„Neues Sehen“ - „To open eyes“ - „Bewegte Stille“

Notizen zur Ausstellung einer Werkgruppe von Josef Albers

Barbara Wucherer-Staar

Notizen zur Ausstellung einer Werkgruppe von 28 Fotografien von Josef Albers, neu erworben für das Museum Quadrat in Bottrop

Man kennt Josef Albers (1888 – 1976) vor allem als Schöpfer des Quadrats. Seine so genannte „Relativitätstheorie der visuellen Wahrnehmung“ - die Schrift „Interaction of Colour. Grundlegung einer Didaktik des Sehens“ mit 119 gedruckten Beispielen für Farbbeziehungen - erschien 1963 bei der Yale University Press. Der einflussreiche Maler, Pädagoge und Theoretiker erläutert darin sein Konzept „to open eyes“ (die Augen öffnen).

Am Bauhaus, später am amerikanischen Black Mountain College und an der Yale University vermittelte Albers Grundlagen für ein geschärftes, wirkliches Sehen, indem er Widersprüche und Täuschungen offenlegte. Seine unerschöpfliche Begeisterung für Farben, ihre Kontraste und Gegensätze, führten zu den vielen Ehrungen an das Quadrat („Homage to the Square“).

Es sind vielfache Facetten einer Farbmalerei, die sich konstruktiv-konkret von gestischer und figurativer Malerei nach 1945 abgrenzt.

Seine Fotocollagen - entstanden seit den späten 1920er Jahren - sind hingegen kaum bekannt. Eine Ausstellung einer gerade erworbenen, repräsentativen Werkgruppe von 28 Foto-Montagen im Museum Quadrat Bottrop zeigt diese ganz andere Facette seiner Lehre. Albers Leidenschaft an der Farbe wird kontrastierend ergänzt um das fotografische Sehen im Sinne seiner Idee eines „bewegten Sehens“. Damit steht er in der in der Tradition des „Neuen Sehens“ der Bauhausfotografen (Moholy-Nagy, Franz Roh u.a.).

Es finden sich Fotomontagen von Natur, Architektur, Portrait und sakraler Kunst. „Dabei dient“, so Museumsleiter Heinz Liesbrock, „die Untersuchung formaler Fragen immer auch der Klärung lebensweltlicher Phänomene … immer wieder hat er während längerer Arbeitsphasen intensiv fotografisch gearbeitet: nach der Zeit am Bauhaus und der Emigration in die USA auch zwischen 1935 und 1950 in Mexiko und Peru, schließlich 1953/54 in Süddeutschland, als er an der Hochschule für Gestaltung in Ulm unterrichtete.“[1]

Bildnerische Strategie

Von Anfang an plante und erprobte Josef Albers Linie und Farbe in Relation zu Fläche und Raum. Wichtig sind Albers in allen Medien - Malerei, Grafik, Druckgrafik, Fotografie und Glas – handwerklich perfekte, präzise Verfahren. In seiner Arbeit nimmt er alles „Handschriftliche“ zugunsten einer möglichst planen, glatten Material-Oberfläche zurück.

In der Fotografie ist es das technische Instrument, mit dem er mehrere Aspekte von Wirklichkeit dokumentiert. In der Reihe „Homage to the Square“ streicht er mit dem Malermesser industriell gefertigte Farben direkt aus der Tube auf die Leinwand, die Farbnummern notiert er auf der Rückseite der Bilder.

Lebendiges Sehen - „Bewegte Stille“ (Liesbrock) - entsteht durch das Aufbrechen von Sehgewohnheiten und vertrauten Strukturen. In der Fotografie erreicht er eine „Mehraspektigkeit des Sehens“ durch die Collage von Motiven aus unterschiedlichen Blickwinkeln oder einzelnen Elementen zu einem Thema. In seinen Bildern, Zeichnungen und Grafiken finden sich Augentäuschungen in geometrisch organisierten Vexierbildern.

Albers Hauptwerk entsteht in Amerika, seine Anfänge werden in Beziehung gebracht mit Anni und Josef Albers´ ersten “Begegnungen mit Lateinamerika“. Sie waren beeindruckt von alter (prähistorischer) Kultur, der Verbindung von Geschichte, Kunst und Religion.[2] Für Albers Malerei werden (immaterielles) Licht und Farben ebenso prägend wie Formen und Strukturen, wie er sie in seinen Fotomontagen dokumentiert. Albers selbst hat seine Foto-Kataloge nie öffentlich gezeigt, sie dienten vermutlich mehr als Quellen- und Anschauungsmaterial.

Immaterielles und Ewigkeit

Für den Betrachter eröffnen sich über den Weg der Fotografie neue eigene Seherfahrungen bis hin zum „Überzeitlichen“. In der Ausstellung finden sich geometrische und mit Versatzstücken organisierte Architekturaufnahmen wie die „Kathedrale in Arequipa“, auf Karton montierte Silbergelatineabzüge. Stein lässt sich assoziieren mit Werten wie beständig, unvergänglich, ewig. Architektur bietet Zuflucht, schützt, verändert ihre Funktion und Struktur durch Alterung und Verfall. Das gilt für die Aufnahmen der Mauern des Coricancha, des wichtigsten Inkatempel von Peru („Kancha Walls“ / „Kancha Mauern“, Hatunrumiyoc in der Nähe von Cusco, Peru, 1953), der Tenayuca (einer präkolumbianische Ruinenstätte in Mexiko), der Pyramiden des heiligen Zentrums von „Monte Alban“ (weißer Berg), Mexiko (1935-39) und das Denkmal für „Quetzalcoatl“, Calixtlahuaca, Mexiko.

