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Magazin für Theologie und Ästhetik


In Between

Kirche in einer urbanen Kultur

Eveline Valtink

Erkenntnis durch kulturelle Vermittlungsarbeit

Bazon Brock hat 1976 vier Wege der Erkenntnisgewinnung anhand einer Evangelistengruppe Tilmann Riemenschneiders für die Predella des Münnerstädter Altars skizziert.[1] Jeder Evangelist steht dabei für bestimmte Erkenntnisschritte, und je nach Zuordnung der Evangelisten entstehen unterschiedliche Wege zur Erkenntnis. Das wohl heute immer noch populärste Modell entspricht dem Prozeß humanistischer Erkenntnisgewinnung und orientiert sich an der Abfolge Markus - Lukas - Matthäus - Johannes (Abb. 1).

Hier sind jeweils zwei Figuren - äußerlich kenntlich durch ihre Kleidung - einander dialogisch zugeordnet. Neben diesem Modell gibt es noch das Modell der prophetisch-apostolischen Erkenntnisgewinnung (Matthäus - Markus - Lukas - Johannes) sowie das Modell schöpferischer Erkenntnisgewinnung (Matthäus - Lukas - Markus - Johannes).

Keines dieser Modelle kann jedoch heute noch als wirklich aktuell bezeichnet werden. Deshalb skizziert Brock als viertes ein Modell, das den geänderten Bedingungen öffentlicher Kommunikation in der Moderne besser entspricht. Denn das Problem sei, so Brock, dass "heute eine Vielzahl von schöpferischen Subjekten in allen Lebensbereichen planmäßig Erkenntnisse ... [produziert]. Angesichts dieser Vielfalt kann der Begriff der Öffentlichkeit nicht mehr im alten Sinne aufrecht erhalten werden, so als sei die Öffentlichkeit als ein sich immer selbst gleichbleibender Adressat schöpferischer Erkenntnisgewinnung vorhanden. Eine solche Öffentlichkeit gibt es nicht mehr. Sie muß ersetzt werden durch einzelne Adressatengruppen, deren Kommunikationsbereitschaft das schöpferische Subjekt erst herstellen muß, indem es sie auf Übernahme eben jenes Aussagenanspruchs verpflichtet. Dieser Teil von Äußerungen des Subjekts Dritten gegenüber kann nur noch als Arbeit, als Vermittlungsarbeit bestimmt werden. Die Vermittlung gelingt, und damit wird die schöpferische Erkenntnisgewinnung überhaupt erst sinnvoll, wenn andere Subjekte die angebotenen Aussagen in ihre Lebenssphäre einbeziehen und darüber einen eigenen Aussagenanspruch ausbilden."[2]

Das Modell kultureller Vermittlungsarbeit wendet sich zunächst angesichts der knapper werdenden Ressource Aufmerksamkeit der Erzeugung seiner Wahrnehmungsbedingungen zu, um dann Handlungsentwürfe anzubieten und einzuüben. Sein Ziel ist die eigenständige Überprüfung der angebotenen Aussagen in der Lebenssphäre der Adressaten.

Erzeugung der Bereitschaft zur Aufmerksamkeit
Angebot an Handlungsentwürfen
Einübung des Adressaten in Handlungsentwürfe
Reorganisation der Lebenssphären des Adressaten
Aussagenautorität
Glaubwürdigkeit
Fachkompetenz
Interaktionskompetenz
Autonomie: von sich selbst absehen können

Dieses Modell könnte - das ist die These der folgenden Ausführungen - auch das Modell einer Kirche in einer urbanen Kultur sein. Die Abfolge von Glaubwürdigkeit, Fachkompetenz, Interaktionskompetenz und (religiöser) Autonomie[3] entspricht dabei dem Selbstverständnis einer Kirche, deren Leitbild nicht das Dorf ist, in dessen Mitte sie steht, sondern die moderne Großstadt[4], an deren Schnittstellen sie sich verortet.[5]

Erlebnisgesellschaft und Milieusegmentierung

Nicht nur das klassische Modell humanistischer Erkenntnisgewinnung mit seiner Betonung der Tradition und der schöpferischen Innovation ist in die Krise geraten, auch das gesamtgesellschaftliche Muster kultureller Sinnvermittlung und vor allem der Kulturwahrnehmung ist grundsätzlichen Veränderungen ausgesetzt. Diese These vertritt der Kultursoziologe Gerhard Schulze in seiner Studie Die Erlebnisgesellschaft.[6] Lange Zeit konnte sich die Gesellschaft demnach auf die überlieferten Schemata verlassen, also entweder auf die Hochkultur oder auf die Subkultur als Alternative. Beide waren über weite Strecken, wenn auch negativ, aufeinander bezogen. "Solange es nur ein alltagsästhetisches Schema gab, das Hochkulturschema, war klar definiert, was es bedeutete, Kultur zu haben oder kulturlos zu sein. Im eindimensionalen Raum der Alltagsästhetik war der Begriff des Schönen eine allgemeine Vorstellung, an der gerade auch jene teilhatten, die durch ihre ökonomische Lage davon ausgeschlossen waren. Im mehrdimensionalen Raum der Alltagsästhetik, in dem sich die Gegenwartsgesellschaft über weit auseinanderliegende Positionen verteilt, ist der Kollektivitätsgrad von Vorstellungen über das Schöne auf den Umfang sozialer Milieus zurückgegangen."[7] Was sich entwickelt, ist ein mehr-"dimensionaler Raum der Alltagsästhetik", in dem die Menschen ihren eigenen Stil bilden.

