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Magazin für Theologie und Ästhetik


Die Konfliktgeschichte von Kunst und Christentum

Eine Rezension

Andreas Mertin

Einleitung

Vielleicht nicht zufällig ziert das hier zu besprechende Buch auf dem Umschlag ein Werk von Caspar David Friedrich, steht dieser doch wie kein anderer für den letzten revolutionären Impuls des Christentums in der Kunst, seiner Selbstsäkularisierung in Natur und Gefühl. Könnte jemand einen analogen Maler für das 20. Jahrhundert benennen? Wohl kaum. Das aber ist ein Indiz für die kontroverse Sachlage. Caspar David Friedrich steht für den letzten und letztlich gescheiterten Versuch, Kunst und Religion zu versöhnen. Nicht umsonst trägt das Buch von Horst Schwebel neben dem Titel "Die Kunst und das Christentum" den Untertitel "Geschichte eines Konflikts". Nur als solche lässt sich das Verhältnis von Kunst und Christentum heute noch beschreiben: als Konfliktverhältnis und als ein historisch gewordenes Verhältnis.

Seit langem fehlte eine Darstellung der Geschichte von Kunst und Christentum aus protestantischer Perspektive. Horst Schwebel, Direktor des EKD-Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps-Universität Marburg, hat mit seinem Buch diese Lücke endlich gefüllt. In drei grundlegenden Abschnitten

1. Die Bildgeschichte des Christentums [16-73];

2. Das Christentum und die Kunst der Moderne [75-172];

3. Postmoderne - Kirche - Religion [173-219]

entfaltet er das Werden, die Produktivität und die Grenze der Begegnung von Kunst und christlicher Religion von den Anfängen im dritten Jahrhundert bis in die Gegenwart. Sein Interesse ist es dabei vor allem, wie er in der Einleitung schreibt, aufzuweisen, "dass eine Verbindung zwischen autonomer Kunst und Christentum vorstellbar ist" [14]. Dementsprechend schlägt sein Herz unverkennbar vor allem für die künstlerische Moderne, deren Beschreibung allein die Hälfte des Buches füllt. In diesem Sinne kann man das Buch aber auch als Biographie lesen, es gibt Zeugnis einer mehr als 40jährigen Begegnung und Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst. Der Rezensent verdankt Horst Schwebel viel im Verstehen dessen, was das Verhältnis von Kunst und Kirche betrifft, noch mehr aber, was das Verstehen von Gegenwartskunst angeht.

In einem unmittelbaren Sinn ist Schwebels Buch ein Buch des 20. Jahrhunderts, eine Bilanz von 2000 Jahren Christentum und dessen Versuch, mit einem zunehmend widerständigem Teil der Kultur zurecht zu kommen. Die dabei gebrauchten Verfahren der allmählichen Ingebrauchnahme, der konsequenten Funktionalisierung, der religiösen Überhöhung, der depotenzierenden Didaktisierung werden ebenso dargestellt wie die zunehmende Infragestellung und Entfremdung im Gefolge der Renaissance bis hin Rückzug zur kirchlichen Sonderkunst nach der Romantik und der erst spät einsetzenden vorsichtigen Öffnung zur Moderne am Ende des 20. Jahrhunderts

Um es schon vorab zu sagen: das Buch ist eine empfehlenswerte Einführung in die Geschichte des Umgangs des Christentums mit der bildenden Kunst und zudem auch für einen breiteren Kreis gut lesbar. Interessant sind dabei auch die Parallelen historischer Prozesse zu künstlerischen und kirchlichen Phänomen der Gegenwart, die Schwebel immer wieder pointiert herausstellt.

Wenn auch der Rezensent den abschließenden Reflexionen und Perspektivierungen Schwebels - die sich ja ausdrücklich als Gegenbild zu dessen Vorstellungen verstehen [202] - nicht zu folgen vermag, zeigen sie doch, dass es sich auch aktuell weiterhin lohnt, kontrovers an der Verhältnisbestimmung von bildender Kunst und Protestantismus zu arbeiten.

