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Magazin für Theologie und Ästhetik


Spiel mit Zeichen

Rune Mields "Ursprung und Ordnung"

Andreas Mertin

In der Kunsthalle Barmen zeigte das Wuppertaler Von der Heydt-Museum vom 11. Mai bis 6. Juli 2003 die Ausstellung "Ursprung und Ordnung" der Kölner Künstlerin Rune Mields.

Verteilt auf fünf schöne weiße Räume, die dem Ideal des White Cube durchaus nahe kommen, wurden verschiedene Werkzyklen und Einzelwerke von Rune Mields präsentiert. Die Räumlichkeiten boten die Möglichkeit, sich jeweils konzentriert auf einen Werkzyklus einzulassen, den gelegten Spuren nachzugehen und die verwendeten Symbolsysteme zu studieren.

Anders, als jede mit dem Spiel befasste Theologie es je könnte, fordern die Arbeiten von Rune Mields zur Auseinandersetzung mit Fragen nach Spiel und Sinn, Zeichen und Existenz heraus. Das liegt natürlich auch am ästhetischen Überschuss jeder guten Kunst, an ihrem Rätselcharakter, der jeden Betrachter dazu auffordert, das Gesehene nachzuvollziehen und zu verstehen, ohne es je ganz nachvollziehen und verstehen zu können. Rune Mields aber hat es sich zur Aufgabe gemacht, gerade dies gezielt zu provozieren.

In den Werken von Rune Mields kommt es dabei des öfteren zu einer bewussten Vermischung zweier an sich getrennter Begriffe von 'Kunst': der ästhetischen und der mechanischen Kunst.[1] Letztere bezeichnet Phänomene wie die Kunst des Spiels, die Kunst der mythischen Erzählung oder die Kunst der mathematischen Reflexion.[2] Davon macht Rune Mields in der Wuppertaler Ausstellung bewusst irritierend Gebrauch, indem sie zum Beispiel mathematischen Ordnungsprinzipien künstlerisch nachgeht. Das gilt etwa für "Magische Quadrate der Ordnung 3 (Die Ziffernsysteme)", das auf dem alten chinesischen Lo-Shu-Quadrat beruht, oder für "Francis Bacon in memoriam (Bacons binäres Alphabet)", "Johannes Widmann und das Minus- und Pluszeichen (1489)" und eine Fülle weiterer der ausgestellten Werke. Jedes Mal spielt Rune Mields mit der (mechanischen) Kunst der Beherrschung der dargestellten Inhalte, ohne dabei aber die ästhetische Kunst ihrer künstlerischen Darstellung in den Hintergrund treten zu lassen. Auf der Ebene der dargestellten Inhalte erscheinen ihre Werke zum Teil wie ein komplexer Wissensdiskurs, auf der Ebene der Darstellung kommt es dagegen zu einem fast spielerischen und mühelosen Wahrnehmungsvorgang. Und doch fragt sich der Betrachter, ob man die Arbeiten auch ästhetisch nur dann nachvollziehen kann, wenn man deren Wissensgehalte nachvollzogen hat? Offensichtlich nicht. Und dennoch gehört es zu den Herausforderungen für den Betrachter, sich sowohl mit der Kunst der Zeichen(systeme) wie ihrer künstlerischen Darstellung auseinander zu setzen.