Alltagsästhetische Schemata Typische Zeichen (3 Beispiele)
Bedeutungen
Genuss
Distinktion
Lebensphilosophie
Hochkulturschema Klassische Musik, Museumsbesuch, Lektüre guter Literatur
Kontemplation
Anti-barbarisch
Perfektion
Trivialschema Deutscher Schlager, Fernsehquiz, Arztroman
Gemütlichkeit
Anti-exzentrisch
Harmonie
Spannungsschema Rockmusik, Thriller, Ausgehen (Kneipe, Disco, Kino usw.)
Action
Anti-konventionell
Narzissmus

Die Tabelle zeigt das Schema der Stiltypen, das sich seit dem Ende der achtziger Jahre fest "als voneinander unabhängige, kombinierbare Muster des Erlebens im Bewußtsein der Bevölkerung verankert"[8] hat. Nach Lebensalter und Bildungsgrad verdichten sich in dem so skizzierten "dimensionalen Raum alltagsästhetischer Schemata" Gruppen in bestimmten Teilbereichen. Sie stehen zu den einzelnen Stiltypen jeweils in einem engeren oder distanzierteren Verhältnis. So lassen sich je nach Zuwendung zu und Distanzierung von den einzelnen Stiltypen fünf "Milieus" abgrenzen: "Die älteren Milieus sollen als 'Harmoniemilieu', 'Integrationsmilieu' und 'Niveaumilieu' bezeichnet werden, die jüngeren als 'Unterhaltungsmilieu' und 'Selbstverwirklichungsmilieu'. Innerhalb der Altersschichten unterscheiden sich die Milieus nach dem Bildungsgrad."[9]

Dabei zeichnet sich zugleich milieuübergreifend ein allgemeiner Trend ab: "Das Projekt des schönen Lebens [als] Projekt, etwas zu erleben." In Abgrenzung zu anderen Orientierungen - Schulze nennt u.a. das "Leben als Überleben; Leben als Dienen, Pflicht, Selbstaufopferung; Leben als Existenz mit metaphysischem Bezug"[10] - geht es heute um Erlebnisorientierung, d.h. darum, "dass ein Mensch sich vornimmt, Prozesse auszulösen, die sich in ihm selbst vollziehen."[11] Die dabei leitenden Paradigmen lassen sich mit Wilfried Engemann zusammenfassen als: 1. Innenorientierung, 2. Erlebnisanspruch, 3. Abwechslung, 4. Handeln durch Wählen, 5. Verobjektivierung des Ich, 6. Vergangenheitsverlust, 7. Ästhetisierung des Alltags.[12] Diese Prozesse der Erlebnisorientierung gelten für alle Milieus, also nicht nur für die am alltagsästhetischen Spannungsschema orientierten Gruppen, sondern auch für die sich auf das Hochkulturschema beziehenden.

Während also alle Milieus auf der Suche nach Erlebnissen sind, steht auf der Negativseite die Unsicherheit, welche Produkte und Events die Erlebnisfrage wirklich befriedigen können, und die Enttäuschung, dass faktisch keines der Angebote den Erlebnishunger auf Dauer befriedigen kann. Immer neue Angebote treten an die Stelle der alten und versprechen noch mehr Erlebnis, Genuss, Action. Schon bei der Realisierung eines Wunsches ist man sich klar darüber, dass morgen schon andere und bessere Befriedigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Selbstverständlichkeit der nachwachsenden Angebote lässt das Bedürfnis nach Erlebnisbefriedigung kaum noch ins Bewußtsein treten: "Wie ein bequemes Sofa, an das man sich gewöhnt hat, ist das tägliche Erlebnisangebot bereits zu selbstverständlich geworden, als dass man den Wunsch danach noch intensiv spüren könnte [...] das Motiv der Sehnsucht nach dem Schönen [schlägt] in das Motiv der Vermeidung von Langeweile um."[13]

In der Öffentlichkeit ist die Studie von Gerhard Schulze einseitig unter dem Titelschlagwort und seinen Folgen wahrgenommen worden. Die "Erlebnisorientierung" bildet dabei eine suggestive und assoziationsreiche Folie, der dann humane Perspektiven auf die wahren und zu bewahrenden Werte entgegengesetzt werden können. Dabei bildet den m.E. wesentlich dramatischeren Aspekt der Analyse ein Phänomen, das Schulze die "Struktur gegenseitigen Nichtverstehens" genannt hat, also die Tatsache, dass immer weniger kollektive Gemeinsamkeiten zur Verfügung stehen und die Welten der einzelnen Gruppierungen auseinander driften bzw. sich voneinander abschotten.[14] Während früher die großen kollektiven Deutungssysteme und soziale Rahmenbedingungen noch übergreifende Gemeinsamkeiten herstellten, gilt dies für die Gegenwart nicht mehr. "Die gegenwärtige kollektive Struktur von Subjektivität ist gekennzeichnet durch gruppierte Disparatheit ... Gefangen in subjektiven Welten mittlerer Reichweite, stehen soziale Milieus in einer Beziehung gegenseitigen Nichtverstehens - nicht bloß des oberflächlichen, durch Wahrnehmungsverzerrungen verursachten Irrtums, sondern des fundamentalen Nichtbegreifens. Menschen mit inkommensurablen Deutungssystemen, die versuchen, sich gegenseitig zu deuten, begreifen noch nicht einmal ihr Nichtbegreifen. Sie ähneln U-Booten mit fehlerhaften Radaranlagen, die sich gegenseitig nicht orten können, ohne dass die Besatzungen dies wüssten."[15] Drastischer können die Spaltungen, die sich da auftun, kaum beschrieben werden. An anderer Stelle beschreibt Schulze diesen Vorgang so: "Statt auf einer gemeinsamen Leiter stehen die sozialen Gruppen auf einem Podest, jede für sich, und jede stellt sich auf die Zehenspitzen, um auf die anderen herabschauen zu können."[16] Die wesentlichen 'Kontrahenten' in diesem Feld gegenseitigen Missverstehens sind das Niveaumilieu und das Unterhaltungsmilieu (Eingebildete versus Primitive) sowie das Harmoniemilieu und das Selbstverwirklichungsmilieu (Spießer versus Ruhestörer). Schulze ist es wichtig, hervorzuheben, dass das Nichtverstehen der "nahezu inkommensurablen Sozialwelten" nichts mit dem Distinktionsverhalten aus den Zeiten des alten Hochkulturschemas zu tun hat, es handelt sich nicht um ein Abgrenzungsverhalten, wie es Pierre Bourdieu in den 70er Jahren in "Die feinen Unterschiede"[17] untersucht hat. Die Differenz ist wesentlich tiefgreifender: Die verschiedenen Milieus können sich nicht verstehen, ihnen fehlen die Instrumentarien, die Zeichenwelten, um sich den anderen jeweils begreiflich machen zu können. Kulturpolitisch, auch dies macht Schulze deutlich, ergeben sich daraus zahlreiche Probleme, z.B. mit dem Anspruch, sich an alle wenden zu wollen und gleichwohl nur milieuspezifisch ausgerichtete Programme anbieten zu können. Diesem Widerspruch entgeht man nicht. Die Frage ist, wie man mit den entstehenden Zwischen-Räumen umgeht.