Von den Anfängen bis zur Moderne

Der Prozeß der allmählichen Verbilderung des Christentums ist weiterhin schwer zu verstehen. Ob es sich um eine logische Entwicklung oder um eine Art von Korruption handelt, war Gegenstand kontroverser Diskussionen durch nahezu die gesamte Kirchengeschichte. Schwebel verweist zurecht darauf, dass die ersten Beispiele der Bildkunst im Christentum Trinkbecher und Siegelringe und damit Accessoires gehobener Schichten waren. Auch die Katakombenkunst ist zunächst nicht Volkskunst, sondern wird durch Begüterte in Auftrag gegeben. Die Kunst sickert sozusagen von oben ins Christentum. Wirklich spannend wird es dann aber zum ersten Mal in der Auseinandersetzung um das Kultbild, also dort, wo die Befürchtungen, die die Kirchenväter des 4. Jahrhunderts eher theoretisch umgetrieben hatten, durch die Bilder- und Frömmigkeitspraxis der Kirche und ihrer Gläubigen eine Bestätigung fanden. Das Auftauchen heiliger, nicht von Menschenhand gemachter Bilder im 6. Jahrhundert zeugt aber auch von einem Begründungsdefizit, denn die unabweisbar notwendige theologische Legitimation soll durch die heilige Abkunft der Bilder unterlaufen werden. Die so genannten Acheiropoieta sind weniger Wunder-Werke, als vielmehr ein Argument, das bereits auf einen Streit um vorhandene Kultbilder reagiert. Dieser eskaliert, wie Schwebel darstellt, im 8. und 9. Jahrhundert und führte nicht zuletzt zu so divergenten Erscheinungsformen des Christentums wie es die Ostkirchen im Vergleich zu den Westkirchen sind.

Die Antwort des Westens, die Schwebel im Anschluss daran darstellt, ist in den Libri Carolini niedergelegt, die gegen Bildersturm und Bilderverehrung die Anerkennung der Kunsthaftigkeit der Werke fordern. Entscheidendes Kriterium ist das ingenium des Künstlers. Meines Erachtens unterbewertet Schwebel die Libri Carolini, die ja keinesfalls - wie er schreibt - bis in 19. Jahrhundert verschollen waren, sondern in ihrer Neuedition 1549 durch Bischof Jean du Tillet für Calvin in der dritten Auflage der Institutio eine gewichtige Rolle spielten. Calvin verwirft mit Bezug auf die Libri Carolini die von den Byzantinern eingeführte Differenzierung von Verehrung und Anbetung als offensichtlich unsinnig. Für die nordatlantisch wirksam gewordene reformatorische Position waren die Libri Carolini daher schon von besonderer Bedeutung. Umberto Eco hat darauf verwiesen, dass mit ihnen erstmalig im Mittelalter so etwas wie der Gedanke der Autonomie der Kunst aufblitzt.

Schwebel verweist aber zurecht darauf, dass in der Praxis der westlichen Kirche die von Rom geförderte didaktische Funktionalisierung die wirksamste und verbreitetste Umgangsform des Christentums mit den Bildern wurde. Sie prägte weithin das Mittelalter und selbst die Kritiker der Bilder mussten sich in ihrer Argumentation diesem Leitgedanken unterwerfen. Sie entgegneten dementsprechend, dass wirkliche religiöse Erfahrungsprozesse durch die vorhandenen Bildwelten nicht zu garantieren waren, sondern eher der Schaulust dienten.

Der Darstellung der revolutionären und für die Kunst so folgenreichen Entwicklung von der Reformation bis zum Barock wendet sich Schwebel im Folgenden zu. Neben der Darstellung der Positionen von Karlstadt, Zwingli und Luther setzt er sich dabei auch mit der These von Werner Hofmann auseinander, nach der die "Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion" stattgefunden hätte, das heißt dass mit der Freigabe der Bilder durch Luther sich nach und nach auch die freie Kunst etablierte. Schwebel wendet demgegenüber ein, dass Luther sich nie von dem auch die katholische Kirche weitgehend bestimmenden Gedanken der didaktischen Funktionalisierung der Künste gelöst habe. Allenfalls für den Bereich des Calvinismus lasse sich ansatzweise ein derartiger Konnex herstellen.

