Denn sie wissen, was sie tun

Der Editwar um die Bibel in gerechter Sprache in der Wikipedia

Von 83.135.217.80

Die folgenden Notizen gehen den verschiedenen Versionen des Artikels zur „Bibel in gerechter Sprache“ in der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia nach. Es gehört ja zu den interessanten Eigenschaften der Wikipedia, dass alle Eintragungen und Änderungen – so nebensächlich sie manchmal auch sein mögen - langfristig aufbewahrt werden. Auf diese Art und Weise werden daher auch alle ideologischen Auseinandersetzungen um bestimmte Themen in der Gesellschaft an der Versionshistorie eines Lexikonartikels deutlich. Das ist oftmals spannend, noch häufiger aber ärgerlich und enervierend. Manchmal bekommt es aber auch geradezu kriminalistische Züge, etwa wenn bestimmte Tatbestände noch vor ihrer offiziösen Veröffentlichung in die Wikipedia eingetragen werden (wie jüngst bei der Suspendierung eines kirchlichen Mitarbeiters).

Im Grunde ist das Recherchieren in der Versionshistorie etwas ebenso Vertrautes wie etwas Neuartiges. Vertraut ist der Versuch der Exegeten, aus einem bestehenden Text unterschiedliche Textebenen, oder auch verschiedene Autoren und ihre Interessen herauszufiltern. Das gehört zum Handwerkszeug der Theologie seit der Entstehung der historisch-kritischen Bibelauslegung. Neuartig ist der Umstand, dass beim zu untersuchenden Text alle(!) Textvarianten bereits vorliegen. Das ist natürlich ein gravierender Unterschied zu biblischen Texten, bei denen man in der Regel aus dem aktuellen Text verschiedene Eingriffe und Redaktionen erst erschließen muss und daher oftmals im Spekulativen verbleibt.

Mir geht es im Weiteren darum, zu untersuchen, wie am konkreten Beispiel der Bibel in gerechter Sprache „demokratisch“ lexikalische Darstellungen zu Stande kommen, wie im Zuge öffentlicher Debatten Artikel geändert und nach welchen Kriterien Veränderungen vorgenommen werden.

Die Bibel in gerechter Sprache in der Wikipedia

Am 27. Dezember 2006 legt eine Nutzerin mit dem Kürzel „Dr mike“ den Artikel zur „Bibel in gerechter Sprache“ in der Wikipedia an. Wie auf ihrer Nutzerseite zu lesen ist, wurde der konkrete Artikel aber nicht von ihr selbst formuliert, sondern von Ina Praeterius. Diese gehört, wie die Bibel in gerechter Sprache ausweist, zu den Sponsoren und Förderern des Übersetzungsprojekts. Dennoch enthält der Artikel nicht eine einseitig positive Darstellung im Sinne der HerausgeberInnen, sondern verzeichnet auch kritische Einwände wie den seinerzeit bereits erschienenen Artikel von Ingolf Dalferth in der NZZ.

Dennoch merkt einer der Administratoren der Wikipedia kurze Zeit später zu Recht an, dass weite Strecken des Artikels noch zu nah am dargestellten Gegenstand sind und deshalb einer Qualitätssicherung bedürfen. Er macht das durch eine vorangestellte Textzeile deutlich. Es werden in der Folge Links auf weitere kritische Texte ergänzt.

Am 03. Januar 2007 ändert dann ein nur über seine IP-Adresse identifizierbarer anonymer Nutzer den Text dahingehend, dass er aus dem deskriptiven Satz der andauernden Kritik der akademischen Theologie an der feministischen und befreiungstheologischen Theologie einen affirmativen Satz macht. Er fügt ein, die Kritik erfolge „völlig zu recht“ und die Bibel in gerechter Sprache sei der „beste Beweis dafür“. Die Eintragung erfolgt in den Abschnitt des Lexikonartikels, der unter der Überschrift „Ausblick“ steht. Zwei Minuten später „revertiert“ ein Nutzer, der sich nach Auskunft seiner Nutzerseite auf das Rückgängigmachen unsinniger Einträge spezialisiert hat, den Eintrag des anonymen Nutzers. In den folgenden Tagen gibt es kleinere Hakeleien, etwa ob einige Formulierungen traditioneller Übersetzungen „patriarchalische Herrschaftssprache“ oder nur „so genannte patriarchalische Herrschaftssprache“ sind. Zunehmend gewinnt der neu angelegte Abschnitt „Rezeption und Kritik“ eine größere Breite.

