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Magazin für Theologie und Ästhetik


Bildersturm - Wahnsinn oder Gottes Wille?

Eine Ausstellungskritik

Andreas Mertin

Die Ausstellung

Vom 2. November 2000 bis zum 16. April 2001 zeigt das Bernische Historische Museum die Ausstellung "Bildersturm - Wahnsinn oder Gottes Wille". Nicht zuletzt aus Anlass der Wiederauffindung von Skulpturenfragmenten aus dem Berner Bildersturm von 1528 geht die Ausstellung der Frage nach, wie es zu den ikonoklastischen Aktionen der Reformationszeit kommen konnte. Auf zwei Ebenen begegnet der Besucher dabei der Welt der mittelalterlichen Kirche, den Ritualen und Inszenierungen, dem Aufbruch der Reformation, der Auseinandersetzung mit den Bildern, dem Bildersturm und schließlich den Skulpturenfunden des Jahres 1986.

Erwartungen

Erwarten konnte man bei dieser Ausstellung zunächst eine Erklärung darüber, warum eine Religion, die bilderlos begann, innerhalb von wenigen Jahrhunderten zu einer bilderfreundlichen Religion geworden ist. Was hat die Menschen des 3. und 4. Jahrhunderts bewogen, das alttestamentliche Bilderverbot und damit die Gemeinschaft mit dem Judentum geringer einzuordnen als die Anpassung an die bilderfreundliche Umwelt?

Dann hätte man in einem zweiten Schritt eine Darstellung der Bilderwelt des mittelalterlichen katholischen Ordo erwartet, also welche Fülle und Breite die Bildwelt in den Hochzeiten der katholischen Kirche erreicht hat, und dann natürlich auch, wie die Menschen diese Bildwelten wahrgenommen haben und was sie mit ihnen verbunden haben.

In einem dritten Schritt hätte dargestellt werden müssen, wie die Reformation der Kulminationspunkt einer bilderkritischen Vorgeschichte ist, die das Christentum seit seiner Genese immer begleitet hat. Stichworte wären hier der byzantinische Bilderstreit des 8. Jahrhunderts, die Bewegung der Waldenser im 12. Jahrhundert, Jan Hus am Beginn des 15. Jahrhunderts, Savonarola in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts etc. gewesen. Neben der Darstellung des Ablaufs des Bildersturms in der Reformationszeit hätte man darüber hinaus eine Erklärung erwarten können, warum Menschen, die vor kurzem noch Bilder verehrt hatten, nun das verehrte Medium angreifen und zerstören. Was treibt diese Menschen an, woher kommt ihr so genannter "Bilderwut", was befähigt sie, von der Umwelt als quasi magisch eingestufte Objekte zu vernichten? Erklärungsbedürftig wäre schließlich noch gewesen, warum oftmals die Bildkritik im Medium des Bildes stattgefunden hat, warum also die Bilderstürmer nicht Bilder an sich, sondern nur bestimmte Bilder ablehnten. Es sind ja gerade nicht blindwütige Aktivisten ("fundamentalistisch bildfeindliche Bewegung"), die hier agieren, sondern gerade die Rationalität der Religion betonende Gruppierungen der christlichen Religion.

Und schließlich wäre ein Blick auf die Geschichte vom 16. bis zum 19. Jahrhundert interessant gewesen, also wie der calvinistische Flügel der Reformation in der Folge mit Bildern umgegangen ist (vgl. dazu Michael North: Kunst und Kommerz im Goldenen Zeitalter. Zur Sozialgeschichte der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Köln 1992).

Realisation

Wer mit den so skizzierten Erwartungen die Ausstellung besucht, muss (notgedrungen?) enttäuscht sein. Ideengeschichtlich bietet die Konzeption nur wenig Einsichten und so gut wie nichts, was an Hans Beltings einschlägiges Werk "Bild und Kult: Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst" (München 1990) heranreichen würde. Und auch was die soziale Funktion von Bildkritik und Bildersturm betrifft, wird man keinesfalls ausreichend informiert (dazu immer noch höchst aufschlussreich: Horst Bredekamp: Kunst als Medium sozialer Konflikte. Bilderkämpfe von der Spätantike bis zu Hussitenrevolution. Frankfurt 1975). Das überrascht angesichts eines Ausstellungsmachers, der von sich angibt, seit 15 Jahren über das Thema Ikonoklasmus zu forschen.

Die Ausstellung führt zunächst in die Vorstellungswelt der mittelalterlichen Kirche ein, der Abriss der Geschichte der Bildverehrung gerät dabei zumindest im Blick auf die Genese deutlich zu knapp, er repräsentiert nicht den aktuellen Erkenntnisstand. Es gibt einige interessante Darstellungen, vor allem aus der späten mittelalterlichen Kirche, aber das Entscheidende zur Wendung des Christentums zu den Bildern fehlt.

