Juni 2014

Liebe Leserinnen und Leser,

"Der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus, ist ein einziger, der, nachdem er in dieser Welt erschienen war, nur einmal gestorben und auferstanden ist. Nirgendwo anders hat er sich gezeigt, nirgendwo anders ist er gestorben oder auferstanden. So ist es unvorstellbar, dass es viele Welten gibt, weil es weder vorstellbar ist, dass Christus mehrmals gestorben und auferstanden ist, noch denkbar, dass in irgendeiner anderen Welt ohne Bekanntschaft mit dem Sohn Gottes den Menschen das ewige Leben zurückgegeben wird" - so einfach war das noch 1549, als Philipp Melanchthon die Notwendigkeit exotheologischer Gedankengänge einfach beiseite fegen konnte. Heute, 465 Jahre später, will das nicht mehr so einfach gelingen. Zwar ist die Beschäftigung mit der Exotheologie in Deutschland eher ein exotisches Phänomen, das aber weniger, weil Melanchthon in seiner Argumentation recht bekommen hätte, sondern weil die naturwissenschaftliche Erkenntnis über ihn hinweggefegt ist. Dass es unzählige weitere Welten gibt könnte heute niemand mit Verstand mehr bezweifeln. Dass die Wahrscheinlichkeit, dass es auch anderswo intelligentes Leben gibt, ziemlich groß ist, dürfte ein common sense unter Wissenschaftlern sein. Dass wir dennoch theologisch so selten über die Konsequenzen dieser Annahmen nachdenken, dürfte nicht nur damit zusammenhängen, dass, wie Hans Blumenberg meinte, „die Erfüllung der Hoffnung auf interstellare Kommunikation ... dem Christentum wie jeder Religion den Garaus machen“ müsste. Es hat wohl eher mit der feststellbaren Tatsache zu tun, dass bis zur realen Begegnung mit fremden Welten noch tausende von Jahren vergehen werden. Aber, auch darauf hat Blumenberg hingewiesen, die Theologie muss „schon jetzt auf den Konjunktiv der Frage ohne Nachlaß eingehen, was es bedeuten würde, wenn die Exobiologie eines Tages Grund bekäme, zur Exoanthropologie zu werden.“

Und dennoch mutet das Thema "Exotheologie" zunächst etwas exotisch an. Wenn ich in den letzten Monaten von diesem Heft erzählt habe, erntete ich oft entsetzte Blicke, wie denn seriöse Theologen sich mit „so einem“ Thema beschäftigen könnten. Die Lektüre dieses Heftes wird die Leserinnen und Leser eines Besseren belehren. Die Frage nach der Exotheologie war eine scharfe Waffe in der Zeit der Aufklärung, eine Frage nach der inneren Logizität der christlichen Theologie. Dass auch die seinerzeitigen Theologen das so begriffen haben, zeigt der in diesem Heft vorgestellte Briefwechsel eines anonymen Laien mit den führenden Theologen seiner Zeit. Die Heftradaktion lag dieses Mal in den Händen von Christian Weidemann und Michael Waltemathe.


Unter VIEW finden Sie deshalb von Christian Weidemann einen Kommentar und die Dokumentation des theologischen Briefwechsels eines Laien über die Versöhnung unseres Planeten und anderer Welten mit Gott durch Christus. Dieses einzigartige Dokument war bisher in der Sache kaum greifbar und wird hier noch einmal in das öffentliche Bewusstsein gebracht. Der Frage „Starb Jesus auch für die Bewohner fremder Welten?“ geht Christian Weidemann anhand der Antworten der Gesprächspartner des unbekannten Laien grundsätzlich nach. Michael Waltemathe reflektiert die Wechselwirkungen von Raumfahrt und Religion. Benedikt Paul Göcke geht in seinem Beitrag der Frage nach, welchen Einfluss die Existenz extraterrestrischen Lebens auf die theologischen Wissenschaften haben würde und zeigt, dass „keine gravierenden Auswirkungen auf das theologische Leben“ zu befürchten sind. Andreas Losch stellt Armin Kreiners Buch „Außerirdische Intelligenz als Herausforderung für den christlichen Glauben“ vor. Andreas Mertin verweist darauf, dass sich auch Hans Blumenberg im Rahmen seiner astronoetischen Reflexionen mit der Exotheologie beschäftigt hat.

Unsere Rubrik RE-VIEW ist mit zahlreichen interessanten Beiträgen gefüllt: Rezensionen und Buchvorstellungen gibt es von Horst Schwebel, Hans Jürgen Benedict und Andreas Mertin. Zum Verhältnis von Musik und Theologie anhand konkreter Werke äußern sich Wolfgang Vögele und Hans Jürgen Benedict. Beobachtungen zur letzten Art Karlsruhe steuert Wolfgang Vögele bei.

Unter POST dokumentieren wir einen Vortrag von Hans Jürgen Benedict zur Frage der Toleranz. Andreas Mertin glossiert aus gegebenem Anlass den Unbildungswillen des Kölner Katholizismus und stellt ein Video zur Heftthematik vor.

Einige Hinweise zu den kommenden Heften:

Heft 90 beschäftigt sich unter der Redaktion von Wolfgang Vögele mit dem aktuellen Stand von Theologie und Kirche.

Heft 91 wird verschiedene Debatten und Entwicklungen des Jahres aufgreifen und ist daher ein CONTAINER.

Heft 92 wird sich unter der Redaktion von Reinhard Kirste mit dem Thema der Globalisierung der Religionen beschäftigen.

Leserinnen und Leser, die Beiträge zu einzelnen Heften einreichen wollen, werden gebeten, sich mit der Redaktion in Verbindung zu setzen. Die Abgabetermine für die fertigen Texte ist dann jeweils spätestens 2 Wochen vor dem jeweiligen Erscheinungstermin.

Wir wünschen eine angenehme und erkenntnisreiche Lektüre!

Andreas Mertin, Jörg Herrmann und Horst Schwebel