Konflikte gibt es dann aber um die Darstellung im einleitenden Abschnitt zum „Profil der Bibel in gerechter Sprache“. Ein Nutzer möchte zur Ausgewogenheit der Darstellung beitragen, indem er noch vor der Darstellung des Projekts hinzufügt, dass die Bibel in gerechter Sprache sowohl „sprachlich als auch theologisch sehr umstritten“ sei und von „Vertretern beider Konfessionen scharf kritisiert und von ihrer Verwendung im Gottesdienst ausdrücklich abgeraten“ worden sei. Interessant daran ist vor allem der Gebrauch der verstärkenden Satzelemente. Nicht umstritten ist die Bibel, sondern „sehr umstritten“. Nicht nur kritisiert wurde die Bibel, sondern sogar „scharf kritisiert“ und nicht nur abgeraten wurde von der Nutzung, sondern auch noch ausdrücklich. Hier zeigt sich, dass noch vor der Lektüre des Artikels eine negative Stimmung erzeugt werden soll. Offenkundig traut der Nutzer den Lesern nicht und sucht sie durch verstärkende Worte auf den rechten Weg zu bringen. Der gleiche Nutzer macht gleich noch aus der gerechten Sprache eine „so genannte gerechte Sprache“. Am 17. Januar 2007 wird noch in die Einleitung eingefügt, einige Leute sähen „das Projekt sehr kritisch - oder gar als ‚gotteslästerlich’ an - und raten von ihrer Verwendung im Gottesdienst ab.“

Nun ist den Kritikern die Darstellung kritisch genug und der Vorbehalt fehlender Qualitätssicherung wird aufgehoben. Der Artikel umfasst nun etwa 10.000 Zeichen, beginnt mit einer deutlichen Negativdarstellung des Projekts, bevor das Ansinnen der Bibel in gerechter Sprache überhaupt erst dargestellt wird. Trotzdem stehen Darstellung und Kritik in einem für den damaligen Diskussionstand einigermaßen angemessenen Verhältnis. Ursprünglich gab es ja leichte Vorbehalte wegen einer zu positiven Darstellung der Bibel in gerechter Sprache und den Versuch, diesen Vorbehalten durch die Referierung der seinerzeit vehementen Kritik Rechnung zu tragen. Interessant ist, dass es bis dahin keine Diskussionsseite zur Bibel in gerechter Sprache gab, sondern die einzelnen Nutzer direkt in den Artikeltext eingegriffen haben.

Das änderte sich erst am 23. Januar 2007 als ein anonymer Nutzer mit der IP-Adresse 217.245.181.184 die Diskussionsseite zur Bibel in gerechter Sprache mit starken Infragestellungen neu eröffnet und dann in den Lexikonartikel einträgt, dass es sich um eine „stark interpretierende“ Neuübersetzung handele. Damit ist die polemische Auseinandersetzung eröffnet, die einige Zeit später dann zum regelrechten, aber nicht regelgerechten Editwar führen wird. Nun werden munter subjektive Wertungen in den Text eingetragen.

Noch am gleichen Tag trägt ein anderer Nutzer ein, es handele sich um eine Neuinterpretation, die von allen nicht ideologisch befangenen Gemeinden abgelehnt werde. Seine Änderungen kategorisiert er mit dem Wikipedia-typischen Kürzel „K“ – was an sich nur geringfügige Änderungen kennzeichnet. Sicher kein unverfänglicher Vorgang. Über lange Zeit wird die Auseinandersetzung genau darum gehen: wie man in einem Lexikonartikel zur Bibel in gerechter Sprache diese angemessen charakterisiert. Eine Woche später streicht ein anonymer Nutzer kommentarlos die Etikettierung „stark interpretierende“ Neuübersetzung wieder aus dem Text heraus.

