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Magazin für Theologie und Ästhetik


Playing Arts

Eine Selbstdarstellung

Playing Arts

Playing Arts ist die Verbindung von Kunst und Leben durch Spiel. Spiel wird hier im Sinne von playing verstanden (im Gegensatz zu game, gamble, perform und act) und arts wird hier nicht als fein-art verstanden, sondern als Vorstufe der Künste wie bei comunity art, und es ist gattungsübergreifend. Playing Arts ist eine Spielbewegung, die sich als ästhetische Selbstbildung versteht. Keine direktiven Anleitungen, sondern das selbstbestimmte Aufnehmen der eigenen Spur in Wechselbeziehung mit anderen. Nicht alle Beteiligten machen angeleitet mehr oder weniger die gleiche Sache, sondern jede und jeder ist seinem eigenen schöpferischen Prozess auf der Spur, schafft dafür eine stimmige Form, die in Wechselspielen, wie dem Performance Parc, miteinander teilt und austauscht. Durch die Rückmeldungen darauf entstehen weiterführende Ideen, die Entfaltung des Eigenen setzt sich fort und führt zu eigenen Praxisvorhaben, bezogen auf die jeweilige Lebens- und Arbeitssituation. Im Austausch und befragen der Spielprojekte wird die Aktualität von Playing Arts anschaulich und immer wieder neu umschrieben.

Merkmale für Playing Arts-Prozesse sind:

  • Freiwilligkeit: Nur was ich selbst will beflügelt mich und führt zu motiviertem Engagement
  • Zweckfreiheit: Nur ohne Zweckbindungen kann sich Spiel in seiner Ursprünglichkeit entfalten
  • Offenes Ende: Das kreative Abenteuer des Spiels entsteht erst, wenn man nicht weiß, was dabei herauskommt
  • Autonomie des Spiels: Es ist unverfügbar, lässt sich weder erzwingen, noch verhindern, genauso wie Kunst, Liebe, Spiritualität...
  • Der Playing Artist setzt sich selbst immer wieder aufs Spiel, ist selbst schöpferisch handelnd tätig.

Playing Arts entstand aus dem Dialog von Kunst und Spiel, der seit Mitte der 80iger Jahre im Rahmen der spiel- und theaterpädagogischen Ausbildung der AGS in der Ev. Jugend e.V. und dem Burckhardthaus unter Federführung von Christoph Riemer aufgenommen wurde.[1] Im Vordergrund stand dabei, durch Spielprozesse, bezogen auf Kunstimpulse, zu einer eigenen Gestaltung zu kommen und anhand der entstandenen Spuren Fragen von Qualitäten zu thematisieren. Der Satz: "Ein Kunstwerk schafft Regeln, aber Regeln schaffen noch kein Kunstwerk." (Claude Debussy) führte zur intensiven Befragung an modernen und zeitgenössischen Kunstwerken, nach deren Regeln.

Im Dialog mit Benedikt Sturzenhecker und anderen entwickelte sich daraus die Konzeption und Praxis der internationalen Sommerateliers in Gelnhausen. Im Reizklima von Kunst und Kultur nahmen die Teilnehmenden ihre eigene schöpferische Spur auf und es entstanden - gattungsübergreifend - erstaunliche Prozesse und Ergebnisse, egal ob mit oder ohne Vorkenntnissen. Die Impulse des neuen Lernen, wie sie Reinhard Kahl in seinen Filmen "Lob des Fehlers", "Das Schwinden der Sinne" oder auch in "Die Dritten kommen - eine Schule erfindet sich neu" öffneten konsequent Workshops, Ateliers, Laboratorien zu ästhetischen Selbstbildungsprozessen. Vor allem beeindruckte die Vielfalt der am Ende entstandenen Praxisvorhaben. Hier zeigte sich im besten Sinne der Eigen-Sinn der Teilnehmenden, deren Unverwechselbarkeit.

Seit 1997 wurde, zusammen mit dem Institut für Spielforschung und Spielpädagogik an der Universität Mozarteum/Salzburg besonders durch Rainer Buland und der AGS der Playing Art Award jährlich vergeben. Die Fachjury (Prof. Dr. A. D. Brockmann/Uni Bremen, Prof. Dr. U. Handke/FH Neubrandenburg, Prof. Dr. Hanne Seitz/FH Potsdam, Ass.-Prof. Dr. Rainer Buland/Mozarteum Salzburg, Prof. Dr. Gerhard Marcel Martin/Uni Marburg, Lothar Müller/Vors. der AGS und Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker/FH Kiel) ist auch das Fachgremium, in dem die Debatten um die Praxis von Kunst und Spiel fortlaufend geführt werden. In diesem Diskurs formulierte Herr Buland den Begriff Playing Arts, ergänzt von G.M. Martin. Weitere GastdozentInnen und Teilnehmende haben wesentlich zur Ausformung von Praxis und Konzeption von Playing Arts beigetragen. Zusammengeführt wurde dies alles von Christoph Riemer, der seit 1990 künstlerischer Leiter im Programmbereich ästhetische Bildung/Jugendkulturarbeit am Burckhardthaus, dem bundeszentralen Fort- und Weiterbildungsinstitut für Jugend-, Kultur- und Sozialarbeit der Ev. Kirche in Gelnhausen ist.

