Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Wargames

Militärische Raumsimulationen

Andreas Mertin

Der 1983 erschienene Film Wargames handelt davon, dass der jugendliche Computerhacker David L. Lightman versucht, sich mit dem Computer in das System eines Spieleherstellers zu hacken, indem er nacheinander alle Telefonnummern in Sunnyvale, Kalifornien anruft. Es gelingt ihm auch, in ein viel versprechendes System einzudringen, es ist aber nicht das des Spieleherstellers, sondern der Rechner, der das US-amerikanische Nuklearwaffenarsenal steuert. Nicht wissend, wo er eingedrungen ist, startet er die strategische Simulation "Weltweiter Thermonuklearer Krieg". Er glaubt, dass das Programm ein Spiel ist. Daraufhin startet das Programm die Vorbereitungen eines realen Angriffs auf die Sowjetunion. Der reale Angriff kann nur verhindert werden, indem der Computer alle denkbaren Kriegesszenarien simuliert und erkennt, dass hierbei keiner gewinnen kann.

Aber nicht nur aus dem Film Wargames kennen wir die Simulation von Kriegsszenarien, zahlreiche Spielfilme zeigen, wie Militärs an großen Tischen Frontverläufe nachstellen und mögliche Kriegsstrategien diskutieren. Das ist natürlich keine bloße Fiktion, sondern ist der Realität früherer Kriegsplanungen nachgebildet. Simulation spielte für Kriege immer eine große Rolle.

Terraforming

Geradezu atemberaubend ist die Raumsimulation, die das chinesische Militär offenkundig im großen Maßstab vorgenommen hat. Wir alle kennen die Erzählungen von angeblichen kompletten unterirdischen Städten, die Militärs errichtet haben, um Spione auf das Leben im Ausland vorzubereiten. Das ist ein Teil der immer noch verbreiteten Agenten-Folklore. Nun aber können wir geradezu live beobachten, wie das chinesische Militär ein ganzes Krisengebiet simuliert. Wer bei Google-Maps folgende Adresse eingibt, stößt auf folgende Ansicht (Sie können selbst in dieses Satellitenbild hineinzoomen und es mit der Maus verschieben!):

Das wirkt etwas merkwürdig und ist sicher für Leute, die nicht oft mit Google-Earth oder Google-Maps arbeiten, unvertraut, vielleicht auf den ersten Blick sogar unverdächtig. Um in etwa den Maßstab zu verstehen, sollte man sich vorstellen, dass die rechteckige Fläche in der Breite 900 Meter und in der Höhe 700 Meter umfasst. Wir haben also ein 0,63 qm² großes Areal vor uns, das – so zeigt der zweite Blick - offenkundig Gebirgszüge, Seen und Täler enthält. Es ist – das wird schnell deutlich – keine natürliche Flächenbildung, sondern offenkundig künstlich angelegt. Einer der kleineren Punkte oberhalb des Areals stellt ein Fahrzeug dar, die roten Rechtecke sind Häuser bzw. Hallen. Um es sich in etwa vorzustellen; das Areal ist in etwa so groß wie der Europapark Rust. Es liegt aber nicht in der Nähe irgendeiner Großstadt, sondern ist militärisch abgeschirmt. Aber um was für ein "Spielfeld" handelt es sich also?

Gefunden auf den Satellitenbilder von Google-Earth und in der Google-Earth-Community publiziert wurde das Areal am 29. Juni 2006 durch einen deutschen Nutzer. Seit der Entdeckung entspann sich in vielen Medien eine angeregte Diskussion darüber, was das Ganze wohl darstellen soll. Ein Spaßvogel vermutete gar, nun sei der Ort gefunden worden, an dem die Amerikaner die Mondlandung simuliert hätten. Nun sehen manche Dinge aus der Satellitenperspektive merkwürdiger aus, als sie in Wirklichkeit sind. In der Google-Earth-Community gibt es unzählige Debatten über skurrile Funde, die sich letztlich aber doch rational erklären lassen. In unserem Fall vermutete der Entdecker des Szenarios jedoch von Anfang an, dass es sich um ein „scale-model of a landscape“ handele. Aber ist es vorstellbar, dass an irgend einem Punkt der Erde ein anderer Teil der Erde nachgestellt wird? Aber welcher? Und wozu?

14 Tage später hatte der deutsche Nutzer die Vorlage gefunden: ein Krisengebiet zwischen Indien, Pakistan und China, das von China verwaltet und von Indien beansprucht wird. Es liegt knapp 2500 km südwestlich der Simulation. Dargestellt wird eine Fläche von 455x340 km. Vorlage und Simulation stehen also in einem Verhältnis von 1:500.

Nun kann man sich ja viel vorstellen, was Raumsimulationen betrifft. Die Amerikaner haben das Mondlandegebiet simuliert und die Unterhaltungsindustrie simuliert die ganze Welt in Legeland oder in Disneyworld. Aber ein derartig großer Sandkasten ( SPIEGEL) für Raum-, Krisen- oder Kriegssimulationen dürfte dennoch einzigartig sein. Auch wenn die chinesische Provinzregierung auf Nachfrage inzwischen erklärt hat, es handele sich um ein 7 bis 8 Jahre altes Testgelände für Tanks, fragt man sich doch, was und wie hier mit den Tanks getestet wurde. Denn was hilft eine 1:500 Skalierung, außer, dass sie dem militärischen Nutzer das Gelände vertraut macht? Und wenn, wozu? Aber auch das wird sicher eines Tages aufgeklärt werden,


© Andreas Mertin 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 42/2006
https://www.theomag.de/42/am194.htm