Paradigmen theologischen Denkens II


Heft 84 | Home | Heft 1-83 | Newsletter | Impressum und Datenschutz

Paradigmen theologischen Denkens - Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben

Teil IV: Weitere Verhältnisbestimmungen und Grenzziehungen

Stefan Schütze

3. Komplextheologisches Denken und David H. Nikkels Theologie des „radical embodiment“

Lektürebasis:

Nikkel, David H.: Radical Embodiment, Eugene, OR, 2010

Rutledge, David: The Crucial Concept of Embodiment: David Nikkel’s Account. Buchbesprechung, online veröffentlicht unter: http://www.missouriwestern.edu/orgs/polanyi/TAD%20WEB%20ARCHIVE/TAD37-2/TAD37-2-fnl-pg9-15-pdf.pdf (Stand: März 2009)

Auch mit dem Thema des „embodiment“ aller geistigen Prozesse und Funktionen des menschlichen Lebens, seiner Bedeutung für eine heute plausible „Philosophie des Geistes“, und der Frage, ob Kants Philosophie die fundamentale „Leiblichkeit“ allen menschlichen Erkennens und aller menschlichen Rationalität ausreichend ernstnimmt, habe ich mich in „Gefeiertes Geheimnis“ bereits an verschiedenen Stellen beschäftigt.[1] An diese Überlegungen knüpft die folgende Verhältnisbestimmung meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ zu David H. Nikkels 2010 veröffentlichter, sich selbst als zwischen einem „radical or deconstructionist/poststructuralist“ und einem „conservative or ‚postliberal‘“ Postmodernismus im Sinne eines „moderate postmodernism“ „vermittelnd“ verstehender[2] Theologie eines sog. „Radical embodiment“ in gewisser Weise an.

Nikkel setzt bei einer Kritik des „modernen“ Leib-Seele-Dualismus an, der das westliche Denken seit Descartes positiv und negativ bestimmt und dabei den Menschen von seiner biologischen Körperlichkeit entfremdet habe. „David Nikkel’s ambitious goal in Radical Embodiment is to overcome this alienation by ‚advancing a picture of our meaningful, radical embodiment in our biosphere and in our social traditions, within a universe regarded as the body of God‘ (ix).“[3]

Menschliches Wissen und menschliche Werte, so Nikkel, sind nicht körperlos, sondern all unser Wissen ist in unseren physischen Körpern, in unseren kulturellen Traditionen, und in der „divine source of all meaning“[4] inkarniert. Diese für unser Menschsein fundamentale Dimension eines „radical embodiment“ aller seiner Funktionen stellt die „Postmoderne“ im Unterschied zur „Moderne“ jetzt bei all ihren sonstigen Unterschieden ins Zentrum ihrer Weltintepretation.

Die Moderne, so Nikkel, hat mit der fundamentalen Körperlichkeit des Menschen auch seine soziale Verankerung in Tradition und Kultur verkannt; dem gegenüber betont die Postmoderne nicht nur „the bodily embeddedness of all human thought“, sondern auch seine Einbettung in den weiteren „Körper“ menschlicher Kultur, indem sie „‘tradition as body‘” begreift. Die Postmoderne, so Nikkel, denkt „embodiment“ als umfassende Struktur unserer ganzen menschlichen Natur und Geschichte, und menschliches „Bewusstsein“ als Teil dieser Struktur, der zugleich rätselhaft bleibt und „whose nature and purpose cannot be explained fully by science“.[5]

