Buchvorstellungen

Christoph Fleischer

Mit dieser Rezension zu lange warten, hieße den Blick auf Weihnachten zu verstellen, fängt doch gerade die Kauf- und Schenksaison an. Warum sollen wir also darüber hinwegsehen, dass es beim Bücherlesen auch zuvor um das Bücherkaufen geht? Bei dieser Bücherauswahl müsste doch für jeden und jede etwas dabei sein.


Jörg Zink: Glauben heißt vertrauen

Nach seinen großen Buch über religiöse Erfahrung („Gotteswahrnehmung“) sei hier ein kleines Buch präsentiert, das man mit gutem Gewissen als Geschenkbändchen bezeichnen kann. Wer das Buch in die Hand nimmt, erstarrt vielleicht schon ein wenig, denn erkennt er doch, dass hier der Altmeister der christlich-protestantischen Publizistik sein religiöses Testament vorlegt, der kleine Katechismus des Jörg Zink. Die Sätze des Inhaltsverzeichnisses lesen sich hintereinander gesprochen wie dessen Kurzfassung: „Du suchst ein erfülltes Leben. Für mich begann es damit, dass ich den Mann aus Nazareth kennlernte. Sieh zu, wie er mit den Menschen umgeht. Du hörst, was er dir und mir heute zuspricht. Er hilft uns, mit Gott zu reden. Die Welt ist so voll von den Rätseln des Bösen. Auch du und ich sind es. Jesus sagt uns: Ihr seid unendlich wertvoll. Jesus will, dass durch uns in dieser Welt etwas Großes geschieht. Jesus will, dass wir glücklich und dass wir freie Menschen sind. Indem du glaubst, verändern sich für dich alle Dinge.“ Ganz von Jesus her, seinen Seligpreisungen, dem Vater Unser und anderen Texten, aber auch ganz von der persönlichen Glaubenserfahrung her ist eine Art Katechismus entstanden, den so frei und doch so treu nur einer hätte vorlegen können: Jörg Zink. Auch zu einer Erwachsenentaufe oder einer Konfirmation ein gutes Geschenk. Aber auch ein Buch, das man gut sich selbst schenken kann, wenn man ein wenig Durst nach Vergewisserung hat.


Dietrich Bonhoeffer: Worte für jeden Tag, Herausgegeben von Manfred Weber

Wer sich einmal jeden Tag von einem Ausspruch oder Zitat Dietrich Bonhoeffers inspirieren lassen möchte, kann dies mit dem Buch tun: „Dietrich Bonhoeffer – Worte für jeden Tag“. Wer einige Bücher Bonhoeffers im Schrank stehen hat, kann dann diese Worte auch im Zusammenhang nachlesen, was jedoch sich in den meisten Fällen die Funktionen eines Meditationsbuches überschreiten mag. Dieses Buch soll für sich selbst wirken. Um es positiv auszudrücken: Es wäre zu wünschen, dass diesem Buch eine thematische geordnete Zitatensammlung folgen würde. Nicht um einen Steinbruch zu haben, sondern um über die immer sehr klaren und ausgefeilten Formulierungen des religiösen Schriftstellers Bonhoeffer zu seinem Denken und Handeln zu finden. Die Sprache und das Denken Bonhoeffers hat es verdient, heraus aus dem Käfig theologischer Argumentation getragen zu werden, was vielleicht exemplarisch folgendes Zitat verdeutlichen möge: „23. Dezember: Gott nahm in der Geburt Jesu Christi die Menschheit an, nicht nur einen einzelnen Menschen.“


Julia Voss: Darwins Jim Knopf

Doch nicht nur von religiösen oder theologischen Büchern soll hier die Rede sein. Dafür steht das Buch von Julia Voss, Redakteurin der FAZ. Das Buch über Jim Knopf ist eigentlich einen Nebenprodukt ihrer Arbeit über Charles Darwin, da ihr dabei auffiel dass der Name eines jungen zum Schutz der Seemannschaft entführten Eingeborenen aus Feuerland, James Button, so auffallend an „Jim Knopf“, den Helden des ersten Kinderbuchs Michael Endes erinnerte. Und so verknüpft sie in diesem Buch beides: Die Geschichte von James Button aus der Lebensgeschichte Charles Darwins, die leider kein gutes Ende nahm, mit der Geschichte der Entstehung des Buches „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Gerade von den Einflüssen des Darwinismus her, der im Dritten Reich zur Weltanschauung der Menschenverachtung mutierte, schrieb Michel Ende sein Kinderbuch als das Gegenbuch zum Rassismus. Die Multikulti-Klasse des Drachen Mahlzahns - aus Kummerland, dem Land der reinrassigen Drachen – musste aus den Fängen dieses gefährlich rassistischen Regimes befreit werden. Ganz nebenbei sinniert die Autorin darüber, warum die Vorstellungen Darwins von den lebendigen Gestalten der Erdgeschichte so leicht den Weg ins Kinderzimmer fanden, in Gestalt der Dinos und Mammuts und andere wissenschaftliche Theorie der Kindheit verschlossen bleiben müssen.  Es ist tatsächlich aus der heutigen Sicht erstaunlich, wie viele Anspielungen und Symbole des Buches „Jim Knopf“ tatsächlich eine Umdeutung nationalsozialistischer Erziehung darstellen. Das Buch ist anschaulich bebildert, was die Darstellung unterstützt. Angesicht aktueller rassistischer Umtriebe und Tendenzen zum Rechtspopulismus muss man wohl feststellen, dass der Jim Knopf ruhig weiter von Kindern gelesen werden sollte, und dieses Buch das Eltern-Handbuch dazu darstellt.


