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Magazin für Theologie und Ästhetik


Renitenz und Ewigkeitsverweigerung

Schlaglichter auf das Ewigkeitsthema in der Popkultur

gesehen von Christoph Örley

Vorbemerkung

Der methodischen Transparenz wenn schon nicht Sauberkeit halber möchte ich vorausschicken, dass ich gute Gründe habe, gerade bei den Musikstücken jeweils nur einen kleinen Teil genauer zu betrachten, genauer gesagt, meine Aufmerksamkeit ganz dem Refrain zu widmen. Dies entspricht ziemlich genau der Rezeptionsweise Jugendlicher (Wer von den thirty- und fourty-somethings hat 'Smoke On The Water' nie für ein Riff mit angehängtem Song gehalten?) und ist keinesfalls als Respektlosigkeit den Künstlern gegenüber zu verstehen.

Akte X

Als 1998 die V. Staffel der kanadischen Mystery-Serie Akte X via Pro7 die deutschsprachigen X-Philes beglückte, war es vor Allem eine Folge, die die Generationen verband: 'Kill Switch' nach einem Drehbuch von William Gibson (Autor der CyberPunk-Trilogie 'Neuromancer') brachte grau gewordene Punks und schulpflichtige Internetfreaks vor dem Bildschirm zusammen.

Was in der Romantrilogie zwar schon anklang, aber an der Generation Y (Y wie: Why should I read a book?) vorbeiging, ist hier nun in aufregenden 45 Minuten bunt verpackt und deutlich sicht-bar: Verhandelt wird die Frage, ob im Internet ewiges Leben möglich sei.
Einem Hackerpärchen stellt sich angesichts ihrer Liebe, die durch die allgemeinmenschliche Sterblichkeit limitiert ist, die Aufgabe, ihre Körper aufzugeben und ihre - ja was? Seele? ihren Geist? ihre Persönlichkeit...? ins Internet einzuspeisen. Nachdem ER bereits vorausgegangen ist wird nun in 45 Minuten IHR Weg beschrieben, der die beiden wieder zusammenführen soll. Ähnlich wie bei Romeo und Julia wollen auch diese beiden im Tod vereint sein, wobei der Tod hier rein physisch gefasst wird.

Tatsächlich liegt in diesem radikalen Auf-die-Spitze-Treiben des Terminus 'going online' (lediglich) das vor, was ein altmodischer Euphemismus mit 'sich entleiben' bezeichnet. Eine Entpersönlichung findet nämlich nicht statt, dem Zuseher werden genügend Hinweise vorgeführt, die darauf hindeuten, dass es funktioniert hat. Beide sind im Netz, vereint und glücklich; im örtlichen Sinn sind die beiden kaum noch Begrenzungen unterworfen, solange es Netze geben wird, so lange werden sie 'leben' - aber das ist nur ewigkeitsähnlich. Wichtiger ist, dass an der Quasi-Unsterblichkeit das Verstreichen von Zeit als unmaßgeblich abperlt.

Weil die herkömmlichen Vorstellungen von Unsterblichkeit zu unsicher sind, zu sehr mit Glaubens-Akten verbunden/verwoben, deshalb lockt die Technik, die Machbarkeit, die Kontrollierbarkeit, die Ewigkeitsgarantie.

Matrix

Manchen Erwachsenen (vor allem jenen, die selbst bereits Eltern sind) stößt an diesem Kinofilm von 1999 eine Beobachtung sauer auf, an der die Hauptzielgruppe der Jugendlichen mehr oder weniger achtlos vorbei geht: Elternschaft und Herkunft spielen hier keine Rolle. Noch auffälliger ist, dass von einer Szene abgesehen, Kinder nicht vorkommen.

Diese eine Szene - im Vorhof des Orakels - zeichnet Kinder als Freaks im vollen Wortsinn, also als Krüppel, Behinderte, als abseitig Sonderbegabte und als für Erwachsene unverständlich. Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass sie Freaks sind, weil sie Kinder sind und somit - zumindest innerhalb der Matrix - einzigartig. Ansonsten bekommt der Zuseher ausschließlich Frauen und Männer im angeblich besten Alter zu sehen; dass weder Kinder noch alte Menschen vorkommen zwingt zu dem Schluss, dass die Menschen innerhalb der Matrix nicht altern. Wie wir im Akte-X-Beispiel sehen konnte, wird eine Übersetzung des Nicht-Alterns mit 'Ewig-Leben' angeraten sein.

