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Magazin für Theologie und Ästhetik


Bilderstreit und Menschenrecht

Über die Reizbarkeit des religiösen Gefühls

Andreas Mertin

Anlass dieser Ausführungen ist der das Zentrum des Verhältnisses von Religion und Moderne berührende Konflikt um die Publikation von Karikaturen mit der Darstellung des Propheten Mohammed. Es ist ein Konflikt, der in vielfacher Hinsicht bewusst provoziert wurde: von denen, die die Karikaturen in Auftrag gaben, von denen, die - nachdem niemand auf den nationalen religiösen Protest gegen die Karikaturen reagierte - hingingen und mit der Aufforderung zur Empörung sie im Nahen Osten bekannt machten und von denen, die sich dann zur Verteidigung der Meinungsfreiheit gegenüber dem Islam aufgerufen fühlten, als ob diese von der Apologie einiger mittelmäßiger Karikaturen abhinge. Wenn eines in diesem Konflikt jedoch deutlich ist, dann dieses: weder die Meinungsfreiheit noch die Religion sind durch den aktuellen Vorgang in einem elementaren Sinne bedroht. Worum es geht, ist vielmehr die Frage, wie viel Toleranz religiöse Welt und säkulare Kultur jeweils gegeneinander haben.

Ich beschäftige mich nun seit etwa 25 Jahren mit religiösem Ikonoklasmus, mit Bildersturm und Bildanbetung, mit den Möglichkeiten und Grenzen von Bildern, mit ihrer Macht und ihrer Ohnmacht. Der Kampf um die Bilder wurde nicht erst im 20. Jahrhundert virulent, etwa mit der Flut der Bilder oder infolge ihrer Instrumentalisierung durch politische Diktaturen. Schon in Zeiten der Reformation ist die "populärkulturelle‘ Auseinandersetzung zwischen den sich etablierenden Konfessionen mit Bildern geführt worden. Und wir können ganze Epochen wie den Barock als religiösen Krieg mit Bildern begreifen. Und trotzdem schien diese Zeit endgültig vorbei zu sein. Als daher der renommierte Kunsthistoriker Martin Warnke vor gut 25 Jahren schrieb, Bildersturm habe heute Bedeutung nur noch auf dem Niveau der politischen Praxis von Entwicklungsländern, konnte er daher nicht ahnen, dass nicht nur die führenden Kriegsmächte dieser Welt den politisch motivierten Ikonoklasmus zu einem zentralen Moment ihrer Kriegsführung machen würden (wie die USA im zweiten Golfkrieg), sondern dass der Bildersturm als gewaltsam durchgesetztes Bilderverbot generell eine Renaissance erfahren würde.

Bilder haben einen derartigen Wert bekommen, dass es sich zu lohnen scheint, dafür Tausende von Menschen in den Tod zu schicken oder auch einzelne Intellektuelle eiskalt zu liquidieren. Wer heute Bilder produziert, die anders Gesinnten nicht gefallen, muss nicht mehr mit Widerspruch oder Gegenbildern rechnen, sondern mit Verfolgung und der Androhung und sogar Vollstreckung des Todes. Die Liste der Ermordeten oder mit dem Tode bedrohten ist inzwischen zu lang, als dass man dies im Interesse interreligiöser Dialoge einfach unter den Tisch kehren könnte. Die personale Integrität der Andersdenkenden ist ein nicht verhandelbares Moment des humanen Zusammenlebens. Keine der inkriminierten Karikaturen überschreitet die Grenzen der Freiheit der Meinungsäußerung - nicht einmal im Ansatz. Es mögen dumme, nicht durchdachte und stereotype Karikaturen sein, sie mögen Vorurteile schüren und andere mögen sich beleidigt fühlen, aber sie geben keinen Anlass, die freie Meinungsäußerung zu begrenzen oder gar zu unterdrücken.

Man kann Journalisten, Karikaturisten, Regisseure oder Schriftsteller bitten oder an sie appellieren, derartige Bilder oder Schriften zu unterlassen, sie auffordern, im scheinbaren Interesse des Zusammenlebens der Völker und Kulturen zurückhaltender zu sein. Bereits im Falle Salman Rushdies ist diese Bitte allerdings an sich schon problematisch und es ist beklemmend sich auszumalen, auf was wir im Verlaufe der Geschichte an kulturellen Hochleistungen hätten verzichten müssen, hätten wir jeweils auf die vermeintlich Schwachen im Geiste Rücksicht genommen. Wer jetzt also sagt, man müsse im Sinne von Römer 14 Rücksicht nehmen, der muss auch den kulturellen Verlust verantworten, der mit dieser Rhetorik einhergeht. Mir ist als Kurator von kirchlichen Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst dieses Argument nur allzu vertraut. Hätte ich mich je daran gehalten, wäre kaum eine Ausstellung zu Stande gekommen, die kulturelle Verfasstheit der Kirche wäre noch schlechter als sie heute schon ist. Sie wäre weiterhin in ihrer kulturellen Selbst-Ghettoisierung befangen. Kultur ja - solange sie nicht stört ist ein mehr als schlechtes Motto für die zivilisierte Gesellschaft.

Dort also, wo jemand, der sich an die Bitte um Zurückhaltung nicht halten möchte oder aus künstlerischen Gründen nicht halten kann, mit Gewalt oder dem Tod bedroht wird, gehört ihm unsere Solidarität. Man kann an Leon de Winters Haltung gegenüber Theo van Gogh, der ihn doch aufs Übelste beschimpft und beleidigt hat, studieren, was eine humane Haltung auszeichnet. Darin ist Leon de Winter vorbildhaft und es gebührt ihm alle Hochachtung. Wir können den dänischen Karikaturisten vorhalten, für eine Karikatur die falschen Bilder gewählt und vor allem antiarabische Klischees bedient zu haben. Das ist wahr und muss auch deutlich gesagt werden.

