Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Im Labyrinth XVIII

Erscheinungen im Cyberspace

Karin Wendt

www.forumkulturgeschichte.de

Seit Ende letzten Jahres gibt es im Internet ein neues kulturwissenschaftliches Forum, das sich ausdrücklich dem wissenschaftlichen Dialog mit anderen historisch arbeitenden Wissenschaften widmen will. "Forum - das heißt: Vernetzung von Forschungsarbeit, Plattform für Wissenschaftsdialog. Kulturgeschichte - das heißt: ein interdisziplinäres Anliegen, ein joint venture der historisch arbeitenden Einzeldisziplinen Literatur-, Musik- und Kunstgeschichte, Rechts-, Wirtschafts-, Medizin- und Kirchengeschichte, Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte", schreiben die Betreiber zum eigenen Profil. Thematischer Opener ist das Werk des niederländischen Kulturhistorikers Johan Huizinga (1872-1945). "Wenn Huizinga, sperriger Ausnahmegelehrter, sich denn einordnen ließe, so würde er sicherlich in die Reihe derer gehören, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Konzepte einer Historischen Kulturwissenschaft entwickelten. Doch was bedeutet Huizinga für die heutige kulturhistorische Arbeit? Wissenschaftler beziehen Position."

Zweimal im Jahr soll so ein Thema durch aktuelle Beiträge, Rezensionen und Repliken erörtert werden. Im Archiv werden alle zurückliegenden Ausgaben frei zugänglich sein. Unter "Call for papers" findet man das kommende Thema: "Kulturhistorische Erkenntnisinteressen", ein Versuch der Aufklärung der eigenen Genese. "Geschichte ist Reise und Rückkehr, Spurensuche, Entzifferungsversuch. Doch welches Wissenwollen treibt die Expeditionen an, welche Zielidee bestimmt den Weg, welche Prämisse die Leserichtung? Welche Intentionen sind den Gründungsdokumenten der Kulturgeschichte eingeschrieben - den Arbeiten von Burckhardt, von Lamprecht, von Weber auch, Simmel, Huizinga, Cassirer, Warburg? [...] Die Absichten der völkischen Geschichtsschreibung mögen trivial sein - aber welche Interessen hegten die inneren und äußeren Emigranten, Gombrich, Curtius, Auerbach? Wie steht es mit den Brüchen und Kontinuitäten in der Bonner Republik, mit dem Nachkriegshumanismus in der DDR? Mit den methodischen Neuorientierungen der 70er und 80er Jahre, der Histoire des mentalités, der Microstoria, der Diskursanalyse? Was bezweckten New Cultural History, New Historicism, Poetics of Culture? Und was können legitime Erkenntnisinteressen der Kulturgeschichtsschreibung im 21. Jahrhundert sein?"

Es leuchtet ein, eine solch umfassende (historisch-)kritische Selbstbefragung an den Anfang zu stellen, um so "der Frage nach den kulturhistorischen Erkenntnisinteressen sachkundiger nachzugehen und neben dem Wozu das tieferliegende Warum aufzuhellen". Eine grundsätzliche Anfrage an das Konzept wäre jedoch, ob es dafür nicht zu innerakademisch angelegt ist. Mit anderen Worten: ob die Diagnose von der Verschiebung der Kulturgeschichte weg von der Peripherie hinein ins Zentrum der Wissenschaften, nicht nach einer noch klareren Grenzbefragung und damit nach einer radikaleren Interdiziplinarität verlangt, welche - mindestens durch eine offene Linkliste - gerade auch nicht historisch verfahrende Wissenschaften und Praktiken miteinbeziehen würde.

www.cybertecture.de

Welche Folgen hat die digitale Technik für unser Verständnis von Architektur? Architektur im virtuellen Raum arbeitet unter anderen Bedingungen, hat andere Kriterien der Modellierung und bringt andere Formen der Erfahrung hervor als im realen Raum.

Worin sich virtuelle Architekturen von traditionellen unterscheiden können, wenn man sich nicht auf 3D-Simulationen beschränken will, darüber informieren die Seiten von Cybertecture in Form von Statements, animierten Modellen und konkreten Entwürfen. Man erfährt vom Ideal einer "partizipativen Architektur", davon, was es für die Erschließung bedeutet, wenn Architektur in Bewegung ist, wenn keine Umgebungseinflüsse vorhanden sind, wenn der Bauplatz der schwarze Bildschirm ist und so "innere Faktoren, das heißt der Benutzer als formgebender Faktor" miteinbezogen werden.

"Der Cybertect gibt eine Grundstruktur vor, die der Besucher durch sein Verhalten beeinflusst. Der Cybertect bestimmt die Parameter, nach denen der Besucher den Raum beeinflussen kann. Für den Cybertect bedeutet dies, dass er nur bis zu einem gewissen Grad für die Form, die entsteht, verantwortlich ist. Er gibt einen Teil der Autorenschaft an den Benutzer ab."

Ein wenig Zeit muss man sich für den Entwurf eines Heterotops nehmen, einer "Zwischenstadt", die aus der Überlagerung und Bearbeitung der Städte Mannheim und Heidelberg entstanden ist. "HEMA" ist die Idee einer artifiziellen Stadt-Landschaft, "in der jedes Teil ein Programm enthält, das durch Position, Orientierung, Dichte und Oberflächenbeschaffenheit identifiziert wird." So werden raumdefinierende Parameter aufgerufen und zugleich in Frage: gibt es eine städtische Identität, was kennzeichnet den öffentlichen Raum, wie hängen Raum- und Zeiterfahrung zusammen, wie unterscheiden wir Stadt und Land, und wie und für wen kommt es zur Unterscheidung von Funktions- und bedeutungsgeladenen Ereignisräumen. Wie sich diese anderen Seiten des Raumes architektonisch darstellen lassen, die "andere Art der Baulinie" also, muss man sich selbst anschauen.

Besonders eindrucksvoll fand ich außerdem den Entwurf für ein Hospiz. Er basiert auf "der Symbolik eines 'endlos' wachsenden Gerüstes. Es wächst aus einem fest mit der Erde verbundenem Betonsockel (ambulantes Hospiz) empor und löst sich langsam in Fragmente auf (stationäres Hospiz)."


© Karin Wendt 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 28/2004
https://www.theomag.de/28/kw32.htm