Theologie des Zwischen-Raums

Grundsätzlich bieten sich für die Religion zunächst unterschiedliche, z.T. einander ergänzende Perspektiven an: 1. die Nutzung des verbleibenden Zwischenraums zwischen den anderen Diskursangeboten, also das Selbstverständnis der Religion als ein Diskurs neben anderen Diskursen; 2. das Festhalten an den "Grand Recits" in dem Sinne, dass man den souveränen Anspruch auf das Ganze betont und dabei hervorhebt, dass die Religion eine der wenigen bedeutsamen Bemühungen ist, die Welt überhaupt noch als Ganzes in den Blick zu nehmen; 3. die Verortung zwischen den Milieus, in den Zwischen-Räumen der Lebenswelten. Alle drei Perspektiven können miteinander verbunden werden, ihre Differenzen hängen von den Akzenten ab, denen man Priorität einräumen will. Auf die Notwendigkeit einer Kultur des Zwischen-Raums im letztgenannten Sinne haben in den letzten Jahren verschiedene Theologen hingewiesen.[18] Die Religion, so hat etwa Henning Luther gefordert, muß sich "an den Schnittstellen der verschiedenen Lebenswelten ansiedeln, in den Zwischenräumen einander begegnender und durchdringender Lebenswelten wirksam werden. Dies könnte sie um so mehr, je diskrepanter diese Lebenswelten aufeinanderprallen und Differenzerfahrungen erzeugen ... [Religion] würde diese Differenzen gerade wahrnehmen, aushalten, ausformulieren, anstatt sie zu überspielen, zu vertuschen oder zu ignorieren".[19] Angesichts der hermeneutisch-kommunikativen Begrenzungen der einzelnen Milieus bemüht sich Religion bzw. die christliche Kirche darum, den agonalen Zustand des gegenseitigen Missverstehens aufzubrechen und Kommunikationsstörungen zu beseitigen. Dort, wo z.B. im Rahmen einer urbanen Kultur unterschiedliche Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen aufeinanderprallen, sorgt die Kirche durch Foren und Diskussionsplattformen für einen geregelten Austausch der Argumente, für einen neutralen Boden der Konfliktartikulation. Tatsächlich sind Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen ein bedeutsames Thema aller Religionen, freilich sind in der Regel eher existentielle oder sozial-materielle Grenzen, d.h. persönliche Krisen behandelt worden.[20] Mit der zunehmenden Milieusegmentierung der Gesellschaft breitet sich aber ein Phänomen aus, das als soziale Begrenzung in einem anderen Sinne bezeichnet werden muß. Gerade angesichts dieser Grenzen muß sich erweisen, ob die christliche Religion die "Kraft zur Grenzüberwindung im sozialkommunikativen Bereich"[21] besitzt. Gelänge ihr diese Grenzüberschreitung, könnte man die beschriebene Entwicklung "auch als produktive Vervielfältigung sehen, die erst den Spielraum kritischer Begegnungen schafft. Dann werden gerade die Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Lebenswelten, die Übergänge von der einen zur anderen 'Kultur', die Passage entlang an den unterschiedlichen, divergierenden Erfahrungen und Eindrücken zur kritischen Herausforderung. Das Bleiben in nur einer, einheitlichen Lebenswelt macht demgegenüber einfältig, unkritisch, intolerant".[22] So wahr Letzteres ist, so sehr scheint es im Augenblick aber ergänzungsbedürftig zu sein. Richtig ist, dass der gegenwärtige Zustand der Gesellschaft das kulturelle Crossover in einem stärkeren Maße ermöglicht als jede Gesellschaftsform zuvor. Problematisch ist, dass mit dieser Erweiterung Milieusegmentierungen verbunden sind, welche zu weitgehend unüberwindbar erscheinenden Grenzziehungen geführt haben. Insofern ist die Verortung der Religion an den Schnittstellen bzw. im Zwischen-Raum eher eine Zielvorstellung denn eine Zustandsbeschreibung. Das Programm des "Sich-an-den-Grenzen-Aufhaltens" bzw. "Sich-zwischen-den-Welten-Bewegens" findet in der Gegenwart, wie an den religionssoziologischen Beschreibungen der Kirchengemeinde abzulesen ist[23], noch kaum Anwendung. Aber trotz aller Bedenken angesichts der faktischen Strukturen der Kirche erweist sich erst in der Verortung im Zwischen-Raum, ob die Kirche nicht nur ein Verein neben anderen Vereinen ist, "sondern diejenige Institution, der das Vermögen zukommt, dazwischen zu treten, Mittlerin zu sein zwischen den Gruppen, Vereinen, sozialen Schichten, ästhetischen Milieus und politischen Überzeugungen."[24] Eine erste Aufgabe scheint vor allem darin zu liegen, die Theorie der Milieusegmentierungen innerkirchlich fruchtbar zu machen, mit dem Tableau der Milieubeschreibungen vor Augen zu untersuchen, mit welchen Gruppierungen die Kirche kommuniziert und welche zu kurz kommen.