Aber nachdem sie ihre Meinung im Bild geäußert haben, ist es unsere Pflicht, sie angesichts der gegen sie geäußerten Bedrohungen in Schutz zu nehmen und ihr Recht auf Meinungsäußerung offensiv zu wahren. Atheismus und auch Blasphemie sind grundlegende Menschenrechte, die gerade der religiöse Mensch ernst nehmen und verteidigen muss, weil er sich im Gegenzug auf das Menschenrecht der Religionsfreiheit verlassen können muss. Mein Recht, eine Gesellschaft als gottlos zu kritisieren, korrespondiert dem Recht der Menschen, sich als gottlos zu begreifen. Und es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet jene Länder, die jetzt eine Zensur oder gar Bestrafung der die freie Meinungsäußerung verteidigenden Presse fordern, solche sind, in denen die Menschenrechte und auch die Religionsfreiheit nicht gewährleistet sind (darin ist auch die us-amerikanische Administration mit eingeschlossen).

Das alles muss man vorausschicken, bevor man sich mit dem konkreten Hintergrund und den sachlichen Gehalten des Konflikts in kulturtheologischer Perspektive auseinandersetzt. Auch Blasphemien unterliegen einer kulturtheologischen Hermeneutik.

Der konkrete Hintergrund

So weit rekonstruierbar, hatte der dänische Kinderbuchautor Kåre Bluitgen keinen Zeichner für sein neues Buch über den Islam und den Propheten Mohammed gefunden - angeblich, weil die Angefragten Zeichner Angst vor Ärger mit der muslimischen Gemeinde und nicht zuletzt vor Repressalien hatten. Dies war für die dänische Tageszeitung Jyllands-Posten Anlass genug, verschiedene Karikaturisten um eine Karikatur zu Mohammed zu bitten, um den Umfang der künstlerischen Selbstzensur im liberalen Staat Dänemark zu prüfen. Die Mehrheit der Angefragten reagierte nicht, aber zwölf Karikaturen wurden eingeschickt und veröffentlicht und sie stießen auf den entschiedenen Protest der muslimischen Gemeinden, die die Zeitschrift wegen Blasphemie anzeigten [am 6.01.2006 stellte der Staatsanwalt das Verfahren ein, da keine Hinweise auf eine Straftat nach dänischem Recht vorlägen]. Soweit handelt es sich um einen ganz normalen Streit zwischen säkularer Kultur und religiösen Empfindungen, wie er sich in allen westlichen Demokratien regelmäßig an bestimmten Darstellungen entzündet. Es ist zu diesem Zeitpunkt und - in der Sache auch bis heute - kein Streit zwischen den Religionen, sondern eher ein grundsätzlicher Streit aller Religionen mit ihrer säkularen Umwelt. Nicht umsonst haben Vertreter nahezu aller Religionen die Karikaturen als religionsverhöhnend verurteilt, wahrscheinlich auch deshalb, weil sie an ihre eigenen Erfahrungen mit derartigen Bildern oder Karikaturen dachten. Zu klären ist, ob sie damit Recht haben - ich persönlich glaube das nicht. Das ist aber ebenso eine simple juristische Frage, die die Gerichte entscheiden müssen, wie auch eine hochkomplexe bildtheoretische wie bildtheologische Frage, denn sie setzt eine Klärung der Frage voraus, in welchem Verhältnis Bilder zum Abgebildeten stehen. Nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Beantwortung dieser Frage ergeben sich unterschiedliche Reaktionsweisen.

Nach einer Reise dänischer Imame durch islamische Staaten November und Dezember 2005 wurde der nationale bzw. regionale Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Religion in Dänemark zu einem weltweiten Konflikt. Muslime vieler Länder protestierten gegen die Veröffentlichung der Karikaturen als bewusste Provokation des Islam und seiner religiösen Vorstellungen. Ein Boykott dänischer Produkte wurde organisiert, bis dahin, dass pakistanische Ärzte ihren Patienten keine europäischen Medikamente mehr verschreiben wollten. Anfang Februar 2007 eskalierten die Proteste, nachdem Zeitschriften anderer westeuropäischer Länder die Karikaturen zur Verteidigung der Meinungsfreiheit demonstrativ nachgedruckt hatten. Nun wurden Botschaften und EU-Gebäude gestürmt, Flaggen und Botschaften in Brand gesetzt. Bei Demonstrationen in Afghanistan wurden Menschen erschossen. In Europa wurden die Internetseiten mehrerer Institutionen gehackt und gelöscht. Das Teheraner Regime kündigte im Gegenzug die Ausschreibung eines Karikaturenwettbewerbs zum Holocaust an. Allerdings stellte sich auch heraus, dass als erste Zeitung eine ägyptische die Karikaturen nachgedruckt hatte, ohne Protest zu erregen. In Nigeria wurde der Konflikt zum Anlass für Ausschreitungen gegen die christliche Minderheit instrumentalisiert.

Konfliktfelder

Die Schwierigkeit ist, dass in diesem Konflikt ganz unterschiedliche und ziemlich elementare Problemstellungen miteinander verknüpft sind, die nahezu alle mit den Regeln des Zusammenlebens in einer aufgeklärten Gesellschaft zu tun haben und aktuell zugleich geradezu antagonistisch sind:

  1. geht es um das grundsätzliche Verhältnis von Religion und Gesellschaft in einer modernen Gesellschaft, um notwendige Grenzziehungen, aber auch um gemeinsame Interessen und Überschneidungen,
  2. geht es grundsätzlich um das Verhältnis von Religion und kritischer Infragestellung bis hin zur Blasphemie, ein Verhältnis, das überhaupt nicht einfach ist, ist doch jede Religion in der Regel auch eine Blasphemie gegenüber anderen Religionen und Überzeugungen.
  3. geht es um das Verhältnis von Religion und Meinungsfreiheit, so wie es sich in der europäischen Neuzeit und zugespitzt noch einmal in der kulturellen Moderne entwickelt hat. Die Meinungsfreiheit ist auch in den entwickelten europäischen Gesellschaften immer wieder gefährdet.
  4. geht es um das Verhältnis von Bildlosigkeit und Ikonografie, wie es erstmalig mit Echnaton und Moses als Konflikt auftritt, dann über eine lange Zeit in der Geschichte höchst virulent wurde und bis heute ein Konfliktstoff nicht nur zwischen den Religionen geblieben ist.
  5. geht es um die Angemessenheit der Mittel, mit denen auf Tabuverletzungen und Grenzüberschreitungen reagiert wird, also darum, was eigentlich angemessene Reaktionen auf die so genannte Verletzung religiöser Gefühle und religiöse Dogmen sind.
  6. geht es auch um die notwendige Äquivalenz der Reaktionen, das heißt darum, ob das, was ich anderen in ihrer Artikulation verbieten möchte, nicht auch für meine eigenen Bilder und Kritiken gelten muss. Inwiefern erlaube oder verbiete ich etwas, was in einem anderen Sinne zu meinen von mir selbst tolerierten kulturellen Handlungen gehört.