Das Tridentinum nahm zur Bilderfrage Stellung, indem es nicht zuletzt Regularien für die rechte Bildproduktion entwarf, die dann auch zu Eingriffen gegenüber etablierter Kunst führten. Prominentester Fall war sicher die Übermalung anstößiger Stellen auf Michelangelos Jüngstem Gericht in der Sixtina in Rom. Exemplarisch zeigt Schwebel dann an Peter Paul Rubens die "Versinnlichung der Glaubensaussage" und an Rembrandt Harmensz. van Rijn die sich in dessen Kunst abzeichnende "Verinnerlicherung des Glaubens". Den Barock sieht Schwebel mit Wolfgang Schöne als Höhepunkt und Ende der christlichen Bildgeschichte: "Bis zum Barock wird die christliche Bild- und Vorstellungswelt als gegeben hingenommen. Nach der Aufklärung und vollends nach der Französischen Revolution war diese Einheit zerbrochen. Das Verhältnis von Christentum und Kunst musste neue begründet werden." [73]

Von Caspar David Friedrich bis zur Postmoderne

Auf den folgenden 100 Seiten entfaltet Schwebel dann das Panorama der Moderne, einsetzend mit Caspar David Friedrich über die Nebenwege der religiösen Sonderkulturen bis hin zu Josef Beuys und Hermann Nitsch. Parallel dazu verweist er - zumindest für das 20. Jahrhundert - auf die theologischen Bemühungen um die Kunst.

Caspar David Friedrich bietet sich als Einstiegspunkt insofern an, als er das vielleicht letzte Beispiel einer intuitiven Nähe von Kunst und Theologie und zugleich einen Bruch mit der vorherigen religiösen Malerei darstellt. Die Verwandtschaft mit den Überlegungen Schleiermachers ist jedenfalls evident. Etwas zu breit geraten scheint mir dagegen mit 12 Seiten die Darstellung der kirchlichen Sonderkultur von den Nazarenern über die Praeraffaeliten und die Beuroner Malschule bis hin zu Fritz von Uhde. In Hans Beltings "Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst" (s. dazu die Rezension in Heft 15 des Magazins für Theologie und Ästhetik), das sich ja auf nahezu 500 Seiten der Moderne nähert, kommt keiner der hier genannten Künstler auch nur vor - Caspar David Friedrich übrigens auch nicht. Deutlich wird daran, wie different die kunsthistorischen und theologischen Diskurse über die Kunst seit 1800 sind.

Mit van Gogh, James Ensor, Lovis Corinth, Emil Nolde, Georges Rouault, Alexej von Jawlensky, Ernst Barlach, Karl Schmidt-Rottluff wird dann die Phalanx jener Künstler beschrieben, die zumindest auch in die Rubrik "Christus in der Kunst des ausgehenden 19. bzw. des 20. Jahrhunderts" eingeordnet werden können. Abgesehen von van Gogh, dessen Beerbung durch Friedemann Hahn für die Christusdarstellungen der Gegenwart eine bedeutsame Rolle spielt, und Emil Nolde, der zumindest in Schulbüchern sich einiger Beliebtheit erfreut, bin ich mir aber insgesamt nicht sicher, wie bedeutsam die genannten Künstler für die Gestaltfindung des Christentums in der Kultur der Gegenwart wirklich sind. Zur Seite stellt ihnen Schwebel jene Kulturwissenschaftler im weiteren Sinn, die "im Expressionismus einen religiösen Aufbruch sahen", nämlich Gustav Friedrich Hartlaub und Paul Tillich. Sie alle zeugen von dem - für die Argumentation Schwebels auch im Blick auf die Gegenwart wichtigen - prophetischen Moment der bildenden Kunst.