Zwischenbilanz

Schon Bazon Brock hatte die Differenzierung in zahlreiche unterschiedliche Adressatengruppen diagnostiziert, die eine neue Arbeitsform kultureller Sinnvermittlung erforderlich macht. Zugleich ist seinem Modell bereits die kulturelle Spezialisierung inhärent. Jeder kulturelle Sinnvermittler muß sich 'seine' Adressatengruppe selbst suchen, seine Glaubwürdigkeit und seine Fach- sowie Interaktionskompetenz ihr gegenüber erweisen. Gerhard Schulze macht nun - über das Stichwort der Erlebnisorientierung hinaus - einsichtig, dass diese Differenzierung eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung beschreibt, die zu einer kulturellen Entfremdung der einzelnen Milieus voneinander führt. Das kulturelle Engagement der einzelnen Segmente kann nicht mehr hierarchisch gegeneinander abgegrenzt werden. Die einzelnen Milieus entwickeln ihre eigenen (Sinn-)Welten, die sich gegenseitig nicht mehr verstehen können. Henning Luther hat darauf verwiesen, dass genau an dieser Stelle der gegenseitigen Entfremdung der Kirche eine neue Aufgabe zuwachsen könnte - eine Kultur des Zwischen-Raums zu entwickeln. Die religiöse Kultur könnte sich dann allerdings nicht mehr selbst als innerer Kern der Gesellschaft verstehen, allenfalls könnte die Christengemeinde der Bürgergemeinde vorleben, ob und wie es gelingt, angesichts kultureller Differenzierungen dennoch miteinander ins Gespräch zu kommen. Voraussetzungen einer derartigen Konzeption ist aber zunächst die Selbstaufklärung darüber, wie sich die Kirche selbst empirisch zum diagnostizierten Zustand der Gesellschaft verhält. Zu vermuten ist ja zunächst, dass die Großkirchen nur ein getreues Spiegelbild der Gesellschaft darstellen, da sie faktisch mit einem Großteil der Gesellschaft kongruent sind. Das reale Bild sieht allerdings - darauf weisen erste Indizien hin - etwas anders aus. Jener Teil der Gemeinde, der kirchlich engagiert ist, weicht deutlich vom Rest der Gesellschaft ab, während andere Teile der Gemeinde, welche zugleich andere Milieus repräsentieren, in der sogenannten Kerngemeinde nicht auftauchen.

Religiöse Kultur der Gegenwart

Um die beschriebenen Theorieperspektiven auf die Thematik von Religion und Kirche anwenden zu können, müssten zunächst verschiedene Projekte der Analyse gegenwärtiger religiöser Kultur durchgeführt werden. Dazu gehört zum einen eine Selbstaufklärung darüber, was die beteiligten Menschen unter Religion überhaupt verstehen: "Identifizierbar wird die Religion über das, woran sich die religiöse Selbstidentifikation von Subjekten vollzieht, über die Codierungen, über die Kommunikationsanweisungen, die solche Selbstidentifikationsprozesse anregen, die sie in Regeln fassen, ihnen eine sozial verbindliche Gestalt geben, ohne je mit ihnen identisch zu sein. Nach diesen Codierungen von Religion, nach den Medien, die religiöse Selbstdeutungsvorgänge heute anzuregen und kommunikabel zu machen vermögen, hat ein Projekt zur Analyse gegenwärtiger religiöser Kultur m.E. daher in erster Linie zu fragen."[25] In einem zweiten Schritt müssten diese Erkenntnisse milieuspezifisch ausgewertet werden.

Rudolf Roosen hat eine "vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema Religion und Milieu" angemahnt und erhofft von ihr richtungweisende Impulse für die Theorie der parochialen Gemeindearbeit. Roosen weist darauf hin, dass nur eines der fünf von Schulze beschriebenen Milieus eine Nähe zum traditionellen kirchlichen Leben besitzt (das Integrationsmilieu), während die restlichen davon in der Regel nicht erreicht werden. Das Harmonie- und das Unterhaltungsmilieu warte zu Hause auf den Besuch des Pfarrers, während das Niveaumilieu durch besonders qualifizierte Angebote und das Selbstverwirklichungsmilieu durch das Bedürfnis nach spezifischen Formen zwischenmenschlicher Beziehungen charakterisiert sei, das es gegenwärtig vor allem auf dem allgemeinen religiösen Erlebnismarkt befriedige. Zu verabschieden sei jedenfalls "die Vorstellung von der 'Einheit der Gemeinde' ... Es gibt sie nicht".[26] Die Kirche müsse sich nun fragen, ob sie aus sich heraus Arbeits- und Angebotsformen entwickeln könne, die den jeweiligen Milieus entgegenkommen und ihnen Kommunikations- und Handlungsangebote machen. Punktuell sei dies für alle Milieus möglich, allerdings nur mit je spezifischen Angeboten. Wer mit den verschiedenen Milieus in Kontakt kommen wolle, müsse sich konsequenterweise auf den religiösen Markt begeben. Erforderlich sei eine reflektierte, überparochial koordinierte Öffnung der traditionellen parochialen Arbeitsformen.[27] Im Blick auf das Niveau- und das Selbstverwirklichungsmilieu muß die Kirche also so etwas wie Formen von "kultureller Diakonie"[28] entwickeln. Kulturelle Diakonie als Dienst an der urbanen Kultur (im Sinne von Jeremia 29,7) könnte so die die jeweiligen Milieus interessierenden, neuralgischen und zwischen ihnen kontroversen Punkte aufsuchen und ein Gespräch inszenieren. Dies ist freilich nicht die klassische Zielbestimmung kirchlicher Arbeit.

