Interaktiv

Der mexikanische Pavillon

Andreas Mertin

Interaktive Kunstwerke haben immer Ambivalenz in sich. Zum einen faszinieren sie den Betrachter und Partizipanten ungemein, nimmt er doch selbst aktiv am Geschehen teil.

Auf der anderen Seite fragt man sich immer auch, ob die Faszination des Technischen nicht mehr Anteil an der Arbeit hat als die Faszination des Künstlerischen.

Künstler müssen also der Versuchung entgehen, nur ein Konkurrent der interaktiven Spielewelten zu sein, sondern vielmehr das technische Material auch künstlerisch durchdringen.

Der mexikanische Pavillon auf der Biennale in Venedig, situiert im Palazzo Soranzo van Axel in der Nähe der schönen Kirche Miracoli, stellt einen Künstler aus, der den unterschiedlichen interaktiven Möglichkeiten in künstlerischer Perspektive nachgeht: „Some things happen more often than all of the time“ von Rafael Lozano-Hemmer (*1967).

Mexiko ist zum ersten Mal mit einem Pavillon auf der Biennale präsent und hat mit dem gotischen Palazzo Van Axel einen überaus reizvollen und angemessenen Ort der Präsentation gefunden, der gerade im Kontrast zur gezeigten Hochtechnologie seine Wirkung entfaltet.

Beim Betreten der Ausstellungsräume im ersten Stock stößt man zunächst auf die Installation „Wavefunction“. Zunächst sieht man – vor allem wenn der Raum menschenleer ist – nichts anderes als mehrere Reihen von Plastik-Sitzstühlen, die geordnet im Raum stehen.

Wenn man sich dann in den Raum bewegt und an den Sitzen vorbeigeht beginnen diese sich wie von Zauberhand zu bewegen. Dabei entstehen je nach der Art und Zahl menschlicher Bewegungen im Raum Wellenbewegungen der Stühle. Man kann durch die Art der körperlichen Bewegung sozusagen Sinfonien auslösen.

Wenn man dann in den nächsten Raum wechselt sieht man einen Monitor, der die 32 Stühle aus der Vogelperspektive zeigt und Menschen, die sich im Raum bewegen, als rote Silhouetten erfasst. Darunter zeigt der Computer die von den Menschen ausgelösten Bewegungen der Stühle.

Aktion und Reflexion sind so getrennt. Wir können als Besucher die Stühle in Bewegung setzen oder andere Besucher dabei am Monitor betrachten. Uns selbst sehen wir aber nicht in Aktion.

Auf Städtereklame mit ihren sich wiederholenden Floskeln stößt man allenthalben. In seiner Installation 1000 Platitudes aus dem Jahr 2003 hat Rafael Lozano-Hemmer diesen eine neue Perspektive gegeben. Ein Foto-Triptychon zeigt 1000 typischer Phrasen aus der Städtereklame für potentielle Investoren. Visualisiert werden diese bei Rafael Lozano-Hemmer allerdings auf eine überraschende Weise. Jeder einzelne Buchstabe wurde des Nachts auf ein großes Gebäude der Stadt Linz projiziert und dann fotografiert. Zusammengesetzt ergeben die tausende kleinen Einzelbildchen dann den Text. Auf den drei Platten des Triptychons wirken sie dann allerdings wie Grabplatten von Verstorbenen aus größeren Kriegen.

„Frequenzy and Volume“ nennt sich die nächste Arbeit von Rafael Lozano-Hemmer. Man betritt einen Raum, in dem zunächst nichts weiter als ein großer Strahler steht. Tritt man in dessen Lichtkegel, dann wirft man nicht nur einen virtuellen Schatten an der Wand, sondern moduliert zugleich Radiofrequenzen aus dem Bereich von 150kHz bis 1,5 GHz. Dazu erklingt jeweils Sound aus den Boxen, der durch die Annäherung an die Leinwand bzw. den Strahler moduliert werden kann.

Die Ausstellungsräume im zweiten Geschoss des Hauses zeigen Arbeiten wie „Under Scan“, bei der wiederum projizierte Gestalten interaktiv auf im Raum sich bewegende Gestalten reagieren. Ganz ähnlich reagiert bei „Surface Tension“ ein großes menschliches Auge auf die Besucher im Raum und folgt deren Bewegungen. Allerdings ist man zu diesem Zeitpunkt schon an die Arbeitsweise der Arbeiten gewöhnt und es steckt nur noch ein gewisser Reiz darin, das Spiel mitzuspielen. Wie überhaupt an dieser Stelle fraglich ist, was der spezifische künstlerische Beitrag der Interaktion sein soll.

Anders ist dies bei der zwei Räume umgreifenden Arbeit „Pulse Room“. Wenn man den zweiten Stock des Palazzo Soranzo van Axel betritt, findet man sich in einem dunklen Raum mit flackernden Glühbirnen wieder. Jede Glühbirne hat eine mehr oder minder schwache und frequente Ausstrahlung. Erzeugt wird der „Pulse“ dadurch, dass verschiedene Ausstellungsbesucher nach und nach einen Metallgriff umklammern und mit ihrer Herzfrequenz eine Glühbirne initiieren. Die jeweils letzten 100 Glühbirnen kann der Besucher jeweils beim Pulsieren und Beleuchten des Raumes betrachten.

In jedem Falle unterbreitet der mexikanische Pavillon dem Besucher ein einladendes Angebot, sich auf die verschiedenen Formen von Interaktivität einzulassen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/49/am228.htm
© Andreas Mertin