Bis dahin war die Charakterisierung, die die Ersteinträgerin des Artikels unter „Ausblick“ eingetragen hatte (in der sie die Bedeutung der Bibel in gerechter Sprache in der Gegenwart einzuschätzen versuchte), stehen geblieben. Am 4. Februar streicht ein Nutzer den ganzen Abschnitt als POV – in der wikipedia ein schwerwiegender Vorwurf. Faktisch bedeutet er aber nur, dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt: „Point Of View (engl. Standpunkt), bezeichnet eine persönliche Meinung, Ansicht, Erzählsituation, Gesichtspunkt oder Perspektive.“ Dem kann man zustimmen.

Am 15. 02 2007 greift wiederum ein anonymer Nutzer mit der IP 217.80.144.104 in den Artikel ein. Er bemängelt, dass ein Leser der Bibel in gerechter Sprache die „Abweichungen vom Grundtext nicht einschätzen könne“ und dass allgemeine Prinzipien der Übersetzungstheorie nicht eingehalten würden. Der nächste anonyme Nutzer ergänzt wenige Minuten später: „Die philologischen Mängel, die Tatsache, dass es sich weniger um eine Übersetzung als um eine Paraphrase handelt und die große Banalität der Sprache wurden ebenfalls beanstandet.“ Schon die Wortwahl, die vor jeder Kritik sich immunisiert, ist dabei interessant. Eine halbe Stunde später werden die Einträge wieder entfernt.

Am 18. Februar 2007 kommt es dann zu einem ersten massiven Eingriff in den Artikel. Ein anonymer Nutzer mit der IP-Adresse 217.228.104.186 (das ist der regionale IP-Bereich der Deutschen Telekom in Köln) konstatiert „in Wirklichkeit“ würde mehr Neuinterpretation als Übersetzung geleistet. Die erläuternde Textelemente zu den leitenden Vorgaben bei der Behandlung des Ausgangstextes werden dazu entfernt. Eine halbe Stunde später wird unter der IP-Adresse 217.228.82.221 der Text noch einmal massiv geändert. Nun besteht der Text zum Profil der Bibel in gerechter Sprache gut zur Hälfte aus einer negativen Meinungsäußerung eines Nutzers, der zudem lapidar erklärt: „Diese Kriterien sind nicht solche, die von einer neutralen sprachwissenschaftlichen Übersetzungstheorie vorgetragen oder anerkannt würden“. Über die „Ideologie“ des Nutzers gibt ein eingeschobener Satz Auskunft: „gerade der biblische Stil im Sinne der rhetorisch souveränen Übersetzung Luthers zählt ja nach wie vor zu den Varietäten des heutigen Deutsch, das in seinem Ursprung ein protestantischer Dialekt ist.“ Man kann diesen Nutzer einer bestimmten konservativen Luther-Orthodoxie zuordnen. Innerhalb von zwei Stunden trägt der anonyme Nutzer 30(!) Änderungen in den Text ein, zum größten Teil negative Wertungen über die Bibel in gerechter Sprache.

Erst am Morgen des folgenden Tages macht ein weiterer anonymer Nutzer alle 30 Änderungen mit einem Schlag rückgängig, indem er die Version vom 17. Februar 2007 wieder herstellt. Rund 3000 Zeichen Text hatte der vorherige Nutzer neu eingetragen. Zwei Stunden später beginnt dieser Nutzer seinen Text wieder in den Lexikonartikel einzutragen. Am späten Nachmittag macht ein anderer Nutzer dessen Änderungen wieder rückgängig. Noch in der Nacht darauf wiederholt sich das Spiel. Unter der IP-Adresse 217.228.87.146 werden wieder negative Anmerkungen in den Artikel eingetragen. Erst am späten Abend des 22. Februars macht jemand (anscheinend der gleiche Nutzer aus dem Bereich Marburg, der schon zweimal interveniert hatte) die Eingriffe wieder rückgängig. Aber schon am nächsten Tag beginnt das Ganze wieder von vorne, bis es am 24. Februar wieder beendet wird. Zwei Tage später versucht es der Kritiker wieder und trägt ein: „Ansonsten überwiegt unter den Experten scharfe Kritik“. Die Logik ist simpel: wo es Zustimmung gibt, handelt es sich nicht um Experten, erst die Kritik macht einen zu einem solchen. Die Änderungen bleiben zunächst so stehen und dadurch ermutigt, beginnt der Nutzer seine alten Eintragungen Stück für Stück wieder in den Artikel einzutragen. Knapp eine Woche lang ist er der einzige, der im Artikel Änderungen vornimmt und alles Kritische zusammenträgt. Erst am 6. März wird dann einiges aus der Veränderung zurückgenommen mit dem Hinweis: „Der entfernte Satz ist eine wertende Kritik aus subjektiver Perspektive und daher an dieser Stelle fehlplatziert. Im ‚Kritik’-Abschnitt wird dieser Meinung auch bereits ausführlich Raum eingeräumt.“

