Blick zurück nach vorn


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Theologische Ästhetik und deutscher Idealismus

Schellings Kunstphilosophie und das Bilderverbot in der Bibel

Björn Pötters

Einleitung

In der vorliegenden Arbeit möchte ich die philosophische Bewegung des deutschen Idealismus, insbesondere Schellings Kunstphilosophie, mit Überlegungen zur theologischen Ästhetik und dem Bilderverbot in der Bibel in Verbindung bringen. Da sowohl der deutsche Idealismus wie auch die theologische Ästhetik vielschichtige Komplexe darstellen, soll sich das Interesse weitgehend auf Schellings Texte zur Philosophie der Kunst und Grözingers Abhandlungen über Praktische Theologie und Ästhetik beschränken. Um den Rahmen notwendigerweise noch weiter einzugrenzen, wird die Thematik im Wesentlichen auf Aspekte der Bildlichkeit (insb. Schellings „Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur“) und dem Bilderverbot in der Bibel (als Konsequenz für die Ästhetik) beruhen. Die übergeordnete Fragestellung der Arbeit folgt der dialektischen Methode und versucht auf beiden Seiten, der Theologie und Philosophie, die gleichen Dinge zu erkennen. Den Abschluss soll eine Analyse des Verhältnisses von theologischer Ästhetik und Schellings Kunstphilosophie bilden. Schließt eine theologische Ästhetik die Annahmen, die Schelling über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur aufstellte, wirklich a limine aus?[1] Inwiefern steht die Vermutung, dass der Künstler gottähnlich und auf einer freiheitlichen Idee basierend[2] eine subjektive Offenbarung schafft, im Widerspruch zur theologischen Ästhetik? Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es zunächst der Klärung, wie sich Philosophie und Theologie dem Begriff der Ästhetik annähern und welchen Anspruch sie an ihn stellen.

Ästhetik kann Produktion, Rezeption, Form, Wirkung und vieles mehr sein und sie hat in der Gesellschaft immer eine Bedeutung, die z.B. mit Stilrichtung oder Kulturkreis kategorisiert wird. Weiterhin steht sie im Verhältnis zur gesamten Natur und scheint eine gewisse Sonderrolle im medientheoretischen wie auch psychologischen Sinne zu haben. Ihre Funktionsweise widerstrebt so oft konkreten Modellen, und doch finden z.B. Psychologen die standardisierten Abmessungen für ein Gesicht, das als schön empfunden wird. Ebenso wird ein perfekt durchgestylter Hollywoodfilm, der sich an alle Gesetze des goldenen Schnitts hält, als formschön angesehen, auch wenn der Inhalt jeglicher Ästhetik widerspricht. Auf ähnliche Weise hatte bereits Baudelaire mit „hässlichen“ Gedanken und einer wunderschönen französischen Sprache in den Blumen des Bösen Erfolg.

Kunst braucht natürlich keine Bilder, auch wenn sich im Kopf oft welche aufdrängen, doch das allein meint das Bilderverbot in der Bibel sicher nicht. Was bezweckt es also? Etwa ähnliche Ambitionen, dem Menschen die Lust am Bildnis auszutreiben, wie es die Aufklärung auch schon versucht hat? Oder die Lenkung der Aufmerksamkeit auf textuelle Formen der Ästhetik? Dies würde ganz im Sinne Schellings erscheinen, der die Kunst des Schreibens als stärkste Schaffenskraft ausmachte.[3] Schelling ist mit seiner Kunstphilosophie aber immer auch auf Kritik gestoßen, die das Thema dieser Arbeit vom Interesse her weiter legitimiert. Ein Ergebnis dieser Kritik ist zum Beispiel die Streitschrift Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung[4] gewesen, die 1811 von seinem langjährigen Freund Jacobi veröffentlicht wurde und als Auslöser für einen größeren philosophischen Streit fungierte. 

Albrecht Grözinger spricht im Zusammenhang mit dem Bilderverbot in der Bibel von einer Selbstvorstellung Gottes und der Offenbarung als ästhetisches Ereignis.[5] Er stellt seine Auslegungen denen vom deutschen Idealismus und dort insb. Schelling gegenüber.[6] Diese Gegenüberstellung soll hier analysiert, mit Inhalt auf beiden Seiten gefüllt und dialektisch abgehandelt werden. Dabei möchte ich literaturwissenschaftliche, medientheoretische und theologische Aspekte berücksichtigen, um gegen Ende eine weitgehend interdisziplinäre Sicht zu gewinnen, die mit dem Versuch einer Synthese abschließen soll.

