Himmel

Was fangen wir mit der Rede vom Himmel an? Seit der Entmythologisierung Bultmanns mit ihrer Erledigung des Dreistockwerk-Weltbilds ist jedem Theologen (eigentlich) klar, dass die Rede vom Himmel als Ort obsolet ist. Der Himmel ist kein Ort, sondern ein Zustand. (weswegen das Englische zwischen sky und heaven unterscheidet).Gott wohnt nicht im Himmel, sondern in der Tiefe. Er ist das, was uns unbedingt angeht(Tillich). Den Himmel als Ort der Seligen genießen wir allenfalls noch in der Betrachtung von Kunstwerken - man denke an die Sixtinische Madonna mit den vorwitzigen Putten auf den Wölkchen und an die traumhaft schön auf barocke Kirchendecken gemalte Himmelfahrt Mariens. Im übrigen wird der Himmel zum Refugium des Witzes (Kommt ein Pfarrer in den Himmel) oder des Kitsches in Operetten und Schlagern(Ich tanze mit dir in den Himmel hinein). Alltagssprachlich überlebt er in vielen Redewendungen. Und unsere kleinen Kinder trösten wir immer noch mit der Versicherung, dass die verstorbene Oma vom Himmel auf sie herab schaut.

Der Giessener Soziologe und Theologe Reimer Gronemeyer hat nun ein schönes Buch über den Himmel geschrieben:[der Himmel]. Es heißt im Untertitel Sehnsucht nach einem verlorenen Ort. Es ist keine frömmigkeitsgeschichtliche Studie über die Wandlungen des Himmelsverständnisses in Theologie, Kirche und Gesellschaft. Es ist vielmehr eine gesellschaftskritische Streitschrift, die an den schönen Himmelsglauben früherer Zeiten und Generationen erinnert - einen Glauben, der den Himmel als Ort des Sinns sah, als Ort der Weltdeutung durch die Mythen von der Erschaffung von Himmel und Erde, als Ort der Hoffnung in den Endzeitvisonen vom himmlischen Jerusalem und Jüngsten Gericht und als Ort Gottes, der dem Menschen Grenzen setzt. Dieser Ort, am schönsten beschrieben in Dantes Göttlicher Komödie, sei heute weitgehend verloren gegangen. Der Himmel, schreibt Gronemeyer, „scheint nur noch ein Arbeitsfeld für Astrophysiker, Rohstoffexperten, Prospekteure mit Goldgräbermentalität und für Extrem-Touristen zu sein.“(218)

Gronemeyer stellt den alten Himmel diesem neuen Himmel in kritischer, rettender Absicht gegenüber. Es ist kein Rückfall hinter die kopernikanische Wende, die er ausführlich schildert, keine unkritische romantische Wiederverzauberung sondern eher mit Claudius Sternseherin Lise die Erinnerung an eine Sehnsucht, die Maßstäbe zu setzen wusste: „Es gibt was Besseres in der Welt als all ihr Schmerz und Lust“. Gronemeyer sieht in dem heutigen Umgang der Astrophysik mit dem Weltraum(man denke an die gerade geglückte Mars-Erkundung) das gleiche technisch-kalte Prinzip am Werk, das die Globalisierung im Dienste des Kapitals bestimmt. In dem der Mensch den Himmel abschafft und sich zum Herrn der Welten und der Erkenntnis aufschwingt, klagt Gronemeyer, geht alle Maßstäblichkeit verloren. Den kalten analytischen Ton von Astrophysikern wie Stephen Hawking und Hirnwissenschaftlern wie Singer, die die Existenz einer Seele bestreiten, kritisiert er deswegen heftig. Vielleicht etwas zu heftig. Denn die Einsicht, dass wir nicht mehr unter Firmament und Himmelskuppel geborgen sind, sondern Partikel in einem explodierenden Universum, ist ja nicht zurückzunehmen. Auch nicht das Doppelgefühl von Beseligung und Vernichtung, das den von Gronemeyer zitierten Adalbert Stifter angesichts der Beschreibung des ungeheuren Universums ergriff.

Gronemeyer beschwört den alten Himmel der Mythologen, Theologen und Poeten, um der Menschheit einen Maßstab zurückzugeben. Das tut er mit Fragen und Appellen ebenso wie mit geglückten Skizzen (etwa in dem Kapitel über die Engel als Kommunikatoren in einer Welt elektronischer Selbstvergottung) und der Nennung nachahmenswerter Beispiele der Gegenwehr gegen Umweltzerstörung und Raubbau an dem blauen Planeten. So fordert der österreichische Ort Großmugl nahe Wien, in dem man aufgrund seiner geographischen Lage, eingerahmt von zwei Bergen, den Nachthimmel wunderbar sehen kann, ein „Recht auf Sternenlicht“. Gronemeyer benutzt also das alte Himmelsverständnis immer wieder für seine Gesellschaftskritik, die auf schlimme Fehlentwicklungen hinweist. Dass uns Gott als Gegenüber und Maßstab fehlt, getraut er sich nicht so richtig zu sagen. Er versteckt Gott sozusagen hinter der Beschwörung des Himmels als Grenzen setzender Kosmos.

Meine Frage an dieses glänzend geschriebene, angenehm belehrende und engagierte Buch über den Himmel ist eher, ob die Weckung der Sehnsucht nach dem verlorenen Ort Himmel die Probleme lösen kann, die es benennt. Ich erinnere an die berühmte Kantsche Formel aus der Kritik der praktischen Vernunft (Gronemeyer erwähnt sie nicht) – „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“ Beide bestimmen mein Handeln. Der bestirnte Himmel Kants ist eben nicht mehr die sich über uns wölbende Himmelskugel mit dem Sternenheer, das Gott wie in dem Kinderlied gezählt hat, sondern das ungeheuer sich ausdehnende Weltall. Zeigt mir dieser bestirnte Himmel meine Nichtigkeit im Weltall, und durch diesen Schrecken muss jeder Erdenbewohner hindurch, gibt mir das moralische Gesetz nach Kant einen Halt durch meine Intelligenz und Persönlichkeit in dieser Welt. Und auch Regeln für mein Verhalten zu Mitmenschen und Mitwelt. Daran hapert es, wie Gronemeyer zeigt. Vor allem bei denjenigen, die Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bestimmen. Besonders die Ambivalenz von Wissenschaft als Leben erleichternder Fortschritt und das Leben auf dem Planeten gefährdender Eingriff ist hier zu nennen. Die Erinnerung an den Himmel hilft hier weniger als eine Ethik der Verantwortung im Sinne von Hans Jonas. Nötig sind internationale Kontrollinstrumente ebenso wie persönliche Verhaltensänderungen. Im übrigen möchte man wie Angelus Silesius rufen:„Halt an, wo laufst du hin, der Himmel ist in dir/suchstu Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/79/hjb11.htm
© Hans-Jürgen Benedict, 2012