Mit dem 7. März 2007 tritt dann ein neuer anonymer Nutzer unter der IP-Adresse 91.10.227.101 auf, der zum Teil wortgleiche Eintragungen wie die IP-Adresse 217.228.… macht. Es ist auffällig, wie ähnlich sich beide Nutzer sind, so dass hier einmal ganz ungeschützt der Verdacht geäußert sei, dass es sich um denselben Nutzer handelt.

Der Nutzer JoeTill stellt dann am 9. März eine einigermaßen ausgeglichene Version wieder her und notiert zu Recht: „Persönlich abweichende Meinungen gehören nicht in die Darstellung, sondern unter Kritik, wo sie ausreichend vorkommend“. Das kann den Nutzer mit der IP-Adresse 91.10.215.190 aber nur wenige Stunden von seinem Werk abhalten, dann greift er wieder massiv wertend und mit identischen Formulierungen in die Darstellung der Bibel in gerechter Sprache ein. Im Minutentakt werden nun die alten kritischen Formulierungen wieder eingetragen.

JoeTill korrigiert dies später wieder und erinnert noch einmal an die Prinzipien der Wikipedia: „Persönlich abweichende Meinungen gehören nicht in die Darstellung, sondern unter Rezeption und Kritik, wo sie ausreichend vorkommen. Dort die gelöschte positive Rezeption wieder hergestellt.“ Letzteres verweist darauf, dass die Kritiker nicht nur kritische Notizen in den Lexikonartikel eintragen, sondern zugleich auch bewusst alles Positive löschen.

20 Minuten später beginnt der Nutzer mit der IP Adresse 91.10… wieder mit der Manipulation des Artikels. Er schreibt nach der positive Wertung wieder den ergänzenden Satz: „Ansonsten überwiegt bei den Experten nachdrückliche Kritik.“ Im Stundentakt fließen nun negative Neueinträge und prompte Revertierungen im Ping-Pong-Spiel in den Lexikonartikel ein. Es herrscht offener Krieg der Editoren.

Einen großen Fortschritt macht der Artikel dann Mitte März, als ein Autor einen separaten Abschnitt zur kirchenrechtlichen Stellung der Bibel in gerechter Sprache einrichtet, in dem die unterschiedlichen Beurteilungen der Bibel in den einzelnen Landeskirchen deutlich wird. Erkennbar wird auch, wie wenige Landeskirche sich überhaupt abschließend geäußert haben.

In der folgenden Nacht beginnt der anonyme Nutzer mit der IP-Adresse 91.10.248.204 wieder sein Veränderungswerk. Es sind wieder die gleichen Formulierungen und die gleichen Punkte, die in der Darstellung angegriffen werden. Wenige Minuten später werden seine Änderungen von JoeTill wieder revertiert. [An dieser Stelle sei mein ausdrücklicher Respekt vor diesen engagierten Verteidigern der Wikipedia benannt, die unermüdlich für eine saubere und fachlich korrekte Gestaltung der Artikel sorgen. Mir scheint es eine Art Sisyphus-Arbeit zu sein.] Es ist zu dieser Zeit etwa 1 Uhr in der Nacht des 14.03.2007 und nun wird im Minutentakt geändert und revertiert. Ganz offenkundig geht es dem anonymen Kritiker keinesfalls um die Darstellung eines Sachverhalts in einem Lexikonartikel, sondern um pure Ideologie. Er macht keine Kompromissvorschläge, geht nicht auf die Kritik (der notwendigen Trennung von Darstellung und Kritik) ein, sondern manipuliert blindwütig den Text in seinem Sinne. Jetzt scheint es nur noch darum zu gehen, wer länger vor dem Computer aushält, um wenigsten für einige Stunden Recht zu behalten. Hier zeigt die Cut & Paste Funktion ihre hässliche Fratze. Am Ende bleibt glücklicherweise JoeTill länger auf.