2.    Theologische Ästhetik

Wenn von Ästhetik die Rede ist werden schnell Begriffe wie Formen und Sehen assoziiert. Der Ursprung aus dem Griechischen meint ganz allgemein die Wahrnehmung des Menschen, wohl bezogen auf seine Subjektivität und Vielfältigkeit. Sicher grenzt der Begriff Ästhetik nicht die Wahrnehmung durch bestimmte Sinnesorgane ein, noch beschränkt er sich auf spezielle Theorien. Der Charakter einer theologischen Ästhetik ist somit ebenso frei; die Beschränkung bezieht sich lediglich auf das Gebiet, in dem und von dem aus er wirkt. 

2.1. Der Ausgangspunkt

Für Grözinger liegt der Ausgangspunkt einer theologischen Ästhetik im Bilderverbot, das er als ästhetisches Ereignis versteht.[7] Seine Ansicht stellte im theologischen Diskurs bis dato eher eine Ausnahme dar, wie er durch die Erwähnung der Gegenpositionen verdeutlicht:

Immer wieder begegnet man in der theologischen Diskussion um die Ästhetik der Bemerkung, dass jede theologisch zu verantwortende und verantwortbare Ästhetik ihre Grenze finde am Bilderverbot des Alten Testaments.[8]

Diese Schlussfolgerung hat ihre Ursache in der Annahme, dass Ästhetik „mit Formen und Sehen zu tun hat“.[9] Ein Verbot des Bildes würde somit einer Negation des Gegenstandes der Ästhetik gleich kommen. Diese Thesen können leicht widerlegt werden.

Grözinger geht davon aus, dass das theologische und ästhetische Interesse im Gedanken des Bilderverbotes konvergieren.[10] Interessant erscheint in diesem Zusammenhang auch ein falscher Approach, der den Weg von einer primitiv-sinnlichen hin zu einer geistigen Religion beschwört. Ebenso wenig müssen Bildwerke zwangsweise der Ausdruck einer weniger reflektierten Gottesvorstellung sein.[11] Eine Verschiebung der ästhetischen Aufmerksamkeit ist durch das Bilderverbot dennoch gegeben, nur muss diese nicht zwangsweise mit einer Wertung verbunden werden.

Schelling differenziert die sinnlich bildende Kunst von der Sprache folgendermaßen:

Denn es soll die bildende Kunst, nach dem ältesten Ausdruck, eine stumme Dichtkunst sein. Der Erfinder dieser Erklärung wollte damit ohne Zweifel dieses sagen: sie soll gleich jener geistige Gedanken, Begriffe, deren Ursprung die Seele ist, aber nicht durch die Sprache, sondern wie die schweigende Natur, durch Form, durch sinnliche, von ihr unabhängige Werke ausdrücken. [12]

Von diesem Zitat ausgehend liegt es nahe, dass das Interesse des Bilderverbotes in der Bibel auf der Verschiebung von Aufmerksamkeiten beruht, ähnlich dem Ansporn einer Mutter, ihrem Kind Geschichten vorzulesen, anstatt es vor den Fernseher zu setzten. Denn Aufmerksamkeit ist auch Erziehungssache. Ebenso zieht sie sich durch nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche, wie der Soziologe Alois Hahn bemerkt.[13]  Selbst die Wissenschaft ist in ihrer steten Abhängigkeit vom Innovationsdrang nicht sicher vor werbepsychologischen Maßnahmen, um Aufmerksamkeit zu erlangen oder zu verlagern.

Das Verbot, Gott abzubilden, somit ein Bildnis anzubeten und zu verehren, bringt Konsequenzen mit sich. Die Aufmerksamkeit gehört der Sprache, Bilder bleiben im Kopf, Gegensätze heben sich auf und der Ausgangspunkt einer theologischen Ästhetik liegt im Ereignis des Bilderverbotes selbst.

