75 Jahre danach: Kunst und Kirche


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Farben stehen nicht gern allein

Stichworte zur Farbfeldmalerei von Ulrich Erben

Barbara Wucherer-Staar

„Das Bild ist dann fertig, wenn keiner mehr sagen kann, es fehle noch eine Farbe“. Der, der das sagt, Ulrich Erben (*1940, Düsseldorf, lebt in Düsseldorf und in Italien), ist einer der wichtigsten deutschen Vertreter der Farbfeldmalerei. Im Museum Küppersmühle hat er eine große, hohe Halle und hohe Kabinette mit einer hervorragenden, umfangreichen Werkschau seit den 1960er Jahren in Wechselwirkung mit der Architektur eingerichtet und diese sinnlich neu erfahrbar gemacht. Mit einbezogen in die Korrespondenzen von frühen und späten Bildern hat er zwei monumentale Wände, die er eigens für die Schau mit großzügigen, weiß ausgesparten geometrischen Elementen auf grau gewischtem Grund zu einem Vexierspiel gestaltet, so dass sie selbst zum Bild werden (Spazio, 2011; Silenzio, 2011). Ebenso ordnet er lose, an den Rändern breit farbig gefasste weiße Blätter zu einem temporären, großen bewegten Bild (Terre, 2011, 44-teilig, ca. 294 x 560 cm).

Seine künstlerische Strategie zielt ab auf eine Malerei des „Dazwischen“. Er malt Farbe in Wechselwirkung zu anderen Farben und in Beziehung zu Licht und Raum. Seine Bilder fordern vom Betrachter Zeit ein, um sich reichhaltig beim Sehen zu entfalten - „man sieht“, so Erben, „täuscht sich aber.“

Bekannt ist, dass seine Arbeiten von landschaftlichen Eindrücken ausgehen. In den frühen, teils puzzleartig verzahnten Bildern aus seiner Zeit am Niederrhein, zum Beispiel „Ohne Titel“ (Thomashof, 1968) erinnert ein dunkel gemischtes Grün in der Bildmitte an eine abstrakte Baumform, führt ein in landschaftliche Assoziationen in Kontrast zu dunklem und hellerem Grün (Wald? Wiese?), zu weißen und gedämpften gelben Elementen (Acker? Schnee?). Raum entsteht durch klar abgegrenzte Farbkontraste, teils zusätzliche Konturierung und in ein weißes Feld oben eingezeichnete rechteckig-verschobene Konturen (Haus?). Es folgen Ende der 1960er bis Ende der 1970er Jahre unterschiedlich abgetönte, fast weiße Rechtecke, die vor den unterschiedlich breiten Rändern einer unbemalten oder leicht grundierten Leinwand zu schweben scheinen. Mit diesen ungewöhnlichen Bildern wird er auf der documenta 6 (1977) bekannt. Faszinierend ist - so Erich Franz - „gerade das Nicht-Landschaftliche, das Ausspielen der Differenz einer immateriellen Farbenergie gegenüber dem Kontinuum des Realen (:) Die Bildfläche oszilliert, verliert ihre Grenzen, weitet sich, wird ungreifbar, lichthaltig, immateriell, räumlich: Sie wird zur Erfahrung des Sehens, nicht nur des Bildes.“ Besonders deutlich wird dieser Wahrnehmungsprozess in einem von der Decke bis zum Boden und über Eck gespannten Halogenobjekt (1972/2011, ca. 540 x 700 cm) - drei verschieden große, unterschiedlich helle Rechtecke scheinen zu schweben.

Erben entwickelt diese „Erfahrungen des Uneinheitlichen … die eine mögliche Harmonie von Farben durchbricht und … zum visuellen Ereignis werden lässt“ weiter in Bildserien in intensiver Farbigkeit.

Auch wenn Kalkül und Geometrie vorherrschen, gehen diese Arbeiten oft auf Seh-Eindrücke und Stimmungen in unterschiedlichen Landschaften zurück. Einige großformatige Arbeiten aus der Reihe „Farben der Erinnerung“, die Ende der 1980er Jahre beginnt, beziehen sich auf Eindrücke, die er auf seinem Weg zum Atelier in Duisburg Wanheim gewann (Wanheimer Ort, Museum DKM Duisburg): rot und dunkelbraun an eine Ziegelei oder Kupferhütte an der Wegstrecke; andere beziehen sich auf Eindrücke in Italien. Nach einer Reise durch Syrien entstand aus der Erinnerung in den letzten Jahren die Reihe der Wüstenbilder „Siria“. Daneben finden sich Arbeiten,in denen eine Farbe offener, in einem Zug aufgetragen wird, sodass ein beziehungsreiches Wechselspiel zwischen hell durchscheinender Bildfläche, Rand und Farbe in Raum und Zeit entsteht (Exterieur, 1983).

Gefragt nach seinen Vorlieben in der Malerei nennt Erben Henri Matisse, Giorgio Morandi, Edward Hopper und den Renaissancemaler Antonio Pollaiuolo.

Auf einen „Bild-zu-Bild-Dialog“ mit Josef Albers wäre er neugierig. Die bildnerische Strategie beider Maler zielt in ihrer reduzierten, konzentrierten, oft kontrastreichen Farb-und Formensprache darauf ab, Sehprozesse und Wahrnehmungen (die im Auge ablaufen) bewusst zu machen. Sie sind zeitabhängig und wecken unterschiedlichste Assoziationen und meditative Momente. Einer der Unterschiede, so Erben, sei der, dass Albers in seinen Bildern, etwa in der Reihe der rechteckigen, klar abgegrenzten Quadrate der Reihe „Hommage to the Square“ systematisch vorgehe, Industriefarben direkt aus der Tube verwende und deren Farbnummern auf der Bildrückseite notiere. Seine eigene Faszination zwischen Lust und Kalkül sei anders: „Zunächst ist da die weiße Leinwand und meine Lust, etwas zu gestalten, was zuvor nicht da war, eine Transformation von Stimmungen, Gerüchen, von Geist und Körper. Die Komposition entsteht im Zusammenspiel mit der Farbe während der Arbeit ... Eine Farbe wird für mich erst zur Farbe, wenn eine andere daneben steht.“ Albers kommentiert seine (eigene) analytische Malerei so: zwei Farben nebeneinander zu stellen versetze ihn in höchste Erregung.


Ulrich Erben – Lust und Kalkül, Malerei aus fünf Jahrzehnten. Bist 29.01.2012

MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Philosophenweg 55, Duisburg

Öffnungszeiten: Mi 14-18 Uhr, Do-So 11-18 Uhr, feiertags 11-18 Uhr

Katalog zur Ausstellung: Walter Smerling, Eva Müller-Remmert (Hg.), Ulrich Erben, Lust und Kalkül, Köln: Wienand-Verlag, 2011

Arbeiten aus der Reihe „Farben der Erinnerung“ (Wahnheimer Ort)“ finden sich im Museum DKM, Güntherstrasse 13-15, Duisburg, Öffnungszeiten: Fr-Mo 12-18 Uhr, ansonsten für Gruppen nach Vereinbarung

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/74/bws4.htm
© Barbara Wucherer-Staar, 2011