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Magazin für Theologie und Ästhetik


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WolfRabe

Stefan Hermes

Ich weiß, das WolfRabes Werk der "Aufschlag" in einem Dialog ist, den er mit dem Betrachter führen möchte (oder von dem er sich wünscht, dass er untereinander in Gang kommt). Ich bin sicher, dass sich WolfRabe gerne die Beuys'sche Aussage zu eigen machen würde: "Wer nicht denken will, fliegt raus". WolfRabe will zum Denken, zu einer Auseinandersetzung einladen. Seine Fundstücke des Alltäglichen werden – in neue Zusammenhänge gebracht – zu Botschaften. WolfRabe will erzählen. Er tut dies, indem er sich selber ins Spiel bringt, sich nackt oder verletzt abbildet, sich in seine eigenen Inszenierungen begibt und damit eins wird mit seinem Werk. – Einen WolfRabe kann man nicht ausstellen. WolfRabe stellt sich selber aus, er installiert und inszeniert. Bisher entstand dabei wenig Serielles, was sich dekorativ an Wänden aufhängen lässt oder als Objekt nicht den heimischen Frieden empfindlich stören würde. Seine Operationsbestecke, die ausgeglühten Bremsscheiben, seine Knochensammlungen, die Tierkadaver und Metallkonstruktionen werden oft als Provokation missverstanden. WolfRabe provoziert nicht, er inszeniert. Und diese Inszenierungen können aus Motiven des Geheimen und Verborgenen entstehen, häufig aus tief empfundenem Glück oder Schmerz. Im Handeln und Bewegen von "Emotionalien" – so möchte ich die Gegenstände bezeichnen, die WolfRabe benutzt, weil er in ihrer äußeren Gestalt nicht nur das z.B. Werkzeug sieht, sondern vor allem die Tätigkeit, die damit ausgeführt wurde – erhalten seine Werke eine weitere Dimension. Verstehen Sie bei der Betrachtung die von WolfRabe genutzten Gegenstände als "mit Emotionen aufgeladen": Die drei Kreuze der Grabinstallation finden in ausgeglühten Bremsscheiben von LKWs Halt. Das Material hat tausendfach rot geglüht und Tonnen von Druck ausgehalten, es war auf den Straßen der Welt unterwegs und hat viele Unfälle verhindern helfen. Man möchte meinen, dass es keinen besseren Sockel für ein Kreuz gibt, als eine ausgeglühte Bremsscheibe…

WolfRabe findet im Handeln die konkrete Aussage und Form. Und wenn er dies – für sich – in einer vehementen Eindeutigkeit gefunden hat, beginnt er die Inszenierung, mit der er uns für den Moment des Verweilens entführen möchte. (Nachwirkungen sind dabei nicht ausgeschlossen, sogar erwünscht.) WolfRabes Installationen, Ausstellungen und Inszenierungen sind ein Spiel, in dem Sie und ich – wenn wir uns darauf einlassen – gewinnen sollen.

Es ist nur ein scheinbares Abschweifen, wenn mir hier Parallelen zu meiner Kindheit einfallen, wenn ich mich an meine Begeisterung für die Kirche erinnere, die ich als – katholischer – Messdiener empfand, wenn bei einem Hochamt alles ineinander griff. Menschenmassen wurden feierlich bewegt. Weihrauch wurde von uns Jungs in rot-weißen Röcken geschwenkt… Wir zogen – flankiert von dutzenden Kerzenträgern – zum Altar. Ein erhebendes Gefühl. Die raumgreifenden Bässe der Orgel, der euphorisierende Duft von Myrrhe und Weihrauch, dazu die prunkvollen Gewänder und die Litanei der lateinischen Gebete, die in dem damaligen Kaumverstehen einen nahezu beschwörenden Charakter hatten. "Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa!" Die Inszenierungen gerade der katholischen Kirche waren perfekt und überzeugend. – Und ausreichend. – Ich kann mich nicht erinnern, damals eine andere Kunst in Kirchen wahrgenommen zu haben, als "Kirchenkunst". Erst in den späten 60ziger Jahren kam es zu weltlicher Kunst in der Kirche, die provozierte und schockierte. Der Kontrast, moderne Kunst in alten Kirchenräumen zu zeigen, war und ist natürlich sehr reizvoll.

