Erfahrungsbezogene Theologie

Eine Rezension

Christoph Fleischer

Handbuch Praktische Theologie. Hrsg. von Wilhelm Gräb und Birgit Weyel. Gütersloh 2007.

Das Autorenverzeichnis des neuen „Handbuchs Praktische Theologie“ liest sich wie ein „Who is Who“ der aktuellen evangelischen Praktischen Theologie in deutscher Sprache. Die 68 Artikel sind in vier Kapitel aufgeteilt: Grundbegriffe, Phänomene, Praxisvollzüge und Diskurse. Darüber hinaus gibt es keine bestimmte inhaltliche Vorgabe, da sie innerhalb der Kapitel lediglich alphabetisch sortiert sind. Das heißt: Der Leser, die Leserin ist eingeladen, sich einen eigenen Weg durch die Lektüre zu suchen.

Wer beispielsweise zuerst unter Diskurse im Artikel „Rhetorik“ von Albrecht Grözinger (S. 821-832) den Bezug zur „Sprechakttheorie“ entdeckt, liest danach vielleicht die Informationen zu „Bildung“ von Volker Ladenthin (S. 17-28) unter „Grundbegriffe“, um dort überraschenderweise erneut einen Hinweis auf die „antike Rhetorik“ als Ursprung einer „formalen Bildungstheorie“ zu finden. Sollte man sich nun etwa nach Inhalten solcher Bildung fragen, so findet man diese dort ebenfalls und kann wählen unter „Leben“ (Jörg Lauser, S.137-148), „Erfahrung“ (Werner H. Ritter, S. 52 – 63) oder „Religion und Religionen“ (Wilhelm Gräb, S. 188- 199) oder Ähnliches. Obwohl alle Autoren verschiedene Konzepte und Ausgangspositionen haben, zeigen sich immer wieder Bezüge auf den gemeinsamen Diskurs. Nicht selten geht es, wie in den Überlegungen zur Predigt, um die Aufgabe der Lebensdeutung: „Wenn es gelingt, die lebenspraktische Deutungskraft des Evangeliums zur Sprache zu bringen, wird die Predigt eine öffentliche Reizung zum Glauben darstellen.“ (Birgit Weyel, S. 638).

Die Ausarbeitungen dieses Handbuchs sind im Einzelnen sehr deutlich praxisorientiert und richten sich insofern an theologische Amtsträger. Andererseits ist diese theoretische Darstellung der praktischen Arbeit der Kirche von der Sprache und vom Horizont her an allen Menschen orientiert, die am Dialog mit den Vollzügen der kirchlichen Praxis interessiert sind. „Das Handbuch Praktische Theologie richtet sich an eine Öffentlichkeit, die an religiösen Fragen und theologischen Themen interessiert ist. … Der interessierten Öffentlichkeit in Kirche, Schule, Medien, Diakonie und Politik soll es Informationen darüber bieten, auf welche Weise die praktische Theologie zum Verständnis religiöser Phänomene und Praxen beitragen kann.“ (im Vorwort). Dieser Dialog scheint doch insgesamt breiter zu sein, als dies angesichts schwindender Bedeutung der christlichen Kirche in der postmodernen Industriegesellschaft bewusst ist. Vielleicht sollte man als praktizierender Theologe vor Ort sogar klarstellen, dass in den Gemeinden bis hin zur Landeskirche zu sehr auf Struktur- und Finanzfragen gestarrt wird, anstelle die offenen Türen der gesellschaftlichen Gesamtsituation wahrzunehmen und zu nutzen.

Was Werner H. Ritter in seinem Artikel über Erfahrung schreibt, umreißt eine kirchliche Aufgabe, die von den Menschen heute stärker gefragt ist, als allein  kirchlich interne Institutionsprobleme zu klären: „Aufgabe der Praktischen Theologie ist es, dazu beizutragen, dass Menschen im Kontext ihrer Lebensgeschichte und im Horizont christlicher Religion religiöse Erfahrungen machen können. Dabei lässt sie sich von überlieferten und Gestalt gewordenen Erfahrungen ebenso inspirieren und vitalisieren, wie gegebenenfalls auch von heutigen subjektiven religiösen Erfahrungen.“ (S. 62)

Im Sinne des Herrn dieser Kirche, in der solche Praktische Theologie zu Hause ist, sollten sich Theologen um ihren Burn Out (und den der Institution) zu vermeiden, darauf verstehen, dass diese Erfahrungen in mannigfachen Praxisbezügen geschehen und dass somit alle Individuen in ihrer eigenen religiösen Kompetenz ernst – und wahrgenommen werden. Zur Grundlegung und zur Reflexion ist das Handbuch praktische Theologie von großem Nutzen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/49/cf6.htm
© Christoph Fleischer