Nach dieser konzeptionellen Grundlegung dessen, was er als die „radikale Leiblichkeit“ allen menschlichen Denkens und Lebens definiert, wendet sich Nikkel besonders der Gottesfrage zu und fragt, welches Gottesbild am ehesten dieser Struktur des „radical embodiment“ von Mensch und Kultur entspricht. Für Nikkel ist dies weder die „minimalistische“ Gottesvorstellung der „dekonstruktionistischen“ postmodernen Theologen, „that so embraces the via negativa and the limits of human speech about God that it renders real commitment virtually impossible“, noch die „maximalistische“ Gottesvorstellung ihrer „postliberalen“ Gegenspieler, die „employ postmodernism defensively, rejecting the possibility of real dialogue with other traditions“.[6] Zwischen diesen beiden „Extremen“ will Nikkel die vermittelnde Position eines „moderate postmodernism“ einnehmen „by developing and promoting an explicit and full-fledged panentheistic understanding of God”[7]. Ein solcher kritischer postmoderner „Panentheismus“ behauptet trotz des partiellen Rechts einer negativen Theologie die “inevitability of metaphysics”, weil für ihn die „unknowability of God” die Möglichkeiten affirmativer Gottesrede nur begrenzt, aber nicht eliminiert.[8] Nikkels „panentheistischer” Gott ist eine gegen die radikalen Dekonstruktivisten weiterhin „personal“ gedachte Gottheit. Gegen die Postliberalen ist diese Gottheit aber nicht mehr die Quelle einer supranaturalen „Offenbarung“ und „Intervention“ in die Welt, sondern das Geheimnis der Welt „in, mit und unter“ allen ihren natürlichen Prozessen. Diese Form panentheistischen Gottesdenkens überwindet nach Nikkel damit auch den modernen Dualismus von Transzendenz und Immanenz zugunsten einer Synthese beider Positionen, die sich aber von Mark Taylors Konzept einer „immanenten Transzendenz“ dadurch unterscheidet, dass sie neben der Immanenz eine echte metaphysische Transzendenz des Göttlichen weiterhin zu denken versucht.

In diesem letzten Punkt können die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede zwischen Nikkels postmodernem „Panentheismus“ und meiner eher „anatheistischen“, an Kaufman, Taylor, Keller und Kearney angelehnen theologischen Denkbewegung besonders verdeutlicht werden, was ich mit folgenden weiteren „Verhältnisbestimmungen“ und „Grenzziehungen“ zwischen Nikkels Ansatz und einigen für meine eigene Suche nach einem „für mich heute sag- und tragfähigen“ Glauben wesentlichen theologischen Denkern und Denkhorizonten vertiefen möchte:

(1) Nikkel bestimmt das Verhältnis seines „moderat postmodernen“ theologischen Ansatzes zur Tradition westlichen „liberalen“ theologischen Denkens u.a. durch eine Diskussion von Schleiermachers Rekonstruktion des Gottesglaubens im Rahmen seiner Verankerung im religiösen Grundgefühl einer „schlechthinnigen Abhängigkeit“: „Friedrich Schleiermacher, anticipating the further reach of critical reason, made a remarkable and rather postmodern acknowledgment: all our characterizations of ‚the absolute‘ are linguistically, culturally and historically conditioned. With some justification this ‚father of modern theology‘ might also be called the ‚father of postmodern theology‘. However, Schleiermacher could not let go one area of absolute privilege, one absolute human connection with the divine: the allegedly universal human ‚feeling of absolute dependence‘.“ Dieses menschliche Grundgefühl, so Nikkel, war für Schleiermacher in dem Sinne „absolut“, dass es, wie unterschiedlich von Mensch zu Mensch und Kultur zu Kultur es auch sonst konzeptionell gefasst wird, „a necessary component of every human experience“ ist „rather than just a potentiality which some people realize some of the time“.[9]

Die Frage ist für mich aber, ob man Schleiermachers „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ wirklich als ein „absolutes“ Gefühl verstehen sollte, das jeder Mensch immer und in der gleichen Weise aktualisiert („schlechthinnig“ ist nach Schleiermacher die „Abhängigkeit“ und nicht das Gefühl!), oder nicht vielmehr die in der conditio humana tatsächlich konstitutiv gegebene Kontingenzerfahrung der Endlichkeit und Sterblichkeit aller Menschen, die ihr Leben sich nicht selbst geben, sondern nur „schlechthin“ empfangen können. Diese Verwiesenheit menschlichen Lebens auf einen vorgängigen Horizont reinen Empfangens wäre unabhängig vom tatsächlichen phänomenalen „Gefühl“ für sie, das ein Mensch in unterschiedlicher Intensität entwickeln oder nicht entwickeln kann, zu beschreiben.

