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Magazin für Theologie und Ästhetik


Twelve Monkeys

Zukunft im Film

Jörg Herrmann

Der Filmkritiker Siegfried Kracauer schrieb: "Die blödsinnigen und irrealen Filmphantasien sind die Tagträume der Gesellschaft, in denen ihre eigentliche Realität zum Vorschein kommt, ihre sonst unterdrückten Wünsche sich gestalten." Filme geben Auskunft über den Zustand der Gesellschaft, über ihre Träume und Alpträume.

"Twelve Monkeys" ist eher ein Alptraum. Der Film zeigt uns ein düsteres Bild der Zukunft. Er spielt in Philadelphia im Jahre 2035. Eine Virenkatastrophe hat 1996 fast die gesamte Menschheit vernichtet. Die Erdoberfläche ist verseucht. In den verlassenen Städten haben die Tiere die Herrschaft übernommen. Die wenigen Überlebenden haben sich in ein unterirdisches Tunnelsystem zurückgezogen. Dort, in "Eternal Night", wie der Ort auch genannt wird, haust der Überrest der Menschheit, einer faschistoiden Regierung ausgeliefert. Rebellen werden lebenslang eingesperrt. Die einzige Hoffnung besteht darin, jemanden mit der Zeitmaschine in die Vergangenheit zurückzuschicken, um den Usprung der Virenkatastrophe zu ergründen und mit Hilfe dieser Informationen die Voraussetzungen für eine Rückkehr der Menschen auf die Erdoberfläche zu schaffen. Der Sträfling James Cole, gespielt von Bruce Willis, wird für diese Mission ausgewählt. Der Held, der gegen den globalen Alptraum antreten soll, zeichnet sich unter anderem dadurch aus, daß er von einem ganz persönlichen Alptraum verfolgt wird: Er sieht aus der Perspektive eines kleinen Jungen, wie ein Mann in einer Flughafenhalle niedergeschossen wird. Eine Frau beugt sich zu ihm hinunter. Diese Traumsequenz, die am Anfang und am Ende des Films steht, kehrt auch zwischendurch immer wieder. Wir lernen mit Cole, sie langsam zu entziffern.

James Cole wird also in die Vergangenheit zurückgeschickt. Er soll die Spur einer Armee der zwölf Affen aufnehmen, einer militanten Tierrechtsgruppe, die etwas mit der Virenkatastrophe zu tun haben soll. Doch gleich der erste Time-Trip geht schief. Statt im Jahr 1996 landet Cole im Jahr 1990. Aufgrund der wirren Geschichte, die er erzählt, wird er in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Dort lernt er die Ärztin Kathryn Railly kennen und den Mitpatienten Jeffrey Goines. Kurz darauf wird er von seinen Auftraggebern ins Jahr 2034 zurückgeholt.

Bei einem erneuten Versuch gerät Cole vorübergehend in ein Gefecht des Ersten Weltkrieges, wird verwundet und erreicht am Ende dann doch noch sein Ziel: das Jahr 1996. Dort spürt er die Ärztin Kathryn Railly auf und entführt sie. Cole wird klar, daß Railly die Frau aus seinem Alptraum ist, die sich zu dem Erschossenen hinunterbeugt. Er entdeckt Symbole der "Twelve Monkeys"-Armee und erfährt, daß Jeffrey Goines, der Mitpatient aus der Psychiatrie, Sohn eines berühmten Virologen und Anführer der Monkeys-Armee ist. Railly beginnt langsam, Cole zu glauben.

Cole hingegen gerät immer mehr in eine Identitätskrise hinein und zweifelt an seiner Mission. Irgendwann möchte er einfach nur noch in der Gegenwart bleiben. Doch auch hier gibt es keine Ruhe, denn er wird inzwischen von der Polizei gesucht, unter anderem, weil er zwei Straßenräuber, die ihm in die Quere gekommen waren, kurzerhand getötet hatte. Cole ist am Ende, und Railly muß ihn an seine Mission erinnern.