Das zweite für Schwebel grundlegende Motiv ist das Mystische und dieses findet er nicht zuletzt in der abstrakten Malerei von Wassily Kandinsky und Franz Marc. Während jedoch der Expressionismus durchaus zeitgenössische Theologen fand, die ihn religiös legitimierten, geschah das mit der Abstraktion erst mit 50jähriger Verspätung. Unbestreitbar ist, dass die Künstler sich terminologisch auf die Mystik bezogen haben, fraglich und diskutabel scheint mir, wie sachhaltig dieser Bezug ist und -noch gewichtiger -ob sich hier nicht dezidiert die Ablösung eines religiösen Topos durch die Kunst abzeichnet (In diesem Sinne plädiert jedenfalls Jörg Herrmann in seinem Aufsatz "Wir sind Bildhauern gleich" in dem Buch "Die Gegenwart der Kunst").

Die wahre Revolution in der Kunst, die sich nahezu zeitgleich abspielte und deren Erscheinungs- und Begründungsform für immer veränderte und die zugleich alle religiösen Deutungsformen der Kunst nachhaltig unterminierte, kommt bei Schwebel an dieser Stelle allerdings nicht vor. Marcel Duchamps Akt, Gegenstände durch Auswahl zur Kunst zu erklären - zu dem sich ja gerade im Blick auf den Reliquienkult des Mittelalters und auch theologisch einiges hätte sagen lassen - wird von Schwebel erst am Ende des Buches als postmodernes Phänomen abgehandelt. Das ist aber sachlich wie historisch ein Fehler, denn mit Duchamp bestimmt die künstlerische Moderne auf ihrem Höhepunkt zugleich ihre Grenze - man könnte auch sagen, darin Arthur C. Danto folgend, ihr Ende.

Nach dem 2. Weltkrieg gelingt für einige Jahre in Frankreich eine Zusammenarbeit von großer Kunst und Kirche, die nicht zuletzt deshalb bedeutsam ist, weil sie die von vielen Gemeinden bis heute gepflegte Rede vom Künstler, der glauben müsse, wenn er für kirchliche Räume arbeite, in deutlicher Weise widerlegt. Im Gegensatz zu den christlichen Künstlern hatten nämlich "die nichtchristlichen Künstler die aufsehenerregenden und auch für den liturgischen Gebrauch angemessenen Werke geschaffen" [120].

Dagegen muten die Realisierungen im deutschen Raum, die Schwebel im Folgenden beschreibt, eher etwas bieder an. Bedeutsamer als die rasch adaptierte expressive Kirchenkunst wurde der Kirchenbau mit höchst interessanten Beiträgen und Experimenten. Auch die abstrakte Kunst, die allmählich Einzug im Kirchenraum fand, konnte nach aufregenden Anfängen schnell beliebig werden und - kombiniert mit etwas verschwommener religiöser Symbolik - zu einem Dauerbrenner vor allem minderwertiger kirchlicher Kunst geraten.

Nach dem 2. Weltkrieg setzte aber auch eine Folge theologischer Auseinandersetzungen mit der Kunst ein, welche die durch die dialektische Theologie offen gelassene Frage nach dem Ort der Kunst im Christentum mit unterschiedlichen Modellen und Akzenten zu beantworten suchten. Theologische Positionen der Nachkriegszeit waren Hans-Eckehard Bahr, Rainer Volp, Kurt Lüthi und Günter Rombold. Daneben stellt Schwebel noch die konträren Positionen Wieland Schmieds und Emil Wachters dar. Letztlich stellen alle diese Positionen in einer gewissen Form apologetische Positionen dar, denn sie suchen die Kunst gegenüber dem Christentum in der einen oder anderen Form plausibel zu machen. Nur selten blitzt der Gedanke auf, dass die Kunst als Kunst das theologisch Interessante ist. In der Regel verstellen Begriffe und Formulierungen wie etwa Transzendenz, Wahrheit, Kunst als Sprache der Religion oder die Fixierung auf den Künstler selbst den Blick auf das Diskursverhältnis von Religion und Kunst in der Moderne und der sich in der Neuzeit vollziehenden Diskursdifferenzierung.

