Schwarze Romantik

Fitna – Der Film von Geert Wilders

Andreas Mertin

Info Andreas MertinGeert Wilders ist kein Theo van Gogh. Wer sich Wilders Film „Fitna“ im Internet angeschaut hat, dem wird sofort klar, dass es sich im Vergleich zu Theo van Goghs „Submission“ um eine simple Collage aus öffentlich zugänglichem Material handelt, eine mediale Tendenzschrift, die bestimmte Aspekte zuspitzen und – auf Teufel komm raus - eine öffentliche Reaktion provozieren will. War Theo van Goghs „Submission“ Kunst, dann ist Geert Wilders „Fitna“ Kitsch, insofern Kitsch eine Re-Assemblage aus bereits vertrauten Materialien darstellt.

Nachtrag 28.03.2008: Bereits einen Tag nach Veröffentlichung des Videos musste die Internetplattform liveleak das Video wieder absetzen, weil es massive Drohungen gegen die Mitarbeiter der Plattform gegeben hat, die deren Leben gefährdeten. Das Video ist aber inzwischen auf anderen Plattformen gespiegelt, z.B. bei Google.

Nun ist der Film keineswegs, wie es in den Medien sofort hieß, ein Hass-Film. 15 Minuten Hass gegen Islamisierung titelte der ZDF-Videotext am 28.03.2008 - ganz offensichtlich ohne den Film genauer wahrgenommen zu haben. Unter dem noch ambivalenteren Titel 15 Minuten Hass äußert sich auch die Süddeutsche Zeitung. Dabei ist nur der Gegenstand des Films der Hass, aber er ist nicht gehässig – wenn man einmal von der parabelartig eingeführten animierten Mohammed-Karikatur absieht. Wenn der Film ein Beispiel für einen Hass-Film sein soll, welche Wort will man dann noch für die in ihm gespiegelten Inhalte verwenden? Der Film ist einseitig, er mag ein Propaganda-Film sein, aber er arbeitet nicht mit gefälschten Darstellungen, sondern allenfalls mit einer selektiven Zusammenstellung. Er fordert nicht zu Mord und Totschlag auf, er verlangt keine Attentate oder Mordanschläge, er billigt keinen Genozid und betreibt keinen Rassenhass. Er verschweigt penetrant den Tatbestand des friedlichen Zusammenlebens von Millionen Migranten mit den Menschen ihrer Gastländer bzw. ihrer neuen Heimatländer. Er fokussiert sich ausschließlich dramatisierend auf Problembereiche, aber das ist natürlich im Rahmen einer freien Gesellschaft sein Recht.

Dass sich niemand gefunden hat, den Film auszustrahlen, ja dass ein Provider, der selbst der Hisbollah Webspace eingeräumt hat, sich weigert, das Gleiche für Geert Wilders zu machen, ist skandalös und feige. Jemandem Webspace zur Verfügung zu stellen, heißt ja noch lange nicht, seine Überzeugungen zu teilen. Ihm den Webspace zu verweigern bedeutet aber, eine bestimmte Meinung zu unterdrücken.

Inhaltlich besteht der Film aus zeitgenössischen Dokumenten, aus einem Blick auf einen Koran und aus eingeschobenen Textstatements. Eine präzise Inhaltsbeschreibung bietet die englischsprachige Wikipedia. Der Film dauert 15 Minuten, die durch eine Anfangs und am Ende eingeblendete Countdown-Uhr angezeigt werden. Er zitiert Suren des Koran, die belegen sollen, dass dieser militant und menschenverachtend ist und religiösen wie säkularen Gegnern den Tod androht. Illustriert werden diese Suren durch dokumentarisches Material einschlägiger islamistischer Menschenrechtsverletzungen. Der 11. September kommt ebenso vor wie die Madrider Anschläge, die Hinrichtung des Ingenieurs Jack Hensley und vieles andere mehr. Gezeigt werden vor allem aber auch Mordaufrufe von islamistischen Predigern. Es mag sein, wie manche Medien schreiben, dass dies schon zur Genüge gezeigt worden ist, aber das sollte man den Betrachtern überlassen und nicht einer vorsorglichen Zensur unterwerfen.

