‚Seelenlandschaft‘

Eine Reflexions-Miniatur

Frauke Kurbacher

Die Seele ist ein zentraler philosophischer, theologischer oder auch religiöser Begriff und ein dauerhaft ungeklärter zugleich.

Ganz grob könnten vielleicht folgende Grundbedeutungen differenziert werden: die einzelne Seele, das Beseelende als belebendes Prinzip (als Verbindung von Leib- und Geistseele gedacht), als Innerlichkeit, als Inbegriff aller Bewusstseinsregungen (z.B. als  Bündel von Vorstellungen) oder auch als aus Unbewusstem kommender Lebensimpuls.

Nach Hannah Arendt haben wir bei allem, was einer „Innerlichkeit“ zugeschlagen werden kann, wie alle Begriffe des Geistes etwa oder eben auch der Seele, das grundlegende Problem, das sie nicht nur nicht sichtbar sind, sondern wir sie letztlich durch nichts veranschaulichen können. Daher wächst den Metaphern eine basale und nahezu erkenntnistheoretische Funktion zu, weil sie als einzige, dem Nicht-Sichtbaren, aber Vorhandenem, Ausdruck verleihen können.[1] Irritierender Weise werden diese Metaphern für das Geistige nicht selten gerade vom Körperlichen hergenommen, dann etwa wenn wir auf der Suche nach dem Ort verschiedener Vermögen wie Verstand, Vernunft oder Gefühlen, von ‚Organen‘ reden, den Sitz von Gefühlen im Herzen vermuten und Vernünftiges im Kopf ansiedeln. Bei der Seele, die jedoch selbst schon zumeist als ein Konglomerat aus Geist und Körper aufgefasst wird, findet sich eine andere Metapher, ein Bild sozusagen.

Aus diesen genannten Gründen wurde dem Begriff der Seele zuweilen zu seiner Erhellung, Klärung und Anschaulichkeit der Begriff der Landschaft zugesellt. Dies geschieht im Versuch einer Veranschaulichung und Diskussion der verschiedenen menschlichen Fähigkeiten besonders in der frühen Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert, das ja tatsächlich auch in der Garten- und Landschaftsgartenkunst hervorsticht. Interessanter Weise wird dabei Seele, die auch als bewegtes und bewegendes Lebensprinzip gedacht wird, nun in einer Art Bild aufgenommen.

Im Duden wird darauf hingewiesen, dass ‚Land‘ wortgeschichtlich in die germanische Wortgruppe von althochdeutsch ‚lant‘ und mittelhochdeutsch ‚land‘ gehört und zusammen mit verwandten Wörtern im Keltischen und Baltoslawischen auf ‚lendh‘, was so viel wie freies Land, Feld, Heide zurück geht. Die zahlreichen sich daran anschließenden Verwendungsweisen von ‚Land‘ heben dieses oft als ‚bebaubares Land‘, als ‚Ackerboden‘ im Gegensatz zum Bodenlosen, zum Wasser oder zur Luft hervor, bis hin zur Vorstellung eines geographisch oder auch politisch abgeschlossenen Gebiets.[2]

Der ästhetisch-philosophische Begriff von Landschaft wird im Bereich des Ästhetischen erst in der frühen Neuzeit als Fachterminus der Malerei für die Darstellung eines Naturausschnittes etabliert.[3]

Für das altgermanische Wort ‚Seele‘, mittelhochdeutsch ‚sēle‘ und althochdeutsch ‚sē(u)la‘, wird hingegen eine Ableitung vom Wort ‚See‘ angenommen, und zwar mit der Grundbedeutung ‚die zum See Gehörende‘, und im übertragenen Sinn stünde ‚Seele‘ für ‚Inneres eines Dings‘.[4] Die Ableitungen ‚seelisch‘ verstehen wir als die Seele betreffend, oder den griechischen Wortursprung aufgreifend als ‚psychisch‘. Und ‚beseelen‘ meint wiederum, ‚etwas eine Seele zu geben‘, ‚mit einer Seele, mit Eigenleben erfüllen‘, ‚innerlich ausfüllen‘.