In der Tat ist es eine Ewigkeit, die den Menschen (zumindest jenen, die nicht 'geweckt' / 'entkoppelt' sind) gar nicht als solche kenntlich ist, die die neue conditio humana zu sein scheint. So ist dann auch die Entkoppelung, das 'Wecken' der spannende Punkt. (Warum ausgerechnet MORPHEUS, der Gott des Schlafes und der Träume, es sich zur Aufgabe gestellt hat, die Menschen aufzuwecken sei einmal dahingestellt ...) Vom Ablauf des Weckens (Blasensprung, Geburtskanal, Abnabelung) bis hin zur Gestaltung der Bilder ist diese Entkoppelung als Geburtsvorgang mit Erlösungskonnotation zu sehen. Bis hin zum unsäglichen 'inter feces et urin' - Neo wird in die Abwasserkloake hinein'geboren' - wird auf allen biologischen, philosophischen, theologischen Ebenen die Geburtsmetaphorik bemüht. Und wozu?

Nachdem sich Neos Verstand für die Ausgesetztheit des physischen Lebens entschieden hat, wird der Körper in die Zeitlichkeit und damit in die Sterblichkeit geboren. Anders als im Akte-X-Beispiel ist nämlich Ewigkeit eine unmenschliche Qualität, die zu nichts führt (Alterung ist ein Prozess, der nicht stattfindet, weil keine Zeit verstreicht.). Um es mit den Worten einer 15jährigen zu sagen: "Ich hätte dieselbe Kapsel geschluckt, weil mir dieses Leben zu langweilig ist."

Die Toten Hosen

"Ich will nicht ins Paradies
wenn der Weg dorthin so schwierig ist,
ich stelle keinen Antrag auf Asyl..."
                    (Die Toten Hosen, Paradies)

Über 1000 Konzerte, länger als 20 Jahre gibt es die mittlerweile verbeamteten (soll kein disrespect sein) Punks Die Toten Hosen mittlerweile. Somit gehören sie zu den in 1. angesprochenen grau gewordenen Punks - gut, dass die Bewegung immer schon ein entspanntes Naheverhältnis zum Haarefärben hatte... Wie auch immer: Von Platte zu Platte mehr stellt sich die Band und Campino als Haupttexter dem Thema des Älterwerdens, des Sterbens, des 'Nachher'. Im scharfen Kontrast zum Akte-X-Beispiel, d'accord mit Matrix wird hier das diesseitige Leben gerade wegen seiner Vergänglichkeit positiv bewertet, geliebt, exzessiv gelebt (dass Gitarrist Kuddel 1998 einen Alkohol-Entzug geschafft hat, soll dieser Exzessivität keinen Abbruch tun).

Ausschließlich dieses eine, jetzige Leben kann bewusst gelebt werden. Nur hier hat also die Entscheidung des Menschen für den einen oder anderen Weg ihren Wert. Dass etwas bzw. jemand außerhalb des betreffenden Menschen sich erfrechen möchte, nachträglich dieses Leben und die Entscheidungen darinnen zu bewerten ist Campino unerträglich. Die jenseitige Belohnung oder Bestrafung mit Himmel oder Hölle ist für die Hosen und ihre Fans eine unzulässige Einmischung in die Eigenverantwortlichkeit des Menschen.

Wenn das 'Paradies' (als Chiffre für die Ewigkeit) in erster Linie als Belohnung für ein Leben in Frömmigkeit - soll heißen: für ein Leben ohne Selbstbestimmung - gesehen wird, dann ist im Umkehrschluss der Zustand 'Seligkeit' bzw. 'Im-Himmel-Sein' als Abstempelung zu lesen; als Abstempelung mit dem Wert: "hat sich zuviel verkniffen" oder "hat nicht richtig gelebt". Für ein solches Leben, mit dem man nicht glücklich sein kann während man es lebt, für so was will Campino nicht belohnt werden.

Gar nicht so entfernt erinnert dieser Gedankengang an jene Sufi-Erzählung, in welcher berichtet wird, eine Prophetin wollte den Himmel anzünden und das Höllenfeuer löschen; nach ihren Gründen gefragt erklärt sie: "Ich wollte, die Menschen lebten recht, weil sie Gott lieben und nicht, weil sie die Hölle fürchten oder nach dem Himmel gieren!"

Rammstein

"Gott weiß, ich will kein Engel sein!"
                    (Ramstein, Engel)

Während bei den Toten Hosen eine lange Bandgeschichte die heutigen Inhalte von den früheren unterscheidet, während manch ein Widerspruch (der zum Provozieren notwendig ist) überhaupt erst durch das Verstreichen von Jahren entsteht (z.B. "...so lange Johnny Thunders lebt, so lange bleibe ich ein Punk..." nun, J.T. ist tot und die Hosen sind Punk...) explodierten vor ein paar Jahren Rammstein. Designer-Metal meets Dorf-Disco, dazu einige wohlkalkulierte Provokationen (hauptsächlich sexuelle Devianz und Tod und eventuell Fascho-Ästhetik) ohne Tiefgang - woher auch? Die Privat- und die Bühnenpersonen haben keinerlei Kongruenz, die bei den Hosen beobachtete Geschichtlichkeit und Prozesshaftigkeit ist mangels verstrichener Zeit gleich Null. Trotzdem machen Rammstein manchmal auch einfach Spaß, zumindest den Jüngeren und Jungen. Warum?