Am 20. März taucht eine neuer(?) Diskutant in den Bearbeitungen auf: Wilhelm Langnick, der u.a. auch den Artikel zum „Lutherischer Konvent im Rheinland“ angelegt hat. Das ist insofern auffällig, als in der kritischen Diskussion der anonymen Beiträger schon einmal „der biblische Stil im Sinne der rhetorisch souveränen Übersetzung Luthers“ eine Rolle gespielt hatte. Ich kann hier zwar keine zwingende, wohl aber  eine evidente Verbindung herstellen.

Parallel trägt freilich auch der anonyme Nutzer unter der IP-Adresse 91.10.246.223 seine altbekannten Notizen wieder ein, bis sie am Abend von JoeTill wieder rückgängig gemacht werden – aber nur für 19 Minuten, dann beginnt 91.10…. wieder seine Arbeit. Auch an diesem Abend bzw. in dieser Nacht läuft ein Katz- und Maus-Spiel der Editoren.

Zurück zu Wilhelm Langnick, der am Morgen des 21. März wieder ein Testballon mit Neuübertragung statt Neuübersetzung“ startet. Allmählich hat man das Gefühl, dass es in der Wikipedia darum geht, wer den längsten Atem hat und nicht, wer über das bessere Argument verfügt. Im Minutentakt trägt Wilhelm Langnick (wie schon seine Vorgänger unter den IP-Adressen 217.228… und 91.10….) Änderungen in den Text ein.

Am Nachmittag des 22. März 2007 reitet dann wieder 91.10.238.29 seine Attacke. [Manchmal glaube ich, dass die anonymen Beiträger gar nicht ahnen, wie leicht sie als dieselben Beiträger zu identifizieren sind. Vielleicht ist es ihnen aber auch egal, weil es nur um Ideologie geht.] Es werden wieder exakt die gleichen Formulierungen wie noch vor ein paar Tagen oder Wochen eingetragen: kein neues Argument, einfach nur ein neuer Versuch. Vielleicht klappt es ja. Es ist im Grunde genommen nichts anderes, als ein wiederholt eingetragener Textbaustein. Textkritisch kann man diese Kritiker z.B. immer daran erkennen, dass sie vom „Grundtext“ der Bibel sprechen – statt wie in der Übersetzungswissenschaft üblich vom Ausgangstext.

Nach 10 Minuten hat JoeTill die Änderung revertiert, aber fünf Stunden später erfolgt der nächste Versuch. Dieses Mal ist es freundlicherweise Oxymoron83, der die Eingriffe revertiert. Früh morgens am 23. März geht es weiter, die gleichen schon bekannte Änderungen durch die IP-Adresse 91.10…. und wieder im Minutentakt. Es macht einen wirklich sprachlos, wenn man das verfolgt. Man stelle sich vor, eine solche Instanz wäre in der Funktion eines Zensors, Lektors oder überhaupt eines Entscheidungsträgers! Was für ein Grauen.

Frühmorgens hat ein Wikipedianer ein Einsehen und revertiert den Artikel – aber natürlich nur für gut 6 Stunden, bevor 91.10…. wieder sein Handwerk beginnt. Wieder im Minutentakt tröpfeln die Änderungen in den Text. Mittags revertiert JoeTill den Spuk wieder. Aber – der Leser ahnt es schon – nur für fünf Stunden, dann beginnt das Ganze von Neuem, denn 91.10…. nimmt seine Arbeit wieder auf. Erkennbar handelt es sich jetzt um einen Editwar, wobei nicht wirklich erkennbar ist, wie viele Beteiligte eigentlich involviert sind. Die Kritiker verwenden so gleich lautende Interventionen, dass man geneigt ist, sie für eine Stimme oder zumindest Partei zu halten. Und die anderen beschränken sich aufs Revertieren, d.h. darauf, einen einigermaßen konsensuellen Zustand des Artikels wieder herzustellen.