Ebenso öffnen Fotografien, die er während seiner Gastprofessur entdeckt, den Blick für Spiritualität und Transzendenz: er fertigt eine Collage aus einer Broschüre - Christuskopf, Decken- Tür- und Fensteransichten aus dem „Kloster Maulbronn“ oder die auf Karton montierten Postkarten eines Altarbildes von Tilman Riemenschneider in der Herrgottskirche in Creglingen. Ein Bezug zu Alber´s „Arbeiten auf Papier“, in denen er Vexierbilder - Augentäuschungen mit Linie, Geometrie und Farbe - offen legt, liegt nahe. Einige dieser Blätter hängen zwischen den derzeit ausgestellten 28 Foto-Montagen.

Albers im Dialog / Albers im Kontext

Albers´ Idee, Ikonen des 20. Jahrhunderts zu schaffen, wird in der Ausstellungsreihe „Im Gespräch mit Josef Albers“ in einen offenen Dialog mit Kollegen gestellt. Dazu zählen unter anderem Begegnungen mit Alexej Jawlensky (1865-1941), Ad Reinhard (1913-1967) oder mit den atmenden Raumkörpern Gotthard Graubners (1930-2013). Ist für Graubner "der Simultankontrast (…) alles in der Malerei", formuliert Albers seine Faszination einmal so: "Zwei Farben nebeneinander zu stellen versetzt mich in höchste Erregung".[3]

Klänge - akustisch und visuell

Ein weiterer, noch offener Aspekt, den Albers in seiner „Seh-Schule“ vermerkt, sind Wechselbeziehungen zwischen visuellen und musikalischen Tonkombinationen.[4] Ein -  seine Stille beeindruckender - Farb-Ton-Raum ist Sol LeWitts „Wall Drawing 1176. For Josef Albers“. Aus sieben Grundfarben und all ihren möglichen Paarkombinationen konzipierte der US-Künstler (1928–2007) speziell für das Museum Quadrat monumentale Quadrate, die präzise direkt auf die Wände des Museums aufgetragen wurden (2005 und 2015). Stets neu ziehen leuchtende, vibrierende Farben – im Wechsel von einzelnem Bild und allen Gemälden zusammen – in offene Räume, schaffen neue Blickperspektiven. Temporäres Werk und zeitlose Architektur werden zu einer Einheit. Ebenso wie eine Musikpartitur, so Liesbrock, werde diese Inszenierung erst lebendig, wenn sie gespielt wird. So wird in dieser Inszenierung Albers Idee von Farbe, Licht und Raum mit allen Sinnen erlebbar.


Josef Albers. Fotografie. Begleiter vom Bauhaus bis zu den späten Reisen. Ein Erwerb für die Sammlung des Josef Albers Museums, seit 21.9.2016

Die Ausstellung des Malers und Theoretikers „Jerry Zeniuk. How to Paint“ ist noch bis 27.11.2016 zu sehen, ein Katalog ist in Vorbereitung.

Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, www.quadrat-bottrop.de

Abbildungen unter:
Literatur
  • Josef Albers, Interaction of Color, Grundlegung einer Didaktik des Sehens, Köln: dumont, 1970
  • Josef Albers: Learning to see. Josef Albers as a Teacher, from Bauhaus to Yale; m. e. Vorwort von Nicholas Fox Weber, Bivange 2013
  • Josef Albers: Process and Printmaking (1916-1976), mit Texten von Nicholas Fox Weber, Brenda Danilowitz, Madrid 2014
  • Brenda Danilowitz (Hrsg.), Anni und Josef Albers - Begegnung mit Lateinamerika, Ostfildern: Hatje-Cantz, 2007
  • Heinz Liesbrock, Michael Semff, Malerei auf Papier. Josef Albers in Amerika, Ostfildern: Hatje Cantz, 2010
  • Monika Wagner, Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München: Verlag C. H. Beck, 2001
Anmerkungen

[1]    Fotografie wird seit längerem im „Quadrat“ gezeigt: Das „regionale Sehen“ auf Zechen- und Industrieanlagen von Bernd und Hilla Becher (1931-2007 / 1934-2015) oder auf Amerika von Walker Evans (1903-1975) und Robert Adams (*1937)

[2]    Zu Albers Hauptwerk zählen die "Grafischen Tektoniken" und "Strukturalen Konstellationen", in der Malerei die "Kinetics" und "Variants" bis zur Entwicklung der „Homage to the Square“ seit den 1950er Jahren.

[3]    www.theomag.de/74/bws3.htm / Die Farbe hat sie. Gotthard Graubner. Malerei. Gespräch mit Josef Albers

[4]    Josef Albers über „Farbzusammenstellung“, in: Josef Albers, Interaction of Color, Grundlegung einer Didaktik des Sehens, Köln: dumont, 1970, S. 70 ff.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/104/bws15.htm
© Barbara Wucherer-Staar, 2016