(2) Weiter setzt sich Nikkel auch kritisch mit Gordon Kaufmans Vorschlag „on thinking of God as serendipitous creativity“[10] auseinander, die er eine „minimalist notion of God“ nennt, die für ihn den Gehalt traditioneller menschlicher Gottesrede nur noch teilweise bewahren kann: „Given the wariness of the postmodern spirit about grand claims to knowledge, it comes as no surprise that some theologians offer a minimalist notion of ‚God‘. One such thinker, …, Gordon Kaufman has moved from more traditional understandings of God“ und identifiziert Gott nun mit „‘serendipitous creativity‘; eine Gottesvorstellung, die keine personalen, bewussten, intentionalen oder agentialen Eigenschaften mehr enthält.[11]

Nikkel paraphrasiert Kaufmans Ausdruck „serendipitous creativity“ etwas despektierlich mit „happy chance“[12], und hält seine Gottesvorstellung aus Sicht einer Theologie des „radical embodiment“ trotz einer gewissen Berechtigung für defizitär: Solche „minimalist conceptions of God have appeal to avoiding both modern absolutism and relativism … They also resonate with the postmodern enjoinment to respect otherness by granting for other … traditions‘ accord with the most basic Christian or metaphysical claims. These conceptions do retain something of the basic Western notion of God“; Nikkel bezweifelt aber, dass sie „enough of that meaning“ bewahren „to qualify as a development of rather than an alternative to the God-concept.“[13]

Für die große Mehrheit gegenwärtiger Gottesgläubiger (und auch für Nikkel selbst) erschienen solche „minimalistischen“ Konzeptionen „to fall short of what they mean by ‚God‘“. Ihrem Gottesglauben kann nur ein Gotteskonzept gerecht werden, das das Göttliche „in some meaningful if symbolic sense ‚conscious‘, intentional, agential, and integrated“ denkt.[14] Das versucht Nikkel mit seinem panentheistischen Konzept eines in der Welt verkörperten göttlichen Bewusstseins zu erreichen. Er weist darauf hin, dass Kaufman selbst manchmal in „(s)ome countervailing tendencies“ Gott vom kosmischen Prozess einer glücklichen Kreativität als ihren transzendenten Grund unterscheide, wenn er vom Göttlichen als „‘ground(ing)‘, ‚underlying‘, ‚behind‘, ‚unifying‘, ‚expressing itself‘ or ‚working‘ in and through all processes of reality“ rede.[15]

Zu Nikkels Kaufmaninterpretation ist m.E. zu sagen, dass sie verkennt, dass Kaufman keineswegs pantheistisch „Gott“ mit der Gesamtheit aller „processes of reality“ identifiziert, sondern die glückliche Kreativität als unergründliches Geheimnis am Grunde allen Werdens konzeptualisiert, von der man durchaus „panentheistisch“ sagen kann, dass sie „in, mit und unter“ den evolutionären Prozessen des Kosmos wirkt, aber ihnen zugleich, jedenfalls in demjenigen „trajectory“, das die Erde, ihre Biologie und uns Menschen hervorgebracht hat, eine „directionality“, einen „Zweck ohne Zweck“ im Sinne Kants gibt, der das rein wissenschaftlich über ihn Formulierbare durch verschiedene „small steps of faith“[16] transzendiert. Die Frage, ob die Mehrheit der heute Gottgläubigen ein solches Gotteskonzept befriedigend findet, oder nach einem traditionelleren, agentialeren Konzept verlangt (einer Tatsache, der sich Kaufman wohl bewusst ist und die er schon im Vorwort von in „In Face of Mystery“ kritisch thematisiert[17]), sagt nichts darüber aus, ob ein solches traditionelleres Konzept wirklich noch im Rahmen einer modernen und postmodernen Gesamtsicht der Wirklichkeit plausibilisierbar ist. Gerade das bestreitet Kaufman, und hier bleibt Nikkel m.E. einen echten Gegenbeweis schuldig.