Dieser Film spiegelt keine gesellschaftliche Tendenz der Islamisierung Europas, so sehr sich Wilders auch anstrengt, dies durch suggestive Grafiken zu belegen. Er zeigt einen problematischen Teil der Weltgesellschaft, der sich zur Legitimation seiner Aktivitäten einer religiös verbrämten Ideologie bedient. Und das gilt nicht nur für den Islam, sondern für alle religiös-fundamentalistischen Bewegungen dieser Welt. Man meint beim Betrachten des Videos, in die eigene Vergangenheit des Christentums zu blicken: ich vermag nur wenig Unterschiede zwischen den Hasspredigten der Kreuzfahrer und den in diesem Video dokumentierten Mordaufrufen der Islamisten erkennen. Dass sich die Islamisten bei der Inszenierung der Enthauptung des Ingenieurs Hensley der Schemata der christlichen Ikonographie bedienen, scheint mir unbestreitbar. Zu ähnlich sind sich die Bilder und Inszenierungen.

Zur medialen Rezeption

Doch die weiterführende, viel wichtigere Frage ist eine andere: Ist der Film ein wertvoller Beitrag in der laufenden Debatte? Vermittelt der Film neue Gedanken – oder sogar Lösungsvorschläge für dieses zweifelsohne große Problem dieser Zeit, den Umgang mit dem Islam? Enthüllt er eine neue Dimension der antiwestlichen Stimmung in Kreisen radikaler Islamisten? Nein, all das leistet der Film nicht. Er heizt nur die Debatte an. Er macht Geert Wilders im medialen Spiel bekannter. "Stop Islamisation“ - so lautet in dem Streifen der Lösungsvorschlag für die gewaltigen Probleme, die nicht nur in den Niederlanden mit den Islamisten existieren. [Süddeutsche Zeitung]

Dass Wilders nur düstere Prophezeiungen anbietet und keine Lösungen, wie Gökalp Babayigit in der Süddeutschen Zeitung schreibt, ist jedem einsichtig, der das Video anschaut. Das kann aber kein ausschließendes Kriterium sein.

Doch wirklich bedenklich ist die unterschwellige Botschaft des Films: "Seht her, was Islamisten denken und tun - sie lassen uns keine Wahl“, das will Wilders sagen. Hätte er doch nur eine Minute seines Films auf die Frage verwendet, wie man die Radikalisierung des Islam wirksam stoppen könne. Sein Angst schürender, perfide zusammengeschnittener und grenzenlos pauschalisierender Film ("Der Islam will die westliche Zivilisation zerstören“) hätte mehr Beachtung verdient - und nicht nur Verachtung. [Süddeutsche Zeitung]

Mich irritiert an diesem Kommentar in der Süddeutschen die Wortwahl und die Kategorienverwechslung. Die Gegenüberstellung der „gewaltigen Probleme mit den Islamisten“ im Vergleich mit der „wirklich bedenklichen Botschaft des Filmes“ ist ein ungeheuerlicher sprachlicher Lapsus. Problematisch mag die Zusammenstellung von Wilders sein, doch wirklich bedenklich sind die Probleme mit den Islamisten – nur so macht die Gegenüberstellung Sinn. Alles andere hieße, Mord und Totschlag auf dieselbe Ebene wie eine Meinungsäußerung zu stellen.

Und inwiefern ist Wilders Film „perfide“ bzw. perfide zusammen geschnitten? Im ergänzenden Kommentar von Christiane Schlötzer heißt es sogar, er sei „perfide rassistisch“. Wenn man Geert Wilders eines nicht unterstellen kann, dann dass er perfide ist. Ganz im Gegenteil! Er hat sich nicht das Vertrauen der Muslime – geschweige denn der Islamisten - erschlichen, um es dann auszunutzen und sie zu hintergehen oder zu vernichten. Und rassistisch? Da müsste wohl das Wort Rassismus umdefiniert werden, um hier zuzutreffen. Biologistisch argumentiert Wilders an keiner Stelle.

