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Magazin für Theologie und Ästhetik


Schäumende Medien

Überlegungen zu Sloterdijk

Matthias Wörther

Philosophischer Champagner

Die nachfolgenden Überlegungen sind ein Nebeneffekt meiner sommerlichen Ferienlektüre im vergangenen Jahr. Normalerweise kaufe ich zu diesem Zweck keine philosophischen Werke und schon gar nicht ein dreibändiges Opus mit summa summarum 2500 Seiten. Aber im Falle von Peter Sloterdijk darf man da schon einmal eine Ausnahme machen, denn Sloterdijk kann so virtuos schreiben, dass ein richtiger Lesesog entsteht, wenn man erst einmal mit dem Lesen begonnen hat. Er formuliert mit einer unglaublichen Eloquenz, aber seine Bücher sind nicht nur eloquent, sondern höchst ideenreich, in vielerlei Hinsicht anregend und außerdem sehr üppig illustriert, was nicht eben typisch für Philosophen und ihre literarischen Hervorbringungen ist. Die Lektüre seiner Bücher lässt sich ohne Übertreibung mit dem Genuss von Champagner vergleichen: Champagner schäumt, belebt, steigt zu Kopf, kann unter Umständen aber auch leise Zweifel hinterlassen, wie viel Substanz das Konsumierte eigentlich besaß. Womit die Titel gebende Metapher vom 'Schäumen' bereits in den Blick gekommen wäre.

Sloterdijks Riesenwerk 'Sphären' besteht aus drei Bänden: 'Mikrosphärologie' (I, Blasen), 'Makrosphärologie' (II, Globen) und dem Abschlussband 'Plurale Sphärologie' (III, Schäume).[1] Meine Überlegungen verdanken sich in erster Linie dem Anstoß durch eine Äußerung Sloterdijks in Band I, wo er schreibt, es werde "für den freien Geist von Vorteil sein, sich von dem antichristlichen Affekt der letzten Jahrhunderte wie von einer nicht länger nötigen Verkrampfung zu emanzipieren" [2], um dann auf das Urchristentum als Bezugspunkt für die Rekonstruktion von kommunionalen und kommunitarischen Grunderfahrungen sprechen zu kommen. Er will sagen: Hier, am Fall des Urchristentums, sei zu beobachten, wie aus bestimmten Formen der Kommunikation bestimmte Formen menschlichen Zusammenlebens entstünden. Die Theorie dazu finde sich in der paulinischen Geistlehre.

Ein solcher Rückgriff auf die Tradition erfüllt einen Theologen und Medienpädagogen, der im kirchlichen Mediengeschäft tätig ist, mit einer gewissen Genugtuung. Bekommt er doch hier von unerwarteter Seite bestätigt, dass Theologie nicht, wie es das Klischee der Aufgeklärten und die Hochnäsigkeit einer vermeintlichen oder tatsächlichen Avantgarde will (und sein eigener Minderwertigkeitskomplex ihm meistens auch noch zustimmend bestätigt), nur ein verstaubtes, antiquiertes, doktrinäres und verblasenes Denkgebilde ist. Theologie erscheint in dieser Sicht als ein Begriffsinstrumentarium, mit dem man auch in der Moderne zu brauchbaren Erkenntnisse gelangen kann.

Was die Theologen natürlich schon immer behauptet haben und weiter behaupten, ohne allerdings in der Regel überzeugende Belege für diese angebliche Gegenwartsrelevanz der Theologie zu erbringen (jedenfalls aus Sicht einer postmodernen Industrie- und Informationsgesellschaft). Diese nicht nur als Klischee existierende Antiquiertheit theologischen Denkens und kirchlicher Anmutung hat Sloterdijk auch keineswegs aus dem Blick verloren: "Inzwischen haben die Apparatkirchen selbst, die reformatorischen wie die römische, eher subkulturellen Charakter angenommen ..." [3] Er sieht auf einer subventionierten Bühne "... eine Pantomime der Kinderlosigkeit und der Töchterverachtung ..." ablaufen, die sich nur noch mühsam auf dem Spielplan der Gegenwart halten kann. [4]

Wenn Sloterdijk dennoch auf die theologische Tradition zurückgreift, dann deshalb, weil er in ihr, ungeachtet ihres schwachen Auftritts im neuzeitlichen Diskurs, eine ausgearbeitete Sprache für starke Beziehungen findet. Die in der kirchlichen Tradition entwickelte theologische Theorie von Beziehungsprozessen ist offenbar weit besser als die angeblich auf ihrer Basis kirchlich gelebte Kommunikations- und Gemeinschaftspraxis. Diese Theologie wird in der Sphären-Trilogie durch Sloterdijk gleichsam von außen gerettet.

Keine andere Denkrichtung hat sich seiner Meinung nach so intensiv mit Kommunikation als dem Schlüsselphänomen aller menschlichen Wirklichkeiten beschäftigt und besitzt so klar ausgearbeitete und subtil entfaltete Begrifflichkeiten, die geeignet sind, diesem Phänomen beizukommen.

Von einer Sprache der schwachen und starken Beziehungen und der Stiftung von Gemeinschaft ist es nicht weit zu medientheoretischen Überlegungen, die sich implizit wie explizit immer mit kommunikativen (Beziehungs-)Zusammenhängen beschäftigen.