Wie bereits gesagt, ist keine dieser Fragen leicht zu beantworten und es gehört zu den bedeutenden Errungenschaften der europäischen Moderne, diese Fragen durch permanente Grenzüberschreitungen virulent und damit im Bewusstsein gehalten zu haben.

Religion und Gesellschaft

Das Verhältnis der Religionen zur Gesellschaft, zur säkularen Kultur ist seit der Aufklärung bis in die Gegenwart von einer seltsamen Ambivalenz gekennzeichnet. Noch verschärfter gilt dies für das Verhältnis der christlichen Kirchen zur Moderne. Unbestreitbar hat das Christentum einen Beitrag zur Entwicklung der modernen Gesellschaft geleistet, ebenso unbestreitbar sind die zentralen Aspekte dem Christentum nur mühsam entrungen und säkularisiert worden. Modernismus und Modernisierung sind in beiden Kirchen heute noch Schimpfwörter, Zeitgeist eine Sünde schlechthin, Anpassung an ihn bedeutet Verrat am Glauben. [Was übrigens nicht daran hindert, dass die selben Leute im gleichen Atemzug die Modernisierung des Islam zu fordern!]

"Wie viel Modernisierung verträgt Religion" fragt der Neutestamentler Klaus Berger rhetorisch und versammelt in einem Zitat auf dem Buchcover gleich alle Stereotypen der Problemnivellierung: Sein Anliegen "gilt dem Grenzbereich zwischen Religion und Gesellschaft, die gelegentlich an einem Übermaß von Konsens und Korrektheit zu ersticken drohen. Kritik und Polemik sind nötig, um einem Zeitgeist entgegenzustehen, der Toleranz für einen Religionsersatz und alle Katzen für grau hält." Statt die Wahrheit zu verkünden, gehe es der Kirche angeblich nur um Konsens und statt Religion vertrete sie Toleranz. All das sei Ergebnis einer nicht vertretbaren Modernisierung als Anpassung an den Zeitgeist. Modernisierung erleidet eine Kirche – das ist nicht nur die Meinung eines einzelnen Theologen, sondern innerkirchlich die Überzeugung vieler. Die kritische Rede von übertriebener Toleranz - die ja etwas anderes meint als Herbert Marcuses seinerzeitige Rede von 'repressiver Toleranz' zur Herrschaftsstabilisierung -, zielt auf die Begrenzung bzw. Durchlöcherung von Toleranz und damit von Humanismus und die Minderung von Humanität.

Noch viel zu oft begreift sich Religion weniger als Teil als vielmehr als Gegenüber zur Gesellschaft, der man den rechten Weg weisen und sie von Irrwegen abbringen muss. Das hat Vorteile, insofern sich die Religion nicht als identisch mit der wahren Gesellschaft definiert, es hat Nachteile, insofern für den Rest der Gesellschaft notwendig der Standpunkt fraglich sein muss, von dem aus die Kritik artikuliert wird. Probater wäre ein Verständnis, wie es das Betriebssystem Kunst entwickelt hat, in dem jede künstlerische Richtung als ein mit anderen Richtungen konkurrierender Problemlösungsansatz verstanden wird, der innergesellschaftlich artikuliert wird und auf subjektive Aneignung der Menschen zielt, ohne diese erzwingen zu können oder zu wollen (außer in totalitären Systemen).

Wie die Rede vom christlichen Abendland aber zugleich zeigt, wird in der politischen Perspektive das Christentum weiterhin als kulturelles und moralisches Wertereservoir begriffen, das von anderen Werten auf dieser Erde abweicht. [Aktuell hat einer der größeren deutschen Buchhändler seine Regale umbenannt von Religion und Esoterik zu Religion und Werte!] 'Werte' bedeutet zugleich, dass um sie gestritten bzw. gekämpft werden muss.

Religion und Blasphemie

"Blasphemie (von griechisch blasphemia "Verleumdung, Lästerung") bezeichnet im weiteren Sinn jede ehrenrührige Rede, insbesondere aber Gotteslästerung. Ob und in welchem Umfang Handlungen oder Äußerungen als Blasphemie betrachtet werden, hängt stark von der ideologischen Ausrichtung der betroffenen Gruppen ab. Bei fundamentalistischen Gruppierungen ist die Schwelle zur Blasphemie im allgemeinen niedriger als im Durchschnitt anzusetzen. Beispiele, die als religiöse Blasphemie angesehen werden: Verhöhnung religiöser Symbole [...]; Verhöhnung religiöser Inhalte [...]; Fluchen, insbesondere solches mit religiösem Inhalt [...]; Glaube an andere Religionen oder an andere Götter [...]; Gottesverleugnung" - definiert die freie Enzyklopädie Wikipedia. Schon in dieser knappen Beschreibung in der Wikipedia wird das Problem deutlich: Blasphemie ist kein 'objektiver' Tatbestand, sondern in starkem Maße vom Kontext und vom subjektiven religiösen Gefühl abhängig.

Was aber bedeutet dies im Blick auf die Religion? Ist für die Ägypter Echnatons Handeln blasphemisch, wenn er ihre vielen Götter abschafft, um den einen an ihre Stelle zu setzen? Vermutlich. Ist für die Babylonier die Grenze des Erlaubten überschritten, wenn ihre Götter in der jüdischen Überlieferung ironisch als Laternen am Himmel bezeichnet werden, die von Gott bloß aufgehängt wurden? Vermutlich. Und ist mit der Nennung des Gottesnamens durch Christen nicht ein elementares religiöse Gefühl von Juden verletzt? Vermutlich. Ist die Depravierung Jesu zum Propheten eine Lästerung des Gottessohnes für Christen? Vermutlich. Ist die bildliche Darstellung Mohammeds in säkularen Schriften eine Verletzung religiöser Gefühle der Muslime? Vermutlich.

