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Magazin für Theologie und Ästhetik


White Cube IX

Für nichts und wieder nichts. Kunst von Torsten Haake-Brandt

Karin Wendt

Ich bin ein dummer Mensch. Ich glaube an den guten Fehler. Ich bin ein guter Mensch. Ich glaube an den dummen Fehler. (T. Haake-Brandt)

Technik und Leben

Einen großen Teil unseres Lebens verbringen wir damit zu wünschen und zu hoffen, zu überlegen und zu beschreiben, zu erklären und zu verteidigen alles das, was nicht, was noch nicht oder nicht mehr ist. Der Tatsache, dass wir dies können, Dinge als nicht existierende vorzustellen und einzufordern, der Tatsache dieser Differenz im Alltäglichen, schenken wir dagegen seltener Beachtung. Tatsächlich ist sie aber der Grund unserer Produktivität. Produktivität als solche hat keinen Sinn in sich. Dennoch erklären wir sie meist zur Notwendigkeit und begreifen die ihr korrelierende Technik als zwingend. Die Souveränität des technokratischen Denkens in unserem Leben ist ein Kennzeichen von Unfreiheit. Das Aufzeigen dieser Unfreiheit, der Grenzen von Technik, gehört zu unseren Grenzerfahrungen - es bleibt daher fragwürdig, ob wir dabei wirklich Grenzen des Technokratischen erfahren oder doch nur dessen andere Seite. "Das technokratische Denken kann vielmehr seinerseits die Rhetorik der 'Nachdenklichkeit' pflegen, kann im machtvollen Bewusstsein seiner Unaufhaltsamkeit [...] überlegene: lässige und lächelnde Duldung gewähren."[1]

Kunst und Tod

Dem Versuch, technokratisches Denken an sich selbst zu fassen, seinen Todestrieb offen zu legen, seine Macht zu sabotieren, gilt die Arbeit des in Hamburg und Berlin lebenden Künstlers Torsten Haake-Brandt (*1958). Auf die Herausforderung der Technik antwortet er mit: Nichts. Der Gedanke des Nichts ist einer der fruchtbarsten, die wir denken können und zugleich der gefährlichste. Er ist nur dort wirklich gedacht, wo wir ihn in seiner Negativität begreifen, nie dort, wo wir ihn als Positives suchen oder meiden. Er bleibt uns entzogen und nur zugänglich als zu wahrende Differenz. Was sind aber die Bedingungen der Möglichkeit, nicht nur nicht zu denken, sondern das Nichts zu denken? Kann man diese Differenz selbst vergegenwärtigen, sich dem Abgrund nähern, in den hinein wir gehalten sind (Nietzsche), ohne abzustürzen? Wenn das Nichts die ästhetische Form der Wahrheit ist (Derrida), gibt es dann auch ästhetische Formen des Nichts, Gestaltwerdungen seiner Struktur und Genese?

Haake-Brandt sieht das Nichts überall: In Löchern, Nullen, Leerstellen, in Ein-, Aus- und Durchblicken. Anders als Sartre, der dem Blick auf das Andere nichtende Eigenschaft zugeschrieben hat, erschafft Haake-Brandt durch seinen Blick in die Welt das Nichts: Er markiert es als Raum, er zeichnet es als Geste, er schützt es als Zeichen. Zettel bedeckt er über und über mit verschieden geformten Kreisen, er markiert Löcher an und in Gegenständen und Gebäuden und rückt sie so ins Zentrum der Aufmerksamkeit, dass ihr Nutzungskontext in den Hintergrund tritt. Ein Blick in einen Installationszyklus, den Haake-Brandt im Edith-Ruß-Haus in Oldenburg zeigte, erlaubt einen Blick in eine Welt, die frei ist von Zwängen ihres Gebrauchs. Ihre Leere erscheint in Fülle und Verschiedenheit. Der Künstler nennt sie mythisch "Geustermor", ein Transitzustand zwischen Gestern, Heute und Morgen. Zynisch, dass diese Fülle zugleich die Leere der realen Welt enthüllt.

Haake-Brandt erfindet auch Handlungen, die den Stillstand generieren: Das Tätowieren von Suppenhühnern, das Schütteln von Nudeln oder das Malen im Schlaf. Die Ironie dieser leerlaufenden Handlungen kann nicht über die grausame Wahrheit aller (moralischen) Handlungen hinweg täuschen - sie ranken sich um das Nichts, sie entreißen uns dem Nichts, ob sie aber in Sache etwas dagegen setzen, etwas anderes sind als Haake-Brandts "Nullschöpfungen", ist fraglich. Kunst ist Arbeit, sofern sie am Nichts arbeitet, um des Nichts willen arbeitet, arbeitet, ohne an etwas Bestimmtem zu arbeiten, ohne an etwas als Bestimmtem zu arbeiten. Diese Bestimmung des Nichts als ästhetische Arbeit ist der unmittelbare (Erkenntnis)-Gewinn, den man aus der Beschäftigung mit Haake-Brandts Kunst schöpft. Ein Gewinn, der sich nicht erschöpft.

Arbeit am Subjekt

Und schließlich widmet sich Haake-Brandt dem institutionalisierten Zweck: Geschäften, Unternehmen, Fabrikaten, kurz der Arbeitswelt. Im Kunstverein Schwerin hat Haake-Brandt vom 15. Januar bis zum 27. Februar 2004 die Ausstellung "Sonderposten. Das 1. Fachgeschäft für Nichts" eingerichtet. Es "versteht sich als Spezialunternehmung zur Erforschung, Materialisierung und Vermarktung des 'Falschen', des 'Überflüssigen' und des 'Wertlosen', kurzum des Nichts." Die Ausstellung hat tägliche Öffnungszeiten wie jedes reguläre Geschäft, nur dass in diesem Laden Gegenstände und Objekte ausgestellt und angeboten werden, die das Nichts repräsentieren. Mit dem Angebot, das Nichts zu erwerben, schlägt Haake-Brandt den Bogen zum Subjekt. "Seinlassen und Geltenlassen, Würde und Wert [...] sind um eine Welt getrennt. Das Werten lässt die Dinge zugrunde gehen. Auszusprechen, dass, was entsteht, 'wert' ist, dass es zugrunde geht, ist dann etwas Nachträgliches."[2] Bei Haake-Brandt kann man das erwerben, was nichts wert ist. Es ist ein echtes Angebot.

Auf seinen Internetseiten betreibt der Künstler außerdem ein "Büro für pekuniäre Komunikation". Schauen Sie doch mal vorbei. http://www.haake-brandt.com/

Anmerkungen
  1. Michael Trowitzsch: Technokratie und Geist der Zeit. Beiträge zu einer theologischen Kritik, Tübingen 1988, S. 1.
  2. Ders., S. 176.

© Karin Wendt 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 27/2004
https://www.theomag.de/27/kw31.htm