Es ist deshalb nicht weiter erstaunlich, dass in Sloterdijks Sphärologie eine fruchtbare Nähe zwischen Theologie und Medientheorie entsteht. Auf der Suche nach einer Lehre vom 'Leben-inmitten-von-Leben' und von Gesetzmäßigkeiten intimer Beziehungsräume, also einer Theorie der Interintelligenz oder eines Modells des Zusammensein von Etwas mit Etwas in Etwas, kommt Sloterdijk zwangsläufig zu dem, "was man in aktueller Terminologie eine Medientheorie nennt."[5]

Deren Basis findet er in der griechischen und lateinischen Väter- und Lehrerzeit, die sich in der Christologie intensiv mit der Verschränkung der beiden Naturen des Gottmenschen und in der Trinitätslehre mit den innertrinitarischen Beziehungen zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist befasst hat. Es ist das "... goldene Zeitalter der subtilen Topologien, die von Orten im Nicht-Wo handeln." [6]

Mit 'Orten im Nicht-Wo' meint Sloterdijk Orte, die sich nicht in den Koordinatenrastern von Raum und Zeit lokalisieren lassen: Man befindet sich immer dann an einem Ort des Nicht-Wo, wenn man sich im Raum der Beziehungen bewegt.

Dieser Raum der Beziehungen wird durch das gegenseitige Durchdringen von Personen aufgespannt: Wenn sich Menschen tatsächlich wahrnehmen, befinden sie sich als Wahrgenommene im Innenraum des jeweils anderen. Diese gegenseitige Durchdringung, die Beziehungs-Orte im Nicht-Wo entstehen lässt, charakterisiert neben den interpersonalen Beziehungen auch Beziehungen weniger fundamentaler Natur: etwa Erinnerungen, Sehnsüchte, Träume, Utopien, ästhetische Eindrücke.

So könnte man in dieser Terminologie zum Beispiel Erinnerungen als die gegenseitige Durchdringung unterschiedlicher Zeiten in einer Person bestimmen. Eine sich erinnernde Person befindet sich einerseits in der Vergangenheit, obwohl sie sich als gegenwärtig erfährt, und andererseits hält sie sich in der Gegenwart auf, obwohl sie sich 'gleichzeitig' selbst in der Vergangenheit erlebt.

Dass in einer so umrissenen Beziehungs-Topologie eine umfassende Medientheorie steckt, leuchtet sofort ein: In dem Moment, in dem ich mich auf ein Medium beziehe, welcher Art auch immer, das als Medium wiederum von sich her die Konstitution von (Sinn)-Beziehungen intendiert, befinde ich mich an einem Ort des Nicht-Wo.

Schlüsselbegriff Perichorese

Der theologische Schlüsselbegriff für die gegenseitige Durchdringung von Personen in einem Beziehungsraum heißt 'Perichorese'. Perichorese sei ein Begriff, so Sloterdijk, den selbst Theologen "...nur selten kennen und im Fall des Kennens meist unzulänglich verstehen." [7]

Mit 'Perichorese' hat als erster Johannes von Damaskus das Ineinander der göttlichen Personen in der Trinität zu benennen versucht: "Indem der Damaszener dieses alte Bewegungswort in den begrifflichen Rang erhebt - wonach es soviel wie Ineinandersein, Ineinanderverschränkung, Ineinandereindringen bedeutet -, gelingt ihm eine der geistvollsten Begriffsschöpfungen der abendländischen Ideengeschichte." [8]

Johannes von Damaskus (675 749) ist so betrachtet der Begründer einer perichoretischen Kommunikations- und Medientheorie. Für Sloterdijk gelangen die alten Theologen in diesem Begriff zu einem "völlig entphysikalisierten Personen-Raumbegriff", in dem der "Sinn von In (Hervorhebung von mir) endgültig von jeder Art des Behälter-Denkens losgemacht" [9] wird. Der 'seltsame Ausdruck' Perichorese "... steht für nicht weniger als für den anspruchsvollen Gedanken, dass die Personen nicht in äußeren, bei der Physik geliehenen Räumen lokalisierbar sind, sondern dass sie den Ort, an dem sie sind, selber durch ihre Beziehung zueinander stiften." [10]

Perichorese versus Behälter-Denken

Eine Sehweise, nach der man den Ort, an dem man sich befindet, durch seine Beziehungen selbst stiftet, ist vielen, wenn nicht sogar den meisten der gängigen Medientheorien einigermaßen unverständlich. Sie sind in aller Regel Spielarten des von Sloterdijk vehement kritisierten 'Behälter-Denkens' oder, mit einer Formulierung von Karl Popper, einer Variante der 'Kübel-Theorie des menschlichen Geistes': "Unser Kopf ist ein Kübel. Er hat Löcher, und bei den Löchern fließt die Information von der Welt hinein. Das ist auch die Grundtheorie der Pädagogik. Die Trichtertheorie ist dann die Theorie des Lehrprozesses. Der Kübel bekommt noch extra einen Trichter aufgesetzt, und dort gießt man dann das Wissen hinein." [11]

Dieses Kübel- und Behälter-Denken hat durch die modernen Informationstechnologien und die mit ihnen verbundenen Metaphern und Analogien über Philosophie, Kognitionswissenschaften und Pädagogik hinaus erneut eine weite Verbreitung gefunden. Sobald man Menschen und ihr Gehirn in Analogie zu informationsverarbeitenden Maschinen versteht und zum Beispiel Strukturentsprechungen zwischen dem Gehirn und der Funktionsweise von Computer-Festplatten herstellt, gerät die Beziehungsdimension jeder Form von Kommunikation schnell aus dem Blick. Derartige 'Verortungen' in technisch gedachten Systementwürfen verstellen den Blick für die jenseits raumphysikalischer Koordinaten befindlichen menschlichen Wirklichkeiten, für die Nicht-Orte, an denen wir uns befinden können, obwohl scheinbar klar ist, wo wir 'wirklich' sind: im Kino, im Wohnzimmer, auf der Straße.

