L’inferno - 1911

Die erste Verfilmung von Dante

Andreas Mertin

Der erste abendfüllende Stummfilm, der in Italien produziert wurde, trug den Titel L’inferno und hatte Dantes Göttliche Komödie zum Inhalt. Erstellt wurde er innerhalb von drei Jahren bis 1911 unter der Regie von Francesco Bertolini, Adolfo Padovan und Giuseppe De Liguoro. Zum ersten Mal wurde er am 10. März 1911 im Teatro Mercadante in Neapel gezeigt. Der Film hat eine Länge von 68 Minuten und wurde damals, wie man einem Erlebnisbericht der Schriftstellerin Nancy Mitford aus dem jahr 1922 entnehmen kann, mit zwei größeren Pausen aufgeführt, so dass der Kinobesuch über drei Stunden andauerte.

Die Inszenierung des Films, das wird beim Betrachten schnell deutlich, orientiert sich an Gustav Dorès berühmten Illustrationen zu Dantes Werk. Es ist daher empfehlenswert, sich schon vorab Dorès Bilder anzuschauen, z.B. mit dieser gerade neu erschienen Ausgabe, die alle 136 Bilder großformatig enthält:

Man kann mit diesem Buch in der Hand dem Film quasi Blatt für Blatt folgen. Nicht alle Blätter sind umgesetzt, dafür ergänzt der Film ein oder zwei Szenen, die bei Doré so nicht vorkommen bzw. breitet einige Szenen stärker aus.

Der Film war ein internationaler Erfolg und spielte allein in den USA mehr als 2 Millionen Dollar ein. Das kam nicht zuletzt deshalb, weil die für damalige Zeiten außerordentliche Länge des Films den Kinobesitzern erlaubte, den Eintrittspreis zu erhöhen.

Zwei auch für damalige Zeiten “heikle” Punkte enthält der Film. Zum einen natürlich die durch Dantes Beschreibung vorgegebene Nacktheit vieler Figuren.

Zum anderen aber – in heutiger Sicht ist das natürlich viel brisanter – die Darstellung von Mohammed und seines Schwiegersohnes Ali mit vollständigem Gesicht in der Hölle, so wie es Dante in den Versen 30 und 31 des 28. Liedes beschreibt. (Kein Faß, verliert es Dauben oder Boden, / Wird so zerfetzt, als wie ich einen sah, / Gespalten von dem Kinn bis zu dem After. / Es hingen ihm die Eingeweide zwischen / Den Beinen; Herz und Leber gleich dem Sacke / Der was man schlingt in Kot verwandelt sah man. / Noch heftete auf ihn ich meine Blicke, / Da riß, mich anschauend, er die Brust sich auf / Und sagte: Sieh hierher, wie ich zerberste; / Also verstümmelt siehst du Mahomet. / Alì geht vor mir her und weinet laut, / Gespalten im Gesicht vom Kinn zum Wirbel.) Das ist an Drastik kaum zu überbieten. Dorés Darstellung folgend quellen im Film Mohammeds Eingeweide aus seinem Inneren. Es ist aber keine spezifische Haltung gegen Mohammed, vielmehr lässt Dante dieses Schicksal auch viele Christen und religiöse Führer erleiden. Heute wäre eine derartige Darstellung sicher in sich höchst problematisch. Nicht umsonst verwenden einige islamkritische Seiten gerade diese Szene aus dem Film für ihre Propaganda. Was sie dabei unterschlagen, ist natürlich, dass die christliche Welt noch wesentlich kritischer in den Blick genommen wird.

Man kann sich den Film bei Youtube anschauen:
https://www.youtube.com/watch?v=oP-wgPyawsQ

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/95/am507.htm
© Andreas Mertin, 2015