktion bis zur Figuration. Afrikanische Symbolik wird mit der Bildsprache der Klassischen Moderne verbunden. In einer kleinen Skulptur sind mehrere Holzleisten so miteinander verbunden, dass sie zum Modell eines Hochhauses werden, in der Form sowohl an Stalinistische Bauten als auch an Industriebauten, etwa Londons Powerstations erinnern. Darauf ist eine Tomatenmarkdose (eines der Hauptingredienzien der afrikanischen Küche) genagelt mit dem typischen langen Nagel mit schirmförmigem Kopf, dem man so häufig in der kamerunischen Kunst begegnet und der eigentlich zur Befestigung von Wellblechdächern dient. In seinem Video "Mont Q" spielt er ironisch mit den Klischees afrikanischer und europäischer Kunst: Zunächst bereitet er wie ein klassisch akademischer Maler seine Palette vor; dann zieht er sich plötzlich bis auf einen Lendenschurz aus, wird zum wilden Maler, der sich auf die Palette setzt, mit seinem Hintern die Farben etwas mischt und dann auf die Leinwand abdruckt, was wiederum als Yves Klein Zitat gelesen werden kann.

Blaise Bangs Malerei beschreibt wie ein realistischer Roman die Probleme von Alkoholismus, Prostitution und Aids. Stacheldraht wird zum Symbol für das Gefangensein des Menschen in seiner eigenen Existenz, in den Grenzen seiner Freiheit. Wie Signale werden SOS und RAS - afrikanischer Slang für "rien à signaler" - einander gegenübergestellt, als Zeichen für das Desinteresse und die mangelnde Bereitschaft für verantwortliches Handeln. In Kamerun ist z. B. die Auffassung verbreitet, die Krankheit Aids im medizinischen Sinn gäbe es gar nicht. Stattdessen werden deren Phänomene in einem Spektrum erklärt, das von Verschwörungstheorien (gezielte Ausrottung der Schwarzen) bis in den Bereich der Magie reicht. In jedem Fall mangelt es jedoch am Verständnis und der nötigen Hilfe für die Opfer. Blaises Malerei moralisiert nicht, kann sich aber nicht enthalten, die sozialen Konflikte zu beachten.

Hervé Yamguen dichtet und malt. Seine Poesie sowie die anderer Dichter - von Rimbaud und Michaux über Césaire bis zu zeitgenössischen Afrikanern - ist meist in Bilder integriert, als eingeklebte Buchseiten oder von Hand eingeschrieben. Seine Buchobjekte bestehen aus beschriebenen und bemalten Kartons in gestalteten Einbandtaschen. Auf französisch und in der figurativen Bildsprache der École de Paris wird afrikanische Mythologie evoziert. Der Mensch, der im Maskentanz zum Tier werden kann, wird dargestellt in seiner Verbundenheit mit der Natur in einem immer wiederkehrenden Baum/Gesicht. In einem Gedicht wird die Farbe Weiß in ihrer afrikanischen Symbolik des Todes beschworen. Hervé versteht das durchaus als Récupération einer afrikanischen Identität in der kolonialen Sprache oder sogar wie beim literarischen Werk Césaires als eine Gegenkolonisation.


In meinen Beschreibungen dieser Arbeiten habe ich versucht Bewertungen auszuklammern, da attraktiv zunächst einmal das erscheint, wozu man leicht einen Bezug herstellen kann, die Position auf Bekanntes beziehen kann. Im Blick auf eine fremde Kultur ist dabei die Gefahr von Missverständnissen besonders groß. Um Unterschiede in den Bedeutungen darzustellen, möchte ich einige der Arbeitsweisen in den beschriebenen afrikanischen Positionen mit verwandt scheinenden europäischen bzw. nordamerikanischen vergleichen.