Eine von der Unternehmensberatung McKinsey im Auftrag der Kirche in München durchgeführte Studie kommt zum Schluss: "In der Berücksichtigung von Mitgliedereinstellungen und -erwartungen weist die Evangelische Kirche ... ein erhebliches Defizit auf. Dieses Defizit führt zu einer wachsenden inneren Distanzierung der Mitglieder ... Die wachsende Innenorientierung und die Beschäftigung mit sich selbst führen zu einer weiteren Vernachlässigung der Mitglieder."[29] Übersetzt heißt das: die Konzentration auf das Integrationsmilieu vertreibt die restlichen Kirchenmitglieder, da die Kirche mit diesem Milieu auch dessen Wirklichkeitssicht zu übernehmen droht und sich von den "Wirklichkeiten" der anderen Milieus entfernt. Soweit überhaupt Erhebungen vorliegen, verweisen sie aber darauf, dass rund zwei Drittel der Kirchenmitglieder nicht in kirchlich geprägten Glaubensformen leben.[30] Trifft das zu, dann sind die klassischen und auch in der Münchener Studie vorgeschlagenen Wege, nämlich sowohl die "Mitgliederorientierung" zu verstärken als auch die "Konformität mit kirchlichen Zielen" zu fördern, kaum begehbar, denn in der Regel schließt sich beides aus: was die Leute glauben wollen und was die Leute glauben sollen, lässt sich kaum in Einklang bringen.[31] Grundsätzlich ist deshalb Rudolf Roosens Anregung zu folgen und die Idee einer religionssoziologisch zu fassenden Einheit der Gemeinde aufzugeben. Statt dessen muß von einem Ensemble unterschiedlicher Aktivitätsschwerpunkte ausgegangen werden, das sich in einen Fließgleichgewicht befindet.

Nicht jede Gemeinde kann und muß mit ihren Räumen allen Szenegruppen Heimat bieten, aber die Kirche als Ganzes sollte es können. Im Kontext einer urbanen Kultur sollte die Kirche ebenso Vergegenwärtigungsstätte wie Zukunftswerkstatt sein, aber sie muß es nicht am selben Ort sein. Meditationsorte erfordern ein anderes Setting als Stadtforen, kirchenmusikalische Veranstaltungen ein anderes als Kunstausstellungen, diakonische Einrichtungen ein anderes als ökologisches Engagement. Ein deutlicher Akzent ist und bleibt dabei, die Kirche als einen je und je zu konstituierenden Raum aufzufassen, in dem der Alltag transzendiert wird - aber schon bei der Frage, ob dabei Ruhe vor dem Alltag gewährt werden soll, ob der Alltag oder ob die Differenz zum Alltag thematisiert werden sollte, scheiden sich die Geister. Da es hier kein richtig oder falsch gibt, müssen die Kirchen Experimente wagen. Wenn das traditionelle kirchliche Leben eine signifikante Beziehung zum Integrationsmilieu hat, dann müssen andere kirchliche Aktivitäten auf andere Milieus zielen. Im Folgenden geht es darum, ohne die notwendige Brückenfunktion zwischen den einzelnen Szenesegmenten aus den Augen zu verlieren, gerade den beiden Milieus ein Kommunikationsangebot zu machen, die sich durch Distanz zur Kirche auszeichnen. Die von den Kirchen seit vielen Jahren im Rahmen der Evangelischen Akademien auf diese Zielgruppen zugeschnittenen Angebote haben in den letzten Jahren im Kontext urbaner Kultur in der Form von Stadtakademien oder evangelischen Foren neue Ausdrucksformen gefunden.

