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Magazin für Theologie und Ästhetik


Peter Tutzauers Kunst-Stück: „Alle Götter sind gleich“

Gotthard Fermor


Peter Tutzauer: Alle Götter sind gleich1. Peter Tutzauer ist Maler und Objektkünstler. Er studierte in Köln bei Prof. Karl Marx und Daniel Spoerri. Seit 1977 arbeitet er als freier Künstler, und kann inzwischen auf eine lange Reihe von Ausstellungen im In- und Ausland zurückblicken. Neben zahlreichen Städten im deutschsprachigen Raum hat er in Griechenland, Finnland, Russland, Weißrussland und Italien ausgestellt. Auch im öffentlichen Raum hat er künstlerisch dauerhaft Spuren hinterlassen:  In seiner Heimatstadt Bonn betritt man im Bundespostministerium, in der Bundsanstalt für Post und Telekommunikation und in der DARA (Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten) sozusagen „Tutzauerischen Boden“, denn er hat dort jeweils die Eingangshallen gestaltet. Seit 1998 wirkt seine Dauerinstallation des Großtransparents „Memento“ in der Bonner Öffentlichkeit.

2.  „Alle Götter sind gleich“

Auch diese Installation wurde auf ein großes breites Gewebetransparent gedruckt (10,5 m x 2,5 m), und war in Bonn am Turm der Ev. Lutherkirche, der Kath. Namen-Jesu-Kirche und an der Außenfassade des Johanniter-Krankenhauses zu sehen.

Dieses Kunst-Stück hat eine Geschichte: Peter Tutzauer, der viel reist, und das, was ihm da begegnet, ständig mit in seinen künstlerischen Prozess hineinnimmt, ist besonders seit Mitte der 90er Jahre vermehrt mit religiöser Intoleranz und mit Fanatismus (oft islamischer Prägung) konfrontiert worden, was ihn zunehmend beunruhigte. Eines der gestalterischen Ergebnisse dieser Eindrücke war ein Tryptichon, das auf drei länglichen Fahnen jeweils eine Struktur von tausenden kleiner Babyköpfe aufweist. Jeder Teil dieses Tryptichons trägt einen Titel: „Alle Götter sind gleich“, „Alle Götter sind menschlich“, „Alle Menschen sind göttlich“. Diese Arbeit, die zwischen Vermassung und Einzigartigkeit, die Beziehung jedes Menschen zum Göttlichen thematisiert, hängt seit 1997 in der Geburtsstation des Johanniter-Krankenhauses in Bonn. Vielleicht gibt es kaum einen passenderen Ort, um diese Kunst sprechen zu lassen, als diesen.

Als im März 2001 die Taliban in Afghanistan die zum Weltkulturerbe zählenden fast 40 m hohen Buddha-Statuen von Bamiyan aus dem 4. Jahrhundert zerstörten, wurde der gestalterische Druck angesichts dieser Szenerie größer. Dieser Akt war ein Ausdruck von religiöser Intoleranz und Ignoranz auch gerade deshalb, weil diese Statuen Zeugnis einer kulturproduktiven Mixtur griechischer, persischer und indischer Traditionen sind, genau das Gegenteil von religiös rechthaberischer Barbarei. Während Tutzauer an dieser Installation arbeitet, die hier angebildet ist, fliegen am 11. September - vom gleichen fanatischen Geist getrieben - die Maschinen in die Twin Towers. Die schmerzhaften aktuellen Eindrücke sowie die Themen und Motive von 1997-2001 verbinden sich und werden zu dem, was wir hier sehen können: Eine meditierende Buddhastatue aus dem persönlichen Umfeld des Künstlers an eine startende Rakete (computertechnisch) montiert, mit einem Satz in drei Sprachen (deutsch, englisch, arabisch) unterlegt: „Alle Götter sind gleich.“

Peter Tutzauer ist ein zeitgenössischer Künstler, der nicht nur hier in seiner Bildsprache der Computermontage auf der Höhe der Zeit ist, sondern erst recht, was die darin angestoßenen Themen angeht, ist er auf eine bedrängende Weise zeitgemäß. Seine Kunst ist hoch politisch, indem sie öffentlich wirkt. Nicht zuletzt dadurch, dass sie Dialogräume eröffnet, indem sie provoziert. So hängt diese Installation bewusst an einer Kirche, die als erweitertes Kunstwerk zu dieser Installation hinzugehört, und somit die provozierende Vielsprachigkeit seiner Kunst erhöht

