SCHMUCK EINER TÄNZERIN

Eine Annäherung

Sabine Runde

Vielleicht haben biografische Markierungen, wie „Streit mit der Schwester", „römisch-katholischer Kindergarten“, „theologisches Internat der Franziskaner“ und eine „Werkzeugmacherlehre“[1] G. R. geradezu dafür prädestiniert, vom Körper zum Schmuck zu denken und Schmuck in größtmöglicher Nähe zum Körper zu realisieren. Schon früh experimentierte er jedenfalls an und für sich selbst mit dem Abformen einzelner Körpersegmente, die er später zu Schmuck weiterentwickelte. Seit 1978 entstehen Arbeiten für und mit dem Körper, gewöhnlich auf Wunsch und nach Wahl des »Konsumenten«.[2] Ein wesentliches affirmatives Element seiner Konzeption wird jedoch die persönliche Beziehung des Auftraggebers zu dem gewählten Abdruck, der, keinesfalls anonym, entweder von dessen eigenem Körper abgenommen ist oder von dem eines ihm nahe stehenden Menschen.

Der Schmuck einer Tänzerin markiert im Werk von G. R. so gesehen eine Pointierung seines Schmuckwollens auf der Grundlage eines hier einseitig von ihm selbst bestimmten Verhältnisses zum Körper der Tragenden. Die Entstehung dieses Halsschmucks hat eine Geschichte, sie erzählt von Schmuck an sich, von Motiven des Machens, beleuchtet Ebenen des Zugedenkens und Verschenkens und nicht zuletzt Konnotationen des Tragens. 1986 wurde dieser Schmuck fertig.[3]

Den Anfang bezeichnet der nachhaltige Wunsch von G. R., für eine bestimmte Frau einen Schmuck zu entwerfen. Er wird ausgelöst durch die Begegnung mit einer argentinischen Tänzerin, Freundin eines Freundes. Sie ist von faszinierender Ausstrahlung, wie sie die Paarung von knabenhaft fragilem Körperbau und erotischem Fluidum vermitteln kann. G. R.s Versuche, im Gespräch Näheres über die Persönlichkeit der Frau zu erfahren, herauszufinden, wie diese selbst zu einem solchen Schmuckvorhaben stünde, ohne ihr das Vorhaben wirklich offen zu legen, scheitern. Sie zeigt sich unnahbar und ablehnend. Dennoch will G. R. das Vorhaben nicht aufgeben. In Umkehrung seines sonstigen Vorgehens, den Schmuck in engem gedanklichen und emotionalen Austausch mit dem Träger zu entwickeln, ist er jetzt entschlossen, auch ohne die Mitwirkung der Tänzerin seine Intention weiterzuverfolgen und für seine Vorstellungen eine Gestalt zu suchen.

In dieser Zeit befindet sich in seiner Werkstatt eine noch unvollendete Arbeit, die er später unter dem Titel „Maskulin – feminin“ fertig stellen wird. Die Teile der Arbeit bestehen aus Vervielfältigungen einer abgeformten männlichen und weiblichen Brustwarze. Freunde und Besucher in der Werkstatt, die diese Teile sehen, reagieren unangenehm berührt und äußern offene Ablehnung. Auch G. R. ist der Abbildcharakter noch zu direkt und unverhohlen. Das Irritierende des Motivs selbst aber fesselt ihn unvermindert, und so hat bisher nur seine gestalterische Unzufriedenheit die Fertigstellung der Arbeit verhindert.

An dieser spannungsgeladenen, künstlerisch noch ungelösten Problematik verfangen sich seine nach Ausdruck suchenden Überlegungen. Er fühlt sich ganz dicht an einer Art »essence absolut« seiner Schmuckprojektion auf die Tänzerin. Um die gestalterische Problematik in seinem Sinne zu modifizieren, entscheidet sich G. R. für die Brustwarze als zentrales Motiv. Er denkt jedoch nicht an die eines Erwachsenen, sondern an die weniger expressive, unschuldige eines Kindes. Autoritativ will er die eines Mädchens, eine Entscheidung, die wiederum neue emotionale Implikationen mit sich bringt. Unvermeidbar wird mit der Andeutung aufkeimender Sexualität auch das Thema der Pädophilie berührt.