Doch was ist hier geschehen, in der nüchtern überzeugenden 50erJahre-Architektur der Trinitatiskirche? Haben Sie sich auch erschrocken, als Sie diesen Kirchenraum betreten haben und sich unversehens mit einer Baustelle konfrontiert sahen? Eine polierte Metallplatte mit rot-weißem Signalband, was uns "Achtung!" oder "Aufpassen!" vermittelt? Haben Sie dann in der Ecke das kleine – kaum auffällig ausgeschnittene – Herz gesehen, aus dem das Neptungras quillt? Haben Sie sich gefragt, was das soll? Wird hier ein tiefes Loch symbolisiert, ein Abgrund? Oder geht es um die Spiegelung? Spiegelung von Wirklichkeit? Vielleicht auch um Ihr eigenes Spiegelbild? Vielleicht hat WolfRabe sich erlaubt, Sie in das flüchtige Bild von Kirchenraum und Installation für den Moment Ihres Blickes einzubeziehen. Es lassen sich viele Interpretationen schaffen bis hin zu der, dass es Kulturen gibt, in denen das menschliche Abbild nicht dargestellt werden darf, geschweige denn das göttliche. Auch in diesem Kirchenraum werden Sie kein Bild Gottes finden. Es heißt, Gott habe uns nach seinem Bild geschaffen – und WolfRabe zeigt uns unser Abbild im Spiegel mit dieser Kirche, die keine Bilder an den Wänden trägt. –

Je nach Tageszeit und Standort zeigt uns die anfangs als "Baustelle" missverstandene Installation das farbenprächtige Blau in den Fenstern der Trinitatiskirche und lässt plötzlich auf dem warmen Schieferboden einen tiefen blauen See entstehen. –

In Köln finden Sie an vielen Stellen der Innenstadt die mit Schablone auf das Pflaster gesprühte Aufforderung: "Blick heben!" Ähnliche Wirkung kann auch das Werk von WolfRabe haben: Mit gesenktem Blick – Blickkontakte vermeidend – betritt der Gläubige diesen Kirchenraum, den er glaubt zu kennen und in dem es kaum etwas gibt, was ihn von seinem Anliegen, hier zu beten, eine Messe zu feiern oder nur Momente der Stille zu erleben abbringen könnte. Dieser Gläubige verhält sich wie der Fußgänger in der Kölner Innenstadt, der im engsten Gedränge seiner Mitmenschen, dem Blick ausweicht, bei sich bleiben möchte. Die Aufforderung "Blick heben!" hat auch die – aus diesem Grunde im Eingangsbereich der Kirche platzierte – Installation. Wir betreten die Kirche und finden auf der polierten Bodenplatte die Fahnen über dem Altar gespiegelt. Unwillkürlich heben wir den Blick und nehmen den Raum in seiner Veränderung wahr.

WolfRabe wird das alles gewollt haben. Wahrscheinlich auch noch mehr, als ich es hier in kurzem Abriss darstellen kann. Doch wichtig ist allein, was für Sie und für mich denkbar wird, was WolfRabe in uns auslöst. "Denken sei Plastik, weil es Ideenmaterial forme und Gedankengebilde gestalte," schon wieder ein Satz von Beuys, der damit seinen Anspruch an jeden Menschen, Denken als reflektierenden und bewusst kreativen Prozess zu verstehen und umzusetzen, formulierte. Sein erweiterter Kunstbegriff fordert das intensive Durchdenken der "Sache Kunst" und das soziale Verantwortungsbewusstsein des Künstlers. - Womit wir wieder bei WolfRabe sind: Er hängt in das Zentrum der Kirche Fahnen, die einen regelmäßigen – nach oben schwach verlaufenden – Aufdruck tragen. In hohem Maße ästhetisch. Ein sich gleichmäßig von weißem zu rotem Trägermaterial modifizierender Block aus biblischen "sieben" Fahnen. Befestigt an einer Stahlseilkonstruktion, die den ganzen Kirchenraum durchspannt, um dann an der Kopfseite die Wand herunter zu laufen, sich dort in Schaukeln verwandelt, die das vorhanden Kreuz einrahmen und Aufhängung für zwei Torsi werden. Beim genauen Hinsehen: Martialisch gebundene Metallstränge und grob vertörnte Aufhängungen. Und dann, sozusagen als Schlusspunkt eines langen Satzes, unten rechts in der Ecke ein Fluchtsymbol.