'Medienwirkung' zum Beispiel wird im Kübel-Denken schnell auf ein simples Reiz-Reaktions-Schema verknappt, Lernen stellt sich als bloßer Informations-Input dar, Wissen wird im Kopf in Form kleiner Bilder lokalisiert, gespeichert und abgerufen, Information erscheint als reine Ja-Nein-Alternative, Aggressionsbereitschaft von Jugendlichen ist die direkte Folge gewalthaltiger Filme (weil sie die falschen Bilder speichern) und so weiter.

Betrachtet man Medienwirkung dagegen als eine Form der Perichorese, dann stellt sie sich als eine Verschränkung von Innen und Außen dar, in der sowohl das Medium als 'Äußeres' seinen Weg in das Innen des so genannten 'Rezipienten' findet, andererseits aber auch dessen Innen wiederum sich durch den Bezug auf das Medium nach außen wendet und dort sichtbar wird.

Am Anfang solcher medialen Perichoresen steht immer das manchmal atemlose Staunen angesichts der Begegnung mit einem Äußeren in seiner als Offenbarung erfahrenen Neuheit und die geahnte oder blitzartig gewusste und absolute Sicherheit, dass dieses Äußere, dieses 'Medium', in welcher Weise auch immer, einen selbst betrifft und betreffen wird: "Inmitten Tausender alltäglicher Anblicke von Zeug, von Menschenkörpern, von Umständen leuchten in auserwählten Augenblicken Gestalten auf, die der Seele bezaubernd nahe gehen." [12]

Anschauliche Perichoresen I: Schultze

Schultze, der Protagonist des wunderbaren Films 'Schultze gets the Blues', ein gegen seinen Willen in den Vorruhestand versetzter Arbeiter in einem Salzbergwerk, spielt Akkordeon. Auf dem Akkordeon spielt er das, was in seinem traditionell orientierten Musikverein üblich ist und gerne gehört wird, also Polkas und andere volkstümliche Stücke. Nichts scheint dagegen zu sprechen, dass er dieser Musikrichtung bis an das Ende seiner Tage treu bleibt. Nur: eines schönen Abends sucht er in seiner Küche auf der Skala des Radios einen für den Ausklang des Tages brauchbaren Sender und plötzlich, ohne Vorwarnung, dringt etwas in ihn ein, durchdringt ihn, versetzt ihn in anhaltendes Staunen: Eine Musik, die, wenn sie ihm je schon zu Ohren kam, bis dahin jedenfalls keinen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Was da aus dem Radio klingt, ist Zydeco, sind akkordeonunterlegte Klänge aus dem Süden der USA. Plötzlich klingt etwas im Raum, das seiner Seele bezaubernd nahe ist.

Und nun ist Schultze zwar immer noch in seiner Küche, aber doch schon ganz woanders: er ist an einem Ort, wo die neuartige und unerhörte Musik zu ihm spricht, er ist in seiner Zukunft, die in diesem Moment eine unerwartete Richtung bekommen hat und er befindet sich in seiner Vergangenheit, der bis dahin etwas gefehlt hat, was er vielleicht spürte, wovon er aber nichts wusste. Schultze beginnt seinem Instrument Klänge zu entlocken, die bis dahin in ihm verborgen geblieben waren.

Dieser eine, eine unbekannte Wirklichkeit offenbarende Moment von 'Medienwirkung' ist die Keimzelle der Geschichte Schultzes, die der Film von nun an erzählt (und von Anfang an erzählen wollte), und der Beginn von Schultzes neuem Leben. Sloterdijk beschreibt solche Perichoresen, wie Schultze eine erlebt, als Prozesse 'ekstatischer Immanenz' [13], die in trinitätstheologischer Begrifflichkeit erschlossen werden können. Die Trinitätstheologie sei durch ihren perichoretischen Charakter: "...von Grund auf medial verfasst; sie lebt im Element von starken Beziehungen. Deren symbolische Form ist die Kommunion als Seinsweise, als Transaktion und als Sakrament." [14]

Anschauliche Perichoresen II: Die Wolfratshausener Madonna

Die Vorgeschichte ist folgende: Vor einigen Jahren gab es in Wolfratshausen bei München eine Auseinandersetzung um eine Marienfigur, die manchen nicht gefiel und einige sogar so sehr erboste, dass sie die Statue von ihrem Standort auf einer Brücke in den darunter liegenden Fluss stürzten. Offenbar ein eklatanter Fall von Medienwirkung.

Das Foto zeigt einen jener, die der Meinung waren, dass man Maria so wie in der neben ihm stehenden Plastik nicht darstellen dürfe. Darum hält er das 'richtige' Bild von Maria kontrastierend in der einen und die begriffliche Erläuterung seiner Haltung in der anderen Hand. Befragt, würde er von seinem Nicht-Ort 'Das richtige Bild von Maria' sprechen, an dem er sich befindet und der ihm vermutlich wichtiger ist, als die meisten 'realen' Orte.

