Drohnen

Besprechungen ausgewählter Videoclips XXXVI

Andreas Mertin

Wenn in CSI: NY die Wissenschaftler die Überwachungskameras der Stadt anzapfen, um den Fluchtweg des mutmaßlichen Täters zu rekonstruieren, wenn wir von Drohnen lesen, die nach entsprechender Überwachung einen als Terroristen Verdächtigten töten, wenn unsere Regierung überlegt, bewaffnete Drohnen anzuschaffen – dann ist das von unserem persönlichen Alltag immer noch ein gutes Stück weit entfernt. Nur wenn Google mit dem Streetview-Auto durch unsere Straße fährt und droht, unser privates Wohnumfeld öffentlich zu machen, dann schreiben wir schon mal vorsorglich Emails und lassen unser Haus verpixeln. In der Welt der Videoclips rückt das Phänomen der elektronischen Erfassung unserer Lebenswelt aber immer näher, als wollten die Produzenten uns darauf vorbereiten, dass dies ein selbstverständlicher Bestandteil unseres künftigen Lebens sein wird bzw. ganz selbstverständlich schon ist.

In dem etwas anzüglichen Ayo – Technology von 50 Cent feat. Justin Timberlake aus dem Jahr 2007 wird die observierte Protagonistin gleich ganz transparent und dem Willen ihrer Beobachter unterworfen – eine gestaltgewordene Männerphantasie, Minority Report ins Schlüpfrige gewendet. Wenn die Waffen nicht mehr Gewehre und die Akteure nicht mehr Soldaten sind, sondern Überwachungskameras und Drohnen Handlungsträger werden, ändert sich etwas Grundlegendes. Die Technologie der Moderne leistet heute ungefragt, still und leise, was die Kirchenzucht und Sozialkontrolle der Reformierten im Genf des 16. Jahrhunderts mit ihren nächtlichen Kontrollen noch gewaltsam durchsetzte.

I Are Droid – Winter Ward Part II (2013)

In dem jüngst erschienenen Musikvideo zur instrumentalen Version von Winter Ward von “I are Droid” geht es um das Gefühl des Ausgeliefertseins unter totaler Kontrolle. „I are Droid“ ist eine schwedische Rockgruppe, die sich 2005 gegründet hat, Winter Ward ist ihr zweites Album. Regisseur des Clips ist Oskar Wrango, der neben Videoclips auch Commercials produziert.

Das Ganze spielt zu nächtlicher Zeit in einer Tiefgarage oder eine leergeräumten Fabriketage in diffusem elektrischem Licht. Wir blicken zunächst in den leeren Raum bis die Kamera eine merkwürdig gekrümmte Gestalt vor einer kahlen Wand am Boden entdeckt. Dann steuert eine Minidrone mit Such-Scheinwerfern durch den Raum und erkundet ihn. Als sie auf den Menschentorso stößt, leuchtet sie ihn aus und er beginnt sich zu bewegen, Gesten zu machen und vielleicht auch zu fliehen. Da er zuvor wie ein Schlangenmensch in sich verkrümmt war, beginnt er sich nun langsam zu „entfalten“. Während er versucht, auf die Beine zu kommen, umfliegt ihn die Drohne in einem gewissen Abstand.

Zwischendurch nimmt er eine Gestalt an, die aus einem Gemälde von Hieronymus Bosch entsprungen sein könnte. Dann versucht er die Wände hochzuklettern und sich an einer Stange an der Decke entlang zu hangeln – immer verfolgt von der ihn beobachtenden Drohne, die ihn zugleich mit einem Laser erfasst hat. Die Drohne treibt ihn  vor sich her, bis er schließlich im hintersten Winkel des Raumes auf halber Höhe hinter einer eisernen Wendeltreppe einen Absatz findet, wo er sich verbirgt. Dort hat die Gestalt drei Säulen aus Steinen aufgeschichtet, ohne dass man erkennen könnte, was er damit bezweckt. Aber es ist das einzige kulturelle Artefakt im Raum – wenn man von der Drohne absieht. Nach und nach verdunkelt sich das Bild. Ende.

Das Frappierende am Video ist, dass man, wenn man ein wenig bei Youtube stöbert, sehr schnell auf Spiegelbilder aus der bundesrepublikanischen Wirklichkeit stößt. Eine Firma, die derartige Drohnen vertreibt, zeigt dort, wie man damit zum Beispiel Veranstaltungen überwachen kann oder im Krieg Dörfer kontrollieren.