Der sich anschließende Abschnitt widmet sich der Frage nach dem weiteren Vorkommen christlicher Themen in der modernen Kunst, dem Horst Schwebel in seinen Schriften und seiner sonstigen Kunstvermittlungstätigkeit ja eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat. Marc Chagall, Francis Bacon, Herbert Falken, Alfred Hrdlicka, Werner Knaupp, Pablo Picasso (mit Einschränkungen), Joseph Beuys und Hermann Nitsch sind die personalen Argumente für die Legitimität der These vom Fortleben religiöser Themen in der Kunst der Gegenwart.

Hinzu treten exemplarisch die von Schwebel initiierten und durchgeführten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst mit christlichen Themen, seien dies "Das Abendmahl in der zeitgenössischen Kunst" (1982), "Die andere Eva" (1985), "Ecce homo" (1987), "Engel" (1989) oder "liebe und eros" (1992). Der Untertitel der Ausstellung "Ecce homo - Vom Christusbild zum Menschenbild" zeigt dabei allerdings die unvermeidbare Tendenz an, nämlich die der Auflösung explizit christlicher Themen in allgemein religiöse oder menschliche Themen. Insofern wird trotz all der prominenten Künstlernamen die These vom Ende der christlichen Bildgeschichte im 19. Jahrhundert noch einmal eindrucksvoll bestätigt.

Die Enden der Moderne

Das dritte große Kapitel "Postmoderne - Kirche - Religion" eröffnet mit der Abschnittsüberschrift "Die Antwort der Kirche auf die Postmoderne". Deutlicher könnte das Missverständnis von Postmoderne kaum beschrieben werden. Weder kann man sich zur Postmoderne verhalten, noch kann die Kirche eine Antwort auf die Postmoderne geben. Gerade der theoretische Kern postmoderner Philosophien bestreitet ja die Möglichkeit, sich zur Postmoderne zu verhalten, man kann sich nur in ihr, also in einer bestimmten Diskurskonstellation finden.

Darüber hinaus fällt auf, dass viele der von Schwebel in diesem Kapitel als postmodern geschilderten Phänomene im eigentlichen Sinne noch der Moderne an gehören. Andy Warhol und Marcel Duchamp arbeiten konsequent an der Erweiterung der Grenzen der Kunst und gehören damit eindeutig zur künstlerischen Moderne. Auch einen jungen Künstler wie Thomas Lehnerer würden ich eher als einen modernen in Zeiten der Postmoderne beschreiben. Und auch die "Verklärung des Alltäglichen" ist durch und durch ein modernes Phänomen. "Banal" sind schon die Materialien bei Duchamp oder beim Nouveau Réalisme. Und auch das von Arthur C. Danto konstatierte Ende der Kunst beschreibt das Ende der Kunst der Moderne, deren angestrengten Grenzüberschreitungen obsolet geworden sind. Die Identifizierung von Post-Moderne mit der Hinwendung zum Kitsch und zur Unterhaltungskultur ist dagegen zumindest irreführend. Die veritablen Vertreter der Postmoderne haben statt dessen immer auf ein Argumentationsdefizit der Moderne verwiesen, welche die Differenz von U und E thetisch und damit reflexionslos vertreten haben.

Die von Schwebel selbst aufgewiesene Unterschiedslosigkeit, mit der innerhalb der Kirche Hochkunst und Trivialkunst zur Sprache kommt, ist eher Charakteristikum der Hilflosigkeit der Kirche in ästhetischen Fragen, denn ein Epochenkriterium. So steht auf der einen Seite die Begegnung von Kunst und Kirche, für die etwa Paul Gräb oder Erich Witschke stehen, und auf der anderen Seite eben auch die Akzeptanz von Emil Wachter oder Hermann Buß. Gerade die innerkirchlichen Streitigkeiten zeigen alle Züge "moderner" Auseinandersetzungen um die Kunst, hier kommt die Kirche einfach 40 Jahre zu spät.