3. Dieses Kunst-Stück ist anstößig, zumindest in dem Sinne, dass es bei mir einiges angestoßen hat:

3.1. Anstoß Nr.1: Unsere Welt ist geprägt von einem höchst paradoxen Mit- und Nebeneinander von Fortschritt, Welteroberung und Wissenschaft auf der einen und massivem Fundamentalismus auf der anderen Seite. Hätte Tutzauer das spiegeln wollen, hätte er vielleicht ein Bild Osama Bin Ladens und George Bushs an diese Rakete montieren können (um beide auf den Mond zu schießen...). Was macht er: er montiert einen Buddha an dieses potente Symbol des Fortschritts. Für mich beinhaltet das die Frage: Gibt es da nicht vielleicht doch noch ein anderes Miteinander von Forschung, Wissenschaft und Religion? Müssten wir uns nicht vielleicht wieder stark auf das besinnen, was die Pioniere der modernen Physik getan haben, indem sie im asiatischen Denken zahlreiche Parallelen zu ihren Theorien gefunden haben, bis dahin dass Menschen wie Fritjof Capra vom „Tao der Physik“ sprechen? Müssen wir uns von beiden Denkrichtungen nicht immer wieder die Ehrfurcht vor den nicht lösbaren Geheimnissen ins Gedächtnis rufen lassen?

3.2. Anstoß Nr. 2: Der Buddhismus gilt als eine der friedliebendsten Religionen überhaupt, nicht nur weil er im Prinzip so unmissionarisch ist, sondern auch, weil es in ihm nicht um Weltbeherrschung, sondern um das Loslassen von Welt, Begierden und Begehrlichkeiten geht, um Ge-lassen-heit. Ich kann von diesem Denken lernen, um tiefe Weisheiten meiner eigenen christlichen Tradition zu stärken. Tutzauers Buddha an der Rakete erinnert an ein mir wesentliches Wort Jesu: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganz Welt gewönne, aber doch Schaden an seiner Seele nähme.“

3.3. Anstoß Nr.3: Tutzauers Buddha, der sich aufmacht, mit in den Weltraum zu fliegen, ist eine kritische Mahnung zu Transzendenz. Das kann im religiösen Sinne auch heißen: Das Loslassen der eigenen Gottesvorstellungen, Gottesbilder, die den Weg zur Transzendenz verstellen. Wohin wir auch reisen, was wir auch erobern, welche Grenzen  der Genetik, der Vernetzung von Mensch und Maschine, des Weltraums wir noch überschreiten werden - wir werden uns immer selber mitnehmen. Der Buddha mahnt mich: es geht gerade auch dann darum, wirklich über sich hinaus kommen zu können und zu dürfen, hin zur Transzendenz. Der Buddha Tutzauers ist dazu eine kritische Mahnung.

3.4. Anstoß Nr. 4: Denn „alle Götter sind gleich“. Das mögen wir, wenn es religionskritisch  nach unserem Geschmack ist, noch gut verdauen können. Aber auch wenn die Götter, wie es im 2. Satz des Tryptichons im Johanniter-Krankenhauses heißt, „alle menschlich sind“, so sind sie noch lange nicht alle menschenfreundlich. Dieses Problem hinterlässt dieser Tage nicht nur im Irak wieder seine blutige Spur. Und der 11. September als Entstehungskontext dieser Arbeit macht dies überdeutlich.

