„Die schrecklichste Form der Blasphemie“

Eine Glosse

Andreas Mertin

Überlegen Sie bitte einmal kurz, was wohl die „schrecklichste Form der Blasphemie“ sein könnte. Was denken Sie?

Dass Gott selbst ans Kreuz geheftet wurde? Dass heute immer noch millionenfach Gottes Ebenbilder in zahllosen Konflikten und Kriegen verfolgt, gefoltert und getötet werden? Nichts von alledem.

Wenn wir Wolfgang Baake, seines Zeichens Geschäftsführer des Christlichen Medienverbunds KEP (Konferenz Evangelikaler Publizisten), glauben würden, ist die „schrecklichste Form der Blasphemie“ in der Gegenwart eine geplante ZDF-Comedy-Serie mit dem Titel „Wir sind Gott“, in der Gott doch tatsächlich „weiblich und zu zweit“ dargestellt wird. Baake erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur idea, „zwar dürfe man Comedy über Menschen machen, aber nicht über den Dreieinigen Gott“.

Ja, selbstverständlich, bei Menschen ist es nicht so schlimm, wenn man sich über sie lustig macht, aber Gott? Ist es nicht vielmehr so, dass die Souveränität Gottes durch eine menschliche Comedy gar nicht tangiert wird, während jede Verletzung der Menschenwürde und der Menschenrechte de facto eine Blasphemie ist? Müsste man also nicht ganz andere Schlüsse ziehen und sich an ganz anderen Orten engagieren? Es macht einen doch sprachlos, wenn man sieht, wie hier religiöse Konflikte herbei geredet werden sollen.

Brandstifter ist in diesem Falle wieder einmal das Nachrichtenportal idea, das sich eine scheinbare Blasphemie ausdenkt und dann einen nach dem anderen anruft in der Hoffnung, irgendeiner der Angerufenen werde schon den Mund so weit aufreißen, dass man daraus eine Meldung machen kann.

Und tatsächlich hat es diesmal wieder geklappt, gleich zwei Medienexperten sind nur allzu gerne in die Erregungsfalle getappt. Wolfgang Baake fragt empört, „was wohl geschehen würde, wenn das ZDF eine Comedy über Allah brächte“. Dieses Argument mit der angeblichen Rückständigkeit anderer, kann ich schon nicht mehr hören. Und Baake „fordert die Christen auf, massiv Protest einzulegen.“

Der zweite im unseligen Bunde ist der Medienbeauftragte der EKD, Oberkirchenrat Markus Bräuer: „Ich bitte Regisseure und Autoren der Reihe darum, verantwortungsvoll mit dem Thema umzugehen. Für den christlichen Glauben muss die gleiche Sensibilität gelten, mit der auch der Islam und das Judentum dargestellt werden würden.“ Schon wieder das gleiche Argument. Und ich bitte Bräuer darum, gegenüber der Kultur nicht solchen Quatsch zu reden.

Ich habe an anderer Stelle in diesem Magazin dargestellt, warum Blasphemie ein Menschenrecht ist: Blasphemie ist auch deshalb ein zu verteidigendes Recht, weil sich der religiöse Mensch im Gegenzug auf das Menschenrecht der Religionsfreiheit verlassen können muss. Und – nein, für das Christentum muss nicht die gleiche Sensibilität wie gegenüber anderen Religionen gelten! Das Christentum hat sich immer etwas auf seine Überbietungsrhetorik eingebildet, deshalb muss es hier auch zeigen, dass es tolerant(er) sein kann.

Im vorliegenden Falle stören sich die Protestierenden daran, dass a) Gott überhaupt im Rahmen der Comedy behandelt wird; b) Gott als weiblich dargestellt wird; c) Gott in zweifacher Personalität auftritt. Das ist nun wahrlich so harmlos, wie man es sich nur denken kann. Die Diskussion über die Personen Gottes hat eine lange kirchengeschichtliche Tradition und kann heutzutage natürlich nicht einfach unter Verweis auf die siegreiche Mehrheitsmeinung entschieden werden. So wie bei den frühen Synoden geht es heute nicht. Dass Gott weiblich dargestellt wird ist nun auch biblisch gut belegt – auch wenn das dem einen oder anderen Frommen nicht behagt. Bleibt die Comedy – aber wer wollte ernsthaft heute sagen, Gott dürfe nicht in der Comedy dargestellt werden. Das hat nun im Rahmen des religiösen Witzes eine lange Tradition und kann zudem aus guten Gründen niemand verwehrt werden.

Muss man daran erinnern, dass im satirischen Film Dogma Gott in weiblicher Person auftritt (wunderbar gespielt von Alanis Morissette), die beim irdischen Skee-Ball-Vergnügen verloren geht, weshalb sie von einer personifizierten Stimme vertreten wird? Ach stimmt, das fanden die Frommen damals schon schlimm und blasphemisch. Muss man aber daran erinnern, dass einer unserer systematischen Theologen im zweiten Band seiner Ästhetischen Theologie eine theologische Ehrenrettung dieses Filmes vorgenommen hat und ihn als „himmlische Komödie“ bestimmte?

Aber die fundamentalistischen Kreise unserer Kirche werden immer lauter, denn sie sind wahrlich „hysterie- und apokalypseanfällig“, vielleicht sollte man an dieser Stelle sagen: hysterie- und apokalypsesüchtig.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/70/am346.htm
© Andreas Mertin, 2011