Wenn denn postmoderne künstlerische Positionen hätten zur Sprache kommen sollen, dann hätte es sich etwa um das Werk von Gerhard Richter handeln müssen. (Vgl. dazu etwa Thorsten Scheer: Postmoderne als kritisches Konzept. Die Konkurrenz der Paradigmen in der Kunst seit 1960. München 1992.] Vielleicht wäre es grundsätzlich besser gewesen, Schwebel wäre der Terminologie von Heinrich Klotz gefolgt und hätte von einer Abfolge von Moderne - Postmoderne - Zweite Moderne gesprochen.

Die anschließende Darstellung meiner eigenen Position überspringe ich aus naheliegenden Gründen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass Schwebels zentraler Einwand meine Position eher bestätigt als widerlegt. Wenn angesichts eines religiösen Kontextes ein autonomes Werk, das für die ästhetische Erfahrung geschaffen wurde, anders gelesen wird, ist es eben nicht das Werk selbst, dass die religiöse Erfahrung initiiert, sondern die durch den religiösen Kontext generierte Wahrnehmungsveränderung. Die religiöse Erfahrung ist eine Reflexionsleistung des Subjekts. Mit Wilhelm Gräb gesprochen: "Die religiöse Deutung moderner Reflexionskunst ist nie zwingend. Sie liegt ja nicht schon im Werk selber beschlossen. Die ästhetische Erfahrung, die es auslöst, ist genuin die Suche nach einem Allgemeinen der Bedeutung, nach einem Begriff, der zum Verstehen des Kunstwerks erforderlich scheint, der aber gerade nicht greifbar ist, sondern in der Reflexionsbewegung ästhetischer Erfahrung, die zwischen sinnlicher Wahrnehmung und ideeller Einbildung spielt, immer wieder entgleitet. Jede Deutung dieser Erfahrung, die über das rein Ästhetische des Gefallens am glückenden Zusammenspiel hinausgeht, macht von Konnotationen Gebrauch, die anderen Diskursuniversen entstammen: politischen, moralischen, religiösen." Dies zum Bewußtsein zu bringen, ist das Ziel meiner praktischen Arbeit mit bildender Kunst. Insofern arbeite ich an einem Zusammenspiel von Kunst und Religion, das gerade von deren bleibender Differenz lebt und diese bewusst macht.

Um demgegenüber das Gemeinsame von Gegenwartskunst und Religion herauszuarbeiten, stellt Schwebel im Abschnitt "Kunst als Religion" drei Momente vor, die als religiöse "im Zusammenhang der ästhetischen Erfahrung eine zentrale Rolle spielen". Es sind dies das Mystische, das Prophetische und das Epiphane. Die Formulierung "im Zusammenhang" ist mehrdeutig. Sie könnte die Momente als der ästhetischen Erfahrung inhärente, analoge, zuzuordnende oder in ästhetischer Erfahrung aufzuhebende beschreiben. Im extremsten Fall könnten sie diese sogar negieren. Alle drei Momente sind mit der Kunst der Moderne verbunden und es ist zu prüfen, inwiefern sie weiterhin Gültigkeit besitzen. In meinem Sprachgebrauch kommt - mit Ausnahme der Epiphanie in profaniertem Verständnis - das Mystische und das Prophetische angesichts der Kunst nicht mehr vor.