Der Nicht-Ort, an dem er sich befindet, ist auf dem Foto natürlich nicht zu sehen, wird aber dennoch sichtbar: Es ist der durch einen perichoretischen Durchdringungsprozess bestimmte Beziehungsraum, in dem sich theologische wie künstlerische Auffassungen von Maria, Darstellungskonventionen, Bildtraditionen, Zeitgeist, persönliche Glaubenseinstellungen und der Ausdruckswille eines Menschen gegenseitig durchdringen. Diese komplexe Perichorese erzeugt Gefühle und Handlungsimpulse, bringt Erklärungen hervor und nimmt Einfluss auf konkrete Lebensgeschichten. Natürlich kann man sich dem durch das Foto und seine Erläuterung greifbaren Nicht-Ort wiederum kritisch nähern und behaupten, an genau diesem Nicht-Ort könne und dürfe man sich aus ästhetischen, theologischen oder sonstigen Gründen sinnvoll gar nicht befinden. Wir, als Kritiker, befinden uns dann selbstverständlich ebenfalls an einem beziehungsgestifteten Nicht-Ort und in neuen Perichoresen.

An dieser Stelle geht es zunächst jedoch nur um die Veranschaulichung des Begriffs 'Perichorese', nicht jedoch um eine pädagogische Einstufung oder ästhetische Bewertung von medialen Durchdringungen mit religiösen Konnotationen: Alle Medienwirkungen und alle Formen von schwachen und starken Beziehungen funktionieren so komplex wie an den beiden Beispielen ansatzweise gezeigt, unabhängig davon, an welchem Nicht-Ort man selbst sich zu befinden glaubt.

Will man Nicht-Orte beschreiben, erschließen oder kritisieren, muss man entsprechend ihrer Komplexität komplexe Theoriemodelle verwenden.

Oder mit Sloterdijk zu reden: "Was sind Medientheorien anderes als Vorschläge, das Wie und Wodurch des Zusammenhangs von verschiedenen Existierenden in einem gemeinsamen Äther zu erläutern?" [15]

Sloterdijk über Medien: Weitere Bausteine einer perichoretischen Medientheorie

Sloterdijk führt die skizzierte perichoretische Medientheorie in seinem Sphären-Projekt nicht im Detail durch, aber 'Medien' im weiteren und engeren Sinn sind immer wieder Thema und Bezugspunkt seiner Überlegungen, ob er nun die Engellehre als einen der "historisch unentbehrlichen Zugänge zur Theorie der medialen Dinge" [16] qualifiziert oder die Medien überhaupt als entscheidende Mittel zur "Selbstpaarung" bestimmt.

Weitere wichtige, in seinem Sphären-Projekt auffindbare Bausteine einer solchen Theorie sind:

a) Die Frage nach dem, was mich selbst in der Flut der Medien betrifft: "Wie ist es möglich, dass ich für Milliarden von Botschaften ein Fels bin, gegen den sie ohne Resonanz anbranden, während gewisse Stimmen und Weisungen mich aufschließen und zittern machen, als wäre ich das auserwählte Instrument für ihr Lautwerden, ein Medium und Mundstück nur für ihren Drang zu ertönen?" [17]

Mit dieser Fragestellung direkt verknüpft sind die mit den Schlüsselbegriffen 'Staunen' und 'Der sechste Sinn' gekennzeichneten Sachverhalte.

Das Staunen ist Ursprung jeder Medienwirkung, denn in ihm entdeckt man etwas als wirklich für sich selbst. Und dieses nicht her leitbare Staunen wiederum ist Teil eines sechsten Sinnes, der alle anderen Sinne umfasst: "Der sechste Sinn ist stets der erste, denn durch ihn wissen Menschen ohne Induktionen und indirekte Forschung auf der Stelle, woran sie sind - mit sich selbst und mit anderen und allem." [18]

b) Gleichzeitig vermag Sloterdijk jedoch auch zu erkennen, dass diese Milliarden von potentiell bedeutsamen Botschaften für jeden Menschen eine Überforderung sind: "Keine Institution, und wäre es eine Kirche, die kata holon dächte und universal liebte, und erst recht kein Einzelner, der tapfer weiter liest, kann sich noch einbilden, offen genug zu sein für alles, was eindringt, redet und begegnet ..." [19] Dementsprechend erhellt sich jedem nur ein kleiner Lichtkreis des Gewussten und ihn Betreffenden, der sich aber an seinen Grenzen nach außen in permanentem Austausch mit dem ihn umfassenden dunklen Kontinent des Nichtgewussten und noch nie Wahrgenommenen befindet und immer wieder neues Staunen hervorrufen kann. Pädagogisch gesprochen bleibt uns deshalb nur ein "aufgeklärtes Ignoranz-Management" (20), dessen Hauptaufgabe in der fortlaufenden Aktualisierung der eigenen Defizite besteht.

c) Angesichts einer solchen Überforderung würde es nahe liegen, in das allgemeine Lamento über die Medien- und Bilderflut einzustimmen. Sloterdijk kann zwar die Moderne durchaus auch unter dem Motto eines 'Verlustes der Mitte' lesen und die Globalisierung als Sieg des Interessanten über das Ideale charakterisieren, stellt dann aber auch klar: "In der Geschichte sämtlicher Zivilisationen wurden, entgegen gängiger Kulturkritik und Verfallstheorie, noch nie so viele Zeiteinheiten in das Lesen von Büchern, Magazinen und Zeitungen, das Hören von Musik aller Gattungen, das Betrachten von Fernsehprogrammen ... etcetera investiert wie in der Gegenwart ..." [21] Und das findet er in jeder Hinsicht positiv.