An diesem Punkt der Ereignisse wird der Editwar auch Wikipedia-intern wahrgenommen und der Artikel erstmalig unter Seitenschutz gestellt (23. März 2007). Seitenschutz heißt, dass nur Nutzer, die schon einige Tage bei der Wikipedia gemeldet sind, Änderungen am Text vornehmen können. Die Folge ist, dass nur noch wirklich begründete Änderungen in den Text eingetragen werden. Eine segensreiche Intervention. Es kehrt – zumindest für drei Wochen – Ruhe ein.

Mitte April tritt ein neuer Streithansel auf den Plan: der inzwischen von der Wikipedia gesperrte Nutzer Hansele. Auch er beginnt im Minuten- bzw. Stundentakt Änderungen in den Artikel einzufügen. Man kann sich aufgrund zahlreiche Indizien nicht des Eindrucks erwehren, dass immer dieselbe Person/Gruppe hinter diesen Interventionen steht. Es werden zudem nachweisbar falsche Informationen verbreitet.

Ende April meldet sich wieder die IP Adresse 91.10.241.248 zu Wort und versucht dieses Mal, die Position des Alt-Bischofs Wilckens herauszustellen – um nicht zu sagen herauszuputzen -, und seine Bedeutung in der Auseinandersetzung zu stärken.

Anfang Mai gibt es ein kleines Scharmützel mit dem Nutzer FalparsiParsifal (wie entlarvend doch manchmal Nutzernamen sein können), der unbedingt das Wort tendenziös in die Darstellung eintragen möchte. Das wird von Joe Till revertiert, von FalparsiParsifal wieder revertiert, von JoeTill revertiert, von FalparsiParsifal wieder revertiert, von JoeTill wieder revertiert, von FalparsiParsifal abgemildert revertiert, von Lley wieder revertiert. Allmählich nervt es einen.

Für einen Monat herrscht dann Ruhe im Konflikt. Am 4. Juni versucht eine neue IP-Adresse (90.187.31.177) im alten Stil ihre Meinung durchzusetzen, die aber am nächsten Tag von JoeTill zurückgenommen wird.

Mitte Juni 2007 versucht ein neuer Autor (Olaf Jan) neue Gesichtspunkte in die Diskussion einzubringen und den Artikel zu ergänzen. Für kurze Zeit geht es in den Änderungen nur um die rechte Formulierung und eine Bereicherung des Artikels.

Dann taucht wieder eine neue IP-Adresse (212.100.56.181) auf, die exakt die gleichen Formulierungen einträgt, die Wochen und Monate zuvor andere anonyme Beiträger geschrieben hatten. Und wieder werden im Minutentakt Änderungen eingetragen. JoeTill schmeißt alle unbegründeten Änderungen wieder raus, aber nur für zwei Stunden, dann beginnt 212.100…. wieder mit seiner Arbeit. Wieder rückgängig gemacht, wieder von 212.100… geändert, wieder rückgängig gemacht. Die Arbeit an der Bibel in gerechter Sprache war ganz sicher einfacher als die vernunftorientierte Arbeit an diesem Lexikonartikel. Der 19. Juni 2007 markiert einen ersten Höhepunkt in der Auseinandersetzung um den Artikel. Im Minutentakt werden nun Änderungen von den Kontrahenten vorgenommen, genauer: es werden die alten Standpunkte wiederholt und sofort revertiert.

Ein Kuriosum findet sich dann am 24. Juli 2007. Ein anonymer Nutzer mit der IP 84.146.143.42 trägt den Kritiker Werner Thiede in der Rubrik Rezeption und Kritik ein. Es ist derselbe Nutzer, der gleichzeitig(!) den Wikipedia-Artikel zu diesem Theologen angelegt hat. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Mitte August meint ein neuer Beiträger in einem Lexikonartikel herausstellen zu müssen, dass der Umgang mit dem Gottesnamen in der Bibel in gerechter Sprache nicht akzeptabel sei, weil der Gottesname heilig sei. Das ist eine exakte Verkehrung der Intention der Autoren des besprochenen Werkes. Ende August gibt es eine kleine Auseinandersetzungum die Frage, ob die Erwiderung von Frau Schottroff zur Kritik von Alt-Bischof Wilckens Erwähnung finden darf.