Aber was folgt daraus? Dass Echnaton sein Handeln im Interesse des religiösen Friedens in Ägypten besser unterlassen hätte? Dass die biblischen Autoren ihre ironische Darstellung babylonischer Götter besser nicht publik gemacht hätten? Dass die Nennung des Gottesnamens ein Fehler war? Dass die Darstellung Jesu als Prophet und nicht als Gottessohn zu unterlassen ist? Dass bildliche Darstellungen des Gesandten Allahs unterbleiben müssen?

Zu all diesen Fragen kann man höchst unterschiedlicher Meinung sein und ebenso unterschiedliche Antworten geben. Aber es dürfte deutlich sein, dass die Antworten, die in einem bestimmten religiösen Sprachspiel gelten, nicht zwingend auch für ein anderes religiöses oder gesellschaftliches Sprachspiel Geltung haben müssen.

Religion und Meinungsfreiheit

Es ist das Recht jeden Menschen, sich über die religiösen Gefühle anderer lustig zu machen. Es ist weder besonders geschmackvoll noch besonders intelligent, aber ein Verbot derartiger Meinungsäußerungen würde ungleich fataler (und zugleich religionsfeindlicher) sein als der intendierte Schutz der Religion. Selbstverständlich ist der Regelfall der aktuell in den Meinungsforen artikulierte Religionskritik in ihrer Flachheit nicht nur für einen religiösen Menschen schwer erträglich. Man muss sich nur einmal in den Foren der Zeitschrift telepolis umsehen, um all den geballten Schwachsinn, diese gepflegte Vorurteilskultur und die niveaulose Religionskritik im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts versammelt zu lesen. Keine Plattitüde, die dort ausgelassen wird, keine Dummheit, die nicht geeignet erschiene, sofort gegen welche Religion auch immer vorgebracht zu werden. Aber Dummheit, Reflexionslosigkeit und Frechheit sind Menschenrechte, die man mit Vernunft verteidigen muss. Begründete kritische Einwände gegen Religion - gleich welcher Provenienz und gleich welcher Form - mindestens aber ebenso. Nur im Streit um die religiöse Kultur erweist sich deren Vitalität.

Sich gegen die herrschende - religiöse wie gesellschaftliche - Meinung durchgesetzt zu haben, begründet den Erfolg der großen Religionen, die alle in ihrer Genese zunächst einmal dissidente Anschauungen waren und von den jeweiligen Gegner nur allzu gerne mit Religions- und Blasphemieparagraphen bekämpft wurden. Die weite Auslegung von Meinungsfreiheit schützt auch die religiöse Meinung.

Meinungsfreiheit ist - anders als dies in manchen Teilen der kommentierenden Presse dargestellt wurde - keine Errungenschaft des christlichen Abendlandes, sondern wurde unter blutigen Opfern gegen die seinerzeit herrschende Kultur des christlichen Abendlandes erkämpft. Das christliche Abendland war und ist zunächst keine tolerante, sondern nach ihrer Etablierung zur Staatsreligion nach 380 eine eher inquisitorische Kultur (Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose" ist in einem mehrfachen Sinne eine gute Illustration dieser Tatsache – der unbedingten Wahrheitssuche und der die Humanität verletzenden inquisitorischen Folgen).

Dass in Deutschland Blasphemie als solche nicht mehr strafbar ist, dafür juristisch die Verletzung religiöser Gefühle mit der Störung der öffentlichen Ordnung verkoppelt wurde, hat fatale Folgen, wie man nun auch international beobachten kann. Nur wer als Betroffener, d.h. in seinen religiösen Gefühl Verletzter für genügend öffentliche Aufmerksamkeit sorgt, indem er diese verstört, bekommt sein Recht. Sinnvoller wäre es auch hier die Vernunft anzuwenden und danach zu entscheiden, was zumutbar ist und was nicht. Allzu oft hat sich gezeigt, dass das, was zum Zeitpunkt seiner Erstveröffentlichung als Blasphemie und Beleidigung denunziert wurde, später auf breiteste Zustimmung trifft. Und allzu oft geht es auch gar nicht um religiöse Gefühle, sondern nur um Geschmacksfragen. Max Ernsts Gemälde "Die Jungfrau verhaut das Jesuskind vor drei Zeugen", dessen Ausstellung zunächst unterbunden wurde, heute aber eine Vielzahl von Religionsbüchern schmückt, ist ein beredtes Beispiel dafür.

Bildlosigkeit und Ikonografie

Einer der zentralen Gesichtspunkte der Auseinandersetzung um die Karikaturen war am Anfang des Konflikts der Hinweis, dass das Gesicht Mohammeds nach muslimischer Lehre nicht dargestellt werden darf. Judentum, Christentum und Islam sind von ihrer Genese her anikonische Religionen, die Gestaltbildung des Allerhöchsten und des Heiligen ist ihnen von ihren Schriften her untersagt. Trotzdem sind alle drei Religionen in den Sinne ikonographisch, dass sie einer identifizierbaren Gestalt unterliegen. Und selbst die Frage der bildlichen Darstellungen ist im Rahmen der Entwicklung der drei abrahamitischen Religionen durchaus unterschiedlich beantwortet worden, wie noch zu erörtern sein wird.

Aber Bildlosigkeit ist zunächst einmal ein Selbstgestaltungsmittel einer Religion und eine Abgrenzung gegenüber anderen Kulten und Kulturen. Das heißt, das Bekenntnis zur Bildlosigkeit der eigenen Religion setzt zunächst einmal das Bewusstsein voraus, dass andere Religionen und Kulturen durchaus bilderfreundlich sind. Das Bekenntnis lautet dann, nicht so zu sein wie die bilderfreundlichen Ägypter, die Statuen verehrende Baal-Religion, das dem Götzendienst wieder verfallende Christentum oder die pagane Umwelt. Bildlosigkeit ist zunächst einmal eine Selbstverpflichtung oder eine als verbindlich erkannte göttliche Verpflichtung im eigenen religiösen Kult. Das beeinhaltet auch ätzende Kritik an denen, die tatsächlich (noch) glauben, mit Bildern sich des Heils versichern zu können - wie gerade die biblische Kritik der Propheten an der altorientalischen Umwelt zeigt. Die geradezu blasphemische Kritik des Hosea an den naiven Kultbildgläubigkeit seiner Umwelt ist ebenso exemplarisch wie auch die überlieferte Vernichtung des goldenen Kalbes durch Mose. Beides sind aber letztlich innerreligiöse Aktionen. Ähnliches gilt auch für den Bildersturm der Reformation, der zunächst auch eine innerreligiöse Reformbewegung war.