(3) Auch die Diskussion Nikkels von Mark Taylors Rede von „Immanenter Transzendenz“ in „After God“ ist hier m.E. instruktiv. Während, so Nikkel, der frühe Mark Taylor ein radikaler Dekonstruktionist war, dem jede konkrete Realität in die Fragmentation und Diffusion der völligen Nicht-Repräsentierbarkeit der Wirklichkeit entglitt, in der „(t)he object always remains at a frustrating remove from the subject“, weil „the self can never truly connect with the other“[18], hat der späte Mark Taylor auch diesen radikalen Dekonstruktivismus dekonstruiert und ist so in eine post-postmoderne Phase seines Denkens eingetreten, in der die radikale Alterität und Nichtfassbarkeit der Wirklichkeit zwar nicht aufgehoben, aber doch mit den Ergebnissen von Komplexitäts- und Chaostheorie komplementiert und dadurch relativiert wird. Dabei habe Taylor sich einer panentheistischen Sicht des Göttlichen ein Stück weit angenähert:

„Mark C. Taylor, in the latest manifestation of his post post-structuralist, constructive phase, proffers a metaphysics bearing significant similarities to my own with its emphasis on reality as self-organizing and emergent.“ Aber Taylor erreiche dabei anders als Nikkel keine wirklich realistische Vorstellung von der Gegenwart des Göttlichen in der Welt, sondern ziehe das Fazit, „that no transcendence in the sense of a purposive or directional ultimate cause lies behind these self-organizing processes“. Die Aktivität der Selbstorganisation selbst ersetze für ihn die theistische Vorstellung eines transzendenten Weltgrundes: Die zunehmende Komplexifizierung der Wirklichkeit habe eine intrinsisch teleologische Dimension, ohne dass diese von außen gewirkt wäre, und in der Vorstellung einer „immanenten Transzendenz“, die Taylor auf dieser Grundlage entwickelt, werde das Göttliche als das „open, de-structuring disfiguring (‚transcendent‘) element“ innerhalb dieser selbstorganisierenden Prozesse rekonstruiert, das die Wirklichkeit immer neu destabilisiert, fern vom Equilibrium hält, und so „allows for the emergence of the new.“[19]

Für Nikkel inkorporiert auch diese religiöse Weltsicht des späten Taylor immer noch „too much of Derridaen deconstruction“. Während Nikkel das Bedürfnis von lebenden Organismen nach Homöostase und der Aufrechterhaltung eines relativ stabilen Gleichgewichts zur Grundlage seines Denkens machen möchte, und darum theologisch die strukturierende und orientierende Funktion von Religion priorisiert, betone Taylor die notwendige Instabilität eines Systems „far from equilibrium“, ohne die es biologisch nicht zur Emergenz und Evolution von Leben kommen könnte, und stelle entsprechend auch die „de-structuring and disfiguring“ Funktion von Religion, mit der sie menschliche Gewissheiten erschüttert und destabilisiert, in den Mittelpunkt seines Denkens. „Taylor sometimes appears to equate the destabilizing side of things with the truth that any complex reality defies complete representation“, wogegen Nikkel die Möglichkeit zwar unvollständiger, aber doch viabler Wirklichkeitsrepräsentation betont.[20]

Zu dieser Kritik Nikkels an Taylors Interpretation religiöser Weltorientierung ist aus „anatheistischer“ Perspektive m.E. zu sagen, dass eine theologische Weltkonstruktion tatsächlich immer beides beinhalten muss, ein „konservatives“ Element der Hilfe zur inneren Beheimatung (Psalm 84, 4f.) wie auch ein „progressives“ Element der Kraft zum Aufbruch in ein „unbekanntes Land“ (Gen 12ff.; Sara und Abraham). Insofern betonen Nikkel und Taylor tatsächlich beide unverzichtbare Aspekte, die in einem „sag- und tragfähigen“, komplexen religiösen Orientierungsschema komplementär aufeinander verwiesen sind. Beide erkennen ja tatsächlich auch beide Momente, das stabilisierende und das destailisierende für eine umfassende Wirklichkeitsdeutung an, priosieren sie aber gegensätzlich. Aus meiner Perspektive hat dabei tatsächlich die Priorisierung der dynamischen Instabilitäten durch Taylor das größere Recht. Wir brauchen religiös und ethisch genauso wie biologisch keine statische, sondern eine in ihrem Kern dynamische Stabilität, wenn unsere biologischen, religiösen und ethischen Systeme adaptiv bleiben und zukunftsfähig sein sollen. Das entspricht auch gerade der jüdisch-christlichen Glaubenstradition: Ihre Grundsymbole sind der Exodus bzw. der österliche Ruf in die Nachfolge, die immer mehr Unruhe als Ruhe ins Leben bringen („Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber folge mir nach“ [Mt 8,22 / Lk 9,60]).