d) Dieses unüberschaubare Feld der Anregungen ist jedoch nicht nur individuell-intellektuell, sondern auch gesamtgesellschaftlich und im Blick auf die Konstruktion gegenwärtiger Biografien zu interpretieren, denn niemand lebt außerhalb dieses Feldes. Im "quasitotalen Allomutterstaat des 20. Jahrhunderts" [22], einer ungemeinen Ausweitung des "(Allo)-Mutter-Kind-Feldes" [23], kommt auch der neuen und umfassenden Medien-Umwelt eine bedeutende Rolle zu. Sie ergänzt den Allomutterstaat um protektiv-verwöhnende, animierende und passivierende Elemente. [24]

Was sowohl positive wie negative Aspekte hat: Die Medienwelt schützt und umgibt uns wie eine Mutter, sie kann uns aber auch gefangen setzen, die Perichorese verhindern, anstatt sie zu ermöglichen oder Nicht-Orte generieren, die über ihre Nicht-Verortbarkeit im Raum-Zeit-Kontinuum hinaus Orte der Sinnlosigkeit auch im semantischen Zusammenhang sind.

Die Metapher vom Schaum

Band III von Sloterdijks Sphären-Opus trägt den Titel 'Schäume'. Sloterdijk verwendet 'Schaum' als Metapher und als Gegenbild zu allen die Wirklichkeit unzulässig systematisierenden Gedankenentwürfen und Erklärungsmodellen der Dauerhaftigkeit und der großen Ordnungen: "Noch immer liegt auf den modernen Theorien und den Theorien der Moderne der lange Schatten des Substanzdenkens, das dem Akzidentiellen so wenig Geschmack abgewinnt." [25] Die mit 'Schaum' verbundenen negativen und abwertenden Assoziationen, also dessen Kurzlebigkeit und scheinbare Substanzlosigkeit, das Schillernde, das Flüchtige und Formlose an ihm, das 'als zu leicht befundene' begreift er als zuverlässigere Beschreibung der Gegebenheiten denn die vermeintlich eherne Begrifflichkeit mathematischer und philosophischer Logiken. Was bringt die Schaum-Metapher an Einsichten für eine Medientheorie? Welchen Geschmack kann sie der schnelllebigen Welt der medial vermittelten Bilder, Töne, Texte, Filme und Schlagzeilen abgewinnen? Wie jede Metapher kann sie, und das ist generell das produktive Potential von Metaphern, vermeintlich fest Gefügtes in ein neues, überraschendes und erhellendes Licht setzen. Allerdings wird auch die Metapher vom Schaum immer partiell bleiben. Sie kann anderes als andere Metaphern und bestimmte Aspekte sicher auch besser sichtbar machen, jedoch ebenfalls nicht alles erklären können. Metaphern haben etwas Spielerisches. Der Schaum-Metapher wohnt dieses Spielerische von vornherein inne. Spielerisch auf die bereits genannten Bausteine einer Sloterdijkschen Medientheorie angewendet, erweist das Reden vom Schaum im Zusammenhang der Medien seine Brauchbarkeit.

a) Für die Erläuterung des Begriffs Perichorese besitzt das Schaumbild vielleicht am wenigsten Überzeugungskraft, denn die Blasen des Schaums durchdringen sich ja nicht gegenseitig. Aber sie grenzen aneinander und ihre Membranen sind durchlässig: So kann eine Blase an eine Reihe anderer Blasen angeschlossen sein und kommuniziert mit ihnen. Auch der Prozess, in dem Schaum entsteht, kann perichoretisch begriffen werden: im wilden und heftigen Aufschäumen der Mediengesellschaft gehen Schaumblasen ineinander auf, geraten Blasen und Blasenkomplexe miteinander in Beziehung und verbinden sich zu größeren Gebilden. Sinngebiete entstehen und gehen wieder verloren. Gleichzeitig relativiert die Schaum-Metapher diesen Durchdringungsprozess aber auch: Perichorese bleibt immer lokal. Nie kann im Schaum alles mit allem systematisch verbunden werden. Der Schaum gebiert keine umfassende und geschlossene Weltanschauung, sondern stellt einen offenen Prozess dar: Ein Reich der Zufälligkeiten mit offenen Grenzen in alle Richtungen.

b) Die Zufälligkeiten im Aufschäumen haben gleichzeitig etwas Relatives wie Absolutes: Wo es einen im Schaum hin verschlägt, kann nicht vorhergesagt werden, aber offenbar ist der Schaum (der Medien) reich genug, dass eben unter den Milliarden Botschaften immer auch solche in meiner Reichweite auftauchen, die für mich bestimmt sind und zu meiner dann auch 'absoluten' Welt werden. Ich bin im Schaum verloren und dennoch in ihm daheim.

c) Zum Lamento über die Unstrukturiertheit, Unüberschaubarkeit, Konturlosigkeit und Vergänglichkeit des Schaums ist also wirklich kein Anlass. Dessen diffuse Eigenschaften entsprechen den diffusen Gegebenheiten in der Welt der Medien und den Unwägbarkeiten des Lebens überhaupt offenbar besser als die tradierte Deutungs- und Ordnungsmuster. Wie etwa soll man mit einfachen Kausalbeziehungen dem Anregungs- und Beziehungschaos im Medienschaum sinnvoll Herr werden können? Und welche neuzeitliche Biografie ließe sich noch als linearer Entwicklungs-, Bildungs- und Reifungsprozess darstellen?

d) Der Schaum wird zur Chance. Zwar stellt sich das Leben in ihm einerseits als Ignoranz-Management dar, denn man kann niemals mehr wissen, als das, was einem durch die einen direkt umschäumende Welt angeliefert wird, aber deren Schäumen ist gleichzeitig die permanente Chance, die eigene Ignoranz abzubauen. Intelligenz bestimmt sich deshalb für die Mediengesellschaft als "Navigationsfähigkeit in einem Chancenraum." [26]

e) Der Chancenraum Schaum wird nicht zuletzt durch die Medien als Teil der Allomutter-Natur neuzeitlicher Gesellschaften aufgespannt. Man wird in den Schaum hinein geboren, von ihm angeregt, geschützt, abgefedert und aufgefangen.

