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Magazin für Theologie und Ästhetik


Waste Words

Der Müll von einem Tag

Karin Wendt

http://www.scotoma.org/Waste

Die Performance: Am 8. Februar 2001 um 8.00 Uhr morgens leert Graham Harvood einen öffentlichen Abfallkorb im Londoner Stadtteil Camberwell Green. 24 Stunden später kehrt er zurück und nimmt alles, was sich im Laufe des Tages darin gesammelt hat, heraus, wiegt den Müll, fotografiert alles und transkribiert sämtliche Worte, die auf Dosen- Papier- und sonstigen Resten vorkommen.

Die Enthauptung: Am 8. Februar 1567 um 8.30 morgens wurde Königin Mary von Schottland enthauptet. Ihr Kopf fiel in einen Korb.

Die Verschwörung: Königin Mary von Schottland war eines Komplotts gegen Königin Elisabeth von England überführt worden. Die Verschwörung wurde entdeckt, als man ihre geheime Korrespondenz mit Hilfe eines von arabischen Mathematikern entwickelten "Word frequency table for English" untersuchte.

Die Funktion: Worte bekommen Gewicht, sobald wir sie in den Mund nehmen, wieder ausstoßen oder verschlucken. Wir benutzen Worte wie alles, mit dem wir täglich umgehen. Dies hat der Künstler Harvood wörtlich genommen. Er hat den Müll, der sich im Laufe eines Tages in einem öffentlichen Abfalleimer ansammelt, herausgenommen, alle Stücke, auf denen Wörter gedruckt waren, fotografiert, gewogen, die Wörter transkribiert und mit der Zahl der Häufigkeit ihres Vorkommens und dem Gewicht ihres Trägers versehen. Von da aus lassen sich bestimmte Funktionen erstellen, etwa die folgende: Wenn X das Gewicht des Trägers ist, geteilt durch die Anzahl der darauf vorkommenden Wörter, dann muss man das Gewicht des Trägers durch X teilen, und man erhält das Gewicht des einzelnen Wortes.

Die so erstellten Tabellen (word frequency tables) zeigen eine reelle Statistik der Häufung von Wörtern und vermitteln so ein konkretes Bild unseres alltäglichen Sprach-Gebrauchs. In einer anderen Hinsicht erbringt das Inventar eines öffentlichen Abfalleimers einen "ästhetischen Beweis" (Roland Barthes). Denn ist eine Wert-Schätzung genau der Worte, die und über die wir Dinge sozusagen stündlich konsumieren.


© Karin Wendt 2002
Magazin für Theologie und Ästhetik 17/2002
https://www.theomag.de/17/kw13.htm