Kurz und Gut IV

Vorstellungen ausgewählter Kurzfilme: Zur Hölle!

Andreas Mertin

Limbo (2010, 8:05, https://vimeo.com/23214038)

Kann man die Welt des Dante Aligheri aus der Zeit um 1300 mit den Vorstellungen heutiger Jugendlicher verbinden, die komplexe Reise durch die Hölle mithilfe graphischer Elemente erschließen? Seitdem Dantes Werk erschienen ist, gibt es eine Reihe von begleitenden Illustrationen etwa von Gustav Dorè oder William Blake, es gibt Verfilmungen (s. in diesem Heft L’inferno – 1911. Die erste Verfilmung von Dante) und es gibt seit jüngstem sogar einige Graphic Novels, die diesen Stoff umzusetzen versuchen:

  • Chwast, Seymour (2011): Dantes Göttliche Komödie. Unter Mitarbeit von Reinhard Pietsch. Dt. Erstausg. München: Knesebeck.
  • Lanzara, Joseph; Dante Alighieri; Doré, Gustave (2012): Dante's inferno. The graphic novel. Belleville, NJ: New Arts Library.
  • Meier, Michael; Alighieri, Dante (2012): Das Inferno. Frei nach Dante Alighieri. 1. Aufl. Kassel: Rotopolpress.

Einen verwandten Weg geht Matheus Mouia mit seinem als Examensarbeit eingereichten Kurzfilm „Limbo“. Gegenüber der Verführung einer meines Erachtens gar nicht so sinnvollen Aktualisierung in die unmittelbare Gegenwart bleibt Mouia ganz den Phantasiewelten Dantes verbunden, die viel Verwandtschaft mit den Fantasy-Welten der Comic-Kultur haben. Mouia verzichtet zugleich auch auf die Kenntlichmachung der zeitgeschichtlichen Anspielungen Dantes, sondern stellt nur die elementaren Situationen und Höllenstrafen nach. Insofern ist es eine Art „Opener“ für die Werkannäherung. Dargestellt werden in diesem 8 Minuten-Film die neun Kreise des Inferno.


Ich gebe im Folgenden einfach nur die zeitliche Abfolge zusammen mit der Paraphrase des Geschehens aus der Wikipedia wieder.


0 – Vorhölle (0:00-1:20)

Hinter dem Höllentor liegt die Vorhölle, der Ort für die lauen Seelen, die weder gut noch böse waren. Diese laufen rastlos in Scharen umher und werden von Ungeziefer gepeinigt. Am ersten Fluss der Hölle, dem Acheron, versammeln sich die bösen Seelen, die von Charon an das andere Ufer gebracht werden.

1 – Limbo, Virtuosos Pagãos – Tugendhafte Heiden (1:20-1:47)

Hier, im Limbus, befinden sich die unschuldig schuldig Gewordenen, alle die sündenfrei sind, aber nicht dem christlichen Glauben angehören (bzw. nicht getauft sind), jedoch nur von ewiger Sehnsucht gepeinigt werden. Nicht nur ungetaufte Kinder sind in diesem Kreis anzutreffen, sondern auch Dichter und Denker der Antike oder des Heidentums. Neben den antiken Dichtern wie Homer, Philosophen wie Aristoteles, den trojanischen und römischen Helden, aber auch mittelalterlichen Gestalten wie Averroes, Avicenna und Sultan Saladin gehört auch Vergil zu denen, die unter falschen, lügnerischen Göttern lebten.

2 - Vale dos Ventos, Luxúria – Die Wollüstigen (1:48-2:38)

Im zweiten Kreis büßen die Wollüstigen, die vom Höllensturm umher gejagt werden. Dort trifft Dante auf Semiramis, Kleopatra, Dido, Achilles, Helena, Paris und mehrere Ritter. Im 5. Gesang begegnen wir dem ehebrecherischen Liebespaar Paolo und Francesca da Rimini, dessen Schicksal zahlreiche Werke der Musik und der bildenden Kunst inspirierte

3 – Lago de Lama, Gula – Die Gierigen (2:38-3:18)

Im dritten Höllenkreis trifft Dante auf die Seelen der Gefräßigen, die im eisigen Regen auf dem Boden liegen und vom Höllenhund Kerberos – hier Sinnbild der Gefräßigkeit – bewacht und geschunden werden. Eine der Seelen, ein Florentiner mit dem Rufnamen Ciacco, sagt Dante künftige Ereignisse voraus, die Florenz betreffen werden.

4 – Rochas, Gunancia – Die Geizigen (3:19-3:46)

Im vierten Höllenkreis befinden sich die Verschwender und die Geizigen, die von Plutos bewacht werden. Die Sünder toben und wälzten Lasten mit der Kraft der Schulter, die sie gegeneinanderstoßen.

5 – Estige, Ira – Die Zornigen (3:46-4:10)

Der fünfte Höllenkreis ist der Sumpf der zornigen Seelen. Choleriker bekämpfen sich hier unablässig in den Fluten des Flusses Styx, während die Ignoranten und Phlegmatiker für immer in den Fluten des Styx untergetaucht bleiben.