2.2. Die Konsequenz des Bilderverbotes

Eine entscheidende Konsequenz betrifft die Selbstvorstellung Gottes und die Notwendigkeit der Offenbarung, die auch stets als ästhetischer Vorgang betrachtet werden kann. „Deshalb ist Offenbarung immer mehr als nur Wort.“[14] Grözinger bezieht sich dabei auf die Worte Gottes, die an ein bestimmtes Forum gerichtet sind. Diese Worte stellen keinen Gegensatz zum Bild dar, noch distanzieren oder verunmöglichen sie Sinnlichkeit im Dienst der Geistigkeit. Um nur ein konkretes Beispiel in einem medienwissenschaftlichen Kontext zu nennen, so sind westafrikanische Kulturen teilweise freiwillig zum Islam konvertiert, da sie in den Schriftzeichen eine magische Kommunikationsform zu Gott erkannten.[15]  Schriftzeichen wurden so zum Sinnbild für den Schutz vor bösen Geistern und fungierten als Stickereien auf Kampfkleidung. Die ursprünglichen Signifikate und Signifikanten des Schriftsystems wurden außer Acht gelassen, was interessanter Weise dazu führte, dass die Schriftzeichen für die Afrikaner zu Bildern wurden. Es bedarf also nicht zwangsweise dem gemalten Bild, um eine mediale Form in Verbindung mit Gott zu finden. Eine konkrete Abbildung Gottes würde allerdings reziptionstheoretisch zu einem mentalen Kommunikationsverlust führen, da das Moment der Offenbarung vorweggenommen würde und in seiner Wahrnehmungsform endpersonalisiert und extrovertiert erscheint. Die Rezeption des gesprochenen Wortes hingegen findet introvertiert und personalisiert statt. Ähnlich wie bei einem Buch zum Film, dessen Rezipient ganz andere Bilder assoziiert. Drängen visuelle Medien nun mehr Realität auf als dies die Schrift tut? Warum heißt es manchmal: „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.“?

Schelling fordert eine Mythologie, die das einzelne Kunstwerk aus seiner „Vereinsamung“ hebt, doch gleichermaßen zeigt er, wie ein „Ästhetikdiskurs“ wunderbar funktioniert, wenn alle Diskursteilnehmer denselben Gegenstand als Basis nehmen. Und schon drängt sich die Frage auf, was wäre, wenn die Bibel nicht Text, sondern Bilder zum Inhalt hätte? Die Bilder müssten mit Sprache interpretiert und ergänzt werden und so gilt auch der Umkehrschluss, dass Sprache interpretationsbedürftig bleibt und eine gedanklich-konstruktive Beziehung zwischen dem Dargestellten und dem Gemeinten besitzen kann (Stichwort Allegorie).  Die Versinnbildlichung als stilistisches Mittel in der Dichtkunst (besonders in der Antike, im Mittelalter und im Barock zu finden) verdeutlicht schon, dass Wörter weit mehr als sichtbare Buchstaben sind. Und wie auch Schelling betont, sind die Menschen ohne ästhetischen Sinn unsere Buchstabenphilosophen.[16]  Da erscheinen auch Grözingers Thesen über die Begründung einer theologischen Ästhetik durch das Bilderverbot ganz im Gegensatz zum Begriff der „Wort-Theologie“.  [17] 

2.3. Das Bilderverbot als Zentrum theologischer Ästhetik

Eine theologische Ästhetik kann sich also durch das Bilderverbot legitimieren und muss dementsprechend die Konsequenzen tragen. Offenbarung wird zu einem dynamischen Ereignis und geradezu als Erlebnis  innerhalb einer Dialektik von Wort und Bild wahrgenommen. [18] Grözinger geht noch weiter indem er die These aufstellt, dass sich Bild und Wort „gegenseitig eindeutig“ machen.  Außerdem „lebt die Sprache per se immer auch vom Bild her“.[19] In diesem Zusammenhang ist Grözingers Schlussfolgerung, dass das Bilderverbot auch immer ein Bildergebot ist, gut nachzuvollziehen. Und da sich das Bilderverbot auf die Darstellung Gottes bezieht wird es somit leitend für den Gottesgedanken selbst. Eine theologische Ästhetik kann sich so vom Ausgangspunkt durch das Handeln Gottes in seiner (textuellen) Offenbarung entfalten. [20]