Dieser Luxus an Möglichkeiten steht ähnlich wie der Schaum selbst unter Verdacht. Auch hier sieht die Kulturkritik zuerst und meistens leider auch ausschließlich die zweifellos gegebenen Risiken des Lebens im Schaum: Fremdbestimmung, Müßiggang, Täuschung, Konsum, Bequemlichkeit usw.

Sloterdijk dagegen hat eine andere Perspektive: der Luxus des Schaums muss seiner Meinung nach nicht mit Schuldkomplexen aufgeladen werden. Weder wird er dadurch entwertet, dass (bislang) nicht die ganze Welt an ihm teilhat, noch ist es von vornherein moralisch verwerflich, sich den Möglichkeiten der Gegenwart kreativ und als Genießer und nicht als abstinenter (Medien)-Asket zu nähern.

Sloterdijk bricht eine Lanze für den Luxus der Vielfalt und ein Leben, das sich an seinen Beziehungsmöglichkeiten erfreut. Er nennt diese Freude am Reichtum der Wirklichkeit den "Ausbruch aus dem Realitätsmodell der Mangelontologie." [27]

Schäumende Medien

Die Erschließungskraft einer Metapher erweist sich in ihrer Konkretion. Was also ergibt die Metapher vom Schaum für die ungemein komplexe Welt der Medien, wenn man nach Veranschaulichungen der in ihr angelegten Modelle und Konsequenzen sucht?

Beispiel 1: Schaumbad

Der weiter unten zitierte Passus aus Band III der Sphärentrilogie macht das im Schaum verborgene Struktur- und Erklärungsmodell plastisch greifbar. Sloterdijk spricht vorher von Milieus, die innerhalb von Landschaften unterschiedlichster Schaumtypen relativ homogene Schäume bilden und untereinander vernetzt sind. Die Rede von der Vernetzung macht hier auch eine der Beschränkungen der Schaummetapher deutlich. Zwar trifft sie das gleichzeitige Nebeneinander einer Vielzahl von in sich relativ abgeschlossenen Subkulturen, vermag aber die innere Verbindung weit von einander entfernter, jedoch verwandter Blasen im Medien-Schaum nicht darzustellen. Das wiederum leistet die Netzmetapher, die auf E-Mail, Internet, Funk- und Telefonnetze usw. zielt, also auf die einzelnen Schaumblasen kreuz und quer verbindende Strukturen, die sich in den Schaum legen, ihn stabilisieren und die Beziehungsmöglichkeiten in ihm ein weiteres Mal potenzieren. Die chaotisch und unkontrolliert schäumenden Medien haben daher ihre eigene innere Ordnung: "Die Szene der professionellen Elvis-Imitatoren - es soll über 40 000 auf der Welt geben - trifft sich in jährlichem Turnus in wechselnden Städten der Vereinigten Staaten; die Harley Davidson-Fahrer diesseits und jenseits des Atlantiks bilden Netzwerke unter den sperrigsten Regeln; die Rosenzüchter aller Länder leben zurückgezogen hinter den unsichtbaren Mauern eines gut organisierten Wahns. Was soll man über die seltsam kohärenten Welten der Caninophilen oder der Haflinger-Freunde sagen? Wer kann sich gleichzeitig auskennen in den Subkulturen der Golfer, der Schach-Experten, der Pferde-Osteopathen, der Body-Builder, der Mountain-Bike-Fahrer, der Swinger, der Jungdemokraten, der Drachenflieger, der Paläolinguisten, der Lack-Fetischisten, der Liebhaber von Süßwasseraquarien, der Tango-Fans, der Sammler von Comics, Flugzeugmodellen und altem Silber?" [28]

Beispiel 2: Selbstpaarung

Wendet man den Blick vom Gesamtschaum und den ihn durchziehenden Netzwerken auf die einzelnen Blasen, die den Schaum bilden, dann lassen sich diese auch als von Individuen bewohnte Egosphären verstehen: Wohnorte, Apartments in Wabenhäusern, endlos wiederholte Reihenhäuschen usw. Zentral in diesen Egosphären sind nicht nur die realen anderen, sondern zunehmend auch die Medien, die aus modernen Beziehungsräumen nicht mehr wegzudenken sind. Selbstentgrenzung: Das ist durchaus nicht negativ gemeint, genau so wenig wie der Begriff der 'Egosphäre'. Auch wenn er alleine ist, so Sloterdijks Ansatz, ist der Mensch doch mindestens ein (virtuelles) Paar, ein Paar im Geiste: jemand, der sich selbst über Medien in sich selbst perichoretisch spiegelt und so auch als ein möglicher anderer erlebt. Der Single-Haushalt dient Sloterdijk als Beispiel einer Egosphäre in Reinkultur. Der Einzelne erfährt sich hier als jemanden, der sich vorwiegend in wechselnden Zuständen mit sich selbst erlebt: "Zur Verwirklichung der Selbstpaarung sind die Medien vorauszusetzen, die wir als Egotechniken bezeichnet haben - es sind dies die gängigen medialen Träger der Selbstergänzung, die ihren Benutzern ein ständiges Zurückkommen auf sich und eo ipso die Paarbildung mit sich als innerem Überraschungspartner erlauben." [29] Medien als Träger der Selbstergänzung und Instrumente von Sloterdijk integriert damit die Medientheorie in den von Beziehungen her konzipierten Gesamtansatz seines Werkes, der Menschen von vornherein nicht als isolierte, autonome, allein von ihren Sinnen, ihrem Bewusstsein und ihrem Denkvermögen her zu bestimmende Wesen betrachtet, sondern sie immer in ein Umfeld eingebettet sieht. Seine Philosophie ist schon im Ansatz eine Paarphilosophie: "Darum heißt philosophisch nach dem Menschen zu fragen an erster Stelle: Paar-Ordnungen untersuchen, offensichtliche und nicht so leicht sichtbare, solche, die mit umgänglichen Partnern gelebt werden, und solche, die Allianzen mit problematischen und unerreichbaren Anderen stiften. Vom unbegleiteten Einzelnen spricht weiter nur die Idologia perennis, die sich im Hauptstrom der individualistischen Abstraktion treiben lässt." [30] Mediennutzung ist in diesem Sinn eine Paarbildung.