Die Darstellung der kultbildkritischen Bewegung der Reformation geht vollends daneben. Präsentiert wird zunächst ein schlichter weißer Raum mit in den Wänden eingelassenen Vitrinen, in denen Schriften der Reformatoren ausgestellt sind (und das nicht immer logisch begründet. So findet man zwar Karlstadts "Von Abtuhung der Bilder" [1522], Luthers direkte Antwort in den Invokavit-Predigten [1522] wird aber unterschlagen; statt dessen wird auf seine Schrift "Wider die himmlischen Propheten von den Bildern und Sakrament" [1524/25] verwiesen). Weder erfährt man, dass etwa Luther eng mit Lukas Cranach d.Ä. befreundet gewesen ist und zumindest in den späten Jahren eine durchaus bilderfreundlich zu nennende Haltung eingenommen hat, noch etwas darüber, wie eine reformierte Kirche in ihrer Ästhetik(!) aufgebaut ist. Einen erläuternden Hinweis hätte man sich an dieser Stelle auch dazu erwünscht, warum eigentlich heutige Kunstmuseen und Galerien in ihrer Inszenierung und Ausstattung wie reformierte Kirchen aussehen (vgl. Brian O'Doherty: Die weiße Zelle und ihre Vorgänger. In: Der Betrachter ist im Bild, hrsg. v. W. Kemp. Köln 1985, S. 279ff.) und sich nicht in barocker Fülle ergehen.

Der Ausstellungsteil "Bildersturm inszeniert" ist ein Kotau vor der heutigen Eventkultur. Ausstaffierte Puppen reißen in dramatischer Weise ein Kruzifix von der Wand. Überhaupt ist hier und im folgenden Teil "Zeugen der Zerstörung" einer der Schwachpunkte der Ausstellung zu lokalisieren. Unterstellt wird, die religiösen Bilderstürmer hätten "Kunst" vernichtet: "Unermessliche Kunstschätze gingen verloren". Davon kann aber nicht die Rede sein. Die dargestellten Bilderstürme liegen alle, um diese Formulierung Hans Beltings aufzugreifen, vor dem "Zeitalter der Kunst". Es waren Kultbilderstürme. Erst retrospektiv kann man diese Kultbilder als Kunstschätze klassifizieren, nicht ohne sie zugleich einem mentalem Bildersturm zu unterwerfen, der ihre religiöse Funktion notwendig depotenzieren muss. Das wird etwa im Ausstellungsteil "Heilige" deutlich, welche eine Straßburger Maria präsentiert, welche die Stadt (in religiöser Perspektive) mehrfach beschützt und gerettet hat, hier aber (nur) als kunsthistorisches Objekt ausgestellt wird; auch das ist eine Form von Bildersturm, insofern die kultische Funktion des Objekts nicht mehr zum Zuge kommt.

Der spannendste Teil der Ausstellung ist sicher die Präsentation der Skulpturenfunde von 1986 und die aufwendig betriebene Darstellung ihrer Rekonstruktion. Nur hätte es dazu nicht des eher irreführenden Inszenierungskonzeptes bedurft. Und auch hier hätte ich ideen- und kunstgeschichtlich gerne mehr erfahren. Zum Beispiel darüber, inwiefern jenseits des religiös begründeten Bildersturms auch bei anderen Kirchen Skulpturen entfernt und durch neue ersetzt wurden, inwiefern also der Wechsel der Ausstattung einer Kirche zur Normalität der Kirchengeschichte gehört.

Zusammenfassung

Unbestritten trägt die Ausstellung interessantes Material zusammen, sie ermöglicht einen erhellenden Einblick in die mittelalterliche Bilderwelt und manche Skulptur, die in einer Kirche unerreichbar und unnahbar wäre, kann hier en Detail studiert werden. Die Chance zu einer Aufklärung des gewaltigen Umbruchs, der kunst- wie ideengeschichtlich mit der Reformation vollzogen wurde (vgl. dazu Werner Hofmann: "Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion". In: Luther und die Folgen für die Kunst. Katalog der Hamburger Kunsthalle. München, 1983. S. 23-71.), ist aber unnötigerweise verspielt worden. Vollends ins Abseits führt schließlich der Untertitel der Ausstellung: Ist der Bildersturm nun Wahnsinn oder Gottes Wille? Wer darauf eine Antwort sucht, ist im Bernischen Historischen Museum fehl am Platze, er erfährt es nicht. Wie sollte er auch, ist doch die Fragestellung schon so absurd, dass jede versuchte Antwort in die Irre führen müsste. Mir scheint jedenfalls Horst Bredekamps Feststellung immer noch die zutreffendste zu sein: "Die bilderstürmerischen Theorien gehören zu den großen geistigen Hervorbringungen ihrer Zeit, und die Formen ihrer praktischen Übersetzung waren so vielfältig und originell wie die Impulse, die zur Herstellung der Bilder nötig waren: Bildersturm konnte ebenso schöpferisch sein wie Bildproduktion."

Wer einen ersten Eindruck der Ausstellung bekommen will, konnte dies im Internet tun. Unter der Adresse www.bildersturm.ch zeigte das Museum die Grundzüge seiner Inszenierung. Hier kann man sich auch über das höchst interessante Begleitprogramm informieren. Allerdings wird die Darstellung etwas spektakulär eröffnet mit einem Palmesel-Jesus auf fahrbarem Untersatz, einem Kruzifix mit beweglichen Armen und einem weihrauchschwenkenden Mönch, die alle über den Bildschirm irren (s. Screenshot). Unbestritten wird so ein Teil der mittelalterlichen Bildfrömmigkeit gespiegelt. Als Intro zur Ausstellung finde ich es aber nur geschmacklos, auch dies eine überflüssige Verbeugung vor einem Publikum, das vor allem an sensualistischen Effekten und nicht an Erkenntnis interessiert ist.


© Andreas Mertin 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 9/2001
https://www.theomag.de/09/am22.htm