Die hier angezeigte Herkunftsgeschichte und Rückführung auf „die zum See Gehörende“ ist insofern besonders bemerkenswert, weil im Literarischen und Musikgeschichtlichem unter der Figur der „Undine“, angefangen von Friedrich de la Motte Fouqué, über Eduard Mörikes „Historie von der schönen Lau“, Henrik Ibsens „Frau vom Meer“ über Ingeborg Bachmanns „Undine geht“ bis hin zu Hans Werner Henzes „Undine“, gerade die Seelenhaftigkeit zur Disposition steht und ästhetisch diskutiert wird.

Der Begriff ‚Landschaft‘ - in der Bedeutung von freies und begrenztes Land zugleich – zeugt so von einer inhärenten Ambivalenz, die in der gemeinsamen Nennung mit der ‚Seele‘ eingedenk ihrer Etymologie noch als Spannung erhöht wird, weil hier offenbar zwei Elemente: Land und Wasser, miteinander verknüpft werden. - bei Letzterem handelt es sich überdies um ein Element, das in unserer Kultur mit Lebenssymbolik verbunden ist.

Das Wort ‚Seelenlandschaft‘ bildet so selbst eine kleine Landschaft für das, was sich der Reflexion und zuweilen auch dem bewussten Zugriff im Erleben so hartnäckig entzieht.

In der Philosophie ist sicherlich die „carte de tendresse/carte de tendre“ ein besonders sprechendes und schönes Beispiel von der ganz ausdrücklichen Vorstellung einer Seelenlandschaft, auf der – ganz genauso wie auf anderen Länderkarten im Atlas – Seen und Gebirgszüge markiert sind. Nur handelt es sich hier nicht um herkömmliche Ortsbestimmungen, sondern um Topographien von verschiedenen Gefühlen bis hin zu einem ‚lac de l’indifférence‘.[5]

Im 18. Jahrhundert wird für die Erläuterung der Seelenkräfte nicht selten nicht nur die Landschaft herangezogen, sondern im selben Atemzug zugleich der Vergleich mit einem Gemälde oder Gedicht genannt. Beides dient weniger zur Thematisierung der Seele als solcher, als vielmehr – wie bei Locke und Hume in ihren Untersuchungen zum menschlichen Verstand – zur Diskussion des Vermögens der Vorstellungen, zur Anschaulichkeit der zu ermittelnden Fähigkeit der Einbildungskraft. Die Stoßrichtungen dieser Vergleiche sind verschiedentlich, manchmal geht es, wie in John Lockes „Versuch über den menschlichen Verstand“ von 1689 um die ungeordnete Vorstellung einer Landschaft im Gegensatz zu klaren und deutlichen Vorstellungen, die durch Aufmerksamkeit erwirkt werden. Oder es wird eine deutliche Stellungnahme bezüglich der Lebhaftigkeit bezogen wie bei David Humes „Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes“ von 1748 im Kapitel „Über den Ursprung der Vorstellungen“, denn: „Der Dichter kann selbst den glänzendsten Farben seiner Kunst einen Naturgegenstand nicht so ausmalen, dass man seine Beschreibung für wirkliche Landschaft hält“. Dabei ist jedoch nicht immer ganz auszumachen, ob in der Zusammensetzung von Landschaft und Gemälde Natürlichkeit und Künstlichkeit behandelt oder beide bereits als Kunstvolles reflektiert werden. Für Moses Mendelssohn etwa steht in seinen „Betrachtungen über die Quellen und die Verbindungen der schönen Künste und Wissenschaften“ fest, dass „die entzückendste Landschaft“ uns „in der camera obscura nicht so sehr [reizt], als die Betrachtung eben dieser Gegend“ von dem „Pinsel“ eines Malers „vorgestellet zu reizen im Stande ist“.[6]

Es ist, als ob das Bild der Seelenlandschaft zudem nun noch künstlerische Bearbeitung erführe. Schon der Ausdruck ‚Landschaft‘ weist – assoziiert mit dem Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts – subtil zwar, aber auf geordnete, kultivierte Natur.