Das Evangelische Forum als Beitrag zur Stadtkultur

Im Folgenden soll das Beispiel des Evangelischen Forums Kassel dazu dienen, nach der Rolle kirchlich-kultureller Sinnvermittlung in der Stadt zu fragen. Das Evangelische Forum Kassel ist lokalisiert an einem im öffentlichen Bewußtsein als 'Drogenumschlagplatz' bekannten Platz in Kassel, was auch in der Arbeit des Forums z.B. in Form von Diskussionsveranstaltungen zur "Offenen Drogenszene in Kassel" eine Rolle spielt. Versucht man die Arbeitsgebiete gerade auch im Blick auf ihre öffentliche Bedeutsamkeit und Wirksamkeit zu systematisieren, so stehen an erster Stelle Angebote zur Thematisierung des Selbstverständnisses der Stadt, zur kulturellen und städtischen Identität. In Kassel ist dies eine besondere Herausforderung, worauf nicht zuletzt die kritischen Bemerkungen der Leiterin der documenta X, Catherine David, aufmerksam gemacht haben. Kassel erscheint nach außen hin oft als gesichtsloser Raum, der sein spezifisches Gepräge seit dem Zweiten Weltkrieg verloren hat. Mit Kassel verbundene Ereignisse, wie etwa die documenta, werden in der Selbsterfahrung der städtischen Kultur eher als Fremdkörper wahrgenommen. Welche Faktoren also, das scheint eine zentrale und allgemein interessierende Frage zu sein, könnten dann die Identität dieser Stadt in einem positiven Sinne prägen? Ein zweites, damit zusammenhängendes Thema in der Arbeit des Evangelischen Forums ist die Entwicklung und Zukunft dieser Stadt, sind also insbesondere Fragestellungen zur Wirtschafts- und Regionalentwicklung. Zur Thematisierung dieser beiden grundsätzlichen Fragenkomplexe sozial-kultureller Identität in der Stadt bietet sich die Kirche offenbar im Rahmen einer urbanen Kultur als milieuübergreifender Gesprächsort an: Studierende, Stadtplaner, Politiker, Alteingesessene, Zugezogene sind die Besucher derartiger Veranstaltungen. Gerade hier erweist sich die Kirche als Ort öffentlicher Gesprächs- und Streitkultur. Der dritte Wirkungsschwerpunkt ist die kulturelle Stadtöffentlichkeit (Literatur/Theater/Kunst) mit ihren aktuellen Ereignissen.

Die wahrgenommene "Botschaft" der Arbeit des Evangelischen Forums lautet: Die Kirche beschäftigt sich hier nicht mit sich selbst, sondern mit Fragen der Zeit und überwiegend mit Problemen und Themen "unserer" Stadt. Die Stadtforen werden so zu den am besten besuchten Veranstaltungen. Der von der Kirche eröffnete Zwischen-Raum ist das Diskussionsfeld, in dem Fragen der städtischen Identität erörtert werde können. Vielleicht gar nicht so überraschend erweist sich die Stärke des kirchlichen Kommunikationsangebots gerade nicht im Bereich der klassischen kirchlichen Themenfelder individuell-religiöser Sinnstiftung, sondern eben im Rahmen gesellschaftlich-kultureller Sinnstiftungszusammenhänge. Je mehr die Themenstellungen die urbanen Brennpunkte und Kontroversen berühren, desto größer ist die Resonanz. Am erfolgreichsten ist die Arbeit dort, wo wirklich "der Stadt Bestes" gesucht wird, wo es gelingt, die streitenden Gruppierungen und sei es in kritischer Absetzung zu den Zielsetzungen und Maßnahmen der aktuellen Stadtpolitik, an einen Tisch zu bringen.

Das "klassische" Milieu der Kirche, das Integrationsmilieu also, fehlt dagegen auf den Veranstaltungen des Evangelischen Forums fast ganz. Angesprochen werden - wie zu erwarten war - das Niveau- und das Selbstverwirklichungsmilieu und hier insbesondere die faktisch Kirchendistanzierten, während die der Kirche verbundenen Mitglieder dieser Milieus eher zurückhaltend reagieren. Was aber nicht gelingt und vielleicht auch nicht gelingen kann, ist die milieu-übergreifende Kulturarbeit. Zumindest aber kann man einzelne Milieus bzw. die "Wissensenklaven sozialer Milieus" über gemeinsam interessierende Fragen miteinander ins Gespräch bringen. Damit verbleibt die kirchliche Arbeit freilich weiterhin nur auf der Ebene der mittel und höher Gebildeten. Ist es aber zutreffend, dass Harmonie- wie Unterhaltungsmilieu für Fragen urbaner Kultur nicht ansprechbar sind, muß die Kirche für diese Segmente der Gesellschaft andere Formen der Zielgruppenorientierung entwickeln, von der verstärkten pastoralen Zuwendung für das Harmoniemilieu bis hin zur Ereignis- und Erlebniskirche für das Unterhaltungsmilieu.

Kirche in einer urbanen Kultur

Kirche in einer urbanen Kultur muß sich somit als Ort städtischer Kommunikationskultur verstehen. Sie muß sowohl Fragen des aktuellen Stadtgesprächs wie auch Themen von gesamtgesellschaftlicher Brisanz aufgreifen. Sie bemüht sich um Wahrnehmung drängender Fragen der Gegenwart und um evangelisch verantwortete Zeitgenossenschaft. Unter den gegebenen Bedingungen eines grundsätzlichen weltanschaulichen Pluralismus will sie sich in den Streit der Meinungen hineinbegeben und die ureigensten Themen und Traditionen christlichen Glaubens ins Spiel bringen. Diese Arbeit geschieht durch Bildungs- und Kulturangebote, durch die Beschäftigung mit religiösen, kulturellen, gesellschaftlichen Grundsatzfragen und mit Kunst und Literatur als Seismographen gesellschaftlicher Entwicklungen. Veranstaltungsformen sind Vorträge, Seminare, Studientage, Lesungen, Ausstellungsbesuche und -begleitprogramme, Theater- und Filmforen, Seminare zu (kirchen) musikalischen Veranstaltungen und Studienreisen. Darüber hinaus durch die Profilierung des Forumscharakters in Form von Podiumsdiskussionen, Hearings, Streitgesprächen, kontrovers angelegten Vortragsreihen. Hier werden gesellschaftspolitische, ethische und soziale Fragen debattiert, wobei die Kirche ihre vom Evangelium her vorgegebene Anwaltschaft für die Opfer gesellschaftlicher Prozesse und Strukturen ins Gespräch, in die Fragen- und Problemhorizonte einbringt. Und nicht zuletzt durch Angebote, die an einem (selbst)erfahrungsorientierten und kreativen Umgang mit Geschichten, Symbolen und (auch belasteten) Themen der christlichen Tradition ausgerichtet sind. Dies kann mit Hilfe kreativer Medien aus dem Bereich der Gestalttherapie geschehen, durch Bibliodrama-Arbeit oder durch Werkstätten, die verlorengegangene Formen von Spiritualität und Meditation mit neuem Leben füllen wollen. Kirche in einer urbanen Kultur versteht sich als Ort innerkirchlicher Kommunikation, indem sie sich bemüht, Bildungsangebote der Gemeinden und anderer kirchlicher Einrichtungen zu vernetzen. Sie begreift sich ebenso als Ort der Kommunikation mit gesellschaftlichen Gruppen und öffentlichen Einrichtungen.

