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Magazin für Theologie und Ästhetik


sterben kommt

Eine Ausstellung im Kasseler Sepulkralmuseum


Die Ausstellung sterben kommt, inszeniert und kuratiert von dem Münsteraner Künstler Wilm Weppelmann und vom 25. April bis zum 3. Oktober im Kasseler Sepulkralmuseum zu sehen, will in vermitteln, wie nah die Grenze zwischen unserem täglichen Handeln, Denken und Fühlen zu dem meist sorgfältig verdrängten Wissen um die Begrenztheit des Lebens ist. Ausgehend von der Idee des Wohnhauses, des ganz Alltäglichen, nimmt die Ausstellung verschiedene Blickwinkel ein, und stellt immer wieder Fragen, die sich aus der jeweiligen Raumsituation erschließen. Aus jedem Zimmer, aus Flur, Küche, Bad, Schlaf-, Wohn- und Kinderzimmer, von Garten und Balkon aus betrachtet, bietet sich eine immer wieder andere Perspektive auf Sterben und Tod. So verstellen Türen den Weg in die Ausstellung, die Geburtsurkunde wird zum Schlüssel, zur Eintrittskarte. In der Diele begegnen wir zahlreichen Garderobenständern mit abgelegten Gegenständen, ein Geben und Nehmen, eine Folge von Möglichkeiten und vertanen Chancen, bis zuletzt das eintritt, was wir ungern beim Namen nennen. Im Wohnzimmer bringt das Zappen mit der Fernbedienung durch die Kanäle oft keine wirkliche Entspannung, eher Verzweiflung. Schauspieler sind geübte Vielsterber, zeigen schon mal, wie es geht und nehmen ihre Stellvertreterrolle sehr ernst. In einem Zyklus aus 87 Bildern in Ölkreide verarbeitet der Karlsruher Künstler Hermann Weber sein eigenes Erleben, seinen Schmerz angesichts des Todes. Schonungslos: der Schrecken, die Angst, die Angst vor Verlust, die Ausweglosigkeit, die Isolation und der Selbstzweifel. Die Vorstellung vom Tod, die wir uns machen können, ist meist eine medial vermittelte, eine, über die der ästhetische Blick läuft; die Erfahrung des Todes bleibt uns verborgen; was bleibt, ist eine Annäherung. In der Küche sehen wir, wie aus unseren Nahrungsmitteln allein durch das Vergehen von Zeit gefährliche Giftstoffe werden, wie Fleisch jeglicher Art sein Lustversprechen einbüßt und wie aus täglich konsumierten Genussmitteln Suchtstoffe werden, deren lebensverkürzende Nebenwirkungen wir wohl oder übel gern in Kauf nehmen. Und im Kinderzimmer übt sich der Tod schon mal am Joystick. Kinder müssen sich im Dschungel virtueller Kampfwelten behaupten und ihre Gameboyfertigkeiten üben. Aber es ist nur ein Spiel, denn die gezeigten Toten sind ja nie wirklich tot, in Wirklichkeit sind sie unsterblich. Im Schlafzimmer, im Schlaf und im Traum verlieren wir die Kontrolle über unsere Tagesgedanken, und in der Traumwelt werden wir auch schon mal zu Tätern und Opfern. Aus der Vogelperspektive relativiert sich alles. Vom Balkon erscheinen alle Probleme klein, weit entfernt und verschwinden hinter dem Horizont. Wenn wir Details aus dieser Perspektive nah heranholen, rückt Übersehenes, Bekanntes und Gewöhnliches in ein anderes Licht. Unter Zuhilfenahme weiterer Quellen zeigen sich eine Fülle von Details, die uns die Nähe zwischen Sicherheit und Gefahr, zwischen Freude und Trauer enthüllt. Die Ausstellung sterben kommt ist multimedial angelegt und sehr vielschichtig. Sie dringt ein in die häusliche Welt der Menschen und verbindet den Alltag mit dem Ende des Daseins. Integriert sind auch Werke des Kasseler Künstlers Harry Kramer und des Düsseldorfer Künstlers Hannsjörg Voth.


Das Seprulkralmuseum in Kassel

Sterben, Tod, Bestatten und Trauern, das sind die zentralen Themen, mit denen sich das in Deutschland einzigartige Museum für Sepulkralkultur in Kassel beschäftigt. Bilder von Toten und vom Töten werden uns heute täglich durch Fernsehen und Zeitungen frei Haus geliefert. Reportagen von Katastrophen und Kriegen konfrontieren uns mit Toten von Schauplätzen rund um die Welt, aber die unmittelbare Erfahrung des Einzelnen im Umgang mit Sterben und Tod ist selten geworden, das konkrete Erleben und Verarbeiten weitgehend ins Private zurückgedrängt und in hohem Maße individualisiert. Wir leben in einer Kultur, in der ein Nachdenken über Sterben, Tod und Trauer kaum Platz hat.

Der Umgang mit Sterbenden und Toten ist eingebunden in ein System, das der Funktionalität größeren Wert beimisst als dem Recht auf Selbstbestimmung. Sterben und Tod sind delegiert an eine verästelte Dienstleistungsgesellschaft. Krankenhaus und Pflegeheim, Bestattungsunternehmen und Friedhofsbürokratie haben den Tod unter sich aufgeteilt. Zunehmend haben die Menschen den Einfluß auf den Umgang mit Sterbenden und Toten verloren.