Etwas anderes ist es, wenn der religiöse Grundsatz der Bilderlosigkeit auf nicht der Religion Angehörige übertragen werden soll und zwar gegen deren Willen. Kann man heute im Rahmen einer säkularisierten Gesellschaft noch - anders also als in einer religiös geprägten Gesellschaft vor 500 Jahren - die Umwelt dazu zwingen, die eigenen religiösen Regeln nicht nur zu tolerieren (was in einem bestimmten Rahmen auch schon schwierig sein kann), sondern auch sich ihnen gemäß zu verhalten? Wird mit der säkularen Darstellung Mohammeds (also nicht als Kultbild, sondern als historisches Bild) die Menschenwürde eines Muslimen verletzt? Ich glaube, man versteht das Bilderverbot falsch, wenn man diese Frage bejaht. Es mag sein, dass Juristen diese Frage anders beantworten, weil sie auf das ausgelöste Gefühl bei religiösen Menschen blicken und das subjektiv als verletzt empfundene religiöse Gefühl mit dem Recht auf künstlerische Freiheit und Meinungsfreiheit in Bezug setzen, aber gerade die Geschichte der Bilderstreitigkeiten und der Auseinandersetzungen um die Blasphemie seit der Neuzeit zeigen, dass das religiöse Gefühl eine kaum justitiable Größe ist. Und noch verschärftzer gilt dies in Fragen der erlaubten oder verbotenen Bilder.

Angemessenheit der Mittel

Wie protestiert man in einer aufgeklärten Gesellschaft gegen die Verletzung religiöser Gefühle? Zunächst einmal sicher dadurch, dass man erklärt, warum und wodurch die Gefühle verletzt worden sind. Wenn jemand einen Christus vor einer Blutlache zeigt und auf die lange blutige Geschichte christlicher Misogynie verweist, kann jemand, der das auf Christus bezieht, in seinen religiösen Gefühlen verletzt sein und darauf verweisen, dass sich aus der Lehre Christi selbst derlei nicht ableiten lässt. Und sofern er einer der bildkritischen Traditionen des Christentums angehört, wird er darauf verweisen, dass Christus nicht dargestellt werden darf. Nicht bestreiten können wird er freilich den Umstand, dass es tatsächlich eine Geschichte der christlich legitimierten Frauenunterdrückung gibt. Wenn er trotzdem meint, durch eine derartige Darstellung würden religiöse Gefühle verletzt, muss er in einer aufgeklärten Gesellschaft den Weg zum Gericht gehen. Dort klärt die Gesellschaft, was erlaubt ist und was nicht. Und auch das ist ein dynamischer Prozess: was noch vor 30 Jahren als anstößig empfunden wurde, muss es heute gar nicht mehr sein.

Und was für das Christentum in unserer Gesellschaft gilt, sollte analog für jede Religion in einer aufgeklärten Gesellschaft gelten. Wenn also der Prophet bzw. Gesandte mit einer Bombe im Turban dargestellt wird, kann jemand, der das auf den Propheten Mohammed persönlich bezieht, in seinen religiösen Gefühlen verletzt sein und darauf verweisen, dass sich aus der Lehre Mohammeds derlei nicht ableiten lässt. Und sofern er die bildkritische Tradition des Islam bedeutsam findet, wird er darauf verweisen, dass Mohammed nicht dargestellt werden darf. Nicht bestreiten können wird er freilich den Umstand, dass es tatsächlich eine Geschichte des sich auf den Propheten Mohammed berufenden internationalen Terrorismus gibt. Wenn er trotzdem meint, durch eine derartige Darstellung würden religiöse Gefühle verletzt, muss er in einer aufgeklärten Gesellschaft den Weg zum Gericht gehen. Dort klärt die Gesellschaft, was erlaubt ist und was nicht. Wenn das Gericht nun erklärt - wie im vorliegenden Fall geschehen -, die Darstellung sei nicht verboten und falle nicht unter das Gesetz, kann man weiter gegen die Darstellung protestieren und seine abweichende Sicht darstellen, aber man wird tolerieren müssen - und die Gesellschaft hat einen Anspruch darauf, dass man dies tut -, dass es eine andere Sicht der Dinge gibt.

Nicht zuletzt ist die Frage zu bedenken, die sowohl an Christen wie an Muslime zu richten ist, nämlich inwiefern die Souveränität des Heiligen überhaupt von einer Satire betroffen werden kann. In diesem Sinne sagte der afghanische Präsident Hamid Karsai zu Recht, der Prophet Mohammed sei viel zu erhaben, um durch diese Karikaturen beleidigt zu werden. Was wäre in diesem Sinne eine angemessene Reaktion auf die Darstellungen?

Äquivalenz der Reaktionen

Wenn die islamophoben Reaktionen im Rahmen der europäischen Gesellschaft eines präzise aufgewiesen haben, dann ist es die Inäquivalenz der muslimischen Reaktionen, m.a.W. dass intuitive Gefühl für etwas angegriffen zu werden, was in muslimisch geprägten Gesellschaften selbst gang und gäbe ist. Während es keine weltweiten Proteste der Muslime in vergleichbarer Form gab, als El Kaida und Osama Bin Laden wiederholt den Propheten Mohammed als Autorität für den blutigen Terrorkampf gegen den Westen in Anspruch nahmen (Mohammed also zum Ahnvater des Terrorismus stilisierten und die Karikatur damit vorwegnahmen), wurde weltweit protestiert, als genau dieser Tatbestand im Bild thematisch wurde. Offenkundig scheint beides zumindest im Bewusstsein der Protestierenden etwas Unterscheidbares zu sein, ohne dass man wüsste, worin dieser Unterschied besteht. Das kann man nur bigott nennen. Es geht überhaupt nicht darum, die Muslime mit El Kaida zu identifizieren (beide haben nichts miteinander zu tun), sondern darum, dass man erwarten kann, dass die Reaktionen auf die falsche, einseitige oder verzerrende Darstellung Mohammeds in beiden Fällen äquivalent sind. Und genau das ist nicht der Fall.