Der Kairoer Korrespondent der Süddeutschen offenbart seine ganze Verachtung gegenüber intellektueller Auseinandersetzung in alteuropäischer Tradition: „Die anderen westlichen Ritter der Meinungsfreiheit werden sich, den Film verurteilend, wohl am Wochenende in Talkshows und Kurzinterviews zur Gedankenfreiheit äußern, dabei den alten Voltaire zitieren.“ Warum überhaupt noch auf Voltaire hören, warum noch für Meinungsfreiheit eintreten? Meinungsfreiheit ist ausschließlich eine Sache für Talkshows. Diese Äußerungen mögen dem Ort geschuldet sein, an dem sie geschrieben wurden, aber sie zeigen im Gegenteil, wie wichtig Voltaires Gedankengut heute ist.

Die F.A.Z. hat in unterschiedlichen Kommentaren auf das Ereignis reagiert. Mit kritischem Verständnis und mit Abwehr. Aber sie ist ein Beispiel für eine differenzierte Darstellung. Unter der ebenso ambiguitären wie treffenden Überschrift „Quälende Collage des Hasses im Internet“ hat Nils Minkmar eine bedenkenswerte Annäherung versucht, die zu verstehen trachtet, wie es zu dem Video kommen konnte. Und er fasst zusammen:

„Es ist schon eine ziemliche Packung, die dem Zuschauer zugemutet wird. Es ist ein direkter Sprung ins Gesicht all jener, die die Probleme leugnen oder auf die lange Bank schieben wollen. Es ist aber kein rassistischer oder blasphemischer Film. Viele moderate Muslime, die selbst die Opfer der Fanatiker sind, werden ihn mit ebensolchem Entsetzen sehen wie säkulare oder christliche Zuschauer. Nur Verdränger haben ein Problem damit, so einen Film zu zeigen. Es ist kein ausgewogener Bericht, keine faire Dokumentation, aber auch kein Aufruf zum Hass, sondern der Entsetzensschrei eines Mannes, der von Al Qaida mit einem Todesurteil belegt wurde und seit Jahren in ständiger Furcht um sein Leben sein muss und - obwohl er nie zur Gewalt aufgerufen hat und nie gewalttätig war - rund um die Uhr von Leibwächtern beschützt wird.“

Dem kann ich mich nur anschließen. Anders als Theo van Goghs „Submission“ ist Wilders Video kein anti-islamisches im genuinen Sinne. Wilders Film ist in der vorliegenden verbreiteten Form ein anti-islamistischer Film, der uns nahe legen will, der Islamismus sei in der muslimischen Bevölkerung Europas verbreiteter, als er es in Wirklichkeit ist. Dem kann man besonnen mit den empirischen Tatsachen entgegen treten. Keinesfalls rechtfertigt es Etiketten wie „rassistisch“, die doch nur das Denken einsparen sollen. Dass Wilders als Person anti-islamisch eingestellt ist, berechtigt nicht, dieses Etikett umstandslos auf den Film zu übertragen. Es zeigt, dass den Kritikern alle Kategorien verloren gegangen sind. Gegenaufklärung muss man mit Aufklärung begegnen: auf allen Gebieten der Auseinandersetzung. Sapere aude!

Die Musik macht den Ton

Und doch bleibt ein Unbehagen angesichts des Films. Und dieses Unbehagen hat etwas mit seiner merkwürdigen ästhetischen Inszenierung zu tun. Dabei verursacht nicht die Bildwelt dieses Unbehagen (die hat Wilders ja nur collagiert), auch nicht die pubertär anmutende Ironie, mit der Wilders das Ganze garniert hat. Es ist vielmehr die verwendete Musik. Der Film ist musikalisch unterlegt mit zwei bekannten populärkulturellen Stücken: Einem Motiv aus dem ersten Teil von Edvard Griegs Peer Gynt Suite und dem arabischen Tanz aus Tschaikowskis Nussknacker-Ballett. Das ist ganz interessant, denn vor allem mit dem Bezug auf Edvard Griegs Stück wird ein national-romantischer Ton angeschlagen, der sicher nicht zufällig gewählt ist. Die untergründige Todessehnsucht, die sich in der spätromantischen Musik ausdrückt und die nicht zufällig von der Kulturindustrie in Hollywood begierig aufgegriffen wurde, durchzieht auch Geert Wilders Video. Manchmal hat man den Eindruck, er beschwöre das Grauen nicht, um es abzuwenden, sondern um sich ihm auszuliefern.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/52/am242.htm
© Andreas Mertin