Schwebel verweist für das Mystische (Jenseits der Wirklichkeit) auf Piet Mondrian, Kasimir Malewitsch, Barnett Newman, Mark Rothko, Mark Tobey, Gotthard Graubner, Brice Marden und Alexandre Hollan - allgemein also auf die Abstraktion und die gegenstandsfreie Kunst. Was Adorno für die große Kunst allgemein beschrieben hat - "Urteilslos deuten die Kunstwerke gleichwie mit dem Finger auf ihren Gehalt, ohne dass er diskursiv würde" - möchte Schwebel angesichts der Abstraktion zugunsten der Gemeinsamkeit von Kunst und Religion verbuchen. Im Blick auf das Mystische gehe ich statt dessen mit Jörg Herrmann davon aus, dass dessen Gehalt in der Kunst aufgehoben ist. Was einmal Mystik war, ist heute Ästhetik. So schreibt Jörg Herrmann: "Hinsichtlich der kulturellen Präsenz dominiert heute die Ästhetik. Der Mystikdiskurs ist ihr gegenüber gebrochen und fällt in eine historisch orientierte Theoriearbeit und eine praktisch ausgerichtete Spiritualität ohne Bezug zum aktuellen Denken auseinander. Auf der Höhe des Gegenwartsbewusstseins wird das Andere der Vernunft heute im Ästhetischen erfahren. Zugleich erkennen wir aus der Perspektive heutiger Ästhetik, dass Elemente der alten Mystik wie etwa die Lehre vom dreifachen Auge der Erkenntnis als Vorformen moderner Ästhetik interpretiert werden können und in Ästhetik übergegangen sind." Mystik wäre dann nicht mehr religiös, sondern in säkularisierter Gestalt ein Teil der Kunsterfahrung.

Für das Prophetische (Durchbrechen der Wirklichkeit) verweist Schwebel auf den Expressionismus, aber darüber hinausgehend auch auf Werke von Herbert Falken, Harald Duwe, Joseph Beuys und damit nicht zuletzt auf Kunst(werke), die gegenständlich orientiert sind. Mit ihnen werde eine vorhandene (außerbildliche) Struktur aufgebrochen. Im Blick auf das Prophetische sollte man vielleicht aber eher - und zutreffender - von Versuchen der Re-Sozialisierung des Ästhetischen sprechen (Vgl. dazu den Beitrag "Cruss-Cutting" von Karin Wendt im Heft 14 des Magazins für Theologie und Ästhetik). Karin Wendt schlägt vor, diese Bezugnahme der Kunst auf das Soziale "als eine Form der Parallelmontage von Ethik und Ästhetik" zu begreifen. Und sie erläutert: "Wenn der künstlerische Beitrag im Blick auf Fragen der Ethik darin bestehen soll, den sozialen Handlungsrahmen zu strukturieren, erzielt man allenfalls interessante Überblendungseffekte, macht Ähnlichkeiten sichtbar, schafft kurzfristig Ent-Spannung. Erkenntnisbringend wäre dagegen eine Parallelmontage der beiden möglichen Haltungen dem Leben gegenüber - dem Interesse an einer Kultur der Gemeinschaft und dem Genuss an der Fähigkeit zur formalen Distanzierung. Die könnte so aussehen, dass ästhetische Zusammenhänge ... in einen anderen Funktionszusammenhang eingebettet und damit am anderen Diskurs erfahrbar werden. Die Legitimierung ästhetischer Erfahrung über den ethischen Diskurs ... lässt Kunst und ihre Regeln jedoch zur Spielanleitung für Gesellschaft werden ... Gesellschaftsspiele sind aber - zumindest ästhetisch gesehen - langweilig." Nur in der Differenzierung und Differenzbewahrung von Kunst und Prophetie bzw. Sozialem lässt sich der Kunst ein sozialer Gehalt zusprechen.

