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Magazin für Theologie und Ästhetik


White Cube XIX

Willi Baumeister - Retrospektive

Karin Wendt

Mit Abstraktion und Einfühlung“ charakterisierte Wilhelm Worringer zwei Arten, wie sich Menschen Wirklichkeit erschließen und sie darstellen. Anhand dieser kulturgeschichtlichen Paradigmen ließe sich auch das Werk von Willi Baumeister (1889-1955) beschreiben. In Erinnerung an den 50. Todestag des Künstlers hat das Westfälische Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster eine Retrospektive zusammengestellt, die erstmals seine Arbeiten zusammen mit Objekten aus dessen archäologischer Sammlung zeigt. Die Ausstellung Figuren und Zeichen „greift die wesentlichen Strukturen einer Ausstellung auf, die Willi Baumeister anlässlich seines 65. Geburtstages 1954 – also ein Jahr vor seinem Tod – im Stuttgarter Kunstverein zeigte. In chronologischer Ordnung werden Beispiele aus Baumeisters wichtigsten Werkgruppen vorgestellt. In der Präsentation werden besonders die späten Kessaua-, Montaru- und Monturi-Bilder hervorgehoben. Hinzu kommt eine Auswahl von Werken aus frühen und fremden Kulturen aus Baumeisters eigener Sammlung. Eine größere Anzahl von Zeichnungen und Druckgrafiken verdeutlicht Baumeisters Vorgehen in Werkzyklen und kontinuierlich erweiterten Formprozessen. ... Die formale Intensität und fremde Zeichenhaftigkeit dieser Werke aus der Steinzeit, dem Vorderen Orient, aus Ägypten und Griechenland, Ostasien, Altamerika, Afrika und Ozeanien stehen in einem offenen und vielfältigen Spannungsverhältnis zu Baumeisters eigener Kunst.“ (Ausstellungstext)

Baumeister entwickelte eine Formensprache, die den traditionellen Bildraum thematisiert und in Frage stellt. Formen und Farben werden flächig gesetzt, aber so angeordnet, dass sie eine verhaltene Schwingung scheinbar schwebend trägt. Wie Fernand Léger oder Oskar Schlemmer beginnt er in den 20er Jahren die Figur kubisch zu vereinfachen und sie der Bildfläche einzuschreiben. Anders als viele seiner Zeitgenossen geht er in den folgenden Jahren jedoch nicht den Weg hin zu einer immer stärkeren Konstruktion des Bildes, sondern sucht die Gratwanderung zwischen der organischen Komposition und der gegenstandsfreien Konkretion. Der einzelnen Form eignet bei Baumeister immer eine Zeichenhaftigkeit, sie wird evoziert durch einen irregulären Zuschnitt, einen mäandernden Verlauf im Bild oder einen scheinbaren Reliefcharakter. Oft ist es, als suche er das fehlende Dritte, dies ist sicher auch ein Grund, warum er immer wieder auch Material so einbezieht, dass die Bilder dreidimensional in den Betrachterraum reichen. Auf seinen Bildern begegnen wir Formen, mit denen wir Verschiedenes assoziieren mögen: archaische Werkzeuge, unbekannte Kleinstlebewesen, es sind organische oder anorganische, kalligraphische oder zufällige Fragmente, die er zu einer geheimnisvollen Ordnung konstelliert. Oft scheinen es Zeichen für Wachstum oder bildnerische Analogien für den Prozess der Metamorphose. Man sieht Verwandschaft zu den synästhetischen Kompositionen von Kandinsky, zu den subtilen Ordnungen von Fritz Winter, nicht zuletzt zur suprematistischen Bildidee von Malewitsch. Alle hat er kennengelernt, und wechselseitige Einflüsse kann man voraussetzen. Unverwechselbar ist jedoch das, was man Baumeisters mythische Sicht auf die Welt nennen könnte. Sie wahrzunehmen und gegenwärtig zu halten, kann die Kunst oder allgemeiner die Darstellung in Bild und Schrift eine Zugangs- und Bewahrungsform sein.

In seiner Schrift „Über das Unbekannte in der Kunst“, die 1947 erscheint, formuliert er diese Fundierung seiner Ästhetik. Sie gehört nicht zuletzt zu den bedeutendsten künstlerischen Statements gegen die Herrschaft des Nationalsozialismus, die aus der inneren Emigration heraus entstanden. Baumeister, der 1937 als Lehrer entlassen wurde und fortan Ausstellungsverbot hatte, malte weiter und er begann zu schreiben. Nach dem Krieg gehört er sicher zu den prägendsten Persönlichkeiten, an denen sich die jüngere Generation orientierte. Auf dem berühmten Darmstädter Gespräch bezieht er erneut Stellung gegen die kulturkonservative Kritik an der modernen Kunst, wie sie von Hans Sedlmayr vorgebracht wird. Es ist nicht nur deshalb konsequent, dass in der derzeitigen Ausstellung den Bildern ein wichtiger Teil gewidmet, die Baumeister „im Verborgenen schuf. Es sind meist kleinere Formate und Zeichnungen von bannender Kraft und ernster, fast starrer Intensität, aber auch mit humorvoller Freiheit des künstlerischen Ausdrucks. Dazu zählen die in der inneren Emigration in Urach am Fuß der Schwäbischen Alp geschaffenen Arbeiten zum Gilgamesch-Epos und zu anderen Dichtungen. “Anders als viele Künstler der Moderne blieb Baumeister der Vorstellung von Kunst als Scharnier zwischen unserem inneren Verständnis und dem äußeren Sosein von Wirklichkeit verhaftet. In seinen Arbeiten konglomeriert er gleichsam Grundformen und Muster, die er über die Zeiten hinweg vorfindet und die sich unwillkürlich zeichenhaft lesen. Es geht ihm sicher weniger um die Entzifferung der Welt als vielmehr um die Weisen ihrer Verschlüsselung. Es wäre daher falsch zu sagen, Baumeisters Kunst hält das Mystische präsent. Eher sensibilisiert sie uns für den schmalen Grat zwischen dem was wir (noch) „Form“ und dem was wir (schon) „Zeichen“ nennen. Darin ist er einer nachmodernen Malerei fast näher als der seiner eigenen Generation.


Literatur:

© Karin Wendt 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 39/2006
https://www.theomag.de/39/kw47.htm

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