Das im Videoclip bearbeitete Thema ist aber weniger die Kontrolle, wie sie in der Konstruktion der Drohne begründet liegt, als vielmehr die Einschüchterung und die Folter. Die Drohne wirkt wie ein technoider Alien, der durch Präsens das menschliche Wesen in seine Rückzugshöhle drängt. Ist es an sich das Wesen der Drohne, den Menschen machen zu lassen, was er will und ihn gerade dabei zu beobachten und zu kontrollieren, so ist die Aufgabe der Drohne im Video die der unmittelbaren Gewaltausübung durch Präsenz. Das vermittelt im Clip die Atmosphäre einer real beobachteten Folter. Irgendwo, davon muss der Betrachter ausgeben, gibt es eine weitere Instanz, die die Drohne kontrolliert und ihre Aktionen steuert.

Ich glaube nicht, dass der Clip unsere wirkliche gesellschaftliche Situation spiegelt oder spiegeln soll oder eine Metapher dafür ist. Faktisch zeigt er uns ein symbolisches Einzelschicksal eines einer anonymen Kontrolle ausgelieferten menschlichen Individuums in einer feindlichen Umwelt. Genau darin zeigt sich eine Tendenz, nämlich die fortschreitende Anonymisierung, Technisierung und Perfektionierung von Überwachung und Folter.

Mato Atom:  Segulls

Ein Kurzfilm über „Big Data“ könnte man Segulls von Mato Atom nennen oder auch eine technoide Umsetzung eines der bekanntesten Volksmärchen dieser Welt. Segulls = Möwen ist die Umschreibung für die Drohnen, die über uns zur Erfassung unseres Lebens schweben.

Und so sehen wir am Anfang des Clips Infrarotbilder eines Kindes kurz nach der Geburt, von seinen ersten Krabbel- und Laufversuchen bis zu den ersten eigenen Spaziergängen außer Haus. Und dann sieht der Betrachter ein weiteres Detail: Und über all dem schwebt leise eine Drohne und erfasst das Leben mit einem Meer von Bildern. Was immer das Kind bzw. Mädchen macht, es steht unter Kontrolle. Eingeblendet werden kurze Dialoge und Sätze:

Alle diese Jahre bin ich dir gefolgt – Du bist so ein süßes Mädchen – Ich habe dich aufwachsen sehen – Ich bin dir in den Wald gefolgt – Hast Du gedacht, in finde dich nicht? – Warum hast Du so große Augen? - Damit ich dich besser sehen kann – Und nun schau dich an. Endlich erwachsen.

An diesem Punkt scheint die Protagonistin ganz allein an einem Strand zu sein und ein ruhiges Sonnenbad zu genießen, aber auch hier schwebt die Drohne über ihr und bricht mit der Distanz, nähert sich ihr an und scheint in ihr Leben einzugreifen.

Spätestens an der Stelle, an der das Mädchen nach den großen Augen fragt, und der Antwort der Drohne „Damit ich dich besser sehen kann“ wird deutlich, dass der Kurzfilm neben der Überwachung vor allem das Rotkäppchenmotiv als leitende Metapher hat.

Das Märchen Rotkäppchen und der Wolf ist immer auch als Text mit sexueller Konnotation verstanden worden. Die älteste überlieferte Version stammt aus dem Jahr 1697 und ist von Charles Perrault und er kommentiert sie so:

„Kinder, insbesondere attraktive, wohl erzogene, junge Damen, sollten niemals mit Fremden reden, da sie in diesem Fall sehr wohl die Mahlzeit für einen Wolf abgeben könnten. Ich sage ‚Wolf‘, aber es gibt da verschiedene Arten von Wölfen. Da gibt es solche, die auf charmante, ruhige, höfliche, bescheidene, gefällige und herzliche Art jungen Frauen zu Hause und auf der Straße hinterherlaufen. Und unglückseligerweise sind es gerade diese Wölfe, welche die gefährlichsten von allen sind.“

Letztlich geht der Kurzfilm der Metapher des Rotkäppchens zu sehr auf den Leim und verliert dabei das treibende Motiv der anonymen Kontrolle aus den Augen. Nicht umsonst setzen Filme wie Matrix die Kontrolle im Bild des Netzes und damit der Textur um. Davon kann hier keine Rede sein. Zwar gibt es mehr als eine Drohne, aber es bleibt eine unmittelbare Relation.

Die Sexualisierung der Drohne als unsere “Unschuld“ gefährdender Wolf ist nicht wirklich überzeugend. Der visuelle Einschub, der dies explizit macht ist es noch weniger, er ist fast grotesk lächerlich. Offenkundig war man sich der Wahrnehmung der intendierten Botschaft des Sub-Textes nicht mehr sicher. So wird aus einem Sub-Text ein Text, der an der entscheidenden Stelle ideologisch wird. Damit geht aber die ganze Ambivalenz flöten. Es gibt dann auch keine Rekursivität der Metapher mehr, nämlich bezüglich der intimen Technologien.

Epilog: Drones for America! - A New York Times Op-Doc

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/82/am434.htm
© Andreas Mertin, 2013