Schließlich gelingt es Cole, Jeffrey Goines zu finden. Der hat sich mit seinem berühmten Vater versöhnt, offenbar, um dessen Forschungen für seine militanten Zwecke verwenden zu können. Cole hat einen schrecklichen Verdacht: Ist Goines durch seine eigenen Erzählungen vor sechs Jahren bei ihrer ersten Begegnung in der Psychiatrie auf die Idee gekommen, die Menschheit auslöschen zu wollen? Hat seine Rettungsmission auf diese Weise gar zur Auslösung der Virenkatastrophe beigetragen?

Die Ereignisse überstürzen sich. Cole und Railly sind auf dem Weg zum Flughafen. Sie wollen jetzt nur noch weg, nach Key West. Auf dem Weg stellen sie erleichtert fest, daß der große Coup der "Twelve Monkeys"-Armee offenbar doch nur in einer Tierbefreiungsaktion bestand: Freigelassene Tiere des städtischen Zoos von Philadelphia verursachen ein Verkehrschaos.

Was sagt "Twelve Monkeys" über die Zukunft? Wie beurteilt der Film die Frage der Gestaltungsmöglichkeiten und der Hoffnungen?

Zunächst: Schuld an der Katastrophe ist ein wahnsinniger Wissenschaftler. Das Böse kommt aus einem Forschungslabor. Der Virengau ist eine Art Eschede der Gentechnologie. Der Film zeigt das Gefahrenpotential dieser Technologie und damit der wissenschaftlich-technischen Zivilisation insgesamt auf. Die Wissenschaft hat den Menschen in den Schoß von Mutter Erde zurückexperimentiert. Die Naturbeherrschungstechniken haben die Erdoberfläche unbewohnbar gemacht. Fortschritt ist in Faschismus, Dreck und Dunkelheit umgeschlagen. Eine mögliche Konsequenz des gentechnischen Rheinraums ist das dreckige Erdloch. Der Griff nach den Sternen wird zum Griff ins Klo. Ein Kapitel Fortschrittskritik. Natur kann unter den Bedingungen von "Eternal Night" nur noch als Bild inszeniert werden. Ich erinnere an den dritten Filmausschnitt. Cole erwacht nach der Rückkehr von seiner zweiten Zeitreise im Krankenbett, über ihm ein Landschaftsgemälde. So weit sind wir davon übrigens nicht entfernt: Auch in unserer urbanen Lebenswelt ist das Naturschöne oftmals nur mehr als filmische Inszenierung präsent.

Wie es dem Einzelnen in Gilliams Zukunftsszenario ergeht, zeigt die Figur des James Cole. Der Filmkritiker Georg Seeßlen schreibt: "Man hat, seit 'Naked' vielleicht, keinen Menschen auf der Leinwand so unbehaust, so verlassen gesehen wie diesen Cole, der sich nicht einmal in der Zeit festmachen kann. Mit dem kahlgeschorenen Schädel, immer neue Wunden und Blessuren, schwitzend, sabbernd und keuchend ist Bruce Willis der aufs Kreatürliche reduzierte Mensch, der nach einem Ausweg in einem Wahrnehmungschaos, nach einer Selbst-Identität sucht."

Cole ist der Inbegriff der Heimatlosigkeit: kein Ort, keine Zeit, keine goldenen Träume, keinen Glauben, kein Zuhause, keine Sicherheit. Glück existiert nur noch als Spurenelement. Es blitzt zwischen den Zeiten auf: in Momenten der chancenlosen Liebe, in der Musik, im Einsaugen der unverseuchten Luft. Doch insgesamt gesehen ist Coles Zeitreise eine Passionsgeschichte ohne Auferstehung, eine Apokalypse ohne neues Jerusalem.

Fragt man nach biblischen Spuren, so finden sich die meisten Bezüge zum Prophetisch-Apokalyptischen. Cole ist der Prophet, dem niemand glauben will, der wie Jeremia eingesperrt und mißhandelt wird, der wie Jona seinem Auftrag entfliehen will, der wie der Gottesknecht des Buches Jesaja geschlagen und geschunden wird. Die Bezüge zum Apokalyptischen werden auch ganz explizit durch Verse aus der Offenbarung des Johannes hergestellt, die ein wahnsinniger Straßenprediger rezitiert.