Die Praxis von Playing Arts: ob nun für eine Arbeitseinheit, einen ganzen Tag, ein Wochenende oder mehrere Tage - Playing Arts-Prozesse gehen meist von folgenden Schritten aus:

  • Impulsfeld: Aus der Aktualität der verschiedenen Künste, wie Musik, Film, Video, Theater, Tanz, Literatur, bildende Kunst, Performance, neue Medien - aber auch durch Materialien und technische Hilfsmittel werden kurze Beispiele vorgestellt und zelebriert. Wie auf einem Markt breiten sich die verschiednen Impulse aus.
  • Resonanzpunkte aufspüren: Die Teilnehmenden sind ermutigt und ermuntert eigene Resonanzpunkte bei dem Vorgestelltem aufzuspüren. Ebenso "blitzartige Einfälle" zu notieren, die in direkter Zusammenhangslosigkeit zu seien scheinen. Man stellt seine "Zutaten" zusammen.
  • Die eigene Spur aufnehmen: Aus den Resonanzpunkten kristalisiert sich (im Dialog mit anderen) der Einstieg in das eigene ästhetische Handeln heraus, wie die Ausgangsidee für die Zubereitung.
  • Eine stimmige Form schaffen: Mit dem, was man kann und was man kennt beginnt das schöpferische Spiel. Aus einem ersten Schritt ergibt sich ein nächster. Der Prozess entsteht durch das ästhetische Handeln. Dabei spielt gegenseitige Unterstützung zeitweilig eine Rolle, sie wechselt aufgrund der Notwendigkeit und der jeweiligen Kompetenzen. Anders als geplant entsteht etwas, wie beim Herstellen einer Speise.
  • Das Entstandene im Wechselspiel mit anderen teilen: Auch wenn der Prozess eine zentrale Rolle spielt und nicht das Produkt, um das erfahrene Spiel mit anderen teilen zu können, werden Zeichenhandlungen, performative Gesten, etwas aus dem Prozess ins Wechselspiel mit anderen gebracht. Im Performance Parc sind alle Teilnehmenden beteiligt, treten mit ihrer wiederholbaren performativen Geste in Wechselbeziehungen, reagieren mit den jeweiligen Zeichenhandlungen aufeinander. Die performativen Wechselspiele machen allen deutlich, das jeder und jede bewegt, und wie dieses sich aufeinander bezieht. Das komplexe Feld des gemeinsamen schöpferischen Handelns wird damit ahnbar, es wird ansatzweise deutlich. In Aktion und Reaktion, in den Wiederholungen, im teilnehmenden Beobachten schwingt etwas von der Gemeinsamkeit, die zwischen den Einzelprozessen entsteht. Wenn es glückt, entsteht etwas "Drittes", das mehr ist als die Addition der Einzelspielbewegungen.
  • Rückmeldungen führen zu neuen Impulsen: Im Anschluss an den Performance Parc werden gegenseitig Rückmeldungen gegeben, um das ästhetische Handeln durch den Wortkanal zu erweitern. Durch Fremdwahrnehmungen wird die Selbstwahrnehmung erweitert und auch korrigiert. Daraus entstehen, auf die Einzelprozesse bezogen, Gespräche sowie weiterführende Ideen und Impulse (was wäre mein nächster Schritt?). Diese reflexive Aneignung ist notwendiger Bestandteil von Playing Arts-Prozessen.
  • Wortreihung/Gruppentexte: Am Ende solcher Gespräche besteht auch die Möglichkeit den eigenen schöpferischen noch einmal abzuschreiten, um Worte, die dabei auftauchten (auch in direkter Zusammenhangslosigkeit) zu sichten und sich für einen Begriff zu entscheiden. In freier Reihenfolge werden die Worte des Tages mitgeteilt und am Ende als Gruppentext noch einmal verlesen. Diese Texte dokumentieren sowohl die Einzelprozesse als auch das Gruppengeschehen. Dieser Bogen führt in der Regel zu weiterführenden Impulsen, den nächsten Schritt der eigenen Spur aufzunehmen.

Hinzu kommen weitere "Querschüsse" aus der Aktualität der Künste - die sowohl gewählt werden, durch die Präsenzbibliothek, Audio- und Videothek, als auch von den Mentoren eingespielt werden. Dieser "kalkulierte Zufall" führt häufig zu verblüffenden Coinzidenzen. Selbst das aktuelle TV-Programm, wie in "Kulturzeit" auf 3-Sat (einer täglich neuen Kulturinformationssendung) passt zum Teil geradezu erschütternd genau zu den Playing Arts-Prozessen.

Die Rolle der Mentoren ist dadurch bestimmt, Parallelprozesse anzuregen und zu begleiten. Manchmal ist es notwendig zu ermutigen, manchmal zu klären und manchmal zu bremsen. Häufig geht es um ganz praktische Fragen, um Materialbeschaffung, bzw. was macht man, wenn das Gewünschte nicht zu bekommen ist? Auch technische Beratungen spielen eine wichtige Rolle. Die offenen schöpferischen Prozesse führen dazu, dass die Teilnehmenden häufig eigenständig und vergnügt ihren Dingen nachgehen und keinen Beratungsbedarf haben. In diesen Zeiten sind die Mentoren mit eigenen Spielvorhaben befasst, von denen sie auch etwas den anderen zeigen. Die Mentoren sind so als selbst spielende Menschen sichtbar, setzen sich selbst immer wieder aufs Spiel.

Anmerkungen
  1. siehe dazu Christoph Riemer, Kunst und Spiel, in: "Das Eigene entfalten" (C. Riemer, B. Sturzenhecker, Hrsg.) Gelnhausen 2000

© Playing Arts 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 24/2003
https://www.theomag.de/24/pa1.htm