Anfang Oktober stellt ein anonymer Autor den Artikel wegen mangelnden Neutralität zur Diskussion – ohne irgendwelche Gründe anzuführen. Das wird sofort moniert, was den anonymen Nutzer nicht daran hindert, weiter seine pejorativen Eintragungen zu machen. Anfang November versucht sich ein neuer anonymer Nutzer mit einer weiteren Änderung des Wortes „Neuübersetzung“ in „Neuübertragung“, was aber nun sofort revertiert wird. Ähnliche Scharmützel gibt es noch Mitte November mit dem anonymen Nutzer mit der IP-Adresse 81.173.181.94, aber auch das wird schnell korrigiert. Seit dem 13. November 2007 unterliegt der Artikel wieder einer Änderungssperre bis zum 5. Februar 2008. Seitdem gibt es nur typographische oder grammatikalische Änderungen.

Fazit

In der Zeit, die wir hier begleitet und dargestellt haben, ist der Artikel zur Bibel in gerechter Sprache von 10.000 auf 25.000 Zeichen angewachsen. Dieser Zugewinn an Buchstaben war kaum ein Zugewinn an Erkenntnis. Er dient ausschließlich der Notation ideologischer Grabenkämpfe. Bei einem Text, der eigentlich ein Sachartikel zu einem Buch sein soll, besteht nun gut ein Viertel des Gesamttextes aus Referenzen auf rein ideologisch motivierte Gegner des Projektes.

Der Lexikontext zur Lutherbibel enthält dagegen nicht einmal einen Abschnitt zum Thema „Rezeption und Kritik“ ebenso wenig wie der Artikel zur Einheitsübersetzung! Und sage nun niemand, das liege daran, dass die Bibel in gerechter Sprache eben kritikwürdig sei und die anderen Übersetzungen nicht. Von der massiven Kritik, die etwa der Sprachwissenschaftler Johannes Anderegg an der Lutherübersetzung geübt hat, steht in der Wikipedia nichts.

Bei der Bibel in gerechter Sprache geht es nur um pure Ideologie, um die Verdrängung des Abweichenden, um den Ausschluss der Differenz. Hier wird erkennbar von einigen wenigen Terror ausgeübt – mit nur scheinbar wechselnden Kombattanten – aber immer gleichen stumpfen Waffen. Diese Waffen lauten: Denunziation der Intention der Autoren, Inkriminierung der abweichenden Meinung, Überhöhung von scheinbaren Autoritäten. Dass zudem noch mit falschen Informationen und Darstellungen gearbeitet wird, macht das Ganze noch skandalöser.

Der Artikel zur Bibel in gerechter Sprache in der Wikipedia, das ist meine subjektive Meinung, war in diesem Jahr Opfer eines vielfachen Hacks von Vertretern aus dem Umfeld des Lutherischen Konvents im Rheinland. Zumindest die genutzten IP-Adressen, die Vorgehensweise und eine verwandte Wortwahl weisen in diese Richtung. Sie haben einen Editwar geführt für einen orthodoxen und gegen einen alternativen Umgang mit der Bibel, auf die sich Juden und Christen gemeinsam berufen. Ihnen ging es nur um Orthodoxie. Wie gut, dass wir heute nicht mehr in Zeiten leben, in denen Menschen gleich welcher Hierarchie oder Orthodoxie in westlichen Demokratien derartiges durchsetzen können.

Deutlich ist aber auch, dass eine Qualitätssicherung der Artikel in der Wikipedia nur dann gelingen kann, wenn entweder das Thema nicht kontrovers beurteilt wird oder ab und an vom Instrument der Seitensperrung Gebrauch gemacht wird. Dass im Moment (21. Januar 2007) der Artikel in der Wikipedia einigermaßen vertretbar ist, verdankt sich nur diesem Instrument. Wenn Anfang Februar der Artikel wieder zur Bearbeitung freigegeben wird, dürfte der Streit weitergehen.