Bekannt wurden Rammstein mit zwei Beiträgen zu David Lynch's Film 'Lost Highway', aber erst mit 'Engel' hatten sie so etwas wie einen veritablen Hit, und genau der passt auch in diesen Aufsatz. "Wer zu Lebzeit gut auf Erden / wird nach dem Tod ein Engel werden..." sind die ersten Zeilen, die den Beginn einer 'Abhandlung' zu unserem Thema darstellen.

Bei Rammstein wird aber der Inhalt maßgeblich und ganz bewusst von der Form bestimmt. Die Form heißt "Geldmaschine" und ihre Bedingung ist größtmögliche Breitenwirkung, denn anders als in den 60ern gilt heute: "The designer-revolution is BEING TELEVISED". Diese größtmögliche Breitenwirkung wird erreicht durch Verwendung von schematisierten Feindbildern, die jedeR kennt. Hier wird eines verwendet, das nach folgendem Schema funktioniert: Eine absurde Behauptung aus der Populärmeinung wird einem als autoritär empfundenen Bezugssystem zugeordnet. Der inhaltlich dünnste (wer jetzt 'dümmste' gelesen hat, liegt auch nicht ganz falsch) Text wird so zu einem aufklärerisch-revolutionär daherkommenden Manifest, dem sich jedoch nur entziehen kann, wer Rammstein zu Hause mit Schreibtischlautstärke an sich vorüberziehen lässt. Wer Rammstein im Konzert, in der Disco, beim Autofahren unterkommt, kann sich dem emotionalen und pathetischen Gehalt des Stückes nicht entziehen, denn es ist auch eine Wahrheit, die hier enthalten ist: Dass nämlich die Volksfrömmigkeit das Menschsein entwertet, mithin das Leben in der Welt kompromittiert, wenn sie auf Vollendung als Engel hofft.

So bleibt, dass 'Engel' als Kirchenkritik zwar daherkommt aber gleichzeitig unbrauchbar ist. Hingegen wird ein Lesen als Verweigerung der ((Kirchen)Volks)Zugehörigkeit qua Ablehnung der volksfrommen Jenseits- und Ewigkeitszentriertheit neue Perspektiven öffnen.

Nine Inch Nails

"God is dead / and No-one cares /
if there is a hell / I see you there!"
                    (Nine Inch Nails, Heresy)

Anders als die schunkel- bzw. moshkompatible Funpunk/Popmetal-G'schicht schmerzt die Musik von Trent Reznor a.k.a. Nine Inch Nails nicht nur ästhetisch, sondern manch eineN auch körperlich.

Trent Reznor leidet an seinen eigenen Sätzen und diese Zerrissenheit schlägt sich auch musikalisch nieder. Oft, beinahe allzu oft erscheint sie gebrochen (z.T. in jazzigen Ausmaßen), setzt immer wieder aus und anders und mit neuer Wucht ein und kommt an kein Ziel, rennt aber immer wieder mit dem Kopf an die Wand.

Das hier ist jetzt aber nicht mehr schick wie noch bei Rammstein, obwohl auch NIN ein designtes Produkt sind, aber da kommt noch etwas dazu: So wie der Säufer, der echte Säufer den Alkohol hasst, weil er ihm unterlegen ist, so wie der echte Zyniker den eigenen Zynismus ohnmächtig hasst, so hasst Trent Reznor seine eigene Hoffnungslosigkeit. Aus der Betrachtung der Welt leiten sich in dieser Lesart zwei Konsequenzen ab: Weil so viel Böses passiert liegt die Vermutung nahe, dass Gott tot ist, denn nichts tut er, um das Böse zu verhindern. Aus der gleichen Beobachtung ergibt sich, dass der Teufel sehr wohl noch aktiv ist. Somit hätte auch die Hölle Gottes Tod überlebt und eine Ewigkeitshoffnung oder besser gesagt eine negative Ewigkeitsgewissheit bleibt bestehen.

Zusammenfassung und Konsequenzen

Ich denke, es ist deutlich geworden, dass ein geschärfter Blick Grundvoraussetzung ist für ein Verständnis dessen, was im Bereich der Popkultur eigentlich abgeht. Unter dem Überbegriff 'Diesseitigkeit' ist bei genauer Betrachtung ein Konglomerat aus disparaten Betrachtungen über den Wert des Lebens in dieser Welt zusammengefasst. EinE JugendlicheR mit Nine Inch Nails im Walkman, mit Toten Hosen am T-Shirt und Rammstein auf der BaseballCap, in der Schlange um Tickets für Matrix II (start: erst im nächsten Jahr) anstehend, das ist einerseits gelebte Pop-Realität, gleichzeitig Grund genug, erst mal nachzudenken, zuzuhören und dann bitte nicht zu predigen. 


© Christoph Örley 2000
Magazin für Theologie und Ästhetik 6/2000
https://www.theomag.de/06/coe1.htm