Auch hier wurde und wird viel mit gefundenen Bildern und Objekten gearbeitet, beginnend mit den Collagen des Kubismus über Surrealismus, Dada, Pop Art, Fluxus bis zur Abject Art der 90er Jahre. Diese Künstler nehmen eine kritische Haltung gegenüber ihrer Konditionierung durch die Konsumgesellschaft ein, die es in Kamerun - für uns kaum vorstellbar - praktisch nicht gibt, ebenso wenig wie die für uns selbstverständliche Prägung durch mediale Bilder in der Werbung und im Fernsehen. Ein Handel mit Markenprodukten ist in Kamerun nicht möglich (mit Ausnahmen) zum einen, weil die Kaufkraft fehlt und zum anderen, weil die Marken sich nicht gegen Kopien schützen können. Folglich fehlt auch die dazugehörige Werbung und die Positionierung der Marken z.B. als Prestigeobjekte. Der Käufer eines T-Shirts auf dem Second-Hand Markt hat oft nur eine vage Vorstellung der ursprünglichen Bedeutung eines bestimmten Aufdrucks. Die Marke OPEL ist beispielsweise in Kamerun nicht präsent und wird mit der Fußballmannschaft, die sie sponsert, assoziiert und als Sportartikel Hersteller angesehen. Marken-Logos werden variiert oder frei erfunden. Eine Sonnenbrille mit dem Aufdruck Nike ist nicht wirklich die Fälschung eines bestimmten Originals, von dem sowieso kaum einer weiß, wie es aussieht. Sie muß eher als Paraphrase verstanden werden: Der Träger nimmt symbolisch an der Vorstellung einer Konsumgesellschaft teil, von der er ausgeschlossen ist. Das Verhältnis zu Bildern und Objekten und ihre Deutungen und Umdeutungen in der Kunst muß vor diesem Hintergrund verstanden werden.

Die neo-expressionistische Malerei der "Neuen Wilden" war zunächst eine Rebellion gegen die Dominanz der Konzept Kunst. Sie wurde dabei aber funktionalisiert und selbst Teil eines Konzeptes. Im postmodernen Verständnis wird das Malen selbst zum Zitat und kann nicht mehr als Medium Inhalte transportieren wie in den oben beschriebenen Arbeiten kamerunischer Künstler.

Die magische Aufladung der Objekte bezieht sich bei vielen westlichen Künstlern (von Beuys bis Object Art) auf ein die Identität bestimmendes persönliches Trauma. In den Arbeiten werden die Wunden immer wieder aufgerissen und dargestellt und dabei gesellschaftliche Tabus gebrochen. Die bestimmenden afrikanischen Traumata sind kollektive: Sklaverei und Kolonisation. Diese Wunden sind noch immer soweit geöffnet, die sozialen Probleme so dramatisch, dass die Kunst eher damit beschäftigt ist, aus den Fragmenten eine Identität zusammenzusetzen.

Wenn ich kamerunische Kunst unter dem Begriff der Récupération betrachte, verstehe ich sie als hybride Kultur im Gegensatz zu idealistischen Konzepten von Ursprünglichkeit etc, die afrikanische Kultur in die Vergangenheit zurückzuversetzen suchen. In der postmodernen "Fusion" - Kultur sind die aufgesetzten Versatzstücke häufig gerade traditionelle Symbole, die für eine Art Originalität stehen sollen. Die kulturellen Differenzen werden dabei auf oberflächliche Exotik reduziert.

Wichtiger als die Frage, welche Arbeiten einer fremden Kunst ich gut finde, wurde es für mich, gerade die eigenen Irritationen zu untersuchen. Wir haben z.B. große Probleme unseren Begriff von Authentizität auf fremde Kunst anzuwenden und lehnen einen großen Teil mit diesem Kriterium ab. Dabei wäre es interessant, diese Diskrepanz als Schnittstelle zu verstehen und unseren Begriff zu untersuchen, der von unserem Geschichtsverständnis und von unserem Verständnis von Individualität bestimmt ist. Mein Projekt versucht Ansätze für neue Definitionen solcher Begriffe zu entwickeln, indem es diese künstlerischen Positionen ernst nimmt, sie als zeitgenössische ansieht. Ich betrachte Kunst nicht als eine universelle Sprache sondern im Gegenteil als eine Arbeit an Codierungen und Decodierungen. Sich mit Kunst zu beschäftigen beinhaltet für mich immer auch die eigenen Kriterien in Frage zu stellen.

Das heute gerne gezeichnete Bild des internationalen Künstlers mit globaler Vernetzung und unbeschränkten Reisemöglichkeiten beinhaltet einen Machtanspruch und steht als Ideologie gegenüber einer immer weiteren Diskrepanz in den realen Möglichkeiten der verschiedenen Teile der Weltbevölkerung, was den Zugang zu Märkten, zu Informationen und der Migration betrifft.


© Christian Hanussek 2000
Magazin für Theologie und Ästhetik 8/2000
https://www.theomag.de/08/ch1.htm