Dennoch entspricht der Artikel in der aktuellen Form keinesfalls dem, was man einen Fach-Artikel in einer Enzyklopädie nennen würde. Der Abschnitt „Rezeption und Kritik“ könnte auch einfach lauten: „Hier kommen die Kritiker ausführlich zu Wort“. Die Diskussionslage um die Bibel in gerechter Sprache wird keinesfalls angemessen gespiegelt, sondern kommt höchst einseitig zum Austrag. Auch gibt es weiterhin statuarische Sätze, die nicht nachgewiesen werden. Der Leser kann sich keinesfalls einen angemessenen Eindruck von der Bibel in gerechter Sprache machen.


P.S. Die Diskussionsseite

Die Diskussionsseite zum Artikel zur Bibel in gerechter Sprache verdiente in ihrer Versionshistorie eine eigene Untersuchung, vor allem deshalb, weil hier die Beiträger ihre Intentionen stärker offen legen. Hier gibt es die üblichen Angriffe auf die feministische Theologie, die Infragestellung aller wissenschaftlichen Theologie und vieles mehr. Ernsthaft wird den Autoren nahe gelegt, erst einmal zu beten, bevor sie sich artikulieren, ernsthaft wird gefordert, dass Frauen sich nicht artikulieren sollen. Beiträgern, die den neutralen Standpunkt wahren wollen, wird unterstellt, mit den Herausgeberinnen der Bibel in gerechter Sprache verwandt zu sein (Sie selbst gehören nicht "zufällig" dem Team der ÜbersetzerInnen der BigS an und sind auch mit niemandem aus diesem Kreis verwandt oder verschwägert?). Die Sachkenntnis ist erschreckend niedrig, auf eingebrachte Argumente (etwa des Nutzers Shmuel haBalshan) wird überhaupt nicht eingegangen. Das polemische Niveau ist dementsprechend hoch.

Was insbesondere erschreckt ist, dass es sich weitgehend um eine Auseinandersetzung von sich eindeutig identifizierenden Wikipedia-Autoren mit anonymen Nutzern handelt. Das ist sicher nicht zufällig so. Wer sich, wie die drei anonymen IP-Adressen, über Tage und Wochen an Veränderungen des Artikels versucht, sollte den kleinen Schritt machen, sich über eine Anmeldung zu identifizieren, damit man auch weiß, mit wem man diskutiert. Aber dann würde die Systematik viel leichter zu durchschauen sein, mit der die Autoren den Lexikonartikel zu manipulieren suchen.

Auf der Diskussionsseite wird noch einmal deutlich, dass es letztlich um die Herstellung einer Art von Orthodoxie eines Übersetzungstextes geht. Auch wenn die anonymen Beiträger meinen, diese in der Luther-Übersetzung schon vor sich zu haben, geht es doch darum, andere / alternative Lesarten abzuwehren. Anders Denken – das ist das letzte, was man zulassen möchte. Deshalb bedarf der Leser – wie einer der anonymen Beiträger so schön schreibt – „korrekt gewichteter“ Informationen.

Auf der Benutzerseite von Shmuel haBalshan habe ich folgendes schöne Zitat von Larry Sanger, dem Mitbegründer der Wikipedia, gefunden, mit dem ich meine Notizen beenden möchte:

„Um Experten zum Mitwirken und Bleiben zu bewegen, darf nur wenig Geduld für diejenigen aufgebracht werden, die die Ziele der Wikipedia nicht verstehen, und erst recht nicht für jene anmaßenden Kleingeister, die nicht in der Lage sind, konstruktiv mit anderen zusammenzuarbeiten oder ihre eigenen Wissenslücken wahrzunehmen (insgesamt die störendste Gruppe in der Wikipedia). Eine weniger nachsichtige Haltung gegen Störungen würde das Projekt wesentlich freundlicher, einladender und offener für die große Mehrheit der intelligenten, wohlgesonnenen Menschen im Internet machen.“ (Larry Sanger)

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/51/am239.htm
© Andreas Mertin 2008