Versucht man abschließend noch einmal, das eingangs zitierte Vermittlungsmodell von Bazon Brock im konkreten Kontext zu situieren, so besteht die erste Aufgabe in der "Erzeugung der Bereitschaft zur Aufmerksamkeit". Diese basiert nach Brock auf "Aussagenautorität" und "Glaubwürdigkeit". Nun haben die vorstehenden Ausführungen gezeigt, dass die Adressaten einer Kirche in der urbanen Kultur weniger an der Vermittlung spezifisch religiöser Fragestellungen interessiert sind - diese geschieht offensichtlich mit anderen Adressaten und an anderen Orten wie z.B. dem Kirchen- und Gemeinderaum -, als vielmehr an der Bereitstellung eines Zwischen-Raums zur Artikulation und zum Ausgleich divergierender öffentlicher Interessen. Aussagenautorität und Glaubwürdigkeit besitzt die Kirche im Rahmen einer urbanen Kultur also insbesondere als Moderatorin im klassischen Sinn des Wortes. Von hier aus ergeben sich auch die weiteren Bestimmungen im Rahmen des Brock'schen Vermittlungsmodells. So besteht die "Fachkompetenz" der Kirche in Bezug auf das "Angebot an Handlungsentwürfen" vor allem darin, die unterschiedlichen Handlungsentwürfe, die auf dem Markt sind, zur Artikulation und zur öffentlichen Wahrnehmung zu bringen. Fachkompetenz wird der Kirche gerade darin zuerkannt, dass sie weder aus interessegeleiteten Gründen Minderheitsvoten ignoriert oder unterdrückt noch sich der herrschenden Meinung anpasst. Alle diese Beschreibungen gelten nicht nur für urbane Konflikte, sondern auch für kulturelle Konflikte z.B. im Bereich des Films (zu denken ist an Diskussionen um Filme wie Pulp fiction oder Kids), der Literatur oder auch der Begegnung von Kulturen (Islam, Palästina). Die Einübung der Angesprochenen in Handlungsentwürfe besteht in deren Befähigung, die eigenen Interessen in Abwägung konkurrierender Interessen zur Geltung zu bringen. Aufmerksamkeit ist eine knappe Ressource, die mit vielen geteilt werden muß. Ein lokales Forum bereitzustellen, wo Geltungsansprüche nicht nur artikuliert, sondern auch vermittelt werden, ist die Aufgabe der Kirche in einer urbanen Kultur. Ihre Arbeit bemisst sich an der Realisierung dessen, was Brock als letzten Schritt seines Modells vorsieht, der "Reorganisation der Lebenssphären der Adressaten", ihrer Autonomie als Fähigkeit, von sich selbst absehen zu können.

Die kirchliche Arbeit in der Stadt vollzieht sich in der Spannung von Jeremia 29 ("Suchet der Stadt Bestes") und Hebräer 13 ("Wir haben hier keine bleibende Stadt"), d.h. zwischen dem Engagement für die Stadt und dem Wissen um deren Vorläufigkeit und Veränderbarkeit. "In Between" ist die Kirche, insofern sie anderen Freiräume und Lebensräume zu eröffnen vermag, soweit sie also die entstehenden Zwischen-Räume nicht als unabwendbares Schicksal hinnimmt oder als postmoderne Verirrung beklagt, sondern produktiv als Herausforderung zum Gespräch und zu kultureller Vermittlungsarbeit annimmt.