Tutzauer provoziert, jenseits aller künstlerischen Betroffenheitslyrik, wirklich. Er schreibt nicht „Alle Götzen sind gleich“ und damit auch potentiell gleich menschenunfreundlich. Denn was mir ein Fetisch ist, muss ich wie einen Fetisch verteidigen, und sei es mit Gewalt – das scheint klar. Er schreibt: Alle Götter sind gleich. Und da er das dem Buddha Richtung Weltraum unterlegt, muss man das m.E. auch als Anfrage an monotheistische Religionen lesen, hier zumindest der christlichen und islamischen. Ist nicht dieses „Mono“, das wir in der kritischen Analyse des Kulturwissenschaftlers Jan Assmann als ambivalentes Erbe der mosaischen Religion übernommen haben, eine höchst fragwürdige Kategorie, die in der Kombination mit politischer Macht nicht nur kritische, sondern höchst zweifelhafte, wenn nicht gar brutale Folgen zeitigt? Wir wissen doch auch sonst um die Schädlichkeit von Monokulturen.

Die Pluralisierung unserer Lebenswelten – o.k., auch postmodern, wenn’s sein muss, aber die Pluralisierung Gottes?

Dagegen scheinen heilige Schriftstücke zu stehen:

„Der Herr dein Gott ist einer, außer ihm ist kein Gott“; „Du sollst keinen anderen Götter neben mir haben.“

Allah ist einer. Schon die Übersetzung des Satzes „Alle Götter sind gleich“ ins Arabische hat enorme Schwierigkeiten bereitet und das islamwissenschaftliche Institut der FU Berlin beschäftigt. Ein Wort für Gott im Plural machte Probleme, „alle Allahs sind gleich“ ging natürlich nicht.

Ich hätte mir diesen Satz auch noch auf hebräisch dort vorstellen können, denn dort steht ein Wort für Gott – elohim – schon im Plural, oder eben als Tetragramm des Unnennbaren – sicher eine verfolgenswerte Spur.

3.5. Anstoß Nr. 5: Die Gedanken, die Tutzauers Installation hier lostreten, riechen unweigerlich nach Zündstoff, wie der Antrieb der Rakete. Wo treiben sie uns hin, wenn wir sie zünden lassen? Brennen sie wertvoll gewordene Traditionen nieder?

Ich glaube es nicht. Bei allen Problemen mit religiösen Monokulturen - es gibt gerade auch im Christentum einen Umgang mit dem 1. Gebot, der eine höchst kritische Kraft gegen Intoleranz und Gewaltherrschaft freisetzt. Das bewahrt die ev. Kirche beispielsweise als positiven Impuls der Theologischen Erklärung von Barmen aus der Zeit der Nazidiktatur, die zum Widerstand aufgerufen hatte gegen Mächte und Gewalten jenseits dieses Gottes, der uns zur Freiheit befreit hat. Und dass dieser Gott nicht schon mit unseren Gottesvorstellungen gleichgesetzt werden kann und sollte, das können wir in der Bibel von den ersten Seiten an lernen, ebenso wie im Koran. Das ist die befreiende Kraft der Transzendenz.

Dieses Kunst-Stück hing auch an einer Luther-Kirche, was mich an den berühmten Ausspruch Luthers erinnert: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Und auch hier ist diese kritische Kraft, zu deren Bedenken mich Tutzauers Kunst herausfordert. Ich möchte Luthers Satz so lesen: Du sollst aus jenem Herzen, das sich hingibt, an das, was immer größer ist als Du, keine Mördergrube machen, weder seelisch, noch physisch, politisch, und erst recht nicht wörtlich im Sinne von gewalttätig. Dazu brauchen wir immer auch die kritische Kraft der Religion, die zum Wesen des „protestantischen Prinzips“  (Paul Tillich) gehört.

Der deutsch-iranische Islamwissenschaftler und Publizist Navid Kermani weist immer wieder auf diese Ambivalenz in jeder monotheistischen Religion hin: dass ihre Bildgehalte, wenn sie sich verselbständigen und nicht Medien in Richtung Transzendenz sind, etwas Gewalttätiges haben können. Er plädiert deshalb dafür, die mystische Spur in jeder Religion zu beachten, also auch Ent-Bildunng, das Loslassen von Bildern zu praktizieren, etwas was wir beispielsweise auch aus der Mystik Meister Eckharts kennen.

Dieses Bild Tutzauers bringt mich auf diese Spur der Ent-bildung – ein Kunst-Stück weit…


© Gotthard Fermor 2007
Magazin für Theologie und Ästhetik 45/2007
https://www.theomag.de/45/gf1.htm