Die beiden Torsi hängen neben dem – im Kirchenraum vorhandenen – Kreuz. Zwei Körper, die mit dem Kreuz in der Mitte zu einem Kalvarienberg, dem Bild Golgothas, zusammenwachsen. Ein Bild des Leidens und der Erlösung. Geschaffen aus Paraffinfango, einem Material, das Menschen den Schmerz nehmen soll. Aufgehängt an "Schaukeln", die an Folterungsszenen erinnern. In der näheren Betrachtung und Auseinandersetzung – die unweigerlich die aktuellen Bilder aus den Medien wachruft – unerträglich.

WolfRabe gibt seinem Werk den Titel "gefallen". Hier – am "Schlusspunkt" der raumgreifenden Installation – ist eine Lösung zu finden: Wer auch immer – und wie auch immer – "gefallen" ist: Aufstehen! Nach oben! Den Blick heben! Ein bekannter Wegweiser, der uns in Fällen von vermeintlicher Ausweglosigkeit den einzig gangbaren Weg aus der Misere zeigen soll. Normalerweise zeigt der rettende Pfeil nach links oder rechts; hier zeigt er nach oben. In der geraden Verlängerung der Pfeilrichtung ist und bleibt es lediglich ein "Nach oben" – so sehr wir es uns wünschen würden: kein Pfeil, der auf das Kreuz als Rettung zeigt, so, wie es dem Ort entspräche, sondern ein Pfeil, der uns nach oben schickt, an einer Wand lang, die wir nicht erklimmen können. So schön es wäre: Gott ist nicht die Lösung. Kein Beten hilft. Die anfänglich empfundene Ästhetik und Schönheit des Werkes wird bei näherem Hinsehen zu einer Beunruhigung. Da geschieht etwas, dem wir uns als Betrachter kaum entziehen können. Der "Schutzraum Kirche" wird brüchig. Dass die Kirche dies zulässt, macht sie stark.

Das Werk WolfRabes geht jedoch noch weiter in seiner gesellschaftskritischen Haltung.

Ich kann meinen Satz wiederholen: "Die anfänglich empfundene Ästhetik und Schönheit des Werkes wird bei näherem Hinsehen zu einer Beunruhigung": Die so friedlich scheinenden Fahnen über dem Altar tragen den blutroten Abdruck einer Gosse. Hunderte Male von WolfRabe begangen. Mit Farbe an seinen Schuhen, die Spuren hinterlassen haben, wie Minutien auf unseren Fingerkuppen. Ein meditativer Prozess der Entstehung. Unverwechselbar mit der Person verbunden. WolfRabe wählt diese ästhetische Form, um das Ungeliebte, das Ungewollte, das Verdrängte zu exponieren, ihm durch diese Art der Ästhetisierung überhaupt die Chance zu geben, an genau dieser Stelle zu wirken: Die Gosse im Zentrum der Kirche, die Gosse über dem Altar.

Umgangssprachlich ist die Gosse der "Ort einer großen Ansammlung Obdachloser", ein Ort, "in welchem Verwahrlosung und Kriminalität vorherrscht". Jemand ist "in der Gosse zuhause" oder "kommt aus der Gosse". Durch WolfRabe ist die Gosse dem Altar symbolhaft näher, als der Kreis der Gläubigen.

"We are all in the gutter, but some of us are looking at the stars" – "Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns betrachten die Sterne", lässt Oscar Wilde Lord Darlington in "Lady Windermere’s Fan" sagen.

Nach oben sehen, weitermachen, nicht aufgeben, ein Ziel verfolgen. Wenn Sie im Eingangsbereich noch das Chaos von Fluchtweg-Hinweisen gesehen haben, die in alle Richtungen zeigen und keine Orientierung geben, finden Sie hier die Lösung: "Der Fluchtweg nach oben ist frei!". Nikolaus Schneider, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, formuliert das so: "Die Sehnsucht nach dem Paradies, dem offenen Himmel, b o o m t ". Und in den Losungen für den heutigen Sonntag ist – sicher nicht zufällig – der Psalm zu lesen:

Gott, der du die Erde erschüttert und zerrissen hast,
heile ihre Risse; denn sie wankt


© Klüver/Hermes 2007
Magazin für Theologie und Ästhetik 45/2007
https://www.theomag.de/45/klhe1.htm