3.    Deutscher Idealismus

Die philosophische Bewegung des deutschen Idealismus gilt als Höhepunkt in der Geschichte der Metaphysik. Eine wesentliche Kennzeichnung dieser Epoche ist das Verständnis der gesamten Realität aus einem geistigen, metaphysisch abgeleiteten Prinzip. Die Erkenntnisse im transzendentalen Philosophiediskurs werden mit dem Werkzeug Sprache erreicht. Die Abbildung der inneren und äußeren Wirklichkeit durch Bilder steht der Dichtkunst gegenüber und findet immer mehr Reflexion in der Kunstphilosophie, insbesondere bei Schelling, wo die Ästhetik selbst zum Offenbarungsträger oder die Kunst zum Ort der Offenbarung wird.[21] Grözinger stellt dies der theologischen Ästhetik gegenüber, wobei er die menschliche Ästhetik als Antwort zu dem ästhetischen Ereignis der Gottesoffenbarung versteht.[22] 

3.1. Schellings Philosophie der Kunst (Überblick und Reflexion)

In Schellings Akademierede „Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur“ wird ein moderner Kunstbegriff geprägt, wobei Schelling die Naturwissenschaften diesem kritisch gegenüberstellt. So können die Wissenschaften über die Natur niemals frei sein, oder ein Abbild liefern, das die Gesamtheit der Natur darstellen könnte. Vielmehr zeigen sie nur kleine Ausschnitte, ohne jemals etwas zu vollenden. Der Künstler hingegen ist in der Lage, durch ein zeitloses Werk dem Anspruch einer ästhetischen Freiheit gerecht zu werden. Dieser Anspruch setzt zunächst eine Idee voraus, einen ursprünglichen Begriff, dessen Überbau mit der organisatorischen Vollendung des Kunstwerks den Rezipienten ein Verhältnis offenbart, dass sie selbst die Freiheit besitzen, eben dieses Werk zu interpretieren.

Die größte Strenge der Form ist der Natur und Kunst zu Beginn gleichermaßen immanent. Doch der schöpferische Prozess bringt die Schönheit und Seele mit der Vollendung eines Werkes, einer völlig ausgebildeten Form, hervor. Dieses Hervorbringen der Seele gleicht einer irrationalen Kraft, nicht fassbar aber allen empfindbar.