Für das Epiphane (Transzendenz innerhalb der Wirklichkeit) nennt Schwebel Wolfgang Laib, Jannis Kounellis, Günther Uecker, Antoni Tàpies und Bill Viola. Sie alle operieren nach landläufigem Verständnis mit spirituellen Momenten in ihrer Kunst. Ich selbst habe den Begriff der Epiphanie für die Kunst gebraucht - allerdings als gezielten Gegenbegriff zum religiösen Gebrauch. Darin folge ich Theodor W. Adornos Charakterisierung in der 'Ästhetischen Theorie': "Kunstwerke sind neutralisierte und dadurch qualitativ veränderte Epiphanien." Die Beschreibung der Kunst als Epiphanie nimmt diese als rätselhafte Zeichen, welche ebenso nach Deutung heischen, wie sie sich zugleich jeglicher hermeneutischen (= auf Verstehen zielenden) Inbesitznahme verweigern. Derartig kann die Kunst als der Religion analog erscheinen, ohne dass sie dieser jedoch zugeschlagen oder zugunsten dieser funktionalisiert werden könnte. Epiphanie ist keine säkularisierte Theophanie: "Kunstwerke verbieten sich durch Autonomie ihrer Gestalt, das Absolute in sich einzulassen, als wären sie Symbole. Die ästhetischen Bilder stehen unter dem Bilderverbot." Adornos alternativ gebrauchtes Sprachbild ist daher das Feuerwerk.

Mit dem Mystischen, dem Prophetischen und dem Epiphanen errichtet Schwebel zugleich aber ein Prokrustesbett. Im Gegensatz zur Romantik, die alle Kunst in den Blick nahm, möchte Schwebel die religiöse Dimension von Kunstwerken auf jene begrenzt wissen, die in das eine oder andere Bett passen. Dazu muss er aber meines Erachtens - um im Bild zu bleiben - jeweils bestimmten Elemente des Schaffens eines Künstlers strecken oder andere Elemente des Werkes kappen, damit es religiös kompatibel bleibt. Beides ist, um zur Kunstterminologie zurückzukehren, ein ikonoklastischer Akt. Deutlich ist, dass er Momente zeitgenössischer Kunst zugunsten theologischer Erkenntnis zumindest für einen Augenblick still stellen und eingrenzen möchte. Deutlich ist, dass er alle Werke außer Acht lassen muß, die an Bedeutung nicht mehr gebunden sind. Erschüttert würde dieser Ansatz, wenn sich zeigen würde, dass Referenz - verstanden als externe Referenz - das dem Kunstwerk Äußerliche und Akzidentelle wäre.

Nichtsdestoweniger hatte ich ja schon einleitend darauf hingewiesen, dass Schwebels Buch eine rundum empfehlenswerte Einführung in die Geschichte von Kunst und Christentums darstellt. An dieser Stelle sei nur eine grundsätzliche Anfrage nachgetragen. Es ist meines Erachtens eine wichtige Frage, ob man die Geschichte des Christentums mit dem Bild erst mit dem Jahr Null beginnen lassen sollte, oder ob nicht die mit der Genese des Bilderverbots begründete Differenzierung stärker mit einbezogen werden muss. Jan Assmann ist dieser Spur in seinem Buch "Moses der Ägypter" nachgegangen und er hat in diesem Zusammenhang von der "Mosaischen Unterscheidung" gesprochen. "Die Mosaische Unterscheidung wird im Raum der Bilder getroffen, und der Kampf der Gegenreligion wird gegen die Bilder geführt." In Abgrenzung zur ägyptischen Kultur und später dann zur kanaanäischen Umwelt wird Bildkult zur Sünde schlechthin. Der Raum, der durch diese Unterscheidung geschaffen wird, "ist der Raum des jüdisch-christlich-islamischen Monotheismus. Es handelt sich um einen geistigen oder kulturellen Raum, der durch diese Unterscheidung konstruiert und von Europäern nunmehr seit fast zwei Jahrtausenden bewohnt wird". Würde man diesen Gedanken stärker berücksichtigen, würde deutlich, wie diese Unterscheidung auch das Christentum nordatlantischer Prägung (und das ist nun mal das protestantische) bis in die letzte Faser hinein immer noch bestimmt. Während meines Erachtens die moderne und postmoderne Kunst gerade diesen Impuls in sich aufgenommen hat, muss die theologische Theoriebildung dem noch nachdenken.


© Andreas Mertin 2002
Magazin für Theologie und Ästhetik 17/2002
https://www.theomag.de/17/am58.htm

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Horst Schwebel, Die Kunst und das Christentum. Geschichte eines Konflikts, München 2002