Ähnliches gilt auch für jenes Spiel mit Zeichen, das Rune Mields anhand der Symbole der so genannten "Gaunerzinken" betreibt. Heute in Westeuropa schon zu den beinahe vergessenen Zeichensystemen gehörend, waren diese bis weit in die 70er Jahre hinein auch in Deutschland noch durchaus gebräuchlich. Unter dem Titel "Lebenszeichen" arbeitete Rune Mields eine Werkfolge aus, die vor dem Hintergrund einer je unterschiedlichen menschlichen Silhouette (die aus verschiedenen Zyklen ihres Oeuvres vertraut ist) und jeweils 64 weiteren Zeichen jeweils eines der "Überlebenszeichen" des fahrenden Volkes und der Gauner in den Vordergrund stellt. Auch hier fällt der Blick des Betrachters zunächst auf die (mechanische) Zeichenkunst des fahrenden Volkes und er geht spontan der ikonischen Qualität der Zeichen nach (etwa wenn % die alleinige Anwesenheit von Männern im Haus bezeichnet); dann aber wird schnell deutlich, dass die Einsicht in die Kunstfertigkeit der Gaunerzinken noch keine ästhetische Erfahrung darstellt und die Wahrnehmung löst sich vom dargestellten Inhalt zur Darstellung hin. Für den Betrachter geht es eben nicht um "Überlebenszeichen" - sein Leben hängt in keiner Weise von der Fähigkeit zur Lektüre dieser Zeichen ab -, und es geht auch nicht um die lexikalisch-systematische, quasi volkskundliche Erforschung dieser Zeichen - dann hätten sie erschöpfend behandelt werden müssen -, vielmehr kann der Betrachter die Zeichenfolgen nur als ästhetisches und das heißt auch zweck-loses Spiel mit "Lebenszeichen" realisieren.

Mythologisch geht es im Zyklus "Genesis" zu. Wie Sabine Fehlemann im Katalog zur Ausstellung schreibt, beschäftigt sich Rune Mields seit Jahren mit den Schöpfungsmythen: "Bisher hat sie 40 große Gemälde dieses von ihr inzwischen 'Genesis' genannten Zyklus' erstellt, neben unzähligen Vorbereitungsskizzen und Handzeichnungen ... Die ersten Gedanken, einen solchen Zyklus zu schaffen, kamen der Künstlerin während ihres Rom-Stipendien-Aufenthaltes. Aus mythologischen Lexika, aus religions-geschichtlichen Werken von Eliade, aus Berichten über Reisen zu fremden Völkern vom Ende des 19. Jahrhunderts und aus diversen ethnomathematischen Büchern holt sie sich ihre Informationen."[3] Ein beeindruckender Zyklus, der von dem Geheimnisvollen des menschlichen Ringens um seine Ursprünge lebt. Es ist dabei sicher kein Zufall, dass im Blick etwa auf das Hebräische auf die Kabbala und nicht die biblische Urgeschichte selbst Bezug genommen wird. Meines Erachtens treten so nicht die Schöpfungsmythen als solche, sondern ihre spekulative Interpretation in den Vordergrund der künstlerischen Bearbeitung.

Es gab meines Erachtens aber auch schwächere Arbeiten in der Ausstellung, oder sagen wir genauer: Werke, deren Ausführung sich mir nicht erschlossen hat. Dazu gehört vor allem "Cantico del sole" nach dem Sonnengesang des Franz von Assisi. Die schematisierte Darstellung der Lobpreisungen schien mir allzu mechanistisch und willkürlich, die Wahl des Schrifttypus Fraktur für die kleineren Arbeiten geradezu unbegründet, die Vergrößerung des Kopfes von Franz von Assisi nach der Darstellung von Cimabue zu sehr formal.[4] Aber das kann natürlich auch an meiner eingeschränkten Wahrnehmung liegen.

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der vorzüglich über die gezeigten Werke und ihren Kontext Auskunft gibt.

Anmerkungen
  1. Vgl. dazu auch Reinold Schmücker, Was ist Kunst? Eine Grundlegung, München 1998, insbes. S. 65ff.
  2. Schmücker nennt dies zu Recht "handlungskompetenzbezeichnende Kraft"; a.a.O., S. 71.
  3. Sabine Fehlemann, Ursprung und Ordnung; in: Rune Mields, Ursprung und Ordnung Wuppertal 2003, S. 7-11, hier S. 10.
  4. Wäre hier nicht eine gotische littera moderna naheliegender gewesen?

© Andreas Mertin 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 24/2003
https://www.theomag.de/24/am100.htm