Barbara Beuys: Blamieren mag ich mich nicht. Das Leben der Annette von Droste-Hülshoff

Die Biografie der Annette von Droste-Hülshoff ist zwar schon 10 Jahre alt, liegt aber in diesem Jahr frisch als Taschenbuch vor, dem nun eine weitere Verbreitung gegönnt sei. Vielleicht war Annette in den Augen von Barbara Beuys keine echte Feministin, aber sie hat durch ihre Einstellung, ihren Lebensweg und ihre Dichtung den Weg zur Gleichberechtigung mit bereitet. Schon von daher ist dieses Buch eine Pflichtlektüre. Weiterhin lenkt es unseren Blick auf die von den biografischen Umständen und Bewegtheiten her zu deutende Dichtung der Annette von Droste-Hülshoff, die in der beginnenden Moderne aufwuchs und auf ihren zahlreichen Reisen, oder Wohnortwechseln, stets das aktuellste Verkehrsmittel zu benutzen pflegte, von der Schnellpost auf den neuen Straßen Napoleons über das Dampfschiff auf dem Rhein bis zur Eisenbahn zwischen Mannheim und Heidelberg, die die Reisezeit nur dieser Strecke von vorher 6 Stunden auf eine halbe Stunde verkürzte. Die Darstellung der Autorin Barbara Beuys stützt sich zudem auf den umfangreichen Briefwechsel und lässt so Annette von Droste-Hülshoff oft genug selbst zu Wort kommen. Sie verzichtet jedoch andererseits darauf, verlorengegangene Briefe zu rekonstruieren und interessiert sich daher sehr, für die von Levin Schücking dokumentierte Darstellung der Beziehung beider, deren Anrede zwischen „Mütterchen“ und „Pferdchen“ changiert. Ist sie über seine Heirat mit der protestantischen Louise von Gall erstaunt, oder gekränkt? Klar ist, dass Annette ihren literarischen Erfolg Levin Schücking zu verdanken hat. „Westfalens Dichterin“, so nannte Annette Schückings Mutter Katharina Schücking, geborene Busch. Barbara Beuys setzt der Frau  ein Denkmal, die diesen Titel nun selbst verdient.


Leonardo Boff: Kirche: Charisma und Macht, 25 Jahre Befreiungstheologie

Leonardo Boff und Joseph Ratzinger waren wie Feuer und Wasser. Der Mitbegründer der Befreiungstheologie widerstand seinerseits den Verurteilungen der Glaubenskongregation des Vatikans, der Joseph Ratzinger vorstand. So war es an der Zeit, Leonardo Boffs Standardwerk „Charisma und Macht“ neu zu editieren. Besonders die Sakramentenlehre Leonardo Boffs hat bleibende Bedeutung. Die kritische Bilanz am Ende des Buches datiert zum Beginn des päpstlichen Pontifikats von Kardinal Ratzinger als Papst Benedikt XVI. Nun wird die neue deutsche Ausgabe von „Charisma und Macht“ von einem aktuellen Vorwort begleitet; daraus wird deutlich, dass der Autor zwar nicht aus der Kirche, aber aus kirchlichen Ämter entfernt wurde und sich nun allerdings frei von Rücksichtnahme auf die Zensur äußern darf. Könnte eine Kirche, die ihren Ausgangpunkt nicht von der Amtskirche, sondern von Charismen und Begabung einzelner Christinnen und Christen nimmt, nicht auch ein Modell für die Veränderung des heutigen Protestantismus sein? Das Buch von Boff ist seitens der Zensur als nicht streng katholisches Werk verstanden worden. Ist es dann eher ein ökumenisches Konzept von Kirche, einer erneuerten Reformation? Zur Wieder-Lektüre oder zur Neu-Lektüre empfohlen.


