Umstrukturierung von Kirchen

Foto: Henner Hermanns

Zwei Beispiele

Henner Herrmanns



Bei der Umstrukturierung der beiden kath. Kirchen sollen Gemeinderäume reversibel in den existierenden Kirchenbaukörper eingebaut werden. Der dadurch verkleinerte Kirchenraum soll danach weiterhin den liturgischen Anforderungen genügen.




Kath. Kirche Maria Königin in Hattert-Merkelbach (Bistum Limburg)

Foto: Henner HermannsDie Kirche wird umstrukturiert, indem die westlich gelegene vordere Hälfte des Baukörpers weiterhin für sakrale Zwecke zur Verfügung steht, während die östliche hintere Hälfte für die Gemeinderäume genutzt wird. Theoretisch wäre auch die umgekehrte Aufteilung möglich, jedoch stände dann ikonografisch der sakral genutzte Gebäudeteil hinter dem profan genutzten Teil zurück. Der ursprüngliche Charakter der Kirche wird durch die Neugestaltung des Innenraums unter Einbeziehung der verglasten Kirchenwand nicht nur erhalten, sondern sogar verstärkt.

Erschließung Kirchenraum

Die bisherige Ausrichtung der Eingangsseite wird nach der Verkleinerung des Kirchenraumes und dem Einbau von profanen Funktionen nicht mehr beibehalten. Der Sakralraum wird nicht wie bisher über die Längsachse betreten, sondern die Marienkapelle auf der Südseite wird zum neuen Eingang der Kirche umfunktioniert. (Eine Erschließung von der Westseite würde den baulichen Aufwand erhöhen und vor allem würde die Wand mit ihrer Licht-Partitur an Relevanz (Himmlisches Jerusalem) einbüßen.

Kirchenfassade

Die Frontfassade verliert ihre Funktion als Eingangseite, wird zugleich jedoch zur Schaufassade der Kirche aufgewertet. Damit kann die Repräsentationsfunktion der Frontfassade und ihr Identifikationswert beibehalten werden. (Würde die vordere Hälfte der alten Kirche profaniert, wäre die Kirchenfassade nur Maske bzw. Kulisse, da sie architektonisch keinen Bezug zum profanen Innenraum hätte.) Bei der vorgeschlagenen Lösung handelt es sich um die qualitative Aufnahme von Innenraumeigenschaften der Fassade. Die existierende Fassade wird aufgewertet, sie wird zum Gesicht des sakralen Inneren, gleichzeitig verbindet die Glasfront den sakralen Innenraum mit dem profanen Außenraum. Die Eingangsfassade offenbart schon von außen den sakralen Innenraum.

Grundriss Kirche

Zeichnung: Henner Hermanns

Der Kirchengrundriss reagiert nach der Umstrukturierung auf die bestehende aufgeglaste Fassade. Die Organisation des Grundrisses gibt die bisherige Ausrichtung auf. Aus dem Longitudinalraum ist durch die Flächenreduktion ein klarer Zentralraum geworden, der dem Einzelnen zur Sammlung, der Gemeinde zur Versammlung verhilft.

Sakralraum

Entwurfsidee ist Neues gestalten – Vertrautes erhalten. Der neue Sakralraum besteht aus den zwei vorhandenen Wandmauern und der bereits existierenden gläsernen Wandmembrane. Die vierte Raumeinfassung soll aus flexiblen, Schall gedämmten Trennwänden, die mobil verschoben werden können, gestaltet werden. Der dahinter sich befindende Gemeindesaal kann bei Bedarf (Festgottesdienste zu Weihnachten, Ostern, etc.) zum Kirchenraum zugeschaltet werden. Durch die Verkleinerung des Kirchenraumes bei gleichzeitiger Beibehaltung der bisherigen Durchfensterung wird der Raum als hell und Licht durchflutet empfunden und erhält durch die neue Lichtdramaturgie authentische Spiritualität.

Möblierung

Die bisherigen Kirchenbänke sollen zu Gunsten einer mobilen Bestuhlung, die um den Altar angeordnet wird, aufgegeben werden. Dies hilft den Gläubigen bei der Annektierung ihrer Kirche, indem sie aus einem statischen Raum eine lebendige Kirche gestalten können.

Altar

Der Altar findet seinen Platz vor dem großen Kirchenfenster. Dieses führt den Blick der eintretenden Gläubigen sofort zum Altar, dem Höhepunkt und Blickfang der Kirche. Er steht nunmehr vor dem Lichtfenster: Die Symbolik des Altarraums als hellsten Ort der Kirche kommt hier – mehr als bisher - prägnant zum Ausdruck. „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12).

Alternativ kann der Altar auch dem neuen Eingang gegenüber vor der Nordwand stehen. Diese mit bunten Glasfenstern ornamentierte Wand verweist auf das „himmlische Jerusalem“ als Reich Gottes, das Wände aus Edelsteinen haben soll. Als weitere Option könnte der Altar, der heutigen Liturgie folgend, mehr in die Mitte des Zentralraumes gerückt werden. Das Gestühl soll ihn fächerförmig umgreifen.

Gemeindesaal

Um die Verkehrsflächen so gering wie möglich zu halten, wird der profane Bereich gesondert erschlossen. Die im Ostteil der Kirche eingebauten Gemeinderäume werden, auch um Störungen des Gottesdienstes oder der stillen Andacht auszuschließen, separat von Süden barrierefrei erschlossen. Der große Gemeindesaal, der bei Festgottesdiensten als Raumerweiterung zur Kirche geöffnet wird, kann auch mittels Schall gedämmter Trennwände in zwei Gruppenräume unterteilt werden. Um den neu geschaffenen Gemeindesaal hell und freundlich zu gestalten, erhält die dazugehörige Südwand eine Durchfensterung.


