Kirche und Film – eine Baustelle

Bericht aus dem Themenfeld Film vom Kirchen-Kultur-Kongress

Dietmar Adler

Als Kind habe ich mich über jede Baustelle in der Nachbarschaft gefreut. Meine Eltern waren weniger begeistert, aber ich habe gern zugeschaut, wie die Handwerker Bauabschnitt um Bauabschnitt erstellten, wie Gewerk für Gewerk ineinander griff.

Zur Eröffnung hat die EKD-Kulturbeauftragte Petra Bahr den Kirchen-Kultur-Kongress mit einer Baustelle verglichen. Nicht nur die zentralen Veranstaltungsorte der St. Elisabethkirche in Berlin-Mitte sind nach wie vor im Bau, die Begegnungen von Kirche und Kultur werden auch weiter den Charakter einer Baustelle behalten.

Zu berichten ist von einem der acht Themenfelder des Kongresses: Film. In den Räumlichkeiten rund um die ebenfalls eingerüstete Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche war für die Teilnehmenden ebenfalls eine Baustelle zu erleben: in der Begegnung von Film-Menschen und Kirchen-Menschen griffen die verschiedenen Gewerke ineinander.

Um das Moderatoren-Team Julia Helmke, Ernst Ludwig Ganzert, Jörg Herrmann und Karsten Visarius hatten sich kompetente Gäste geschart.


1. Filmkultur in der Mediengesellschaft

Im ersten Podium waren zwei Referenten zu erleben, denen nicht bange ist.

Der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister öffnet den großen Horizont der Medienevolution: Neue Medien werden entwickelt, werden genutzt. Alte Medien verschwinden nicht ganz, werden aber musealisiert. Zeitunabhängige Nutzungsformen werden sich mehr und mehr durchsetzen. Insbesondere amerikanische TV-Serien sind derzeit sehr angesagt. Hachmeister spricht sich ausdrücklich gegen eine Hierarchisierung von Medienformen aus, nach welchen Maßstäben auch immer.

Ist mit den neuen Medien das Ende des Kinos angesagt? Der Hamburger Kino-Leiter Matthias Elwardt (Abaton) blickt auf eine lange und lebendige Zusammenarbeit seines Kinos mit kirchlichen Partnern zurück. Ein großer Teil der in diesen Kooperationen gezeigten Filme ist nicht mehr verfügbar, das Angebot wandelt sich schnell.

Trotz der neuen Herausforderungen, um die Zukunft des Kinos hat er keine Angst. Elwardt ist überzeugt: das Kino wird seine Bedeutung als sozialer Ort behalten. Es gebe einfach das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Erlebnis an einem Ort, der ohne oder mit wenigen Voraussetzungen aufzusuchen ist. Ebenso bleibe der Wunsch nach einer persönlichen Kommunikation über das gemeinsam Erlebte.

Herausforderungen:

Amerikanische Fernseh-Serien seien die derzeit angesagte Medienform, bis hin zu öffentlichen Screenings, so ist zu hören. Gleichzeitig verstärkt sich auch der Hype rund um den Tatort, nicht nur in den Wohnzimmern, auch in den überfüllten Kneipen mit gemeinsamen Tatort-Events. Der Münster-Tatort wird in Münster vor dem Schloss auf Großleinwänden gezeigt, bei Wilsberg-Vorpremieren sind mehrere Kino-Säle ausverkauft. Anscheinend sucht man auch hier den öffentlichen Ort zum gemeinsamen Erleben und Kommunizieren.

Wenn beides (amerikanische Serien und deutsche Krimis) mit ihrem Hype ernst zu nehmende Phänomene sind, haben die Kirchen- und Theologen-Menschen adäquate Reaktionen darauf? Können sie mit den Inhalten und den Rezipientenbedürfnissen kompetent umgehen?

Für den auch weiterhin bedeutenden Bereich Kinofilm ist die kirchliche Filmarbeit inhaltlich gut aufgestellt (pekunär und von der Personalstellensituation her weniger). Können die Kirchen auch auf die neuen Medien-Phänomene, die ihrerseits ja selbst oft von neuen Liturgien begleitet werden, adäquat reagieren? Und zwar nicht - wie in den 50ern - als Wächter und Bevormunder, sondern offen und zugleich kritisch? Wo ist die Serienbeauftragte der Evangelischen Kirche, wo die Facebook-Arbeitsstelle? Kompetenz wäre da, ihr müsste die angemessene Aufmerksamkeit zukommen, sie müsste auch abgerufen – und bezahlt – werden.


2. Film und Gesellschaft

Der Filmemacher Andres Veiel ("Black Box BRD", "Der Kick", "Die Spielwütigen", "Wer wenn nicht wir") macht sich für die gesellschaftliche Verantwortung der Filmschaffenden stark. In seinen Anfangsjahren als Filmemacher habe er mit dem Ideal gearbeitet, Film müsse einseitig Partei ergreifen. Seit einer Begegnung mit Kieslowski geht es ihm darum, Ambivalenzen aufzuzeigen - und stehen zu lassen. Und wenn's gut läuft, dann bewegt der Film auch weiter: Menschen begegnen einander, Initiativen entstehen, gerade die Ambivalenzen lösen Prozesse bei den Rezipienten aus.