Anmerkungen
  1. B. Brock: Stufen der Erkenntnisgewinnung. In: ders.: Ästhetik als Vermittlung. Arbeitsbiographie eines Generalisten. Köln 1977, S. 10ff.
  2. Ebd., S. 12f.
  3. Zum Ziel der religiösen Autonomie vgl. F. Oser: Wie viel Religion braucht der Mensch? Gütersloh 21990.
  4. So H. Luther: Schwellen und Passage. Alltägliche Transzendenzen. In: ders.: Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts. Stuttgart 1992. S. 223.
  5. Vgl. dagegen H. Timm: Stadt-Kirchen-Kultur: Der Architop. In: Kirchen - Kulturorte der Urbanität, Hamburg 1995, S. 19-26, der für das Zentralitätsprinzip, d.h. das Festhalten an den topographischen Kirchen im Kern von Dorf und Stadt plädiert. Es geht aber nicht nur um Standortvorteile, sondern um eine Topik, die weniger historisch überkommen ist, als vielmehr der Topographie der Lebenswelten entspricht.
  6. G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt/New York 3/1993.
  7. Ebd., S. 269
  8. Ebd., S. 161.
  9. Ebd., S. 162f. Vgl. das Schema bei Schulze, S. 165, sowie die zusammenfassenden Charakterisierungen der einzelnen Milieus: Niveaumilieu (S. 291), Harmoniemilieu (S. 300), Integrationsmilieu (S. 311), Selbstverwirklichungsmilieu (S. 321) und Unterhaltungsmilieu (S. 330). Was die Religion betrifft, so ist hier vor allem das Alter maßgeblich. In der Skala für Religiosität steht am unteren Ende mit 38% das Unterhaltungsmilieu, dann folgt das Selbstverwirklichungsmilieu mit 38%. Bei den älteren Personen über 40 Jahren kommt zunächst das Niveaumilieu mit 42%, dann das Harmoniemilieu mit 52% und am besten schneidet das Integrationsmilieu mit 53% ab. Ebenda, S. 660. Allerdings könnten hier regionale Einflüsse eine stärkere Rolle spielen.
  10. Ebd., S. 40.
  11. Ebd., S. 38.
  12. Vgl. W. Engemann: Der 'moderne Mensch' - Abschied von einem Klischee. In: Wege zum Menschen Heft 6, 1996, S. 447-458.
  13. G. Schulze (Anm. 6), S. 543.
  14. "Wie in einem langsam eintrocknenden See sind auseinanderliegende Tümpel übriggeblieben: die Wissensenklaven sozialer Milieus"; ebd., S. 364.
  15. Ebd., S. 364
  16. Ebd., S. 167.
  17. P. Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/M. 1982. (La distinction. Critique social du jugement, Paris 1979)
  18. In einem etwas anderen Sinne hat sich auch A. Grözinger für eine Theologie des Zwischen-Raums ausgesprochen. Unter dem Stichwort "transversaler Seelsorge" plädiert er für ein hilfreiches Dazwischentreten, Seelsorge als Vermittlung von Erlebnis (im Sinne der von Schulze beschriebenen 'Erlebnisgesellschaft') und Erlebnis (im Sinne des von Gadamer beschriebenen auf ein Sinnganzes bezogenen Erlebnisses). Vgl. A. Grözinger: Geschichtenlos inmitten von Geschichten. Die Erlebnisgesellschaft als Herausforderung für die Seelsorge. In: Wege zum Menschen 8/96, S. 479-487.
  19. H. Luther (Anm. 4), S. 222f.
  20. H. Luther, Grenze als Thema und Problem der Praktischen Theologie. In: ders.: Religion und Alltag (Anm. 4), S. 45-60.
  21. Ebd., S. 55.
  22. Ebd.
  23. S. u. die Ausführungen zur religiösen Kultur der Gegenwart.
  24. W. Gräb: Auf den Spuren der Religion. Notizen zu Lage und Zukunft der Kirche. In: ZEE 1/95, S. 43-56, hier S. 53
  25. Wilhelm Gräb: Institution und Individuum. Überlegungen zur Diagnose der modernen Religionskultur. In: Pastoraltheologie 79, 6/1990, S. 255-269.
  26. "Für die Angehörigen des Niveaumilieus lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit behaupten, dass ihr Streben nach Perfektion, Niveau und gehobenem Geschmack weder mit dem durchschnittlichen Erscheinungsbild noch mit der durchschnittlichen Geselligkeits-, und Frömmigkeitskultur der Gemeindehäuser in Einklang zu bringen ist. Wer, wie die Angehörigen des Unterhaltungsmilieus, "Action als Genussform" betrachtet, kann mit der Betulichkeit des Gemeindehauslebens schwerlich etwas im Sinn haben. Das Selbstverwirklichungsmilieu schließlich ist das Milieu, in dem das höchste Ausmaß an Kirchenkritik festzustellen ist, gepaart mit den höchsten Zustimmungsraten zur Alternativbewegung; Friedensbewegung und den Grünen. Das Milieu sucht weder Geselligkeit noch kontinuierliche Bindungen, es sucht "Bewegung", Aufbruch und Selbsterfahrung. Mit derartigen Motivationen ist man im Gemeindehaus in aller Regel an der falschen Adresse." Rudolf Rosen: Gemeindehaus vor dem 'Aus'? Die Milieugesellschaft und die Reform der evangelischen Gemeindearbeit. In: Deutsches Pfarrerblatt 2/97, S. 63-66, hier S. 65.
  27. Roosen nennt in diesem Zusammenhang Kurse, Workshops, Tagungen und Seminare für das Selbstverwirklichungsmilieu. Ebd., S. 66.
  28. G. Fuchs: Kulturelle Diakonie. In: Concilium 24/1988, S. 324-329. Vgl. auch N. Mette / M. Schäfers: Kirche in der Stadt. Bestandsaufnahme und Problemanzeigen. In: Pastoraltheologie 3/1990, S. 116-131.
  29. Das Evangelische München-Programm. Öffentlichkeitsarbeit als Leitungsaufgabe der Kirchen. Arnoldshain 1996, Ms, S. 9.
  30. Die Münchener Studie spricht von knapp 50% der Mitglieder, die in kirchengeprägten Glaubensformen leben. Dazu schlägt sie jene Gruppe von 20%, die als Suchende mit Kirchendistanz (!) bezeichnet werden, zur kirchlichen Gruppe.
  31. Die Studie orientiert sich deshalb an der Wirkung, sie setzt die kirchlich-dogmatische Form des Christentums als normative Instanz voraus und sucht nun nach wirkungsmächtigen Instrumentarien, diese den religiösen Subjekten nahe zu bringen. Es ist aber eine Frage, ob dieser Ansatz sinnvoll ist. Problematisch wird es, wenn es heißt: "Die Wirkung zeigt sich als Teilnahme an kirchlichen Festen und Veranstaltungen, als Glaube an die Inhalte des Evangeliums und als Wissen über die christliche Religion. Sie zeigt sich auch im Verhalten auf der Basis christlicher Normen und Werte sowie in Form von Gefühlen und Bewusstseinsinhalten". Das ist die Verifizierung des Christentums auf der Ebene der Konfirmandenprüfung.

© Eveline Valtink 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 13/2001
https://www.theomag.de/13/ev2.htm