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Magazin für Theologie und Ästhetik


White Cube XII

Stills und Stil

Karin Wendt

www.ks68.de

Auf die Serie von Bildern der Düsseldorfer Künstlerin Katja Stuke bin ich nur zufällig gestoßen. Sie haben mich sofort gebannt und ich frage mich, warum sind diese Bilder so schön? Auf den Internetseiten findet man den Hinweis zur Machart: "Die Szenen werden zunächst mit der Videokamera gefilmt, später werden die ausgewählten Motive mit einer Mittelformatkamera vom Bildschirm abfotografiert. Alle Motive aus der Serie 'CCTV' zeigen Menschen und öffentliche Räume, die durch ihre Aufnahmetechnik, die Perspektive und die Wahl der Ausschnitte unterschiedliche Rückschlüsse über das Geschehen zulassen. Die wirkliche Begebenheit kann und wird nicht aufgelöst werden." Es sind also wie zufällig gemachte Videoaufnahmen öffentlicher Kameras. Der Blauton, die Unschärfe und das immer angeschnittene, in Bewegung festgehaltene Motiv verbindet die Einzelbilder untereinander. Zu sehen sind Menschen in unterschiedlichen öffentlichen Räumen, die jeweils durch so viele Details sichtbar werden, dass für den Betrachter der Bilder immer eine scheinbar bestimmte Situation entsteht. Was aber gerade geschieht, in welchem Zusammenhang die Gefilmten zu ihrer Umgebung stehen und vor allem, warum sie gerade in das Auge der Kamera rücken, bleibt jedoch offen. Ebenso so vage ist auch, zu welchem Zweck die Kamera gerade an diesen Orten installiert ist. So beginnt man Vermutungen anzustellen. Wird gefilmt, weil dort viele Menschen verkehren oder weil es besonders einsam ist? Sind es gefährliche Orte, an denen Menschen besonders zahlreich und von weit her aufeinander treffen oder sind es urbane Randbereiche, die eigentlich für Menschen unzugänglich sind? Wenn es solche Orte sind, worin liegt genau die Gefahr? Ist es eine reale Gefahr, die sich bestimmten Erfahrungen verdankt oder eine generelle Ungesichertheit von bestimmten Bereichen: Transitbereiche, in denen Menschen sich nicht unbedingt auskennen, nächtliche Räume oder nicht für Fußgänger bestimmte Räume? Was für jedes Bildes gilt, ist, dass keiner der Menschen bemerkt, dass er gefilmt wird, ihre Aufmerksamkeit richtet sich immer auf etwas anderes, das dem Betrachter der Bilder wiederum nur indirekt vermittelt wird. Sie sind im Gespräch, beobachten etwas, schauen ins Leere, nehmen Kontakt auf oder sind einfach unterwegs, mit einem unbekannten Ziel.

Nach und nach erfahren wir, dass das, was öffentliche Kameras aufzeichnen, mehr ist als beliebiges Material. Es ist die Dokumentation des morbiden Blicks, mit dem wir das gegenwärtige Leben archivieren, aus Neugier, aus Gründen der Angst vor dem, was passieren könnte oder auch schon passiert ist oder auch nur aus Gewohnheit. Stuke ist es gelungen, diesen Blick sichtbar zu machen, indem sie 'Abfallprodukte' unserer Überwachungs- und Informationstechnologie herausgreift und zu Bildern stilisiert. Sie bricht damit den geschlossenen Kreislauf der bewusstlosen Archivierung auf und bindet Momente ästhetisch, in denen nichts Spektakuläres passiert, die jedoch für alles mögliche offen erscheinen. Es sind kleine Porträts von Gegenwart, bevor oder nachdem Verbrechen oder Unfälle passieren. Es sind kleine Juwelen.

Die Faszination und Irritation der vom Bildschirm abfotografierten Videostills liegt nicht zuletzt in dem 'Blaufilm', der die Motive scheinbar überzieht und einander stilistisch angleicht. Es ist, als würde damit eine spezifische 'Tönung' unserer Gegenwart eingefangen: ihre Todesverfallenheit im Moment der Spiegelung. Einen chemischen Prozess der Bläuung, bei dem Eisen oxidiert, forcierte man früher bei der Herstellung von Rüstungen und Klingen, um einen Korrosionsschutz zu erzielen. Die künstliche Oxidation wurde im 18. und 19. Jahrhundert zudem als Stilmittel eingesetzt, um Schmuck blau-schwarz zu färben, wobei der optische Reiz häufig durch eine Teilvergoldung noch verstärkt wurde. Für Konservatoren ist die Bläuung dagegen ein sicheres Anzeichen für den beginnenden oder schon weit fortgeschrittenen Verfallsprozess. In den Bildern von "CCTV" kommen beide Momente zugleich zur Geltung: der Filter lässt die verschiedenen Momente gleichsam zu Preziosen des Alltags werden. Die blau-schwarze Tönung entfernt das Gefilmte jedoch zugleich in eine unerreichbare Vergangenheit.


© Karin Wendt 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 31/2004
https://www.theomag.de/31/kw36.htm