Dass es grundlegende gesellschaftliche Defizite im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer gibt, zeigt sich in den letzten Jahren an dem wachsendem Bedürfnis der Menschen, sich wieder mit diesen Themen auseinander zu setzen. Der Wunsch nach einem selbstverantwortlicheren Umgang mit Sterben und Tod wird immer lauter, was sich auch gesellschaftlich in vielfältiger Weise niederschlägt. Der Umgang mit dem Lebensende wird wieder vielfältig und gestaltbar.

Und nicht zuletzt ist der Tod ausstellungsfähig geworden. Einen Aufbruch in diese Richtung markierte die 1984 im Münchner Stadtmuseum gezeigte Ausstellung "Die letzte Reise", die weit über die Region Beachtung fand. Seitdem fanden viele beachtenswerte Ausstellungen statt. In diese Entwicklung gehört nicht zuletzt die Gründung (1984) und die Eröffnung des Museums für Sepulkralkultur (1992).

Sein Ziel ist es, in einer Dauerpräsentation und zahlreichen Sonderausstellungen Kontinuität und Wandel im Umgang mit den letzten Dingen zu veranschaulichen und Raum zu schaffen für eine Auseinandersetzung mit unserer westlichen Sterbe- und Trauerkultur.

Wie gingen die Menschen früher mit Sterben und Tod um, welchen Stellenwert hat der Umgang heute in einer säkularisierten und weltanschaulich differenzierten Gesellschaft.

Sterben ist das einzige Erlebnis, das sicher auf jeden von uns zukommen wird - todsicher - und so führt die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod hin zu sowohl persönlichen, als auch gesellschaftspolitischen Lebensfragen.

Vom lateinischen sepulcrum (Grabmal) abgeleitet umfaßt die Sepulkralkultur nicht nur Grab, Grabmal und Beisetzungsstätte, sondern alle kulturellen Erscheinungen, die sich im Zusammenhang mit Sterben, Tod und Bestatten entwickelt haben.

Das Museum für Sepulkralkultur zeigt kulturhistorische und zeitgenössische Zeugnisse der Bestattungs- Friedhofs- und Trauerkultur im deutschsprachigen Raum vom Mittelalter bis heute. In dem Spannungsbogen von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem will es anregen, sich wieder mit Sterben und Tod zu Lebzeiten auseinander zu setzen, dass der Tod wieder "lebendiger" wird und seinen Platz im Alltag zurückgewinnt. Neben Realien der Bestattungskultur, wie zum Beispiel Särge, Leichenwagen, Trauerkleidung, Trauerschmuck, historischen Grafiken werden unterschiedliche Formen der Erinnerung gezeigt und die Geschichte des Friedhofs und des Grabmals vom Mittelalter bis zur Gegenwart im Raum dokumentiert.

Die Sonderausstellungen widmen sich verschiedensten Aspekten der Kulturgeschichte der Bestattung, gegenwärtigen Entwicklungen und Tendenzen sowie künstlerischen Auseinandersetzungen mit Sterben, Tod und Trauer oder greifen gesellschaftspolitisch brisante Themen auf. Ergänzt werden die Ausstellungen durch ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm von Vortrag über Kabarett, Lesung und Konzert.

Das Museum ist eine Einrichtung der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. (AFD). Ihre Arbeit beruht auf drei Säulen: die Beratungsabteilung (AFD) hilft bei der Gestaltung von Friedhöfen, Grabstätten sowie Grabmalen, das Zentralinstitut erarbeitet wissenschaftliche, kulturgeschichtliche und soziologische Grundlagen. Es beobachtet und begleitet Entwicklungen auf dem Gebiet des Bestattungs-, Friedhofs- und Denkmalwesens. Die dritte Säule bildet das Museum für Sepulkralkultur.

Die AFD unterhält mehrere Archive, eine umfangreiche Spezialbibliothek mit einem reichen Bestand an Monografien, Katalogen, Sonderdrucken und Schriftstücken aller Art einschließlich zahlreicher Zeitungsartikel, eine Rechtssammlung mit einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und Satzungen zum Bestattungs- und Friedhofsrecht und wichtige Rechtsentscheidungen, ein Musikarchiv mit Partituren, Tonträger und Sekundärliteratur zu den Themen Tod und Trauer sowie Funeralmusik, ein Pressearchiv mit den einschlägigen Artikeln der Printmedien zu neuesten Entwicklungen der Sepulkralkultur, ein Foto- und Diaarchiv mit einer umfangreichen Sammlung von Bildmaterial, historische Photos und Postkarten und eine ca. 15000 Graphiken umfassende Sammlung vom 15. Jh. bis heute. Neben der künstlerischen Bedeutung bilden viele Bilder auch wichtiges historisches Quellenmaterial. Ausgewählte Grafiken werden in der Dauerausstellung des Museums sowie im Rahmen von Sonderausstellungen gezeigt.


© Museum für Sepulkralkultur 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 30/2004
https://www.theomag.de/30/red1.htm