Für Schelling steht die Vollendung eines Kunstwerkes im Kontrast zu den Disziplinen der Naturwissenschaften, die versuchen, die Natur in eine abstrakte Beschreibungsform zu pressen, ohne etwas zu vollenden und ohne eine vorausgegangene Idee, die nur dann eine seien kann, wenn sie auf der Freiheit des Menschen beruht und diese als Gegenstand hat.[23] Anmut spielt für die ästhetische Freiheit eine entscheidende Rolle. Sie kann nur in einem vollendeten Werk zur Geltung kommen und vermittelt zwischen Inhalt und Form. Als „Seele der Form“ erscheint sie dem Rezipienten in einer erkenntnisreichen Gestalt seiner eigenen menschliche Seele, die es ihm erlaubt, unabhängig von der Materie, das Wesen der Natur zu erkennen. Schelling verdeutlicht dieses Verhältnis an einer Stelle, wo er die Seele zum Beispiel als Schönheit selbst bezeichnet, ihr aber nicht die Möglichkeit einräumt, so schön zu sein, „wie es auch der Körper sein kann“. Somit kommt unabhängig von Materie, in der rein mentalen Rezeption des Kunstwerks, die ästhetische Freiheit zur Geltung. Die Bewusstwerdung dieser Freiheit während der Rezeption könnte dem Prozess des Schaffens ähnlich sein, eine allgemeingültige intersubjektive Beweislage hingegen fehlt. Daher auch Schellings Forderung nach einer neuen Mythologie, die das Kunstwerk aus einer Zersplitterung der Künste lösen könnte. Ein geisteswissenschaftlicher Diskurs der Rezipienten hat den gemeinsamen Bezugspunkt des Kunstwerks, doch dem Kunstwerk selbst fehlt es an einem Verhältnis zu etwas Übergeordnetem. Dennoch hat die ästhetische Ordnung der vollendeten Form im Werk eine Kraft, die es erlaubt, freiheitlich zu schaffen und zu interpretieren. Die Wirkung der Anmut als ästhetische Qualität und die grenzenlose Leidenschaft des Künstlers führen zur Freiheit der Ästhetik selbst. Diese äußert sich zwar in den unterschiedlichsten Stilrichtungen, bleibt aber dem Prinzip treu. Aus heutiger Sicht wissen wir, dass dieses Prinzip als Anreiz genommen wurde, um zum Beispiel durch performative Kunst eine neue ästhetische Qualität hervorzubringen, die sich durch Eventcharakter, bewusste Kurzlebigkeit oder Selbstzerstörung des Kunstwerks äußern kann. Dies spiegelt unter anderem auch den Bezug zum sozialen Bewusstsein wider. In einer Gesellschaft, die das bewusste Leben im Jetzt, Entertainment, Individualität und Materialität als Ideale pflegt, sollte es im ästhetischen Bereich zu einer derartigen Reflexion kommen. Darüber hinaus hat Schellings Philosophie auch für die Entwicklung der Naturwissenschaften und der Ökonomie eine höchst bemerkenswerte Erkenntnis geliefert: Interdisziplinäre Kommunikation ist nicht mehr möglich, Ökonomie entfremdet Sozialität und die Hirnforschung tendiert dazu, dem Menschen seinen freien Willen endgültig abzusprechen. Vor diesen Hintergründen erscheint Schellings Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur hochaktuell und einem geisteswissenschaftlichen Diskurs mehr als würdig. Das Verhältnis von Anmut und ästhetischer Freiheit im Speziellen zielt auf die Notwendigkeit von Irrationalität und Vollendung ab, und nicht zuletzt auch auf den Ursprung in Form einer Idee. Wie bereits erwähnt, kann es laut Schelling nur eine Idee geben, wenn sie Gegenstand der Freiheit ist. Somit leugnet er automatisch die mögliche Freiheit einer naturwissenschaftlichen Disziplin, einer Staatsform oder technischen Errungenschaft. Die Verselbstständigung innerhalb eines Wissenssystems, einer Staatsstruktur oder Technik, schafft Grenzen. Grenzen der Rezeption, Kommunikation, Interaktion, Sozialität oder der Beschreibung der Natur durch ein Modell von Zeichensystemen. Nun könnte man sagen, unsere Sprache begrenzt so oder so, ein Kontext ist auch niemals wegzudenken, oder begrenzt sich das Kunstwerk durch die Vollendung nicht ebenso? Genau dort hört Schellings Philosophie aber nicht auf, sie fängt gerade mal an. Denn die mentale Freiheit des Menschen ist grenzenlos, davon geht Schelling aus. Ebenso wie die Gesamtheit der Natur nicht fassbar ist, kann der Mensch nicht seine eigene geistige Freiheit, die aus dem Weltgeist hervorgeht und in ihn zurückkehrt, erfassen. Nicht die Abstraktion führt zum Erkennen des Wesens der Natur, sondern die Bewusstwerdung der Harmonie aus Inhalt und Form von nachgeahmter Natur, deren „höchste Vergöttlichung“ erst mit Anmut erscheinen kann.

In einer immateriellen Sphäre bewegt sich das Kunstwerk zur ästhetischen Freiheit beim Rezipienten. Umgekehrt hat der Künstler eine Idee, die auf ästhetischer Freiheit beruhen muss, materialisiert. Diesem Verhältnis, in dem Subjektivität und Intersubjektivität wie durch ein Band verbunden sind, wird eine Vermittlerrolle auferlegt, die keine Grenzen vermittelt, sondern ästhetische Freiheit.    

3.2. Konsequenzen für den Ästhetikdiskurs

Schelling fordert für jede Philosophie die Freiheit des Menschen als Gegenstand. Dieser Forderung kommt er auch in seiner eigenen Philosophie der Kunst nach.

Kunst dient nicht der Blendung von Objektivität oder einer reinen Subjektivierung durch die Hand des Produzenten, sie fungiert vielmehr als freier Wahrheitsgenerator. Stichwort Offenbarung. Ebenso wie in der Theologie, kommt mit der Ästhetik in der Philosophie eine schaffende Kraft einher, die nach einer höheren Wahrheit strebt und über Register und Zahlen hinausgeht. Ästhetik umfasst zu Schellings Zeiten und in seinem Sinne trotz der sich andeutenden Abgrenzung der Naturwissenschaften als  „objektive“ Disziplinen die gesamte intellektuelle Welt und darüber hinaus auch die historische Geschichtsschreibung, sowie die aktive Gestaltung von Mythologie, die ohne ästhetischen Sinn nicht möglich wäre.     