Auch das Verhältnis zur Karikatur selbst ist offenkundig gespalten, d.h. von derselben Bigotterie getragen. Es ist ja nicht so, als ob der religiös-gesellschaftliche Kontext des Islam keine Karikaturen kennen würde, man also erschrocken wäre, dass mittels Bildern überhaupt Auseinandersetzungen geführt werden. Das ist nicht so. Nahezu alle Staaten, in denen der Islam eine zentrale gesellschaftliche Rolle spielt, arbeiten im großen Rahmen mit Bildern - vor allem von Herrschern und religiösen Führern. Und auch symbolische Gesten wie das Verbrennen von Flaggen sind seit Jahren im Blick auf die mediale Selbstrepräsentation vertraut. Es ist also nicht Unkenntnis medialer Bilderstrategien, die zum Protest führte. Und blickt man auf die Karikaturen, die im arabischen Kontext etwa über Israel, deren politische Führer oder über Juden allgemein verbreitet werden, so gehen sie weit über den Rahmen einer satirischen Darstellung hinaus und sind das, was in Deutschland den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen würde. Die Frage der Menschenwürde spielt hier überhaupt keine Rolle. Und anders als es die politische Führung des Iran zur Zeit darstellen will, sind derlei Darstellungen keine Reaktion auf die satirischen Darstellungen in Dänemark, sondern gehen ihnen lange voraus.

Die problematische Sprache der Bilder

Nichts ist heute in der Bildsprache sicher. Und nichts war es jemals. Was religiös erlaubt und was verboten ist, ist keinesfalls etwas ein für allemal Feststehendes, es ist vielmehr prozessual zu begreifen. Ein und dasselbe Bild kann in ein und demselben Kontext mal verboten, mal erlaubt sein. Ein Bild mag in einem Kontext erlaubt, im anderen aber verboten sein. Und verboten heißt noch lange nicht, dass es nicht trotzdem in Gebrauch ist. Die Regeln der Religionen zu den Bildern sind hochkomplex und kaum auf das triviale Für und Wider im Verhältnis zu Bildern zu reduzieren. Für die drei abrahamitischen Buchreligionen ist das Bilderverbot von konstitutiver Gültigkeit, auch wenn Teile der christlichen Religion in der Zwischenzeit das Bilderverbot mit der Inkarnation Jesu als aufgehoben ansehen. Die Nichtdarstellbarkeit Gottes gehört jedoch zu den Gemeinsamkeiten der abrahamitischen Religionen, was wiederum nicht heißt, dass es nicht doch Gottesbilder gibt.

Und auch im Islam sind Bilder nicht an sich verboten, wie jeder Besuch eines arabischen Landes zeigt, sondern es hängt vom Kontext ab, ob ein Bild verboten ist oder nicht. Nehmen wir als Beispiel den abgebildeten Araber mit Turban. Dieses Bild ist nicht genuin verboten, auch wenn es kein neutrales, sondern ein tendenziöses Bild ist. Etwas anderes wäre es vermutlich, wenn das Bild als eines von Mohammed bezeichnet wird und klar ist, dass es nicht einfach nur ein Araber mit diesem Namen sein soll.

Aber wie steht es mit dem Bild, das Mohammed ohne Angesicht zeigt und aus dem 16. Jahrhundert stammt? Auch hier scheint die Überzeugung vorzuherrschen, dass es sich um ein legitimes Bild des Propheten handelt, da das Gesicht nicht dargestellt wird. Und wie steht es aber dann mit der muslimischen Darstellung Mohammeds mit Angesicht? Vermutlich ist sie nach der Meinung vieler heutiger Muslime nicht legitim, sondern eine Verletzung des Bilderverbots, wiewohl sie aus dem religiösen Kontext des Islam stammt und es Zeiten gegeben haben muss, wo das Bild als unproblematisch angesehen wurde.

Ähnliche Beobachtungen, was den Umgang mit Bildern betrifft, können wir auch bei der christlichen Religion feststellen. Muss man daran erinnern, dass nach 726 im byzantinischen Reich ein mehr als 100 Jahre andauernder Konflikt herrschte, der um nichts anderes ging, als die Legitimität christlicher Bilder? Und wäre es nicht sinnvoll, daran zu erinnern, dass alle Argumente, die derzeit über die Bedeutung von Bildern im religiösen Kontext ausgetauscht werden, schon damals innerchristliche Diskussionspunkte waren? Da waren die vielleicht muslimisch beeinflussten Soldatenkaiser auf der einen, die Bilderverehrer auf der anderen byzantinischen Seite, die Bilddidaktiker in Rom und die Vertreter autonomer Kunst bei den Franken im Westen, deren Argumente sich erst ein Jahrtausend später durchsetzten.

Die Hoftheologen Karls des Großen argumentierten, Kriterien der Beurteilung von Bildern könnten ausschließlich künstlerische sein, nämlich das "Ingenium" des Künstlers. Damit taucht zum ersten Mal in der Geschichte der Gedanke des autonomen Kunstwerks auf. Plastisches Beispiel sind zwei Kunstwerke von Müttern mit Kindern, von denen eines Maria und Jesus darstellt (also angebetet werden müsste), das andere aber Venus und Cupido (also heidnisch wäre). Nur sind die Bildunterschriften verloren gegangen. Wie verhält sich nun der Gläubige? Er kann die Bilder nicht vernichten – dann würde er ein anbetungswürdiges Bild vernichten. Er kann die Bilder nicht verehren – dann würde er ein heidnisches Bild anbeten. Konsequenz: Es kommt zur Beurteilung überhaupt nicht auf den Inhalt, sondern die künstlerische Qualität an. Es kommt darauf an zu erkennen, wie präzise das Beispiel der Libri Carolini den Konfliktstoff auch der gegenwärtigen Kontroverse beschreibt.

Denn alle abrahamitischen Religionen stehen in der Bilderfrage bei aller Ablehnung religiöser Kultbilder vor derselben Problematik. Sie wissen nicht, wie die nicht abzubildenden Personen ausgesehen haben. Das heißt aber auch, dass sie exklusiv nur über das Wort die Identifizierung eines Bildes vornehmen können. Wenn bei den Demonstrationen gegen die Karikaturen ein satirisches Bild von Angela Merkel hochgehalten wird, wissen wir, dass die deutsche Bundeskanzlerin gemeint ist, weil wir ihr Konterfei schließlich kennen. Bei Mose, Jesus oder Mohammed ist das dagegen nicht der Fall. Die entsprechenden Bilder müssen also durch ikonographisch eindeutige Kennzeichen oder eben durch beigefügte Worte kenntlich machen, was bzw. wen sie eigentlich darstellen. Bei Mose könnten dies die so genannten Hörner des Mose sein oder zwei Steintafeln oder ein brennender Busch etc. Bei Jesus wäre dies das Kreuz in einer bestimmten Form, ein Heiligenschein (der würde allein aber nicht reichen) oder eine charakteristische Szene sein. Eine Hirtenszene für den guten Hirten würde zur Identifizierung aber schon nicht genügen.