Die „Stabilität“ religiöser Weltorientierung ist die Stabilität einer theologia viatorum, eines Gottesvolkes auf dem Weg in die verheißene, immanent nie erreichbare Zukunft; sie besteht, wie Mark Taylor es formuliert hat, in der je neuen Bereitstellung von "complex dynamic networks”, komplexen Orientierungsschemata, “that are subtly shifting pockets of stability in the midst of fluxes and flows”[21], ist Wohnen in beweglichen Zelten und immer Heimat auf Zeit. Oder, wie Hans-Peter Dürr es aus physikalischer Perspektive formuliert hat: “Nur in einem labilen, instabilen Zustand, der kurzfristig zusammenbricht, können sich prinzipiell hoch geordnete, differenzierte Strukturen bilden. Hier schließt sich die Frage an: Gibt es Möglichkeiten, Instabilität zu stabilisieren? Eine solche Situation gibt es in der Tat. Wir praktizieren sie täglich: Wir stehen auf einem Bein und sind, statisch betrachtet, instabil. Wir stehen auf dem anderen Bein und sind in der gleichen wackligen Lage. Sobald wir aber gehen, wechseln wir von einer Instabilität in die andere und erreichen dadurch einen dynamisch stabilen Gang, ohne dabei hinzufallen … Das ist das Wesen des Lebendigseins: statische Instabilität in eine Dynamik einzugliedern, bei der der Vorzug der Instabilität, nämlich offen zu sein …, verbunden wird mit einer bestimmten Beständigkeit. Also nicht zu Boden fallen und in den statisch stabilen Zustand zu wechseln, der Sterben bedeuten würde.“[22]

(4) Für die „Verhältnisbestimmung“ und „Grenzziehung“ zwischen Nikkels Ansatz und meiner eigenen theologischen Denkbewegung instruktiv ist schließlich auch die Auseinandersetzung mit Nikkels Behandlung des Themas „Ewiges Leben“ bzw. „afterlife“. Die Einsicht in das „radical embodiment“ aller menschlichen Lebensfunktionen schließt, so Nikkel zunächst, den Gedanken einer immateriellen Seele und ihres Weiterlebens nach dem Tode eigentlich aus. Möglich bleibt aber, so Nikkel dann weiter, vielleicht die Annahme, dass es „other dimensions of the universe or another realm unconnected to it“ geben könnte, die „human and animal embodiment“ auch nach dem Tode ermöglichen könnten.[23] Insgesamt neigt Nikkel aber dazu, mit der Prozessphilosophie eine „subjective immortality“ auszuschließen und statt ihrer eine „objective immortality“ anzunehmen, nach der der gestorbene Mensch im Gedenken Gottes ruht. „My embodied panentheistic model of divinity provides that all we do registers with the divine. And given the ultimacy of the divine as the source of all possibility and actuality, it makes sense that the divine will never lose this memory … So the value of our lives to ourselves and to others furnishes everlasting value to the divine life, which will always find new embodiments – and just perhaps through the creativity of the divine, we will find new embodiments beyond this life. In any case, the divine source and goal of all our lives beneficiently has made provisions for what is best for us, as it has made for us a home.“[24]

Hier erscheint mir Nikkels Lösung der Unsterblichkeitsfrage doch sehr diffus und nebulös. Die unlösbaren Aporien der Vorstellung einer Wiederverkörperung von menschlicher Identität nach dem Ende ihrer jetzigen Verkörperung durch den Tod hat Mark Johnston in „Beyond Death“ detalliert herausgearbeitet.[25] Und die Rede von „provisions for what is best for us“, die „divine source and goal of all our lives“ irgendwie gemacht habe oder machen werde, setzt ein agentiales theistisches Gotteskonzept voraus, dass Nikkel, meine ich, nirgends wirklich plausibilisieren konnte. Hier hat er die Einwände Kaufmans und Taylors tatsächlich nicht widerlegt, und entsprechend bleibt auch seine Behauptung göttlicher „beneficiently … made provisions“ hier für mich ein im Kant’schen Sinne „leerer“, auf jeden Fall schwammiger Begriff.