4.   Theologische Ästhetik und Schellings Kunstphilosophie

Einerseits betont Schelling die Freiheit von Kunst hinsichtlich der Loslösung von Körperlichkeit und dem damit verbundenen Übergang in die geistige Welt.[24] Dieser Übergang kann im Sinne der Wahrnehmung als Ästhetik bezeichnet werden. Andererseits  ist dieses Verhältnis ambivalent, denn Kunst erscheint im Körper, auch wenn sie von ihm frei ist. Eine theologische Ästhetik, die sich durch die Konsequenz des Bilderverbotes entfaltet, spielt mit diesem Verhältnis. Die Abbildung Gottes verlagert sich vom materiellen Körper zum immateriellen Offenbarungsträger; und zwar nicht in Formen konkreter Darstellung, sondern mit der Selbstvorstellung Gottes.

Bisher wurden die beiden Aspekte von Ästhetik, Schellings Philosophie der Kunst und Grözingers Ansatz zur theologischen Ästhetik, weitgehend isoliert behandelt. Im Folgenden soll ein kurzer Versuch unternommen werden, beides im Einklang darzustellen, vielleicht im Sinne einer Ästhetik der Harmonie. Doch zuerst die Erläuterung einiger Übereinstimmungen und Unterschiede.

4.1. Abgrenzung und Gemeinsamkeiten

Grözingers prägnante Abgrenzung der theologischen Ästhetik zum „Ästhetikbild“ des deutschen Idealismus findet sich im Ort der Offenbarung.[25] Kunst selbst wird nicht zum Ort der Offenbarung, dennoch wird die Offenbarung Gottes als ästhetisches Ereignis verstanden. Die theologische Ästhetik entfaltet sich also durch das Wort Gottes und Formen seiner Selbstvorstellung.  Schellings Philosophie hingegen versteht das Kunstwerk selbst als Offenbarungsträger; besonders Schreibenden fällt oft auf, dass sie sich nach ihrer Schaffung von Dichtkunst oder Narration neu entdecken, das Medium Schrift also „Dinge“ (z.B. Charakterzüge, Intentionen, Sehnsüchte) offenbart, und diese erst durch die Extensität ins Externe sichtbar gemacht werden. Grözinger versteht derartige „Dinge“ eher a priori von Gott gegeben, Freud würde vielleicht vom Unterbewusstsein sprechen, während Schelling der ästhetischen Wahrnehmung in dieser Hinsicht eine irrationale wertfreie Kraft zugesteht.

Doch überall finden sich Muster und Parallelen, die Grözinger z.B. auch für Benjamins Reflexionen zur Ästhetik erkennt.[26]    

4.2. Versuch einer „Synthese“

Abgebrochen.

5.  Schluss

Ohne Ende.





Literaturverzeichnis

Assmann, Aleida und Jan: Aufmerksamkeiten, München: Fink 2001

Grözinger, Albrecht: Praktische Theologie und Ästhetik, München: Kaiser 1987

Schelling, F.W.J: Texte zur Philosophie der Kunst, ergänzte Ausgabe, Stuttgart: Reclam 2004

Schelling, F.W.J: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur (Philosophische Bibliothek), Hamburg: Meiner 1983


Anmerkungen

[1]    A. Grözinger stellt diese These bezüglich des Offenbarungsträgers auf (Grözinger S.104)

[2]    Vgl. Schelling S.96

[3]    Vgl. Schelling S.97

[4]    Vgl. Schelling (PB) S.10

[5]    Vgl. Grözinger S.90 ff.

[6]    Vgl. Grözinger S.104

[7]    Vgl. Grözinger S.90

[8]    Vgl. Grözinger S.89

[9]    Grözinger S.89

[10]   Vgl. Grözinger S.89

[11]   Vgl. Grözinger S.90

[12]   Schelling S.54ff.

[13]   Vgl. Assmann S.25ff.

[14]   Grözinger S.91

[15]   Annahme beruht auf Recherchen zu einer Arbeit über westafrikanische Schriftkultur

[16]   Vgl. Schelling S. 97

[17]   Grözinger S. 103

[18]   Vgl. Grözinger S.103

[19]   Grözinger S.103

[20]   Vgl. Grözinger S.104

[21]   Grözinger S.104

[22]   Vgl. Grözinger S.104

[23]   Insbesondere auf die Ausübung von Philosophie bezogen

[24]   Vgl. Schelling (PB) S.25

[25]   Vgl. Grözinger S.104

[26]   Vgl. Grözinger, S. 150

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/50/bp1.htm
© Björn Pötters