Kath. Kirche St. Josef in Hillscheid (Bistum Limburg)

Foto: Henner HermannsGemäß Aufgabenstellung sollen bisher getrennte Nutzungen reversibel in den existierenden Kirchenbaukörper eingeplant werden unter Wahrung des Erscheinungsbildes des Außenbaukörpers.

Ziel des Entwurfs ist es, die funktionalen Ansprüche in eine Identität stiftende Architektur umzusetzen, indem einerseits einem optimalen Funktionsablauf des profanen Raumprogramms und andererseits der Symbolik, Zeichenhaftigkeit und dem Repräsentationscharakter einer christlichen Kirche genüge getan wird.

Foto: Henner HermannsEntwurfsbasis ist auch hier: Neues gestalten – Vertrautes erhalten. Das markante, aber keinesfalls unschöne äußere Erscheinungsbild der schlichten Nachkriegskirche bleibt unverändert. Im Inneren wird dem Sakralbau in respektvoller Harmonie mit dem Kontext eine neue Qualität gegeben, um die geistige Botschaft zu erhalten. Aus der Baugeschichte lernend wird die barocke Ovalform als symbolisches Zeichen für den Sakralraum verwendet. Stimmungsmäßig soll die Kirche eher barock und üppig wirken, hingegen von der Materialverwendung her eher sparsam. Der Kirchenraum soll an sich wirken. Im Barock waren Fülle und Vielfalt Mittel, um Erhabenheit zu erzeugen. In unserer Reiz und Erlebnis überfluteten Gegenwart bieten hingegen Einfachheit und Purismus eine komplementäre Stimmung zum profanen Alltag.

Foto: Henner HermannsDer neu geplante ovale Sakralraum im Baukörper der existierenden Kirche wird von der vorhandenen Begrenzung umschlossen, ganz nach dem Prinzip von Kern und Schale. So erhält der neue Kirchenraum eine graduell gesteigerte Bedeutung gegenüber dem profanen Bereich. Konzept ist das Haus im Haus, das im Umschließenden das Umschlossene, im Kostbaren das noch Wertvollere, im Sichtbaren das Numinose sucht. Die äußere Steinhülle hütet das geheimnisvolle Innere. Das Innere ist das Heilige – wie schon Romano Guardini sagte.

Zeichnung: Henner Hermanns

Zeichnung: Henner Hermanns

Grundriss Kirche

Der Entwurf will einen Moment der Überraschung erzeugen – wie z. B. bei den beiden barocken Kirchen Vierzehnheiligen oder der Wies, die ein im Prinzip völlig unerwartetes Raumgefüge beherbergen. Wie in der Barock-Architektur aus dem ursprünglichen Longitudinalraum der Kirchen ein Zentralraum wurde, so entsteht auch hier durch Halbierung der Kirchenfläche und Abteilung in einen profanen und einen sakralen Teil aus der Restkirche ein längselliptischer Zentralraum. Diese ovale Grundrissdisposition wurde als ikonisches Zeichen gewählt, um bestimmte geistige Inhalte zu symbolisieren und einen sinnenfreudigen, komplexen und spirituellen Raum zu gestalten, von dem der Gläubige sozusagen „umarmt“ wird. Wer den sakralen Raum mit seiner stillen Asymmetrie betritt, verlässt deutlich wahrnehmbar den profanen Bereich des Alltäglichen.

Zeichnung: Henner Hermanns

Altar

Der Altar findet seinen Platz vor der westlichen Außenwand. Alternativ könnte der Altar, der heutigen Liturgie folgend, mehr in die Mitte des Zentralraumes gerückt werden. Der Gläubige ist fokussiert auf die liturgischen Orte Altar, Tabernakel und Ambo.

Umfassung

Der neue Sakralraum wird von einer diaphanen Membrane umfasst, wodurch eine Entmaterialisierung der Raumbegrenzung bewirkt wird. Durch die transluzente Wand strömt Licht und erfährt im Durchgang eine Verwandlung, die den Raum spiritualisiert und mit Glanz erfüllt. Das Licht hat über seinen praktischen Nutzen hinaus symbolische Bedeutung, denn es ist göttlichen Ursprungs.

Ein Baldachin, in den die Beleuchtungskörper integriert werden, soll den neu gestalteten Kirchenraum nach oben abschließen und die Transzendenz des Glaubens symbolisieren.

Für jeden Architekten bedeutet die Planung für den Bau bzw. Umbau einer Kirche eine besondere Herausforderung im Umgang mit Raum. Es geht nicht allein um die Erfüllung eines funktionierenden Raumprogramms, sondern darum, einen Raum zu gestalten, der Emotionen weckt, der unverwechselbare, Identität stiftende Authentizität vermittelt. Durch die hier geplante Umstrukturierung wird das vorhandene Gotteshaus auf neue Weise als Ort der Begegnung und – wenn man so will - der Gottesbegegnung erschlossen.


Architekt: Prof. Henner Herrmanns , Vallendar
zusammen mit: Dipl.-Ing. Asker Mogulkoc / Dipl.-Ing. Holger Zimmermann

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/47/hh2.htm
© Henner Herrmanns