Veiel ist sich der Verantwortung der Filmschaffenden bewusst. Diese drückt sich für ihn auch in der Wahl der Bilder aus. So zeigt er in "Der Kick" eben nicht die Bilder der Gewalt, zitiert auch nicht die den Gewalttaten ähnelnden Bilder aus "American History X", sondern er lässt die beteiligten Menschen erzählen.

Andreas Ströhl (Goethe-Institut, zuvor Leiter des Filmfestes München) empfiehlt den eine Kritik der Bilder. "Bildern darf man nicht glauben," sagt er, erst recht nicht den sich als authentisch ausgebenden Bildern der Dokumentarfilme.

Eine solche Haltung nimmt nicht nur die gut protestantische Bilderkritik auf, sondern ein solches Misstrauen ist überhaupt Voraussetzung für die Rezeption von Bildern. Ströhl spricht sich für einen grundsätzlichen Verdacht gegenüber Bildern aus.

Veiel und Ströhl sind sich einig: am liebsten sind ihnen Filme, die ihr Handwerkszeug kenntlich machen, Dokumentarfilme, denen man ansieht, dass auch sie Wirklichkeit nur konstruieren.

Herausforderungen:

Protestantismus war immer auch ein Bildungsprojekt. Ist kirchliche Filmarbeit auch ein Ort, an dem der Umgang mit Bildern gelernt werden kann? Sei es auf hohem Niveau bei den Arnoldshainer Filmgesprächen, sei es bei Filmgesprächen und Auseinandersetzungen mit Filmen in Kirchengemeinden, sei es im Konfirmandenunterricht und schulischen Religionsunterricht. Stärkung der Medienkompetenz ist Aufgabe gerade für die, die um die Verführbarkeit durch Bilder wissen.


3. Film und Religion

Im Vorspann iranischer Filme ist zu lesen: "Allahu Akbar – Gott ist groß". So auch bei "Nader und Simin – eine Trennung", dem Gewinner des goldenen und zweier silberner Bären und des Ökumenischen Filmpreises bei der Berlinale 2011, jetzt vom Iran für den Oskar angemeldet.

Wie steht es mit dem "und" zwischen Film und Religion? Der Theologe Jörg Herrmann macht auf die vielfältigen Berührungspunkte von Film und Religion (nachzulesen im Begleitband zum Kongress) aufmerksam: Von der evangelischen Filmarbeit und der theologischen Filmanalyse bis hin zu Parallelen des Besuchs von Kino und Kirche, von explizit religiösen Film-Stoffen bis hin zur Kirche und Kino gemeinsamen Grundstruktur der Erzählung, von funktionalen Ähnlichkeiten – etwa der Beschäftigung mit Sinnfragen - über den Blick für die Opfer bis hin zu Überschreitung des Vorfindlichen.

Fred Breinersdorfer (Drehbuchautor) zeigt, dass aufmerksame Filmschaffende, auch wenn sie sich nicht als Christen verstehen, sensibel für religiöse Motive und Hintergründe ihrer Protagonisten sind. Dabei verortet er den Glauben eher im "Bauch" als im "Kopf". Am Beispiel seiner Filme über Sophie Scholl und Georg Elser betont Breinersdorfer, dass der Glaube als Motivation einer (Film-)Figur wesentlich spannender ist als rein intellektuelle Argumentationen.

Herausforderungen:

Aus dem Plenum wird nachdrücklich gefragt, was denn einen Film zu einem "religiösen Film" macht? Und zwar sowohl für die Filmschaffenden als auch für die Rezipienten: Inhalt, Machart, Wirkung? Die Antworten sind eher suchend als definierend. Weiterführend Jörg Herrmanns Näherbestimmung: "Als religiös könnte man Filme bezeichnen, deren explizit religiöser Inhalt diese Näherbestimmung rechtfertigt, oder eben Filme, die man im Horizont eines Religionsbegriffes religiös lesen bzw. deuten kann."

Und eine andere Argumentation aufgreifend ist zu fragen: Haben Christenmenschen im Dialog mit "Film" nicht noch mehr zu sagen als nur formale, strukturelle und motivische Parallelen aufzuzeigen? Provokativ gefragt: Geht das Wort Gottes in den Ähnlichkeiten zum Film auf – und unter? Kann man von der Gottesfrage und damit der Frage nach der Wahrheit absehen, wenn Christenmenschen sich mit Filmen beschäftigen?


4. Praktisches und ein großer Film

Die von den Teilnehmenden an die Veranstaltungen der Film-Sektion positiv zurückgemeldeten Möglichkeiten zur Interaktion und Kommunikation konnten in den Workshops zur kirchlichen Praxis noch weiter gepflegt werden. Hier ging es um internationale und gemeindliche Filmarbeit, um Filmgottesdienste und Religionspädagogik, um finanzielle und juristische Fragen.

Zeitlich in der Mitte der Berliner Beschäftigung mit dem Film stand nun aber – dramaturgisch gut gewählt – ein großer Film: die Vorpremiere von Lars von Triers Melancholia in einem vollbesetzten Berliner Kino: Ein Moment des Innehaltens, alle Diskurse unterbrechend – und später neue eröffnend - , ein gemeinsames Erleben großen Kinos.

Um die Beziehungen von Filmkultur und Kirche bzw. kirchlicher Filmarbeit braucht man aber nun wirklich nicht in Melancholie fallen, diese sind höchst quirlig.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/73/da2.htm
© Dietmar Adler, 2011