"Apokalyptein" heißt "aufdecken, enthüllen". Propheten und Apokalyptiker blicken hinter die Kulissen. Sie decken auf, was sich zeigt, wenn man die Gegenwart weiterdenkt. Auch "Twelve Monkeys" imaginiert so ein Szenario möglicher Konsequenzen der Gegenwart: Virenkatastrophe. Auch "Twelve Monkeys" enthüllt die Geheimnisse der Endzeit. Doch nach der Katastrophe bricht im Unterschied zur biblischen Apokalypse kein neues Zeitalter an. Apokalypse bedeutet hier: Untergang. "Twelve Monkeys" liegt damit im Trend gegenwärtiger Apokalypse-Konjunktur im Kino. Ich erinnere an Titel wie "Independence Day", "Armaggedon", "Terminator 2", "Waterworld", "Titanic" und "Deep Impact". In all diesen Filmen geht es um den Untergang und seine mögliche Abwendung. Das Hoffnungspotential der biblischen Apokalypsen fehlt.

Auch "Twelve Monkeys" gönnt uns kein Happy-End. "Twelve Monkeys" ist, so könnte man auch sagen, die Geschichte einer Psychoanalyse ohne Heilung. James Cole arbeitet sich an dem Alptraum ab, der ihn verfolgt, und kann doch nichts ändern. Er ist ein ohnmächtiger Spielball der Geschichte. Er stolpert Deja-vu-Erlebnissen hinterher, nur um seine Verstrickung ins Verhängnis immer deutlicher zu erkennen und am Ende wieder am Anfang anzukommen. Die Zukunft ist nicht zu ändern, die Katastrophe kann nicht abgewendet werden. Cole hat sich in einem Kreis bewegt. Am Ende steht: Game over. Eternal Night. Die Sehnsucht nach dem Himmel und dem Meer bleibt unerfüllt, von einem neuen Himmel und einer neuen Erde ganz zu schweigen.

Der Grundton ist pessimistisch. Zwar bleibt offen, ob Coles Recherchen später vielleicht doch noch zur Wiedereroberung der Erdoberfläche beitragen werden. Innerhalb des Film stellt sich Geschichte jedoch als ein Kreis ohne Erlösung dar. Ihr Verlauf wird durch die vollkommen kontingente und sinnlose Wahnsinnstat eines Wahnsinnigen bestimmt. Cole kann zwar hinter die Kulissen dieses absurden Welttheaters blicken, aber nur, um mehr zu wissen und besser zu verstehen. Nicht, um irgendetwas zu ändern. Cole spiegelt die Erfahrung der Ohnmacht und der Heimatlosigkeit. Er ist, wie wir vielleicht, der Komplexität und den Alpträumen hoffnungslos ausgeliefert, ein gejagder Jäger der Erinnerung an die Zukunft, ein sabbernder Nomade, der virenverseuchte Räume und apokalyptische Zeiten durchmißt.

Seine Perspektive ist bedrückend. Aber ist sie unrealistisch? Ist nicht vielmehr die notorische Hoffnung der Gleichnisreden und der Apokalypsen unrealistisch? Was spricht eigentlich für den Optimismus der Bibel? Ist nicht "Twelve Monkeys" ein realistischer Spiegel der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, des Jahrhunderts von Auschwitz und Hiroshima, von Ruanda und Pristina, von Wahnsinn und Ohnmacht?

Man könnte "Twelve Monkeys" als eine Mahnung verstehen: als eine visionäre Zuspitzung heutiger Ängste vor dem Hintergrund der Katastrophen des Jahrhunderts und der Gefahren der Gegenwart. Es handelt sich dabei um eine Vision, die den menschlichen Gestaltungsmöglichkeiten nicht allzuviel zutraut. Darin ähnelt sie der apokalyptischen Tradition der Bibel. Denn auch in den Apokalypsen kommt die Erlösung nicht durch menschliches Handeln. Aber sie kommt immerhin. Das ist die Differenz zu "Twelve Monkeys".


© Jörg Herrmann 1999
Magazin für Theologie und Ästhetik 3/1999
https://www.theomag.de/03/jh1.htm