Mit dem Verweis auf das Gemälde tritt die Seele als Gerahmtes, als bestimmter nicht nur natürlich gebildeter Ausschnitt, sondern auch als gesehener und willentlich geformter hervor. Seelenlandschaft ist dann nicht einfach das, was bloß der Kreativität eines göttlichen Schöpfungsaktes entspricht, sondern etwas, was auch autonom, wie beim Künstler, hervorgebracht wurde.

Hannah Arendt ist eben dieses so mit der Landschaft veranschaulichte Seelenvermögen der Einbildungskraft ein zentraler Punkt ihrer Philosophie und eigenen Phänomenologie des Erscheinens, das immer ein Erscheinen vor anderen ist. Der Begriff der Seele ist ihr im Gegensatz zum Begriff des Geistes latent suspekt, bleibt aber gleichwohl von ihr bedacht. Er hat Körperähnlichkeit.

Die Einbildungskraft aber ist ihr hingegen jene darum so relevante Fähigkeit, weil sie Abwesendes repräsentiert.[7]

Anmerkungen

[1]    Siehe Hannah Arendt: Vom Leben des Geistes. Bd. 1: „Das Denken“. München 1998. Kap.: Die Metapher und das Unsagbare. S. 115ff.

[2]    S. Duden. Bd. 10: Etymologie der deutschen Sprache. Mannheim 1989. S. 402. Landschaft im Verständnis eines politisch-rechtlichen Begriffs ist z.B. sichtbar in der Funktionseinheit von „Landschaftsverbänden“ in Nordrhein-Westfalen. Zu diesem in der Tat gerade für Westfalen so bedeutendem Begriff und seiner Geschichte siehe auch A. Hartlieb zu Wallthors Studie von 1965: „Die landschaftliche Selbstverwaltung Westfalens in ihrer Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert“.

[3]    Siehe auch den Artikel von R. Piepmeier „Landschaft“ im „Historischen Wörterbuch der Philosophie“. Hrsg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 5. Basel/Stuttgart 1980. Sp. 11-18. Dort wird für die Einbürgerung des Begriffs hauptsächlich das 15. und 16. Jahrhundert angegeben mit einer früheren Ausnahme bei Hans Sachs. Zur weiteren Erläuterung wird noch benannt, dass die „Bedeutung [...] sich erst in der Literatursprache des 18. Jahrhunderts durch[setzt]. Der Begriff verknüpft sich also zuerst mit dem, was das Abbild schöne Natur als Landschaft ins Bild setzt, wenn auch bereits die Erfahrung des Sehens von Natur als Landschaft vorausgesetzt werden muß“. Ebd. Sp. 16.

[4]    Ebd. S. 662. Für die Bedeutung ‚die zum See Gehörende‘ wird als Erklärung auf eine germanische Vorstellung verwiesen, nach der die Seelen der Ungeborenen und Toten im Wasser seien. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass auch sowohl männlicher wie weiblicher Artikel und die verschiedenen Bedeutungen von ‚die See‘ und ‚der See‘ auftreten.

[5]    Abgebildet und gedeutet im Artikel von Thomas Borgstedt: „‘Tendresse‘ und Sittenlehre. Die Liebeskonzeption des Christian Thomasius im Kontext der ‚Preciosité‘ – mit einer kleinen Topik galanter Poesie“. In: Friedrich Vollhardt (Hg.): Christian Thomasius (1655-1728). Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung. Tübingen 1997. S. 405-428.

[6]    Mendelssohn nennt hier Hempel. Schon Agrippa von Nettesheim hat in seiner Abhandlung über die „Ungewißheit und Eitelkeit aller Künste und Wissenschaften“ auf die Landschaft als einer vom Maler dargebotenen reflektiert: „Sie zeigt uns, wie der Maler, nach geometrischer und perspektivischer Art die ganze Welt auf einem Globo oder auf einer ebenen Tabella repräsentieret. [...] Das ist: Auf einer kleinen Tafel wird die ganze Welt vorgestellet“.

[7]    Siehe Hannah Arendt: „Vom Leben des Geistes“. Bd. 1: „Das Denken“. München 1998. S. 82.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/62/fk10.htm
© Frauke Kurbacher, 2009