6 – Dite, Heiesia – Die Häretiker (4:10-4:53)

Im sechsten Kreis büßen die Ketzer in flammenden Särgen, die sich nach dem Gericht im Tal Josaphat schließen werden. Einer der hierher Verdammten, der Ghibelline Farinata degli Uberti, sagt Dantes Verbannung voraus und erklärt dem Poeten, dass die Verdammten zwar in die Zukunft schauen können, nichts aber von der Gegenwart wissen, wenn ihnen nichts durch Neuankömmlinge mitgeteilt wird.

7 – Flegetonte, Violencia – Die Gewalttätigen (4:54-5:32)

Der siebte Kreis der Hölle gehört den Gewalttätigen ... [Er ist] in drei Ringe unterteilt. Im ersten Ring werden die Gewalttaten an den Nächsten gebüßt. Mörder, Räuber und Verwüster kochen in einem Blutstrom, in den sie immer wieder von Kentauren zurückgetrieben werden, wenn sie versuchen, ihm mehr zu entsteigen, als ihre Schuld es zulässt. ... Selbstmörder büßen im zweiten Ring ihre Schuld. Sie müssen als Sträucher und Bäume ihr Dasein fristen, die immer wieder von den Harpyien zerzaust werden, da sie sich mit ihrem Selbstmord selbst von ihrem Körper losgerissen haben ... Diejenigen, die Gewalt gegen Gott (Blasphemie), gegen die Natur (Sodomie) und gegen die Kunst (Wucher) verübt haben, büßen im dritten Ring, dessen Boden aus Sand besteht.

8 – Maleboge, Fraude – Die Betrüger (5:32-6:26)

Der achte Höllenkreis (Malebolge) ist in zehn Gräben unterteilt. Im ersten schleppen sich die Kuppler und Verführer ..., von gehörnten Teufeln mit Peitschen getrieben, im Gegenzug durch den Graben. Schmeichler und Huren wälzen sich im zweiten Graben in ätzendem Kot. ... Im dritten Graben stecken die Simonisten; Betrüger, die schwunghaften Handel mit Kirchenämtern trieben, kopfüber in Felsenlöchern, aus denen nur ihre brennenden Sohlen herausragen. ... Im vierten Graben beobachten Vergil und Dante die Zauberer und Wahrsager, deren Körper so verrenkt wurden, dass ihre Gesichter nach hinten gewendet sind ... Der fünfte Graben ist mit kochendem Pech gefüllt, in dem die Bestechlichen büßen. Eine besondere Gruppe von Teufeln, die Malebranche, holt ihre Seelen und bewacht sie: Wer den Kopf aus der Pechflut steckt, wird mit Gabeln an Land gezogen und dort geschunden ... [Im sechsten Graben] müssen die Heuchler in schweren vergoldeten Bleimänteln einherschreiten. ... Im siebten Graben werden Diebe und Räuber unablässig von Schlangen angegriffen, durch deren Bisse sie zu Asche zerfallen, um bald darauf wieder auferstehen zu müssen – die ewige Strafe der Diebe. Nicht alle Sünder werden von den Schlangen lediglich gebissen, andere verschmelzen mit ihnen (oder einem Drachen) zu einem ungeheuerlichen Ungetüm. Hinterlistige Berater und betrügerische Räuber büßen, indem sie wie Glühwürmchen in Flammen gehüllt durch den achten Graben schweben. ... Im neunten Graben begegnet Dante den Glaubensspaltern und Zwietrachtstiftern, zu denen er auch den Stifter des Islam, Mohammed, und seinen Schwiegersohn Ali zählt. Ein Teufel schlägt ihnen unablässig Gliedmaßen ab und tiefe Wunden ... Im letzten Graben des achten Höllenkreises leiden die Fälscher, Alchemisten und falschen Zeugen unter ekelhaften Krankheiten und fallen in blinder Raserei übereinander her.

9 – Cocite, Traicao – Die Verräter (6:27-7:21)

Auf Bitten Vergils setzt Antaeus die beiden Wanderer auf dem Grund des letzten Höllenkreises ab. Dort büßen die Verräter, bis zum Kopf in einen See eingefroren: in der Kaina die Verräter an Verwandten und in der Antenora die politischen Verräter. Die Verräter an Tischgenossen sind rücklings in der Tolomea eingefroren, sodass ihre zu Kristallen gewordenen Augen sich für immer verschließen. Den Sündern in dieser Zone können schon zu Lebzeiten die Seelen vom Körper geschieden werden. In die leblose Hülle schlüpft dann ein Dämon, der sein Unwesen auf der Welt treibt. In der untersten Höllentiefe, der Judecca, liegen vom Eis völlig bedeckt diejenigen Sünder, die ihren Herrn und Wohltäter verraten haben. Und in ihrer Mitte steckt der gestürzte Luzifer im Eis, in seinen drei Mäulern die Erzverräter Judas, Brutus und Cassius zermalmend.

Es folgt der Abspann (7:21-8:05).


Selbstverständlich kann man in acht Minuten nicht wirklich angemessen in das komplexe Werk des Inferno einführen – das bleibt anderen Zugangswegen vorbehalten. Aber als eine Art atmosphärisches Intro kann ich mir diesen Kurzfilm durchaus vorstellen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/95/am506.htm
© Andreas Mertin, 2015