Beispiel 3: Mediale Tauchanzüge

Der Medienschaum liefert Anregungen und Querverweise bis zur Überforderung, aber die immer differenziertere Medientechnik stellt gleichzeitig die Mittel zur Immunisierung gegen die Überforderung her: Jeder kann sich in die Blase zurückziehen, die für ihn Sinn macht. Man kann sie gegen den Rest des Schaums abschotten und sie mit sich führen, wenn man sich in fremden Umgebung, das heißt in nicht vertrauten Schaumtypen bewegt. Sloterdijk nennt die heute überall zu beobachtende Kombination von Kassetten- oder CD-Player und Kopfhörer (in ausgebauter Form auch als Autozelle mit hochwertiger Stereoanlage) eine Insulationstechnik "... die der Einführung des akustischen Mikroapartments in den öffentlichen Raum gleichkommt; man könnte auch von einem akustischen Tauchanzug sprechen. Die moderne Gesellschaft vibriert millionenzellig in sonoren Schäumen ..." [31] Diese 'Mikroapartments', in die man mit elektronischen Tauchanzügen unterschiedlichster Bauart abtaucht, immunisieren nicht nur gegen unerwünschte Einflüsse von außen, sie sind gleichzeitig auch Orte der Konzentration auf das, was einen tatsächlich interessiert und betrifft: Heimatblasen im unendlichen Schaum. Es stimmt nämlich nicht, dass die Menschen nur zerstreut seien. Ihr sechster Sinn veranlasst sie durchaus, nach neuen Ruhe-Orten zu suchen. Man geht nicht in den Wald, sondern setzt sich Kopfhörer auf. Dass die medialen Tauchanzüge nicht nur rettend immunisieren, sondern auch die Lebensluft abschneiden können und von der Wirklichkeit isolieren, bleibt dabei unbestritten.

Beispiel 4: Virtuelle Nachbarschaft

Die medialen Tauchanzüge können zu abgeschlossen Monaden werden, darin liegt ein Risiko der schäumenden Medienwelt. Aber in der Regel sind sie untereinander verbunden und öffnen sich auf andere Blasen hin, weil Menschen eben Beziehungswesen sind und nicht nur die Paarung mit Medien von Interesse ist. Der Enträumlichung der Beziehungs-Topographie, der durch Mobilität, mediale Taucheranzüge, unvereinbare Gleichzeitigkeit von Subkulturen und Vervielfachung der Orte im Nicht-Wo Vorschub geleistet wird, steuert eine fortschreitende Vernetzung mit den einen selbst betreffenden Blasen entgegen. Der symbolträchtigste Ausdruck dieser durch Telekommunikation hergestellten virtuellen Nachbarschaft ist das Mobiltelefon, kurz: das Handy: "Die effektive Nachbarschaft ist seither nicht die räumliche, sondern die telephonische. Unter immunologischem Gesichtspunkt stellt das Telephon eine ambivalente Neueinführung dar, weil es einen Kanal für riskante Infektionen aus dem Äußeren in die Wohnzelle einleitet, umgekehrt aber den Radius des Einwohners im Sinne erweiterter Bündnisse und Handlungschancen explosiv ausdehnt." [32] Immunisierung wie Infektion bleiben ambivalent. Man muss sich schützen, um man selbst zu bleiben, kann das aber auch soweit treiben, dass man mit überhaupt keiner Wirklichkeit mehr in Kontakt kommt. Umgekehrt vermag man sich auch derart vielen Kontakten ('Infektionen') auszusetzen, dass das eigene Mikroapartment aufplatzt und vollständig im Schaum aufgeht. Vielleicht kann man Medienkompetenz im Medienschaum deshalb so definieren: medienkompetent ist, wer seine Blase im Schaum stabilisieren kann, ohne dabei den belebenden Kontakt zum alles umfassenden Gesamt-Schaum zu verlieren.

