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Magazin für Theologie und Ästhetik


Editorial


Liebe Leserinnen und Leser,

die aktuelle Ausgabe unseres Magazins setzt sich mit dem Kulturpapier der Evangelischen Kirche in Deutschland Gestaltung und Kritik. Zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert auseinander.

Die in der Geschichte ganz unterschiedlich ausgefallenen Verhältnisbestimmungen von Protestantismus und Kultur haben immer etwas vom jeweils zeitgenössischen Zustand des Protestantismus offenbart. Aktuell ist jedoch festzuhalten, daß die wenigen Positionen, die sich bisher zu Wort gemeldet haben, sehr zögerlich reagieren und mit der Stellungnahme der EKD wenig anfangen können. Das liegt zum einen sicher daran, daß gegenwärtig andere Probleme in der Kirche virulent sind und die Auseinandersetzung mit der Kultur wie ein Nebenkriegsschauplatz erscheint, zum anderen liegt es aber auch an der Art und Weise, wie das Papier das Verhältnis zur Kultur akzentuiert.

In diesem Heft setzen sich die einzelnen Beiträge aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit den im Impulspapier aufgegriffenen oder ausgesparten Begegnungsfeldern und mit dem grundsätzlichen Ansatz des Papiers auseinander. Dabei wird deutlich, daß es ein globales Urteil über das Kulturpapier nicht geben kann, weil seine einzelnen Teile so different ausgefallen sind.

Olaf Schwencke, dessen Text wir von der kulturpolitischen Gesellschaft übernehmen durften, hebt die Chance hervor, anhand des Papiers "über kulturpolitische Perspektiven im neuen Jahrtausend" nachzudenken. Kritisch merkt Schwencke an, daß zentrale kulturelle Themen wie etwa das Thema "Europa" oder der Komplex des Friedens befremdlicherweise fehlen.

Werner Schneider-Quindeau verweist auf ein eklatantes Defizit des Kulturpapiers, nämlich sein Schweigen zu dem großen Bereich des Kinos und des Films. Liegt es daran, daß das EKD-Papier zu sehr auf jene Begegnungsfelder geblickt hat, auf die es künftig Einfluß zu nehmen hofft? Schneider plädiert jedenfalls für eine gesteigerte Wahrnehmungskultur der Kirche, die sich frei hält von vorschnellen Urteilen.

Andreas Mertin setzt sich vor allem mit den Ausführungen zum Begegnungsfeld Kunst auseinander. Sein Urteil über das verwendete Kulturmodell und die zugrundegelegte Theorie der Beschreibung des Verhältnisses von Kunst und Kirche ist äußerst kritisch. Die bisherigen Ausführungen des Impulspapiers zu diesem Begegnungsfeld hält er für nicht tragfähig und nicht vertretbar.

Den Text von Dietrich Neuhaus und Otfried Schütz veröffentlichen wir in diesem Heft, weil er u.E. die Perspektive aufzeigt, unter der eine kulturhermeneutische Auseinandersetzung der EKD zur Bildenden Kunst stattfinden müßte. Hier wird vorab erst einmal wahrgenommen, was denn auf diesem Begegnungsfeld der Sachstand ist, bevor Schlußfolgerungen gezogen werden.

Verena Flick hat uns - auch dies ein Beitrag zur Diskussion - einen Ausschnitt aus ihrem Romanprojekt "Ottilie. Eine Gespenstergeschichte" zugesandt, der von einem Gespräch zum Thema "Kirche und Kultur" handelt.

Karin Wendts kritische Rezension der jüngsten Publikation des Marburger Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart paßt sich insofern in die Thematik des Heftes ein, als sich hier vielleicht ansatzweise bereits konkretisiert, was sich die EKD vom Verhältnis von Kirche und Bildender Kunst erwartet.

Zu erinnern ist die EKD bei all ihren künftigen Überlegungen aber auch immer wieder daran, daß der Begriff der "Kultur" selbst zugleich etwas Ambivalentes hat. Denn:

"Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung, ob er will oder nicht. Die Zusammenfassung von so viel Ungleichnamigem wie Philosophie und Religion, Wissenschaft und Kunst, Formen der Lebensführung und Sitten, schließlich dem objektiven Geist eines Zeitalters unter dem einzigen Wort Kultur verrät vorweg den administrativen Blick, der all das, von oben her, sammelt, einteilt, abwägt, organisiert. ... Aber Kultur ist zugleich, gerade nach deutschen Begriffen, der Verwaltung entgegengesetzt. Sie möchte das Höhere und Reinere sein, das, was nicht angetastet, nicht nach irgendwelchen taktischen oder technischen Erwägungen zurechtgestutzt ward. In der Sprache der Bildung heißt das ihre Autonomie. Gern assoziiert damit die gängige Meinung Persönlichkeit. Kultur sei die Manifestation reinen Menschenwesens, ohne Rücksicht auf Funktionszusammenhänge in der Gesellschaft. Daß man das Wort Kultur trotz seines selbstgerechten Beiklangs nicht vermeiden kann, bezeugt, wie sehr die hundertmal zu Recht kritisierte Kategorie der Welt wie sie ist, der verwalteten, verschworen und angemessen ist. Gleichwohl wird kein einigermaßen Empfindlicher das Unbehagen an der Kultur als einer verwalteten los."
Theodor W. Adorno, Kultur und Verwaltung, Merkur 1960, Heft 2, S. 101ff.