Es ist charakteristisch für G. R.s Schmuckwollen, das mit Schmuck verbundene Spektrum kontrovers anzugehen und körperliche Intimität exhibierend voyeuristisch bis zur Überschreitung gesellschaftlicher Tabus auszuloten. Er fühlt sich der Generation zugehörig, die seit den sechziger Jahren mit politischen wie künstlerischen Mitteln die Regeln, Normen, Traditionen einer etablierten, bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellt. In diesem Sinne legitimiert, verfolgt er obsessiv die Realisierung seines Anliegens, wofür er selbst in anderem Zusammenhang folgende Geschichte erfindet: »Rothmann hatte eine ganze Reihe hervorragend aufeinander abgestimmter und sorgfältig geplanter Szenen aufgeführt, bei denen er selbst die Rolle des tragischen Opfers übernommen hatte, um von dem wirklichen Opfer abzulenken. Auf der Funkfrequenz der Polizei hatte er falschen Alarm gegeben, die Streifenwagen an den Ort eines angeblichen Verbrechens oder Straßenkrawalls gelockt und sich damit die Möglichkeit verschafft, woanders zuzuschlagen. Die ganze Sache war inszeniert worden, vom ersten Telefonanruf für Klara bis zu dem letzten Brief über den neuen Job bei der Ölgesellschaft in Bolivien. Rothmann ist sich sicher, daß er keinen Fehler gemacht hat.«[4] Und so gelingt es ihm, seinen Wunsch zu delegieren und einen anderen für sich handeln zu lassen. Im Freundeskreis findet er die Mutter eines Mädchens, die dem Schmuckvorhaben mit Interesse begegnet und die das Herstellen der Abformung nicht befremdet. Die Mutter nimmt die Form ab, und ihre Tochter erhält eine kleine Halskette zum Geschenk.

G. R. vollendet den Schmuck durch Fassung und Rahmung des Körperabdrucks in der klassischen Form der Kreisscheibe. Durch Wiederholung und Reihung verschleiert sich die Intimität des Motivs, verwandelt sich scheinbar zum Ornament. Die Kreisscheiben mit Mittelakzent, gegliedert zu einer Kette, vervollständigen die Anmutung von Modeschmuck, dessen oberflächliche Attraktivität die subversive Provokation verbirgt. Der Schmuck der Tänzerin entsteht in Gold, dessen Haut-Farbe und Körper-Wärme die Nacktheit vordergründig vergolden. Eine zweite Version in Silber, konzipiert in Bezug auf den Mond und seine symbolischen Bezüge zum weiblichen Geschlecht, gibt sich deutlich kühl, abstrakt und distanziert.

Der Schmuck, der zunächst in dieser Weise unautorisiert und nur gedanklich für diese Tänzerin entstehen konnte, gelangt schließlich durch die Hand ihres Freundes als Geschenk an die Adressatin. Er wird so ungefragt zugedacht wie gemacht und wird von der Beschenkten intuitiv und im Gefühl des Hintergangenseins nicht gleich mit Freude entgegengenommen. Aber dann, auch aufgrund seiner in der Form sublimierten, schleichend persuasiven Ausstrahlungskraft, wird er getragen und schließlich, nach dem Erlebnis der öffentlichen Wertschätzung im Kontext der Ausstellung »Joieria Europea Contemporänia« in Barcelona, tatsächlich angenommen und zum Schmuck einer Tänzerin.


Anmerkungen

[1]    Aus der Biografie, in: Gerd Rothmann - Musterbuch, AK Galerie Spektrum, München u. a. 1984, S. 102.

[2]    Aus »Vorgänge«, in: ebd., S. 6.

[3]    Zusammengefasst auf der Grundlage von Gesprächen mit G. R.

[4]    Aus Gerd Rothmann, Schützen Sie sich vor Räubern, Nr. i der Heftreihe, München 1992, Text nach Margaret Millar und William S. Burroughs.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/53/sr1.htm
© Sabine Runde, 2008