Sphäropoiese

Was Sloterdijk in seiner Sphärologie über 2500 Seiten erzählt, denkt und formuliert, kann selbst wiederum mit der doch auch ambivalenten Metapher vom Schaum belegt werden. Was da schäumt und quillt ist ein zwar systematisiertes, aber doch auch offenes, sich überlagerndes und in der Vielzahl der Bilder widersprechendes Gebilde, das im Leser selbst wiederum ein neues, weiter führendes Aufschäumen auslöst. Sloterdijk dafür der Schaumschlägerei zu bezichtigen, ist allenfalls in ironischem Sinne angebracht. Sein Grundansatz überzeugt, weil er sich der Komplexität der Phänomene zu stellen versucht und vor Augen führt, dass die Zeit allumfassender und von oben her konzipierter Ordnungsmodelle vorbei ist. In einem Interview hat er, nach dem Gewinn seines Denkens gefragt, so geantwortet: "Wir gewinnen, dass wir vom Schaum, vom Bild des Schaums her, ein Verhältnis denken, das die Menschen zu denken außerordentlich widerwillig sind. Denn wir möchten normalerweise ja weite Panoramen denken, den Raum mit einem herrschaftlichen Blick erschließen und können nicht verstehen, dass wir in der Welt nicht sind wie ein Feldherr, der von einem Horizont herab einen großen Horizont abgreift, sondern wir sind in der Welt wie Nachbarblasen innerhalb eines Verbundes von benachbarten und ähnlich gebauten räumlichen Systemen. Das heißt also, mit dem Bild des Schaums können wir die zwei Grundmerkmale der menschlichen Existenz denken, das heißt nämlich Nachbarschaft im Sinne von Zusammenarbeit und Isolierung zugleich. Und dieses Verhältnis, isolierte Verbundenheit, connected isolation, wie amerikanische Architekten gesagt haben, ist das Grundverhältnis, das im Schaum zur Erscheinung kommt." [33] Medien sind Mittel zur Sphäropoiese: sie ermöglichen die Herstellung von Räumen nichträumlicher Natur und zwar zunehmend auch unabhängig von Ideologien und Machtstrukturen: Jeder kann seinem Hang zu "eigenwertigem Phantasieren" [34] nachgehen. Diese Kreativität darf nicht länger als Subjektivismus diffamiert werden. Im Gegenteil: die Metapher vom Schaum macht anschaulich, was schon lange der Fall, aber noch nicht in allen Köpfen angekommen ist: "Die meisten Straßen führen nicht nach Rom - das ist die Lage, Europäer, erkenne sie." [35]

Es gibt keine Zentralen mehr.

Deshalb ist die Globalisierung mit ihren Vernetzungen auch nicht als System, sondern als Verschäumung zu verstehen: "Das morphologische Leitbild der polysphärischen Welt, die wir bewohnen, ist nicht länger die Kugel, sondern der Schaum. - Nur eine Theorie des Amorphen und Unrunden könnte, indem sie das aktuelle Spiel von Sphärenzerstörungen und Sphärenneubildungen untersucht, die intimste und allgemeinste Theorie des gegenwärtigen Zeitalters bieten. Schäume, Haufen, Schwämme, Wolken und Wirbel dienen als erste amorphologische Metaphern, die helfen werden, den Fragen nach Innenweltbildungen, Zusammenhangsschöpfungen und Immunitätsarchitekturen im Zeitalter technischer Komplexitätsentfesselung nachzugehen." [36] Leben definiert sich im Gesamtschaum als ein permanentes Öffnen und Abschließen. Der Medienschaum ist ein Ausdruck dieses Prozesses. In jeder seiner Blasen durchdringen sich perichoretisch Endliches und Unendliches: "Demnach wäre das Unendliche eine Enklave in den endlichen Umständen. Es klaffte auf wie ein Abgrund nach oben, als eine Unterbrechung des Lebens, das eine Vision vom Mehr-als-Leben zu tragen hat. Das verstehe, wer kann. Wie auch immer man es ausdrückt: Die Rauminseln der Menschen sind gegen das Offene vorgeschobene Posten." [37]

Das verstehe wer kann.

Ich jedenfalls, um auf Sloterdijk als Ferienlektüre zurückzukommen, habe den geistigen Champagner der Sphärentrilogie in vollen Zügen genossen. Und verstanden, was ich verstehen konnte.

Anmerkungen
  • Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in: muk Publikationen 27, medien und kommunikation, Fachstelle der Evangelischen und Katholischen Kirche, München 2005
  1. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1998 ff.
  2. I, 572
  3. I,628
  4. I,629
  5. I,552
  6. I,554
  7. I,617
  8. I,617
  9. I,617
  10. I, 619
  11. Popper, Karl in: Die Zukunft ist offen, S.52. Zitiert nach: http://wiki.kunstadt.de/ index.php/Lernen
  12. I, 143/144
  13. I, 639
  14. I, 639. Hier zeigen sich interessante Querverbindungen zu Whitehead, den Sloterdjik zwar rezipiert hat, aber nur lose zu seinem Denken in Beziehung setzt. Whitehead charakterisiert die mediale Natur aller Wirklichkeiten als Ur-Sakrament: "Ausdruck ist das eine grundlegende Sakrament. Er ist das äußere und sichtbare Zeichen einer inneren und spirituellen Gnade". (Wie entsteht Religion, Frankfurt 1985, 99).
  15. I, 552
  16. I, 583
  17. I, 489
  18. II, 144
  19. I, 77
  20. III, 602
  21. III, 849/850
  22. III, 802
  23. III, 802
  24. III, 802
  25. III, 36
  26. III, S.562
  27. III, S.828
  28. III, 816
  29. III, 584
  30. I, 487
  31. III, 594
  32. III, 596
  33. http://www.henryk-broder.de/html/fr_sloter.html
  34. III, 258
  35. I, 76
  36. I, 72/73
  37. III, 495

© Matthias Wörther 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 35/2005
https://www.theomag.de/35/maw1.htm

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