Robert Crumb: Genesis

Last but not least sei eine absolute Neuerscheinung genannt, ein Buch des Cartoonisten und Comikzeichners der Hippiebewegung Robert Crumb. Dass der Autor das erste Buch Mose nicht als Offenbarung Gottes, sondern als Menschenwort ansieht, ist kein Hinderungsgrund zur Lektüre, ja vielleicht sogar ein Zeichen dafür, dass ein neutraler künstlerisch engagierter Zugang zur Bibel ihre inneren Bezüge und Wahrheiten besser freilegt als einer, der mit theologischen oder dogmatischen Vorurteilen behaftet ist. Die Zeichnungen Robert Crumbs zeigen deutliche Wertungen. Crumb hat für dieses Buch unendlich viele Bilder aus Hollywoodfilmen und anderes Bildmaterial zur Genesis gesammelt. Er orientiert sich am vorliegenden Text und nicht an exegetischen Streitigkeiten. In der deutschen Fassung ist es die Sprache der Lutherbibel von 1912, die den Bildern zusätzliche Tiefe verleiht. Die Verfallenheit der Menschheit an das Böse vor der Sintflut wird nicht also Ausschweifung, sondern als Versinken in der Gewalt gezeichnet. Die Töchter Lots werden nicht sexuell missbraucht, wie es die aktuelle Exegese vermutet, sondern suchen ihrerseits aktiv die sexuelle Verbindung, so wie es der Text vordergründig ausdrückt. Gott hat einen langen weißen Bart und geht im Garten Eden umher. Offenbarte Worte Gottes werden getreu der bildlichen Vorstellung von dieser bärtigen Person gesprochen. Die Bilder legen dadurch die Erzählmotive des Textes offen und zeigen in Gestalt des Zeichners exemplarisch, wie dieser Text auf die Leser wirkt, nicht wie er nach der Meinung der Theologen wirken sollte. Natürlich ist die manchmal etwas übertriebene Zeichnung auch ein Stück Moderne.  Die Bibel spricht für sich, klar und manchmal auch drastisch. Die Bilder verschleiern nichts und beschönigen nichts. Ein echter Robert Crumb und ein echtes Kapitel der Heiligen Schrift.


Ted Harris, Ann Lagerström: Die Kunst innerlich zu leben; Existenzialismus für moderne Menschen

Ich lese jetzt schon einige Zeit Bücher, dessen Inhalt ich zusammenfasse und die ich dann anderen zu lesen empfehle. Nicht, weil das Lesen bildet, was es ja auch tun soll, sondern weil ich selbst erfahre, dass ich beim Lesen im Kontakt mit mir selbst bin. Ich lasse die Worte, Sätze und Gedanken anderer Menschen auf mich wirken und lasse die Worte, Sätze und Gedanken zu, die diese anderen Menschen in mir auslösen. So bin ich ganz bei mir und ganz bei Anderen.

Diese letzten Sätze mögen Menschen befremden, die am Anfang einer Rezension etwas über ein bestimmtes Buch erfahren möchten. Der Rezensent ist so ganz bei sich? Was ist mit Ted Harris und Ann Lagerström, was mit Sören Kierkegaard (1813-1855)? Nun, diese Eingangssätze sollten nichts anderes als zeigen, dass die Lektüre dieses Buches mehr sein muss als der Konsum eines Mediums. Hier wird der Leser und die Leserin hineingezogen in den Dialog des schwedischen Pfarrers und Kierkegaard-Kenners Ted Harris mit der Journalistin Ann Lagerström, hineingezogen auch in deren Dialog mit dem dänischen Schriftsteller und Philosophen Sören Kierkegaard und mit sich selbst. Das philosophische Werk Sören Kierkegaards erschließt sich hier wie von selbst. Kurze treffende Zitate aus seinen wichtigsten Büchern und einige Erinnerungen an Episoden seines Lebenslaufs treten in einen Dialog ein mit Lesern und Autoren, die im Kontext einer religiösen Suche nach dem Sinn des Lebens stehen. Dem kann sich keiner entziehen, der dieses Buch in die Hand nimmt.

Mein Tipp ist: Lassen Sie sich darauf ein und gehen Sie den Weg der dreimal drei Schritte von der „Sinnlichkeit“ über die „Innerlichkeit“ zur „Geistigkeit“. Nehmen Sie das Buch in die Hand und lesen Sie es in einem Zuge durch z. B: im Urlaub oder den Ferien. Und dann gehen Sie zu Ihrem Bücherregal und nehmen eine Schrift Sören Kierkegaards heraus und lassen sich ganz anders auf seine Sprache und sein Denken ein als vorher.

Oder setzen Sie sich nach der Lektüre des Buches einfach auf einen Stuhl und meditieren. Ganz neue Zeitbezüge einbeziehend, ganz aktuell bis hin zum Dalai Lama und den Experimenten der modernen Hirnforschung gehen die Autoren dem auf den Grund, was es heißt zu existieren und dabei nachzudenken. Das Buch ermutig geradezu dazu, das zu tun, was in unsrer Zeit fast ein wenig aus der Mode kommt, ein denkendes Individuum zu werden, das sich stets bewusst ist, seinen je eigenen Lebensweg zu gehen. Wer mag, öffne sich dabei der Transzendenz. Lesend werden Leser zu selbst-bewussten Zeitgenossen. Mehr kann  ein Buch nicht bewirken.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/62/cf20.htm
© Christoph Fleischer, 2009