Es sind wohl solche unklaren Formulierungen, die Charley D. Hardwick in seinem Buch „Events of grace“ zu der Bemerkung veranlasst haben: „At no other point in theological discussions today (als bei der Behandlung des Themas „Leben nach dem Tod“) is it more common to find reference to tired, old formulas whithout theological elucidation. When theologians do discuss theese issues, it is often difficult to figure out what is being affirmed – and denied.“[26] Für mich sind hier die oben zitierten theopoetischen Worte Sölles vom „Wein der Brüderlichkeit“, der auch nach dem individuellen Ende meiner Existenz „weiter getrunken“ wird[27] oder auch die Deutung, die Henry Nelson Wieman dem christlichen Osterglauben gegeben hat, wenn er sagt: „what rose from the dead was not the man Jesus; it was creative power“[28], nicht nur klarer und plausibler, sondern auch berührender und tröstender als Nikkels diffuses Ausweichen vor einer klaren Festlegung auf konkrete Vorstellungen es hier für mich sein kann.

Anmerkungen

[1]    vgl. „Gefeiertes Geheimnis“, 128-132; 165-168

[2]    Nikkel, Embodiment, 2

[3]    Rutledge, Embodiment

[4]    Rutledge, Embodiment

[5]    Rutledge, Embodiment

[6]    Rutledge, Embodiment

[7]    Nikkel, Embodiment, 127

[8]    Nikkel, Embodiment, 128-133

[9]    Nikkel, Embodiment, 10

[10]   Kaufman, Creativity, 53ff.

[11]   Nikkel, Embodiment, 123

[12]   Nikkel, Embodiment, 160

[13]   Nikkel, Embodiment, 124

[14]   Nikkel, Embodiment, 125

[15]   Nikkel, Embodiment, 123

[16]   Kaufman, Mystery, 237ff., vgl. Grafik 287

[17]   Auf S. XIII seines Vorworts zu „In Face of Mystery“ schreibt Kaufman: „I must grant that the carefully qualified, and in certain respects agnostic, stance elaborated in this book does not provide the intense emotional satisfaction, or the sort of personal empowerment, characteristic of positions which believe themselves justified in proclaiming more concrete and specific certitudes about God, humanity, and the world. Its weakness in this respect (if that is what it is) is the obverse of its fear of every fanaticism or idolatry, so often the consequence of personal commitment given too quickly and fully to reified symbols.“ Insofern könnte diese „Schwäche“ seines Gotteskonzeptes gerade auch seine Stärke sein: „And thus the profound awe which we feel before the mystery from which all this magnificent diversity streams forth may begin to expand in a deep love and loyality to that mystery – to expand. that is to say, into faith in the God who truly humanizes yet thoroughly relativizes us all.“

[18]   Nikkel, Embodiment, 81

[19]   Nikkel, Embodiment, 151

[20]   Nikkel, Embodiment, 151f.

[21]   Taylor, After God, 347

[22]   Dürr, Warum es ums Ganze geht, 106; vgl. 141

[23]   Nikkel, Embodiment, 170f.

[24]   Nikkel, Embodiment, 172

[25]   vgl. meine Darstellung von Johnsons Argumentationsgang in „Was von uns bleibt“, 11f.

[26]   Hardwick, „Events of grace“, 11; vgl. den Zusammenhang in meiner Argumentation in „Gefeiertes Geheimnis“, 8f.

[27]   Sölle, Hinreise, 23

[28]   Wieman, Source, 44; vgl. im Zusammenhang meine Besprechung von Wiemans theologischem Beitrag insgesamt in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 273-278

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/84/sts08.htm
© Stefan Schütze, 2013