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Magazin für Theologie und Ästhetik


Lektüren XVIII

Aus der Bücherwelt

Andreas Mertin

Die Neue Übersichtlichkeit

Jochen Hörisch ist immer für ein flott und gut geschriebenes Buch gut. Das gilt für seine Standardwerke über das Abendmahl, das Geld und die Medien und das gilt auch für den ersten in der Anderen Bibliothek erschienenen Band "Der Sinn und die Sinne" (vgl. auch das Interview, das Jörg Herrmann für das Magazin für Theologie und Ästhetik mit ihm führte).

Nun ist von ihm in der Anderen Bibliothek ein zweiter Band erschienen mit dem Titel "Theorie-Apotheke. Eine Handreichung zu den humanwissenschaftlichen Theorien der letzten fünfzig Jahre, einschließlich ihrer Risiken und Nebenwirkungen". Heilsame Wirkungen möchte diese Apotheke durchaus vermitteln und - wie der Untertitel andeutet - auch auf Nebenwirkungen hinweisen.

Und so breitet Hörisch - in geradezu homöopathischen Dosierungen - die Theorievielfalt der letzten fünfzig Jahre vor uns aus. Zu diesen therapeutischen Theorie-Medikamenten gehören so illustre Heilmittel wie die Analytische Philosophie, die Dekonstruktion, der Strukturalismus, die Hermeneutik, der Iconic turn, die System-, Diskurs- und Simulationstheorie und vieles mehr. Das Ganze ist amüsant und unterhaltsam aufbereitet, eignet sich aber meines Erachtens nicht unbedingt als Einführung in die verschiedenen Ansätze (da bringt die personenorientierte Buchreihe "... zur Einführung" von Junius vermutlich wesentlich mehr).

Auf dem Klappentext wird das Buch so vorgestellt: "Wer heute die Tempel oder die Rostlauben der früher so genannten Geisteswissenschaften betritt, der hat es nicht leicht. Ein verwirrendes Angebot von Ansätzen, Methoden, Theorie-Designs, Trends und Moden stellt ihm die Freiheit, aber auch die Qual der Wahl in Aussicht. Theorien sind dazu da, die Wahrheit zu sagen. Aber nicht allein im Deutschen ist 'Wahrheit' ein Wort, das sich nur widerstrebend in den Plural setzen lässt. Theorien gibt es hingegen nicht im Singular. Das macht ihren Vertretern schwer zu schaffen, schon weil sie dazu neigen, ihre Theorien allzu ernst zu nehmen. Jochen Hörisch geht von der Erkenntnis aus, dass an die Stelle der großen konkurrierenden Erzählungen viele kleinere getreten sind. Er stellt in diesem konzisen Buch die Grundbausteine der einflussreichsten Theorien vor, rekonstruiert ihre Baupläne und testet sie auf ihre Brauchbarkeit hin. Auf welche Probleme sprechen sie an? Mit welchen Risiken, Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Verfallsdaten muss rechnen, wer sich ihnen anvertraut? Einer solchen Handreichung liegt ein apothekarischer Wahrheitsbegriff zugrunde. Wahr sind ihm zufolge Theoreme, die uns mit neuen Kräften versehen, uns helfen und erfrischen, und Theorien, die es eher auf Heilung als auf das Heil der Letztbegründung abgesehen haben."

Gelesen werden kann das Buch als panoramaartige Momentaufnahme der geisteswissenschaftlichen Theoriebildung der letzten 50 Jahre, als Merkzettel für bündige Zusammenfassungen komplexer Theorien oder auch einfach nur zum Spaß, um zu sehen, wie bunt und fröhlich die Wissenschaft inzwischen geworden ist.


© Andreas Mertin 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 32/2004
https://www.theomag.de/32/am130.htm

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