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Magazin für Theologie und Ästhetik



Simparch, Binding-Brauerei - Documenta11

Etwas abseits, auf dem Weg zum Hauptgebäude der Brauerei gibt es einen unauffälligen Eingang. Tritt man ein, rutscht man scheinbar eine Etage tiefer: Wie auf einer Werft steht man dicht an der bauchigen Unterseite einer zunächst weder in ihren Ausmaßen noch in ihrer Funktion erkennbaren, kunstvoll gearbeiteten Holzkonstruktion. Eine Skulptur? Weiter hinten kann man eine Treppe hochsteigen und kommt nun oben raus, am Rande einer riesigen, die hohe Halle zu allen Seiten hin ausfüllenden Halfpipe für Skateboarder, frei zugänglich auch ohne Documenta-Ticket und außerhalb der Öffnungszeiten, wie man schnell erfährt. Da man auf der Documenta nur wenige skulpturale Arbeiten findet, erscheint diese begehbare Installation der Künstlergruppe Simparch aus Chicago einmal mehr eindrucksvoll. Was von unten skulptural erkundet werden kann, kann oben als Skateboard-Bahn benutzt werden.

Es ist jedoch die Frage, wie viel von der Kunst des Boardens und der Kunst der Skater in der Skulptur von Simparch sichtbar gemacht wird. Der Umgang eines Skateboarders mit Architektur ist dezidiert autonom, was er schafft, ist ein individuelles Performing städtebaulicher Elemente und Strukturen, denen er neue und ungewohnte temporäre Identitäten verleiht. "Skater können mit einem Minimum dessen leben, was draußen ist. Auf jedem Gelände. Für den Skater ist die Stadt nur eine Art Hardware seines Trips" (Iain Burden). In der Tat ist der Blick eines Skaters in einer und auf eine Stadt ein anderer, wie Anne Wiesner in Wolkenkuckucksheim schreibt: Der "eigene Körper und das eigene Können [setzen] im Endeffekt die Grenzen, nicht die Architektur. [...] Bei seinem Trip konzentriert der Skater sich auf ein zwei Objekte im Raum, die er mit seinem Skateboard erkunden will. Dabei spielt die eigentliche Nutzung keine Rolle. Das Objekt wird so interpretiert, wie es zum Skaten passt." So entstehen ästhetisch bewegliche Verhältnisse von Stadt und Körper. Wer mit dem Board eine Stadt erkundet, "sucht sich ganz bewusst eine Stelle in der Stadt aus, den sogenannten Spot ... Dabei richtet er seine Aufmerksamkeit auf einzelne Objekte im Raum. Das können Geländer, Abstufungen, Mauern, Bänke, Bordsteine oder ähnliches sein. Die Stadterfahrung des Skaters ist eine ganz konkrete, da er Stadt in seiner Materialisation und Form in einer direkten und unmittelbaren Art erfährt. Denn auf die Gegebenheiten der von ihm gewählten Objekte, wie Oberflächen, Übergänge und Höhenunterschiede muss er direkt reagieren, in dem er Schwung holt, gleitet, springt oder sich dreht. Dabei kommt es zu Verletzungen durch Berührungen und Stürze. Das Ganze ist riskant und der Skater wird sich immer wieder die Frage stellen müssen, wie viel er sich zutraut, wie viel er riskieren will, bzw. wie sicher er sich auf dem Skateboard fühlt." (Anne Wiesner)

Die Arbeit von Simparch will wohl nichts von diesen konkreten Experimenten erfahrbar machen, noch deren Visionen überhaupt thematisieren? Was aber dann? Sie eröffnet im Kontext der D11 sicher einen alternativen Ort, der möglicherweise auch über die Ausstellungsdauer hinweg lebt. Hier kann man sich - wenn man selber nicht fährt - kurz das Street(gang)-Feeling holen. Als Besucher der Ausstellung kommt man aber letztlich als Bronx-Tourist und geht zurück in seine bürgerliche Welt, ohne dass ein Cross-Over entstanden ist - weder im Herz noch auf der konzeptuellen Ebene. Wie ein Skateboarder die Welt sieht und was er von der Welt sieht, davon erfährt man nichts. Bei mir selbst bleibt ein ungutes Gefühl zurück, so als ob man kurz gucken wollte, ob es den Kids doch gut geht, sich dabei aber besser nicht hätte blicken lassen sollen. Mit einer Skaterbahn in ein Ausstellungsgelände zu intervenieren, bleibt ein sozialer, kein künstlerischer Eingriff. Aus ästhetischer Sicht haben Simparch dabei (eher) traditionelle Kunst geschaffen: eine im Material und in der Form durchgestaltete Skulptur. Als solche ist die Arbeit eine gelungene Hommage an die Schönheit einer Halfpipe, die perfekte Form für die Vielfalt der (menschlichen) Bewegungen oder genauer: die konzentrierte Formwerdung von Bewegung. [KW]