In all den Fällen, in denen wir über diesen ikonographischen Kontext nicht verfügen, brauchen wir Worte, Titel oder Zuschreibungen, die in einer Art performativem Sprechakt das Bild zu einem von Mose, Jesus oder Mohammed machen. Inkriminiert wird also in einem strengen Sinne nicht das Bild, sondern dieser performative Sprechakt. Du sollst kein Bild zu einem Kultbild, zu einem Jesusbild oder zu einem Mohammedbild machen, bedeutet also: Du sollst kein Bild als solches bezeichnen.

Die ostkirchliche Tradition des Christentums hat dieses Bewusstsein der Bezeichnungsabhängigkeit der Bilder bis heute wach gehalten, insofern sie an einem identifizierenden Akt der Titelgebung demonstrativ festhält. Vor dieser Identifizierung ist das Bild eben 'nur' ein einfaches Bild.

Dass wir als Europäer den Konflikt um Bilder in der Regel von wenigen Ausnahmen abgesehen gar nicht mehr als solchen wahrnehmen, verdanken wir weniger der Selbsterkenntnis des Christentums, sondern der Renaissance und dem Humanismus, die aufgeklärtes humanes Denken gegen den Widerstand der Kirche durchgesetzt haben: "Wenn sich an dieser Schwelle zur Moderne aber Dichtung und Kunst kühnlich an die Stelle des Sakralen setzen, ist ihre ästhetische Aura nicht mehr aus der Erfahrung religiöser Kunst erborgt, sondern dieser provokativ entgegengesetzt. Es handelt sich hier ... nicht um eine Profanierung des Sakralen, sondern umgekehrt: um eine Sakralisierung des Profanen" (Hans Robert Jauß). Nicht umsonst landeten die aufgeklärten Libri Carolini für mehr als ein halbes Jahrtausend auf dem kirchlichen Index und wurden erst in reformatorischen Zeiten wieder entdeckt.

Und auch die Geschichte der christlichen Bilderstreitigkeiten des 20. Jahrhunderts zeigt eindrucksvoll, dass eine Vielzahl von Kirchenvertretern das Niveau der Libri Carolini noch nicht erreicht hat. Uwe Wittstock hat in der WELT am 6.02.2006 auf die lange Liste christlicher Zensur gegenüber zeitgenössischer Kultur hingewiesen. Zu den Betroffenen zählen u.a. Heinrich Heine, Georg Grosz, Kurt Tucholsky, Franz Masareel, Kurt Weill, Carl Einstein, Ernst Rowohlt und Arno Schmidt. Als Max Ernst 1926 erstmals sein Bild "Die Jungfrau verhaut das Jesuskind" der Öffentlichkeit präsentierte, konnte die Kirche die Schließung der Ausstellung durchsetzen. Und auch heute fällt es der Kirche leichter, Journalisten zur Selbstzensur aufzurufen oder Kinobetreiber zur Absetzung eines Filmes, als dass sie die Kultur der Differenz stark machen würden.

Wenn die Kirchen in der Moderne wirklich angekommen wären, wenn sie die neuzeitliche Diskursdifferenzierung als Gewinn in kultureller Perspektive begrüßen würden, dann müssten sie - deren Regeln folgend - zunächst danach fragen, was für eine Qualität die Karikaturen diskursspezifisch haben, m.a.W. welches "Ingenium" die Karikaturisten hatten. Auch der kulturelle Bereich der Karikatur unterliegt Diskursregeln, an denen das einzelne Artefakt gemessen werden kann.

Dass die Mehrzahl der befragten dänischen Karikaturisten eine Karikatur wegen des durchscheinenden Interesses an einem bewusst inszenierten Konflikt ablehnten und dass einer der Karikaturisten das auch zum Gegenstand seiner Karikatur machte, spricht Bände. Es bedürfte keiner genaueren Bilduntersuchung, um zum Beispiel festzustellen, dass allein schon die Art der Darstellung im Beispiel des Arabers mit der Bombe im Turban erkennbar keine einfache Karikatur oder Satire ist, sondern Stereotypen bedient, die aus dem Arsenal der herabsetzenden Darstellungen von Andersdenken und -glaubenden des 20. Jahrhunderts stammt und gerade in Deutschland nur allzu vertraut ist. Dazu braucht man es nur mit Darstellungen vergleichen, die aus dem muslimischen Zeichenarsenal für Araber stammen. Die Bildaussage und -wirkung ist diametral entgegengesetzt.

In der westlichen Welt zeichnet sich zwar eine Bildtendenz ab, die allein schon in der Darstellung eines Menschen mit Bart und Turban eine Herabsetzung zu implizieren scheint. Das belegt etwa die Darstellung des us-amerikanischen Präsidenten als Taliban, jedoch wäre die entsprechende Fotomontage auch als satirischer Hinweis darauf lesbar, dass Bush von seinen islamistischen Gegnern kaum zu unterscheiden ist.

Aber es ist klar, dass der dänische Karikaturist bereits in die Grundkonstruktion seiner Zeichnung mehr eingetragen hat, als die später durch ergänzende Bilddetails konstruierte Verbindung von Mohammed und Terrorismus. [Auch diese Lesart der Grundzeichnung ist freilich kontextuell - man kann die Darstellung sicher auch anders lesen.] Und man kann natürlich die Frage stellen, ob in Dänemark eine analoge Grundzeichnung eines Rabbiners oder eines jüdischen Politikers nicht auf Widerspruch gestoßen wäre. Jedenfalls muss sich die Kritik an der Höhe der Kunst der kritischen Satire am Beginn des 21. Jahrhunderts orientieren. Hier scheinen mir die Mehrzahl der Karikaturen hinter den gewohnten Standards eher zurückgeblieben zu sein.

Bilderstreit und Menschenrecht

Sicher ist die elementare Wucht, ja geradezu die Explosion der Reaktionen auf die dänischen Karikaturen über den Propheten Mohammed rational kaum zu klären. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil in diesem Konflikt zu viele unterschiedliche - politische, religiöse, kulturgeschichtliche, bildtheologische - Faktoren eine Rolle spielen.

  • Verkürzt ist jedenfalls jede Erklärung, die die internationale Empörung allein auf den Inhalt der Karikaturen selbst bezieht, denn dann hätte diese von jeder der Veröffentlichungen ausgehen müssen. Die unbeanstandete sehr frühe Publikation der Karikaturen in einer ägyptischen Zeitung zeigt dagegen, dass diese Erklärung allein nicht ausreicht.
  • Verkürzt ist jede Erklärung, die die Empörung ohne den Inhalt der Karikaturen erklärt, sei es als bloßer Protest gegen den Westen oder nur als gesteuerte Agitation auf Betreiben islamistischer Gruppen oder diktatorischer Systeme, denn sie kann den unmitelbaren Anlass nicht aufklären, warum also Karikaturen im Blick auf die allgemeine Bevölkerung überhaupt als Anlass zum Protest dienen können.
  • Verkürzt ist auch jede Erklärung, die sich nicht auf die lange Geschichte der Bildverehrung, der Bildmagie und des Ikonoklasmus samt ihren gesellschaftspolitischen Implikationen bezieht, denn nur aufgrund bildmagischer Vorstellungen kann die verbreitete Idee entstehen, durch Bilder werde dem Abgebildeten ein Schaden zugefügt.
  • Verkürzt ist auch jeder Versuch, den Konflikt von religiösen Geboten bzw. Gefühlen mit dem extensiven Recht auf Meinungsfreiheit einseitig aufzulösen. Dieser Konflikt geht in jedem Fall zu Lasten einer Seite und es muss gesellschaftlich überlegt werden, wo der Schaden am geringsten ist.

Deutlich ist aber auch, dass es angesichts des antagonistischen Konflikts zwischen Meinungsfreiheit und religiösen Rechten und Gefühlen klare Regelungen geben muss. Und die, das ist meine Meinung, müssen im Zweifelsfall immer zugunsten der Meinungsfreiheit ausfallen. Die Unterdrückung von Meinungsfreiheit ist in keinem Fall tolerierbar, zu viel steht dabei auf dem Spiel. Die Auseinandersetzung mit der abweichenden - auch und gerade satirisch oder ironisch artikulierten - Meinung ist in einer zivilisierten Gesellschaft eine des Arguments und des Austauschs der Argumente.

Insoweit der aktuelle Streit ganz konkret um Bilder geht, muss der Diskurs der Bilder, muss die Bildsprache selbst auch eine Ebene der Auseinandersetzung bilden. Es kann nicht nur politisch oder religiös über Bilder geurteilt werden, Bilder müssen in ihrer Eigenlogik bedacht und diskutiert werden. Hier sind nicht zuletzt die Bildwisssenschaft, die Kulturwissenschaft und die Kunstgeschichte gefragt.

Insoweit es um einen Konflikt der Religion(en) mit der Gesellschaft und auch mit der Freiheit der Kunst geht, müssen die Religionen anerkennen, dass sie nicht Wahrheiten an sich, sondern nur Wahrheitsansprüche innergesellschaftlich gelten machen (können), die auf kontroverse alternative Wahrheitsansprüche stoßen. Der Anspruch auf Wahrheit ist kulturgeschichtlich und geistesgeschichtlich seit der Neuzeit und insbesondere seit der kulturellen Moderne für Kunst und Religion gleich.

Die große Gefahr in diesem Konflikt ist es, dass zur Beruhigung aller die Freiheit der Kunst und der Meinung geopfert wird. Was ist schon Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit im Vergleich zum friedlichen Zusammenleben der Völker könnte man fragen. In diesem Sinne hatten niederländische Politiker schon nach der Ermordung des Regisseurs Theo van Gogh die Verschärfung der Blasphemiegesetze gefordert. Frei nach dem Motto: Wenn van Gogh nicht verbal die Muslime herausgefordert hätte, dann wäre er auch nicht ermordet worden.

Der Großimam der einflussreichen Al-Aschar-Universität in Kairo schlug zur Lösung des Karikaturen-Streits ein weltweit gültiges Verbot von Beleidigungen religiöser Empfindungen vor. Es gibt international und gerade auch auf der Ebene der UNO Tendenzen, diesem Ansinnen Raum zu geben. Man muss allerdings historisch sehen, dass "religiöse Empfindungen" seit Anbeginn der Zeiten immer schon jeweils so definiert wurden, dass es zu einer Verurteilung oder zumindest zu einem Prozess gegen den oder die Inkriminierten ausreichte. Ob es die Frauen waren, die Baal anbeteten, ob es Jesus war, der sich als Sohn Gottes bezeichnete - der Blasphemievorwurf war jeweils nicht weit.

Eine Religion wie das Christentum, das nach eigener Überlieferung einen wesentlichen Bezugspunkt seiner Erzählungen einem Blasphemieprozess verdankt, sollte diesem Begehren nach Verschärfung der Gesetze zum Schutze der Religion nicht folgen. Und Künstler, die sich die Freiheit nehmen, die Religion zu kritisieren, in Form von Satiren, von kritischen Interventionen, von Karikaturen, also mit Bildern, Worten oder Tönen, sollten sich darauf verlassen können, dass die christlichen Kirchen im Konfliktfall ihre Meinungsfreiheit offensiv verteidigen - ohne ihre Meinung gleich teilen zu müssen. Das Schlimmste, was uns kulturell passieren könnte, wäre die Schere im Kopf der Künstler - also von vorneherein zu postulieren: „Man muss nicht alles tun, was man darf“. Kultur, das zeigt die Geschichte der Zensur und der Erkämpfung der Meinungsfreiheit, bedeutet ganz im Gegenteil, mehr zu tun als man im Augenblick darf. Erst in einer befreiten Gesellschaft - wenn mir dieser religiöse Pathos ganz am Schluss erlaubt ist - wäre diese Grenzüberschreitung nicht mehr nötig. Solange aber, lieber Künstler, pecca fortiter! - Sündige tapfer!


© Mertin 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 40/2006
https://www.theomag.de/40/181.htm